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Unzufriedenheit in der Asylpolitik kommt nicht nur von Rechts!

von | Okt 18, 2024 | Analyse

Du bist mit der Migrationspolitik der Ampel unzufrieden? Wir auch. Das sind 77 Prozent der Deutschen. Mit diesem Artikel wollen wir zeigen: Nicht nur Rechtsextreme wie die AfD sind auf die Ampel und ihre Migrationspolitik sauer. Unzufriedenheit ist nicht gleich rechts. Viele sind wegen des Rechtsrucks erst unzufrieden! Doch anscheinend ist nur rechte Wut ausschlaggebend. Auch wir müssen die Ampel für ihre kontraproduktive, unwissenschaftliche und teils menschenfeindliche Politik kritisieren. Nicht nur untergraben die seit September laufenden Grenzkontrollen den europäischen Geist von Freizügigkeit und offenen Grenzen und schaden vermutlich unserer Wirtschaft, auch das rechte Narrativ von Geflüchteten als Bedrohung für Deutschland, immer mehr unsinnige Abschiebungen und die inhumane Behandlung von Geflüchteten ist vermutlich nicht das, was sich viele der Wähler der Ampel 2021 gewünscht hatten. Fünf große Kritikpunkte, die nicht von Rechts kommen.

Es kommen längst viel weniger Menschen

Eine Studie zeigt: Die Aufnahme von Schutzsuchenden in den Kommunen läuft immer besser. Die Asylzahlen liegen 2024 auch deutlich unter 2023 – was sowieso nur ein Schatten von 2015-2017 war.

Screenshot ZEIT

Die Zahlen gehen nicht nur in Deutschland zurück, sondern in vielen europäischen Ländern. Unautorisierte Grenzübertritte sind im ersten Halbjahr 2024 auf EU-Ebene zurückgegangen, wie Frontex-Zahlen darlegen. Also eigentlich genau das, was die Ampel und die EU-Kommission unter anderem bewirken möchten. Und theoretisch das, was AfD & Co. wollten, möchte man meinen. In den Umfragen verliert die AfD jedoch nicht.

Das Problem – falls es ein Problem ist – mit Asylzahlen schwindet also die ganze Zeit schon, auch schon vor den jüngsten Verschärfungen. Das erfährt nur kaum jemand, noch interessiert es die, die man damit vermeintlich zufriedenzustellen versucht. Es macht AfD-Wähler nicht weniger unzufrieden, dafür aber viele Wähler der Ampel.

Die stoßen sich an schmutzigen Deals mit autoritären Machthabern, die in unserem Auftrag Menschenrechtsverletzungen begehen, die zu diesem Rückgang geführt haben. Nicht etwa, weil unsere “Abschreckung” so gut funktionieren würde.

Klingt hart, aber es ist leider wahr: auf der zentral-mediterranen Route, also Mittelmeerüberquerungen von Tunesien und Libyen ausgehend, sind unautorisierte Grenzüberschreitungen um 64% zurückgegangen – im Vergleich zum Jahr zuvor. Auf der Balkanroute um 75%. Frontex selbst erklärt den Rückgang der Zahlen auf der Mittelmeerroute mit verstärkten “Präventivmaßnahmen” der tunesischen und libyschen Behörden, Schleuser zu stoppen. 

Screenshot Frontex

“Präventivmaßnahmen” klingt jetzt sehr harmlos, das ist aber ein Euphemismus. Immer wieder stehen nordafrikanische Behörden in der Kritik. So beispielsweise im Mai dieses Jahres, als Migranten, die nach Europa wollten, aufgegriffen, verschleppt und in der Wüste ausgesetzt wurden. Einer Recherche des Spiegels und anderen Medien zufolge handelt es sich um systematische Verschleppungen, finanziert durch EU-Gelder:

“Die Europäer lassen Haftlager renovieren, liefern Pick-ups und Geländefahrzeuge, trainieren Sicherheitskräfte und patrouillieren mit ihnen.”

Eine Route schließt, eine andere macht sich auf 

Mit wem die EU schmutzige Deals abschließt, müsste sie eigentlich wissen. Beispiel Tunesien: Schon bevor die EU im vergangenen Jahr begann, Gelder in das Land zu pumpen, um Migranten davon abzuhalten, in Boote nach Europa zu steigen, erklärte Staatspräsident Kais Saied Migranten zu “Staatsfeinden”. Auch die rechte Verschwörungserzählung des “Großen Austauschs” bediente er bereits. Hilfsorganisationen werden vermehrt Steine in den Weg gelegt und kriminalisiert.

Ein Hinweis zur Quelleneinordnung: Auch Frontex selbst steht seit Jahren wegen Menschenrechtsverletzungen und Machtmissbrauch in der Kritik.

Auf der Mittelmeerroute wurden also weniger Zahlen verzeichnet, weil Migranten mit menschenunwürdigen Mitteln daran gehindert werden, in Boote zu steigen. Macht aber eine Migrationsroute zu, tun sich andere auf. So verzeichnete beispielsweise die westafrikanische Route einen großen Zulauf. Es werden einfach neue Wege der Migration gesucht (De Haas, 2023, S. 22).

Deshalb sollten wir auch vermeiden, uns den Rückgang von Migrationszahlen als “Erfolg” verkaufen zu lassen. Wie kann etwas ein Erfolg sein, wenn Menschen in der Wüste verdursten? Das sind letztlich die “Lösungen”, die man findet, wenn man weniger Flucht fordert. Genau die Lösungen, die besonders die Wählerschaft der Ampel kritisiert.

Doch auch die geplanten Ampel-Maßnahmen zur Eindämmung von illegalisierter Migration sind aus rechtlicher und humanitärer Perspektive haarsträubend. Schauen wir konkret darauf, was das vorgelegte “Sicherheitspaket” der Ampel, das heute im Bundestag verabschiedet wurde, und die bereits beschlossene Reform des EU-Asylrechts für Migration in Deutschland bedeuten. Hier fünf Kritikpunkte an der Migrationspolitik, die nicht von Rechts kommt.

1. Mehr Abschiebungen – um jeden Preis?

Laut dem neuen “Sicherheitspaket” der Bundesregierung sollen Abschiebungen von Straftätern und terroristischen Gefährdern nach Syrien und Afghanistan möglich gemacht werden. Faeser kündigte bereits “zeitnahe” Abschiebeflüge nach Afghanistan an. Doch was zeigt die Erfahrung mit Abschiebungen nach Afghanistan bisher? Blicken wir dafür auf den letzten und bisher einzigen Abschiebeflug seit August 2021, also seit der erneuten Machtübernahme der Taliban. Dieser wurde wenige Tage nach dem Solingen-Attentat durchgeführt, als mutmaßlich ein syrischer Asylbewerber 3 Menschen tötete und weitere verletzte. Im Flieger saßen 28 afghanische Straftäter.

Geplant war dieses Timing nicht, der Flug war schon Monate zuvor geplant worden. Übrigens konnte er nur durchgeführt werden, weil Katar für uns mit den Taliban verhandelte. Doch was passierte mit den Straftätern (darunter Vergewaltiger und Intensivstraftäter), als sie wieder afghanischen Boden betraten? Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft in Kabul wurden sie von den Taliban wieder freigelassen. Die Begründung: “Ihre Straftaten seien nicht relevant.” 

Nach Abschiebung: Straffreiheit

Fassen wir zusammen: Die schweren Straftäter wurden in Afghanistan freigelassen, sie werden dort nicht bestraft. Außerdem mussten wir, um die Abschiebung möglich zu machen, eine kompromittierende Zusammenarbeit mit dem für Menschenrechtsverletzungen bekannten Katar eingehen, damit der Deal mit den noch mehr für Menschenrechtsverletzungen bekannten Taliban zustandekommen konnte.

Und macht es denn unterm Strich wirklich einen Unterschied, ob jetzt die Kataris in deutschem Auftrag oder wir Deutschen direkt Geld an die Taliban zahlen, damit sie die abgeschobenen Straftäter zurücknehmen? Ob wir mit ihnen verhandeln oder Staaten in unserem Auftrag, die Kontakte zu den Taliban haben? Tareq Alaows, der flüchtlingspolitische Sprecher von ProAsyl sagt dazu

“Eine Zusammenarbeit mit den Taliban – auch über Bande – fördert Terrorismus und Islamismus, anstatt sie zu bekämpfen. Das ist eine Bankrotterklärung für den Rechtsstaat. Die heute durchgeführte Abschiebung könnte Teil einer unverantwortlichen Normalisierung des Regimes werden.”

Von einer Distanzierung einer Kooperation mit den Taliban ist die Bundesregierung jedoch weit entfernt. Erst kürzlich zeigte sich der FDP-Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp, offen für “unverbindliche Sondierungsgespräche”

Weil die AfD Abschiebungen als Strafen fordert, “bestrafen” wir schlimme Verbrecher mit der Freiheit, angeblich gegen Islamismus geben wir einer islamistischen Terrororganisation über Umwege Geld. Das feiern weder AfD-Wähler noch Ampel-Wähler. 

Auch in die Türkei soll vermehrt abgeschoben werden

Auch Abschiebungen nach Syrien sollen ermöglicht werden. Reminder: In Syrien herrscht immer noch Diktator Assad, der Bürgerkrieg ist nicht zu Ende. Doch beim Abschiebekuschelkurs mit Diktatoren bleibt es nicht. Auch soll vermehrt in die Türkei abgeschoben werden, hinter Afghanistan und Syrien Platz drei der Herkunftsländer von Asylbewerbern. Aber auch in der Türkei steht die Demokratie auf immer wackligeren Beinen.

Nach monatelangen Verhandlungen begann die Bundesregierung bereits im September, abgelehnte türkische Asylbewerber abzuschieben. Anscheinend hatte die Türkei Abschiebeflügen zugestimmt, wenn diese “Spezialflüge” heißen. Dies trifft vor allem Kurden mit türkischem Pass hart. In den vergangenen Jahren gaben 84% der Asylantragsteller aus der Türkei an, Kurden zu sein. Kurden zählen als politische Gegner in der Türkei, ihnen drohen Repression und Rassismus.

Der türkische Präsident Erdoğan dementierte jedoch zwischenzeitlich die Meldung von verstärkten Abschiebungen in die Türkei. Faeser spricht von dem Ziel, 500 Türken pro Woche abzuschieben. Grünen- und SPD-Politiker, die sich Scholz widersetzen, kritisieren den Abschiebe-Deal der Bundesregierung mit der Türkei. In einem offenen Brief an den Bundeskanzler wird der verschärfte Migrationskurs der Ampel kritisiert, 12.000 Funktionsträger und SPD-Mitglieder unterzeichneten ihn. Mitinitiator des Briefes ist Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Soziales in der Berliner Senatsverwaltung. Er sagte der FAZ:

„Uns besorgt, dass Abkommen mit Despoten und Ländern, wo die Rechtsstaatlichkeit infrage steht, als was völlig Selbstverständliches behandelt werden. Wir sind verpflichtet, darauf zu achten, dass niemandem im Zielland Gefahr droht, und das ist in der Türkei nicht garantiert.“

Migrationsabkommen machen erpressbar

„[Erdoğan] spielt mit dem Westen, und wir machen uns durch Abkommen erpressbar”, wie Bozkurt sagt. Das gelte für die Türkei genauso wie für Syrien und Afghanistan. Doch nicht nur das. Erst eine kürzlich veröffentlichte Recherche mehrerer internationaler Medien zeigt, dass mittlerweile mit Geld aus Brüssel Menschen aus Syrien und Afghanistan aus der Türkei abgeschoben werden – was als völkerrechtswidrig kritisiert wird! Wie der Spiegel, der mit an der Recherche beteiligt war, schreibt

“Die Recherchen legen nahe, dass die Türkei mit dem Geld der EU eine riesige Abschiebemaschinerie aufgebaut hat: Syrische und afghanische Geflüchtete werden demnach offenbar auf der Straße aufgriffen, unter teils menschenfeindlichen Bedingungen in von der EU mitfinanzierten Abschiebezentren festgehalten und in ihre Herkunftsländer zurückgeschafft – egal ob dort die Taliban, das mörderische Assad-Regime oder radikale Islamisten herrschen.”

Selbst das türkische Verfassungsgericht stufte Abschiebungen in mehr als 100 Fällen bereits als rechtswidrig ein. Unterschriften auf Dokumenten zur “freiwilligen Rückkehr” werden mutmaßlich teils unter Zwang abgegeben.

Abschiebungen auf verschiedenen Ebenen keine gute “Lösung”

Von diesen unmenschlichen Abschiebepraktiken abgesehen: Viele Abschiebungen sind in vielerlei Hinsicht schlicht dumm. Ja! “Abschiebungen” klingen offenbar für viele nach Jahren der AfD-Beschallung wie eine tolle Lösung für viele Probleme, aber die Vorteile entfalten sich irgendwie nicht.

Wie am Beispiel des Afghanistan-Abschiebeflugs gezeigt: Sollten Straftäter vielleicht nicht besser bei uns ihre Strafe absitzen, als in Afghanistan frei herumlaufen? Und in vielen weiteren Fällen führt die “Abschiebeoffensive” der Bundesregierung dazu, dass viele gut integrierte Menschen, die bereits arbeiten, Steuern zahlen, mit den Behörden kooperieren, aus unersichtlichen Gründen abgeschoben werden, einfach nur, um auf dem Papier eine Zahl niedriger zu halten, und den Faschisten zu gefallen.

Wie zum Beispiel bei einer Person aus Sierra Leone, die sich bereits in einer Ausbildung zum Altenpfleger befand, als sie abgeschoben wurde. ProAsyl sammelt jährlich Beispiele von absurden Abschiebungen aus Deutschland. Empfehlenswert ist an dieser Stelle auch der Spiegel-Podcast. Straftäter laufen frei, Islamisten kriegen Geld und wir schieben Arbeitskräfte ab. Und das alles schwächt nicht mal die AfD.

2. Streichung von Sozialleistungen für Dublin-Asylbewerber

Der zweite zentrale Punkt des Ampel-”Sicherheitspakets” sind die Streichungen von Sozialleistungen von Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, bevor sie nach Deutschland kamen. Dublin-III sieht vor, dass das Land, in dem ein Asylbewerber als erstes ankommt, für das Asylverfahren zuständig ist. Es wird in diesem Zusammenhang auch von Dublin-Abschiebungen gesprochen. Die Ampel will nun denjenigen Ausreisepflichtigen die Leistungen kürzen, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreise für “rechtlich und tatsächlich möglich” hält, wie die Tagesschau schreibt.

Wie gut funktioniert Dublin aber zurzeit? Kurz gesagt: nicht gut. Ein Problem: Manche EU-Staaten weigern sich oft, Schutzsuchende wieder aufzunehmen, für deren Asylverfahren sie eigentlich zuständig wären, wie zum Beispiel Italien und Griechenland. Wie der Migrationsexperte Knaus im Tagesspiegel sagt:

„Staaten unter populistischen Regierungen wie Ungarn und Italien haben heute die Strategie, Menschen so schlecht zu behandeln, dass kaum noch jemand einen Asylantrag stellen will. So klinken sie sich praktisch aus dem Dublin-System aus.“

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Dublin nicht funktioniert, weil der eigentlich vereinbarte europäische Solidaritätsmechanismus nicht funktioniert. Staaten können sich immer noch aus vereinbarten Umverteilungsschlüsseln herauswinden, indem sie, anstatt Geflüchtete aufzunehmen, Geld zahlen können. Auch dies führt dazu, dass Staaten an den Außengrenzen oft überfordert werden. So können ein ordentlich funktionierendes Asylverfahren und eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten nicht gewährleistet werden.

Dublin-Abschiebungen teils illegal

Jetzt plant also die Ampel, Geflüchtete für das Scheitern der EU-Asylpolitik bezahlen zu lassen. Das ist mehr als zynisch: Menschen, die nichts dafür können, dass Europa nicht solidarisch untereinander sein kann, müssen dafür zurück in die drohende Perspektivlosigkeit, zum Beispiel in Griechenland. Doch diese Politik ist nicht nur unmenschlich, sie ist teilweise sogar illegal. 

So urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kürzlich, dass die Abschiebung eines Syrers nach Griechenland 2018 illegal war. Er wurde damals unter Seehofer als Innenminister direkt an Deutschlands Grenzen abgeschoben, weil er zuerst in Griechenland EU-Boden betreten hatte. Doch das durfte Deutschland nicht, da damals die Gefahr bestand, dass der Syrer in Griechenland kein angemessenes Asylverfahren bekommt. Außerdem bestand die Gefahr, dass es in Griechenland zu einer Kettenabschiebung käme, er also wieder nach Syrien zurückgebracht worden wäre. Auch waren die Bedingungen der griechischen Abschiebehaft derart schlecht, dass seine Menschenrechte hätten verletzt werden können. Italien wurde gerade erst von einem Gericht wegen illegaler Abschiebungen verurteilt.

Aber zurück zu den geplanten Kürzungen der Sozialleistungen. Glauben die Ampel-Politiker wirklich, dass weniger Menschen bei uns einen Asylantrag stellen, wenn ihnen eine Streichung der Sozialleistungen droht? Diese Denkweise ist ein Trugschluss, denn das Gerede von Sozialleistungen als Pull-Faktor ist ein reiner Mythos. Mehr Härte in der Migrationspolitik führt nicht zu weniger Ankünften:

Geplante Leistungskürzungen nicht grundgesetzkonform

Auch der Vorwand, dass weniger Sozialleistungen für Dublin-Fälle zu mehr Sicherheit in Deutschland führen würden, ist schon rein logisch schwer nachvollziehbar. Diese Regelung hätte lediglich zur Folge, dass mehr Menschen in die Armut gedrängt werden. Armut und eine unsichere finanzielle Lage sind zwei wichtige Faktoren beim Faktor Kriminalität. Es handelt sich hier um reine, kontraproduktive Symbolpolitik. Denn rechtlich gesehen sind Leistungskürzungen bereits mit dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich, unter der Bedingung, dass Betroffene nicht in die Armut abrutschen. Daher kommt die Regelung bereits jetzt aus gutem Grund sehr selten zur Anwendung. Auch das Argument, dass abgeschobene Personen auch in dem für sie zuständigen EU-Land Sozialleistungen erhalten würden, greift zu kurz. Dies ist gerade an den EU-Außengrenzen oft nicht in menschenwürdigem Umfang gewährleistet.

Dass die geplanten Kürzungen darüber hinaus nicht grundgesetzkonform sind, analysierten Leonie Därr und Hannah Franke im Verfassungsblog:

“Die Forderungen, Sozialleistungen für geflüchtete Menschen im Dublin-Verfahren noch weiter zu kürzen oder sie sogar davon auszuschließen, sind mit dem Grundgesetz und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum menschenwürdigen Existenzminimum mit Sicherheit nicht vereinbar. Denn aktuell gilt schlicht: Das Recht auf Gewähr eines menschenwürdigen Existenzminimums gilt für alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, gleichermaßen. Und das unabhängig davon, welchen Aufenthaltsstatus sie innehaben.

Jenseits der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss in Hinblick auf die aktuellen gesellschaftlichen und medialen Debatten offenbar zudem in Erinnerung gerufen werden, dass es bei der „Migrationsdebatte“ oder „Dublin-Fällen“ in erster Linie um Menschen geht. Sie als solche anzuerkennen ist banal und elementar zugleich. Daran erinnern zu müssen, zeigt bereits, wie sehr extrem rechte Positionen erstarkt sind und sich normalisiert haben. Es bleibt zu hoffen, dass es auch in Zukunft ausreichend Personen und Initiativen geben wird, die dem etwas entgegensetzen und an menschenrechtlich gut begründeten Grundsätzen festhalten.”

3. EU-Asylrechtsreform: Menschenrechten wird Axt angelegt

Auf deutscher Ebene haben wir also nun das umstrittene “Sicherheitspaket” der Ampel vorliegen. Doch Innenministerin Faeser kündigte gleichzeitig an, auch die EU-Asylrechtsreform zügig umsetzen zu wollen. Die EU-Asylreform sollte eigentlich zum Ziel haben, Aufnahmeländer, wo viele Geflüchtete zuerst ankommen, wie Italien und Griechenland, zu entlasten. Die Dublin-Regelung wird dabei nicht abgelöst.

Es bleibt weiterhin das Land zuständig, in das Schutzsuchende zuerst einreisen. Aber ein sogenannter “Solidaritätsmechanismus” soll greifen. Schutzsuchende sollen so in der EU umverteilt werden. Klingt gut, es bleiben aber – wie so oft – rechtliche Schlupflöcher. Möchte ein EU-Land keine Schutzsuchenden aufnehmen, kann es sich im Gegenzug entweder “freikaufen”, Grenzbeamte entsenden oder Projekte in Drittländern finanzieren. Ob das wirklich Italien und Griechenland helfen soll, bleibt mehr als fragwürdig. 

Und nicht nur das: Es ist zu befürchten, dass es mit den geplanten Verschärfungen der Asylverfahren zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen kommen wird. Blicken wir auf die Details.

Außenlagerverfahren in haftähnlichen Zuständen, auch für Familien

Das Novum der EU-Asylrechtsreform: Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen, um Migranten mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Geringe Aufnahmechancen bedeutet, dass betroffene Asylbewerber eine höchstens 20-prozentige Anerkennungsquote in der EU haben, wie zum Beispiel Menschen aus Marokko, Tunesien und Bangladesch.

Auch Migranten, die als Sicherheitsgefahr eingestuft werden, kommen ins Außenlagerverfahren. Obwohl auf europäischem Boden, gelten Menschen in den Außenlagern juristisch als nicht in die EU eingereist. Wird kein Asyl gewährt, sollen Migranten direkt abgeschoben werden. Die Asylverfahren sollen bis zu zwölf Wochen dauern – ein Schnellverfahren mit vermindertem Rechtsschutz. Die einzige Gruppe, die von der neuen Regelung ausgenommen ist, sind unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote. Selbst Familien sind nicht ausgenommen. 

Das erste Problem: Menschenrechtsorganisationen sprechen bei den geplanten Lagern von haftähnlichen Zuständen. Wird der Asylantrag abgelehnt, kommt ein bis zu drei Monate langes Abschiebegrenzverfahren hinzu. Dazu kommt, dass eine Sonderregelung greift, wenn die EU sehr hohe Ankunftszahlen von Geflüchteten verzeichnet oder wenn Geflüchtete instrumentalisiert werden. So versuchte der belarussische Diktator Lukaschenko beispielsweise 2021, Flüchtlinge als Druckmittel gegen die EU einzusetzen. Gemäß dieser Sonderregelung dürfen dann selbst Personen aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote in den Lagern festgehalten werden.

Hinsichtlich der menschenwürdigen Unterbringung an den Außengrenzen warnen Migrationsforscher vor einem Desaster. So sagte Migrationsforscher Düvell im BR:

“Wir werden nicht Moria verhindern, wir werden ganz viele Morias bekommen”.

4. Grenzkontrollen widersprechen dem europäischen Geist und schaden uns selbst

Kommen wir zurück zur deutschen Politik. Seit dem 16. September 2024 finden an allen Grenzen Deutschlands vorübergehend Kontrollen statt. Und das, obwohl in Europa eigentlich das Prinzip der Freizügigkeit herrscht. Noch sieben weitere Schengen-Mitgliedsstaaten führen derzeit Grenzkontrollen durch. Die Kontrollen an den deutschen Grenzen sind auf ein halbes Jahr beschränkt, können aber verlängert werden. An der Grenze zu Österreich finden schon seit 2015 durchgehend Grenzkontrollen statt.

Screenshot bpb

Doch eigentlich sind Grenzkontrollen in Europa gar nicht vorgesehen und sollten nur im Ausnahmefall eingesetzt werden. Sie stehen in krassem Gegensatz zur europäischen Idee der vier Grundfreiheiten: dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital. Länder auf der ganzen Welt bewundern Europa für diese Errungenschaft. Diese vier Grundfreiheiten bilden die notwendige Voraussetzung, um überhaupt die Vorteile des europäischen Binnenmarkts genießen zu können. Wir sollten sie nicht leichtfertig aufweichen. 

Doch nicht nur wir befürchten, dass das Schengener Abkommen immer mehr unterwandert wird. So warnt zum Beispiel der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor einem “Rückfall in die Hochzeit der Nationalstaaten”. Auch sein Landsmann, der luxemburgische Innenmister Léon Gloden, appelliert an die deutsche Bundesregierung, “die Ausnahme nicht zum Regelfall werden zu lassen”, wie die Tagesschau schreibt.

Davon abgesehen erzielen die Grenzkontrollen eher durchwachsene Ergebnisse. Laut der Polizeigewerkschaft kam es kaum zu einer Begrenzung unautorisierter Grenzübertritte. Die Kontrollstellen würden schlicht umfahren werden. Auch Armin Laschet, Ex-Kanzlerkandidat der Union, nannte Grenzkontrollen kürzlich “Symbolpolitik”.

Wir bekommen “the worst of both worlds”

Dass die aktuelle Migrationspolitik der Ampel nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und darüber hinaus nicht mit unseren Werten vereinbar sind, fasste Bundesfinanzminister Lindner (FDP) kürzlich versehentlich gut zusammen. Er sagte:

“Wir haben schon einiges erreicht, etwa das neue EU-Asylsystem, die Bezahlkarte für Asylbewerber, die komplette Streichung der Sozialleistungen für Dublin-Flüchtlinge oder die Grenzkontrollen. Aber weitere Schritte müssen folgen.”

Was Lindner als bisherige Erfolge kennzeichnete, ist jedoch nur eine Auflistung der Sackgassen, in die die Ampelkoalition mit ihrer Migrationspolitik gefahren ist. Keine der drei Ampel-Parteien scheint von jenen “Erfolgen” in Umfragen zu profitieren, die FDP am allerwenigsten.

Halten wir fest: Das neue EU-Asylsystem bietet unsolidarische Schlupflöcher, die Bezahlkarte ist verwaltungstechnisch unglaublich aufwändig und fehlerbehaftet und wurde schon mehrfach gerichtlich gekippt, Sozialleistungen als Pull-Faktor anzusehen ist ein Mythos und Grenzkontrollen schaden uns mehr als sie bewirken. Was die Ampel erreicht hat ist, sich immer mehr an den menschenfeindlichen Diskurs der AfD anzunähern, ohne damit überhaupt irgendetwas zu verbessern. Im Gegenteil, wir bekommen “the worst of both worlds”: Unsere Migrationspolitik wird immer menschenfeindlicher und die AfD erhält so nicht weniger Stimmen.

Denn auf die SPD bezogen zeigen Analysen, dass viele Wähler beispielsweise zu den Grünen abwandern oder zu Nichtwähler werden. Von den Stimmen, die die SPD in den letzten Jahren verloren hat, gingen nur gut 10% an rechtsradikale und rechtsextreme Parteien. 

Im kommenden Jahr sollen Geflüchtete nun noch weniger Geld bekommen, 13-19 Euro pro Monat weniger. Dabei liegt die Grundsicherung von Geflüchteten eh schon nur bei 460 Euro. Dass die Magnetwirkung des deutschen Sozialstaats ein Mythos ist, haben wir bereits hier analysiert.

Fazit: Warum nicht mal Politik für eure Wähler machen?

Liebe Ampel: Anstatt sich in unsinnige Symbolpolitik zu verrennen, nehmt doch endlich mal die wahren Ängste der deutschen Bevölkerung ernst. Die da wären: Spannungen zwischen Europa und Russland, Fremdenfeindlichkeit und eine Machtbeteiligung der AfD. Doch die Angst vor zunehmender Fremdenfeindlichkeit bekämpft man nicht mit noch unmenschlicherer Politik gegenüber Schutzsuchenden. Und eine drohende Machtbeteiligung der AfD stoppt man erst recht nicht, indem man ihre Rhetorik und Forderungen kopiert. Fast doppelt so viele Menschen haben Angst vor der Machtergreifung der AfD als vor Migration. Die Verluste in den Umfragen sind offensichtlich nicht Wähler, die eine härte Migrationspolitik wollten. Und die, die das nicht wollen, kommen offensichtlich nicht zur Ampel.

Anstatt weitere Parteien zu werden, die wie fast alle nur noch “Migration. Migration. Migration.” im Kopf haben, wünschen sich viel, viel mehr, dass etwas gegen die AfD gemacht wird und gegen echte Probleme. Studien legen nahe: Gerechtere Sozialpolitik, die bei den Menschen ankommt, Investitionen in ÖPNV, Bildung, bezahlbarer Wohnraum und höhere Löhne wären zum Beispiel ein Anfang. Wer Politik für chronisch Unzufriedene macht, schafft nur mehr Unzufriedenheit, nicht weniger.

Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa