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Studien: mehr Sozialpolitik verhindert die AfD, nicht Rechtspopulismus

von | Jul 26, 2023 | Analyse

Die Politik zerfleischt sich gerade gegenseitig mit Schuldzuweisungen um den Aufschwung der AfD. Die einen geben der Ampel die Schuld, die wirklich keine gute Figur macht, andere der Union, FDP und Hubert Aiwanger, die mit den gleichen rechtspopulistischen Narrativen und Fake News der AfD die Ampel angreifen. Zuletzt sorgte der rechte CDU-Chef Merz für großes Entsetzen bis hinein in die CDU selbst dafür, die Zusammenarbeit mit der AfD auf Kommunalebene zu legitimieren.

Eine Rechtfertigung für die Normalisierung von Rechtsextremismus war auch, dass das irgendwie die AfD schwächen solle. Doch so werden wir die AfD nie schlagen, so helfen wir ihr. Der Blick in die Wissenschaft zeigt, was man stattdessen braucht: Dafür brauchen wir ordentliche Sozialpolitik, die auch den Menschen zugutekommt, die Angst vor Armut und sozialem Abstieg haben. Spoiler: Das erreicht man weder, in dem man Lügen der BILD nachplappert, noch, in dem man mit der AfD für Genderverbote stimmt. Das würde nicht nur helfen, die AfD zu schwächen, sondern auch langfristig Deutschlands Wirtschaft zu stabilisieren. Und den Menschen helfen, die wegen der vielen Krisen in Schwierigkeiten stecken. Wenn Deutschland nämlich noch weiter nach rechts rückt, würde die AfD unsere Wirtschaft erst richtig auf Talfahrt schicken. Wirtschaftsvertreter sind vom AfD-Hoch bereits besorgt.

Studien zeigen: mehr Geld = weniger Rechts?!

Eine im März erschienene Studie untersuchte am Beispiel Pakistan, wie finanzielle Hilfsprogramme die politische Einstellung von Bürger:innen beeinflusst. Die Studie wurde von Forscherinnen des International Food Policy Research Institute und der Universität Berkeley, Kalifornien, durchgeführt. Die Ergebnisse sind nicht nur für Pakistan relevant: Je stärker sich Bürger:innen von Einkommensungleichheit betroffen fühlen, desto weniger vertrauen sie der Regierung und desto weniger unterstützen sie demokratische Institutionen.

Wichtig ist vor allem der Zusammenhang zwischen gefühltem wirtschaftlichen Wohlstand und der Zufriedenheit der Bürger:innen. Fühlen sich die Leute dem Einkommensdurchschnitt eines Landes zugehörig, dann wird mehr Sozialpolitik seitens des Staates wenig an ihrer politischen Gesinnung ändern. Wenn Menschen aber das Gefühl haben, sie verdienen mehr Geld des Staates und erhalten dieses dann auch, sind sie zufriedener mit der Regierung – und wählen weniger wahrscheinlich rechts. Kontraproduktiv wäre es jedoch, wenn das jeweilige Sozialprogramm eben nicht alle Bürger:innen, die sich betroffen fühlen, erreicht. Dann greift eine Art Sozialneid.

Studie: Mehr Soziale Unterstützung und gesicherte Einkommen = Weniger Populismus

Auch Forscher:innen der Universität Harvard untersuchten bereits den Zusammenhang zwischen Sozialprogrammen und Wahlverhalten. Sie kamen zum Schluss, dass populistische Parteien dort schlechter abschneiden, wo Länder mehr für soziale Unterstützung ausgeben und wo die Ausgaben im Vergleich zu den früheren Niveaus nicht gesenkt wurden. Auf der anderen Seite sind dort, wo die Länder weniger für die Einkommenssicherung ausgeben und/oder die Ausgaben im Vergleich zu früher gesenkt haben, die Stimmenanteile der Populisten durchweg höher und die Wahrscheinlichkeit, populistische Parteien zu unterstützen, ist größer.

Diese Zusammenhänge scheinen wohl noch nicht Finanzminister Christian Lindner erreicht zu haben. Nicht nur klagen diverse Ministerien über seine Sparpolitik, sogar der Internationale Währungsfonds mahnte an, Deutschland müsste seine Schuldenbremse aufweichen. Auch der Wirtschaftsweise Achim Truger hält Lindners Sparpläne für überzogen. Seine Devise ist jedoch weiter sparen, sparen, sparen. Also, außer bei Unternehmen, da plant Lindner Steuersenkungen.

lindner will da sparen, wo mehr sozialpolitik die AfD einbremsen würde

Nach dem verheerenden Erfolg von AfD-Mann Sesselmann in Sonneberg ist die Angst groß, dass die rechtsextreme AfD bei kommenden Landtagswahlen weiter Erfolge haben könnte. Auch wenn die Partei mittlerweile in vielen Bundesländern in den Umfragen zulegt, häuft sich dies doch immer noch vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Genau da bräuchten wir, wenn wir die oben erwähnten Studien ernst nehmen, doch mehr sozialpolitische Maßnahmen. Lindner ist jedoch der, der genau da weniger Förderung hinschicken will.

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Zunächst einmal sollte laut seinen Plänen im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung weniger direktes Geld nach Ostdeutschland fließen. Im Juni sah der Haushaltsplan für 2024 noch eine Halbierung der Fördermittel für Ostdeutschland vor. Dies stieß logischerweise auf eine ordentliche Portion Kritik der ostdeutschen Regierungen – schließlich gab Lindner nach und legte der ostdeutschen Region keine wirtschaftlichen Kürzungen auf.

Auch war es Christian Lindner, der sich gegen Subventionen für den US-amerikanischen Chip-Hersteller Intel stellte. Zum Kontext: Intel wird in Magdeburg, Sachsen-Anhalts Hauptstadt, eine Chip-Fabrik bauen, die der Region einen ordentlichen Boost in Sachen Wirtschaftsaufschwung verleihen wird. Laut Lindner sei dafür jedoch kein Geld da. Letztendlich war es Wirtschaftsminister Robert Habeck, der dafür sorgte, dass der Deal nicht platzte und so der Region unter anderem eine Menge Arbeitsplätze sicherte.

Sparkurs in einer Rezession?

Lindner scheint bei sozialen Projekten auf Sparkurs. Das nervt mittlerweile nicht nur die eigenen Kolleg:innen in der Bundesregierung, sondern stößt auch beim Internationalen Währungsfonds auf Irritationen. Der empfiehlt Lindner, die Schuldenbremse aufzuweichen.

„Eine Reform der Schuldenbremse würde Deutschland etwas mehr finanziellen Spielraum für Investitionen geben“

Kevin Fletcher, Leiter der Deutschen IWF-Mission

Vor allem aufgrund des demografischen Wandels sind mehr Investitionen in Deutschlands Wirtschaft notwendig. Eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse wäre bei weitem effektiver als sie auf Biegen und Brechen einzuhalten, sagen Expert:innen. Wie die Politik der FDP grundsätzlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland schadet und eigentlich innovationsfeindlich ist, haben wir uns hier mal angeschaut:

Regionale Wirtschaftsförderung ist ein Mittel zum Bekämpfen der AfD – effektiver Wohnungsbau und dadurch bezahlbare Mieten sind ein anderes. Denn wir haben noch mehr Studien, die zeigen, wie man die AfD mit gerechter Politik das Wasser abgreift:

Mangel an bezahlbaren Wohnungen kommt AfD zugute

Eine Studie von Autoren der Universitäten Oxford, Mannheim und Zürich zeigt, wie steigende lokale Mietpreise die Unterstützung für rechtsradikale Parteien steigen lässt. In anderen Worten: Wenn Mieten steigen, wählen mehr Leute die AfD. Die Autoren fanden heraus, dass dieser Effekt besonders ausgeprägt ist bei Wähler:innen, die bereits lange in vorstädtischen und städtischen Gebieten wohnen und über ein niedriges bis mittleres Haushaltseinkommen verfügen.

Steigende Mietpreise und fehlende Wohnungen sind bereits seit Jahren ein Problem in Deutschland. Diese Grafik zeigt, wie stark Mietpreise in den vergangenen Jahren in Deutschland angestiegen ist – vor allem in den Ballungsräumen steigen die Preise stärker an.

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Nicht nur in puncto bezahlbare Wohnungen läuft derzeit in der Sozialpolitik einiges schief. Sozialverbände kritisieren auch, dass im neuen Haushalt Zuschüsse für Rentenkassen, für die Pflegeversicherung und für die gesetzliche Krankenversicherung wegfallen.

wohnungsbauversprechen werden nicht eingehalten

Das vielleicht effektivste Mittel gegen steigende Wohnungspreise wäre mehr Wohnungen zu bauen. Denn unter anderem steigen die Wohnungspreise so stark an, weil die Nachfrage sehr hoch, das Angebot aber niedrig ist.

Eigentlich hat sich die Ampel vorgenommen, dass in jedem Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 Sozialwohnungen. Die Realität sieht anders aus: im vergangenen Jahr wurden gerade mal 260.000 Wohnungen fertig. Prognose für die kommenden Jahre: weiter sinkend. Laut dem Ifo-Institut werden 2025 gerade mal 200.000 neue Wohnungen bezogen werden können. Gründe für den Mangel? Gestiegene Baukosten, höhere Zinsen, zunehmende Auflagen und fehlende Baugebiete. Es ist damit bereits jetzt absehbar, dass sich die Krise am Wohnungsmarkt für viele Menschen in Deutschland verschärfen wird. Betreffen wird dies am ehesten Familien, Alleinerziehende und Singles mit geringeren Einkommen.

Genau solche Zukunfsszenarien sind es, die sich die AfD zu Nutze macht, um Wähler:innen, denen es im Moment sogar vergleichsweise gut geht, anzulocken. Dies zeigt eine weitere Erkenntnis der obigen Studie. Diejenigen Wähler:innen, die zur AfD überwandern, müssen nicht einmal akut von ökonomischen Engpässen bedroht sein. Oftmals reicht es bereits aus, dass sie sich von beispielsweise steigender Inflation oder strukturellen Änderungen im lokalen Mietmarkt bedroht fühlen, um dann die AfD zu wählen. Anders gesagt: die AfD scheint es zu schaffen, bereits frühzeitig die Ängste der Leute auszunutzen, um sie dann für sich zu gewinnen.

Diese Erkenntnisse bestätigen sich, wenn wir uns genauer anschauen, welches Wählerprofil die AfD eigentlich anspricht.

mit mehr sozialpolitik zu höherem sicherheitsgefühl beitragen

Die beiden größten Milieu-Gruppen, die die AfD wählen, kommen aus dem nostalgisch-bürgerlichen Milieu sowie aus der adaptiv-pragmatischen Mitte. Beide verbindet, dass die Wähler:innen nicht unbedingt akut von sozialem Abstieg betroffen sein müssen, jedoch große Angst vor einem Verlust ihres Status Quo haben. Genau an dieser Stelle sollte mehr Sozialpolitik ansetzen: anstatt sich in Debatten ums Gendern zu verlieren – angestoßen übrigens überwiegend von AfD und Union -, könnten die regierenden Parteien genau diesen Wähler:innen mehr Sicherheit bieten, indem beispielsweise der Mietpreisanstieg eingebremst würde.

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Immer noch überzeugt, dass „mit jeder gegenderten Nachrichtensendung ein paar Stimmen mehr zur AfD gehen“? (Merz). Dann müssen wir euch leider enttäuschen: Bereits am 01. September des letzten Jahres begann der aktuelle Stimmenzuwachs der AfD. Damals bestimmten weder das Heizungsgesetz noch Diskussionen um Geflüchtete die gesellschaftliche Debatte. Die hohe Inflation dagegen schon.

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Klar ist, dass eine zu überzogene Sparpolitik zu politischer Polarisierung und zum Aufstieg von rechtsradikalen Parteien führt, zumindest ist sie ein wichtiger Faktor, der fast kollektiv übersehen wird. Es ist wichtig, dass wir in der aktuellen Debatte davon wegkommen, irgendwelche spezifischen Gesetzesvorhaben oder soziokulturelle Phänomene als alleinige Sündenböcke für den Aufstieg der AfD heranziehen. Dies ist auch auf wissenschaftlicher Ebene nicht mehr haltbar.

mehr Afd führt zu wirtschaftlichem abstieg deutschlands

Wenn wir mehr Geld in die Hand nehmen, um dafür zu sorgen, dass es allen Menschen gut geht – selbst nur, damit sich besser fühlen – haben wir also bessere Chancen, die AfD langfristig zu schwächen. So würde nicht nur der Rechtsextremismus eingebremst, sondern auch wirtschaftliche Probleme eingedämmt werden. Denn: wenn wir jetzt in Sozialprogramme investieren und weniger Leute rechts wählen, wird das in Zukunft dazu führen, dass Deutschlands Wirtschaft geschützt wird. Mehr AfD bedeutet nämlich unweigerlich wirtschaftliche Rezession.

Ein Rechtsruck verursacht auch wirtschaftlichen Schaden und kostet Wohlstand

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Die Logik dieser Prognose ist klar: je mehr Deutschland nach rechts rückt, desto weniger Offenheit und Innovation erfährt die Wirtschaft. Innovationen hängen nämlich maßgeblich von Vielfalt und einer vorhandenen Wertschätzung von Diversität in der Gesellschaft ab.

„Wenn diese Offenheit und Toleranz weiter verloren gehen, dann werden deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb immer weniger mithalten können“

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Die ablehnende Haltung der AfD zu Migration und Einwanderung führt darüber hinaus zu einer Verschärfung von Deutschlands Demographieproblem. Je weniger Menschen zuwandern, desto stärker fällt der Fachkräftemangel aus. Auch der Internationale Währungsfonds sieht die alternde Bevölkerung gepaart mit dem Fachkräftemangel als eine der zentralen Probleme für Deutschlands Wirtschaft.

AfD bedroht Wirtschaftsstandort Deutschland

Im Klartext heißt das: Sollte die AfD an Rückhalt unter den Wähler:innen gewinnen, würde das dazu führen, dass sich die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands in Zukunft nicht nur nicht verbessern, sondern drastisch verschärfen. Wie rechtsradikale Regierungen die Wirtschaft eines Landes einbremsen, sieht man am Beispiel Italiens, wo die Postfaschistin Giorgia Meloni seit Oktober letzten Jahres an der Macht ist.

In einigen Punkten wirkt Italien rückwärtsgewandt und Meloni scheint auch nichts daran gelegen zu sein, dies in naher Zukunft zu ändern: Die Gegner von mehr Elektomobilität in der Automobilbranche freuen sich in Italien über viel Rückenwind. Der Ab­satz der Zukunftstechnologie Elektroautos schrumpfte in Italien zuletzt zweistellig, während er überall sonst in Europa kräftig stieg. Die Elektroautos sind den meisten Italienern zu teuer; es gibt zu wenige Ladesäulen. Auch in puncto Energieeffizienz im Bauwesen kann das südeuropäische Land nicht mithalten. Nicht zuletzt versuchte sich die Regierung gegen eu­ropäische Bestrebungen zu sperren, Häuser und Wohnungen energieeffizienter zu machen. Dabei braucht der undichte Baubestand dringend Investitionen.

Klingt ungeil? Ähnliche Szenarien drohen auch Deutschland, wenn wir es nicht schaffen, der rechtsextremen AfD Einhalt zu gebieten. Ganz zum Schweigen von der Katastrophe für die Rechte und die Freiheit von Millionen von Deutschen, die durch die Machtergreifung der AfD bedroht sind.

fazit: effektive sozialpolitik statt gegenseitige schuldzuweisungen

Klar ist: populistische Parteien erfahren europaweit nicht nur wegen fehlenden sozialpolitischen Maßnahmen Aufschwung. Laut der Harvard-Forscher:innen ist aber die wachsende Stärke populistischer Parteien zu einem bestimmten Teil auch auf langfristige wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen zurückzuführen. Geeignete sozialpolitische Maßnahmen können ihre Anziehungskraft jedoch erheblich mildern. Abgesehen davon, dass diese Maßnahmen schließlich auch intrinsisch zu befürworten sein könnten.

„Der momentane Hype um sogenannte neue Themen wie Kulturkämpfe und Migration übersieht, wie signifikant ökonomische Interessen für viele Wähler sind.“

Daphne Halikiopoulou und Tim Vlandas, britische Populismusforscher

Was „Kulturkampf“ eigentlich genau ist, und wie die Union und auch die FDP damit der AfD nur hilft, erfährst du hier:

Also: Mehr bezahlbarer Wohnraum, gerechtere Sozialpolitik und erfolgreiche Inflationsbekämpfung würden die AfD effektiver eindämmen als die ganzen Sinnlos-Debatten des Kulturkampfs ums Gendern oder rein ausgedachte Probleme wie Freibad-Diskussionen, nachdem die Gewalt in Schwimmbädern in Wahrheit zurückgegangen ist. Da es sich auch um gefühlte Benachteiligung handelt, ist das übrigens auch eine Ansage an die Medien: Wenn ihr massiv gegen rechte Narrative und Desinformation versagt, wie im Falle um das Heizungsgesetz, wählen die Leute auch Rechtsextreme, weil ihnen eingeredet wird, ihnen gehe es schlecht. Es liegt also auch an euch, euch nicht von Desinformationsmedien wie BILD, WELT & Co. steuern zu lassen. Nur mal so als Anregung für die nächste Talkshow …

Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa