In einer Zeit, in der Zehntausende Menschen in Deutschland gegen die Deportations-Pläne der rechtsextremen AfD auf die Straße gehen, hängen gleichzeitig viele demokratische Parteien im Irrglauben fest, man könne Rechtsextreme durch inhaltliche Annäherung stellen. So pusht nicht nur die Merz-CDU mit rechter Rhetorik seit bald zwei Jahren kontinuierlich die AfD-Umfrageergebnisse, vielmehr versuchen auch Grüne und SPD bei einzelnen Themen, rhetorisch nach rechts zu rücken. Dass diese Strategie nicht funktioniert, sagen wir schon seit Jahren. Eine neue, europaweite Studie bestätigt unsere Kritik.
Forschung widerspricht SPD- und Grünen-Rechtsruck
Im vergangenen Herbst verschärfte die Ampelregierung Abschieberegelungen. Asylbewerber:innen ohne Aufenthaltsrecht können nun schneller ausgewiesen werden. In einem kontroversen SPIEGEL-Interview forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), man müsse “im großen Stil” abschieben. Solch harte Rhetorik war man davor von der rechtsextremen AfD, vielleicht noch von nationalkonservativen CDUlern gewohnt. Aber vom sozialdemokratischen Bundeskanzler?
Tatsächlich sind diese Gehversuche in rechter Rhetorik aber Teil einer gezielten Strategie. Der Rechtsruck der gesamten Gesellschaft scheint auch bei einigen Parteieliten der SPD (und auch der Grünen) einen Reflex ausgelöst zu haben. Dieser Reflex ist, mit dem von der rechtsextremen AfD vorgegebenen Strom zu schwimmen. Die scheinbar einfache, aber in der Praxis falsche Logik: Wenn wir einfach nur ein bisschen mehr wie die AfD werden, dann kommen die Wähler:innen schon zurück. Dass dieses Experiment in der Praxis gescheitert ist, zeigen die Umfrageergebnisse, die für SPD wie Grüne seit dem Herbst im Keller geblieben sind.
Doch ein großes Umdenken scheint noch nicht stattgefunden zu haben. Weiterhin fordern SPDler einen schärferen Migrationskurs, weiter scheint man der irrsinnigen Hoffnung anzuhängen, man könne mit ein bisschen Härte gegen Geflüchtete die Meinungsumfragen retten. Doch dass das Unsinn ist, sagen nicht nur wir oder migrantische Aktivist:innen – das ist auch das Ergebnis einer Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, die vor kurzem unter anderem von Prof. Tarik Abou-Chadi, Politikwissenschaftler in Oxford, und anderen Wissenschaftler:innen veröffentlicht wurde.
Surprise: Rechtsradikale wählen auch keine Rechtsruck-SPD
Die Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Wähler:innen, die die Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren verloren hat, in verschiedene Richtungen gewechselt sind – aber eben kaum zu rechtsextremen Parteien wie der AfD. Enttäuschte Sozialdemokrat:innen wechseln demnach zu den Grünen, zu Mainstream-Konservativen wie der CDU oder sogar eher nach Linksaußen. Rechtsradikale und rechtsextreme Parteien bekommen nur gut 10 % der ehemaligen sozialdemokratischen Stimmen.
Damit ist also schon einmal der häufige Mythos widerlegt, die Sozialdemokraten hätten die “einfachen Leute” an die Rechten verloren. So einfach ist die Realität nicht. Übrigens: Bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss verloren die Sozialdemokraten am wenigsten und auch unter ihnen ging nur ein kleiner Teil an rechtsradikale Parteien. In politischen Diskussionen hochgejazzte “kulturelle” Argumente wie Gendersprache spielen also vermutlich auch eine eher untergeordnete Rolle.
Die Autor:innen der Studie beziehen sich dann in einer Langzeitauswertung auch ganz konkret auf die SPD, um aufzuzeigen, was stattdessen die echten Probleme der sozialdemokratischen Partei sind. Während viele Wähler:innen zu den Grünen abwanderten, ist es vor allem eine recht makabere Ursache: Alte SPD-Wähler:innen sterben irgendwann und in den jüngeren Generationen (damit sind grob alle ab Geburtsjahr 1970 gemeint) gelingt es der SPD nicht, Menschen zu mobilisieren. Noch dazu wenden sich SPD-Wähler:innen im großen Stil enttäuscht von der Partei ab und werden zu Nichtwähler:innen.
Wissenschaftler: Anti-Flüchtlings-Rechtsruck ist der falsche Weg
Aber kommen wir nochmal zum konkreten Thema “Migration”. In einer weiteren Analyse hat sich der Wissenschaftler Matthias Enggist auch angeschaut, ob Kürzungen für Migranten das sind, was die potenziellen Wähler:innen linker Parteien wollen. Die Antwort ist hier auch ganz klar: Nein, die Mehrheit will das nicht. Schon gar nicht die Mehrheit derer, die sozialdemokratisch wählen oder zumindest potentielle Wähler:innen sind.
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Sozialdemokraten und Grüne haben Wählerpotential in der breiten Mittelschicht – für die Themen wie Klimawandel, Geschlechtergerechtigkeit und auch gerechte Behandlung von Migrant:innen wichtig sind. Tatsächlich zeigten die Untersuchungen (S. 9f.), dass Kürzungen der Sozialleistungen unter linken Wähler:innen auf starke Abneigung stoßen und Parteien wie SPD oder Grüne damit also sogar eher noch Wähler:innen verlieren dürften.
Wenn also die SPD rechte Rhetorik und Politik, beispielsweise Kürzungen für Migrant:innen, anbringt, unterschätzt sie die Bedeutung der deutschen Mittelschicht und überschätzt, wie groß die scheinbare Masse an ausländerfeindlichen rechtsradikalen Wähler:innen ist, die zur SPD zurückwechseln würden. Die angeblich riesige Menge an migrationskritischen Menschen aus der Arbeiterklasse ist laut den Erkenntnissen der Wissenschaftler:innen ein Mythos. Vielleicht wurde der auch aufgeblasen durch die Lautstärke, die rechte Rhetorik auf Social Media erreicht.
Fazit
Die Strategie, den eigenen Wähler:innen immer mehr Zugeständnisse zuzumuten in der vagen Hoffnung, damit irgendwelche Rechtskonservativen oder gar -extreme zu überzeugen, wird also gleich doppelt scheitern. Einmal, weil Rechte nun mal lieber das rechte Original als eine sich anbiedernde SPD wählen werden. Und darüber hinaus auch, weil sich die eigenen Wähler:innen enttäuscht von der Partei abwenden werden.
Und die Studienergebnisse bestätigen das, was wir ohnehin schon seit einer Weile sagen. Es ist ja offensichtlich, dass einige AfD-Wähler:innen die Partei eben wegen ihrer rechten Migrationspolitik wählen. Doch der Gedanke, dass man die zurückbekommt, indem man einfach genau dasselbe macht, ist sowieso absurd. Die Wähler:innen werden im Zweifel immer das Original wählen. Viel lieber sollten sich Parteien links der Mitte, wie SPD und Grüne, auf die Themen besinnen, die ihre Wähler:innen umtreibt.
Zum Beispiel die soziale Frage, damit verbunden auch die Ungerechtigkeit, die in der deutschen Agrarindustrie herrscht. Oder auch die Sorge vor dem Erstarken der rechtsextremen AfD. Die Petition für die Prüfung eines AfD-Verbots haben übrigens mittlerweile über 660.000 Menschen unterschrieben. Ach so und für die Klimakrise haben wir auch noch keine Lösung. Wie wäre es denn mal damit, statt mit verzweifeltem rhetorischen Rechtsruck noch mehr Wähler:innen zu verscheuchen?
Artikelbild: Alexandros Michailidis