Die andauernden Proteste der Bauern trotz Rücknahme der meisten Subventionskürzungen zeigen: Das Problem ist größer als nur eine einzelne Maßnahme. Während Teile der Kritik an der Regierung berechtigt sind, spielt auch die elitäre Lobbyarbeit des Deutschen Bauernverbandes eine Rolle. Dieser Verband spaltet die Landwirte in eine gut vernetzte Oberschicht, die die meisten Subventionen in die eigene Tasche bekommt, und den großen Rest, der um seine Existenz bangen muss. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die wir alle stärker hinterfragen sollten.
Agrardiesel nur der Auslöser: Probleme der Landwirtschaft reichen tiefer
In der öffentlichen Wahrnehmung war es vor allem die Abschaffung der Subventionen für Agrardiesel, die jetzt der Auslöser für die großen Bauernproteste waren. Umso seltsamer mag es vielen erscheinen, dass die Proteste trotzdem Fahrt aufnahmen, obwohl die Regierung bei den Kürzungen schon am vergangenen Donnerstag zurückgerudert war. Und auch wenn die Mobilisierung durch Rechtsextreme da sicherlich eine Rolle spielt, zeigt das vor allem, dass die Probleme der Landwirte nicht durch die Kürzungen der Ampelregierung entstanden sind. Tatsächlich gibt es strukturelle Probleme in der Branche, die ihre Ursachen in Jahrzehnten verfehlter Agrarpolitik haben und nun an die Oberfläche kommen.
Zur Wahrheit gehört, dass laut Agrarbericht des Landwirtschaftsministeriums (S.31) der durchschnittliche Haupterwerbsbetrieb in Deutschland ca. 2.900 € pro Jahr durch die Agrardieselvergütung erhält. Dazu muss man aber auch sagen, dass Höfe dieser Kategorie im Durchschnitt 2022/23 ca. 115.000 € Gewinn machten (Anmerkung: Betriebliche Gewinne sind nicht unbedingt dasselbe wie das Einkommen der Landwirte!). Diese Gewinne wären, selbst wenn die Kürzungen durchgegangen wären, also nur um wenige Prozent gesunken. Dazu kommt noch, dass landwirtschaftliche Betriebe heutzutage ohnehin im Schnitt die Hälfte ihres Einkommens aus Subventionen beziehen. Manche Expert:innen reden von einer “Subventionsabhängigkeit”.
Ist also eigentlich alles okay, die Proteste komplett ungerechtfertigt? Nein, auch das ist zu kurz gedacht. Denn wie aufmerksame Leser:innen vielleicht bemerkt haben, war immer die Rede von “im Durchschnitt”. Aber diese Durchschnitte existieren vor allem auf dem Papier – über die Praxis sagen sie gar nicht mal so viel aus. Denn in der Praxis der Landwirte gibt es tatsächlich extreme Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Diese lassen sich auf Jahrzehnte verfehlter Agrarpolitik und dafür umso erfolgreicherer Lobbyarbeit von Superreichen zurückführen. Die Ampelregierung ist da nur für einen sehr kleinen Teil verantwortlich.
Höfesterben hausgemacht? Das Problem der Lobbyverbände
Auch wenn das vielleicht erst einmal paradox klingt, aber in der Praxis leiden viele kleine und mittlere landwirtschaftliche Unternehmen auch unter den Folgen einer zu starken Agrarlobby. Dazu muss man sich erst einmal bewusst machen, dass “die Landwirte” keineswegs ein einheitlicher Block sind. Sehr dominant tritt in der Branche der “Deutsche Bauernverband” (DBV) auf, dessen Lobbyarbeit sowie Verstrickungen in andere Industriezweige und Politik bereits 2019 in einer NABU-Studie aufgedeckt wurden. Während der Bauernverband natürlich gern sein Image als Stimme aller Landwirte pflegt, wird in der NABU-Studie deutlich, dass es hier vor allem um Posten, Macht und Geld geht.
Eine zentrale Rolle scheint dabei Joachim Rukwied einzunehmen. Der ist Präsident des deutschen Bauernverbandes, aber “nebenbei” hat er auch wichtige Posten in Verbänden und Aufsichtsräten der Agrarwirtschaft, der Ernährungswirtschaft und der Finanzwirtschaft. Dass dieser Mann unabhängig und im Sinne der Landwirte Entscheidungen treffen kann, ist also sehr unwahrscheinlich. Ähnliche Interessenskonflikte gibt es unter anderem bei den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Johannes Röring (der parallel zu seinem Bundestagsmandat noch bis 2020 Vorsitzender des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes war), Franz-Josef Holzenkamp (Vorsitzer des Deutschen Raiffeisenverbandes) sowie dem ehemaligen CSU-Europaabgeordneten Albert Deß. Alle drei haben neben ihren Spitzenpositionen in Landwirtschaftsverbänden auch Verbindungen in die Agrar-, Ernährungs- und/oder Finanzwirtschaft.
Das könnten wir jetzt noch eine Weile so weiter führen, falls euch das interessiert, schaut gern beim NABU vorbei. Aber die Kernaussage dieser Studie ist: Die Spitzen der Landwirtschaftsverbände (nicht nur, aber vor allem des Deutschen Bauernverbandes) sind viel zu eng mit anderen Industriezweigen verbandelt, als dass man ihnen ernsthaft glauben könnte, sich für die Interessen kleiner und mittlerer, von der Insolvenz bedrohter Höfe einzusetzen. Wenig überraschend, dass sich 2019 mehr als die Hälfte der Landwirte vom Deutschen Bauernverband schlecht vertreten fühlte.
Auch Subventionen sind eine Verteilungsfrage!
Wichtigster Kritikpunkt: Der Deutsche Bauernverband setzt sich in seiner Lobbyarbeit im Bundestag aber vor allem auch bei der EU hauptsächlich für die großen Betriebe ein. Dieser und andere Verbände sind mitverantwortlich für die Förderpolitik der EU, die Fördergelder nach Fläche verteilt – was natürlich bedeutet, dass große Betriebe mehr bekommen als kleinere. Dadurch sorgen die Subventionen eben nicht dafür, dass die Landwirtschaft insgesamt sich besser an die Entwicklungen bei Klima, Umweltschutz und Co. anpassen kann. Die Subventionen sorgen im Gegenteil dafür, dass die Schere zwischen den großen Betrieben, die aktive Lobbyarbeit betreiben, und der riesigen Mehrheit an mittleren und kleinen Betrieben, die täglich ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, immer größer wird.
Also im Klartext: Das Gefühl der Bauern, ungerecht behandelt zu werden, ist nicht nur eine legitime Meinung – es ist auch eine völlig richtige Einschätzung ihrer Lage. Und die Politik tut viel zu wenig dafür, sich von Lobbyinteressen zu befreien, dementsprechend ist auch der Frust auf die Regierung nachvollziehbar (wobei man fairerweise sagen muss, dass das zu großen Teilen auf die Kappe von CDU/CSU-Landwirtschaftsminister:innen geht). Doch das eigentliche Problem ist eben: Es gibt nicht “die Bauern”. Die Landwirtschaft ist so gesehen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der sich eine politisch wie wirtschaftlich gut vernetzte Schicht an Lobbyisten Steuergelder in die Tasche steckt, während der Rest an der Ungerechtigkeit immer mehr verzweifelt.
Natürlich ist das keine Entschuldigung dafür, seine Demonstrationen von Rechtsextremen unterwandern zu lassen. Bauern sind erwachsene Menschen, die Verantwortung für ihre Entscheidungen tragen. Und während Landwirte grundsätzlich unsere Solidarität verdienen und ihre Existenz auch die Existenz aller anderen Menschen sichert, haben sie trotzdem auch die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, hausgemachte Probleme genauso scharf zu kritisieren wie rechtsextreme Versuche der Übernahme ihrer Protestbewegung. Das scheint in den vergangenen Tagen und Wochen nur teilweise gelungen zu sein.
Gibt auch Gegenstimmen von Bauernverbänden:
Ja, es gibt Bauern und Bauernverbände, die das wissen und sich klar von (extremen) Rechten distanzieren. Die sich nicht von der Heuchelei der AfD beeindrucken lassen, sondern klare Kante zeigen gegen Demokratiefeindlichkeit und Instrumentalisierung der Bauernproteste. So zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Sie bildete sich in den 1970ern als Gegenbewegung zum Deutschen Bauernverband. Aus aktuellem Anlass bot sie schon ein Argumentationstraining für den Umgang mit Demokratiefeindlichkeit an, und zwar für Menschen in der Landwirtschaft, die sich in ihrem Umfeld mit rechtem Hass und Lügen auseinandersetzen müssen.
Vorbildcharakter hatte auch der Aufruf der AbL Mitteldeutschland, Rechtsextreme von den Bauernprotesten auszuschließen.
Auch die Jugendorganisation der AbL hält gegen Rechts Stellung und macht gleichzeitig klar, dass das eigentliche Problem der Bauern 30 Jahre verfehlte Agrarpolitik der verschiedenen Bundesregierungen ist.
Wer jetzt “Ampel muss weg” ruft, verkennt, dass das Landwirtschaftsministerium zwischen 2005 und 2021 nur von der CDU/CSU geführt wurde. Wie wir euch oben schon gezeigt haben: aufgrund des Wegfalls der Agrardiesel-Subvention muss kein Hof pleitegehen, die Probleme liegen viel tiefer und sind teilweise hausgemacht: Die Lobbyarbeit des Deutschen Bauernverbands lässt gerade die Höfe, die in ihrer Existenz bedroht sind, links liegen.
Bislang sind Stimmen wie die der AbL nur leise Stimmen. Sie sollten jedoch aktuell viel mehr gehört werden: sie bieten Rechtsaußen die Stirn und öffnen die Tür hin zu konstruktiver Kritik an jahrzehntelanger verfehlter Agrarpolitik, die von der Agrarlobby nur verschärft wurde.
Mögliche Lösungsansätze für die Bauern:
Klar ist: Es muss sich strukturell etwas in der Agrarpolitik verändern, um kleinere und mittlere Landwirtschaftsbetriebe vor dem Aus zu retten. Gleichzeitig müsste der Deutsche Bauernverband endlich einmal damit anfangen, für jeden Landwirt Lobbyarbeit zu machen, nicht nur für die allergrößten Betriebe. Fest steht aber auch, dass die Probleme des Agrarsektors nicht von heute auf morgen gelöst werden können – dennoch dürfen wir dem Höfesterben nicht tatenlos zuschauen, denn es gibt konkrete Stellschrauben, an denen wir drehen können.
Zunächst müssten Landwirte darauf vertrauen können, dass sie faire Erzeugerpreise erhalten, durch die ihre Arbeit wertgeschätzt wird und der Hof rentabel bleibt. Gleichzeitig stoßen wir dabei auf das nächste Problem: Fast kein Landwirt vermarktet direkt, sondern zwischen dem Kauf im Supermarkt und der Erzeugung der Produkte sind zusätzliche Akteure mit Gewinnabsicht eingeschaltet. Das führt natürlich dazu, dass bei den Bauern am Ende weniger übrig bleibt.
Nicht einseitig den Agrarsektor treffen
Und selbst wenn es diese Akteure nicht gäbe oder sie weniger starken Einfluss hätten: Die Inflation und die damit einhergehende Teuerung von vielen alltäglichen Produkten liegt vielen Menschen in Deutschland schwer auf dem Geldbeutel. Es müssten also Bürgergeld und Mindestlohn angehoben werden, damit sich auch Menschen aus einkommensschwächeren Gruppen Produkte aus deutschem Anbau leisten können.
Gleichzeitig sehen wir in der aktuellen Debatte aber auch, dass sich viele Landwirte unfair behandelt fühlen. Klar sind viele Agrarsubventionen klimaschädlich und für mehr Klimaschutz brauchen wir weniger davon – jedoch darf dies nicht nur einseitig den Agrarsektor treffen.
Andere klimaschädliche Subventionen müssen ebenfalls in Erwägung gezogen werden, damit sich Landwirte nicht einseitig benachteiligt fühlen. Ganz oben stehen da beispielsweise die Kerosinsteuer-Befreiung in der gewerblichen Luftfahrt oder das Dienstwagenprivileg. Wie unsere Analyse oben gezeigt hat, brauchen gerade kleine und mittlere Agrarbetriebe aber auch eine bessere Organisation gegen große Agrarkonzerne, die Subventionen in ihren eigenen Geldbeutel stecken. Der Deutsche Bauernverband kann und wird das leider nicht leisten.
Fazit
Die Bauern protestieren aktuell nicht nur wegen einer einzelnen Subvention. Es geht um tiefgehende Probleme in ihrer Branche, die weder von der Politik, noch von ihrem eigentlichen Interessenverband, dem Deutschen Bauernverband, hinreichend bekämpft werden. Während sich die Landwirte von rechten Umsturzfantasien deutlich distanzieren sollten, müssen Politik und Zivilgesellschaft gleichzeitig verstehen, dass wegen der versuchten Übernahme rechtsextremer Kräfte nicht gleich alle Anliegen der Landwirte hinfällig sind.
Viel zu wenig wird in der breiten Gesellschaft diskutiert und kritisiert, dass die EU-Agrarsubventionen systematisch kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe benachteiligen, während die großen Unternehmer Geld, Macht und Marktanteile bekommen. Die Bauernproteste haben ihre Ursache also ganz klassisch in einer sozialen Frage. Das macht das Ganze komplizierter, als es rechte Populisten mit ihren Rufen nach Neuwahlen darstellen wollen. Aber es gibt Politik und Zivilgesellschaft die Chance, etwas zu ändern an der Lage unserer Landwirtschaft. Wir sollten diese Chance nutzen.
Transparenzhinweis: In der ursprünglichen Version des Artikels war durch uneindeutige Formulierung der Eindruck entstanden, Johannes Röring sei bis heute Vorsitzender des Westfälisch-Lippischen Landesverbandes. Tatsächlich ist er dies allerdings bereits seit 2020, also ein Jahr vor seinem Ausscheiden aus dem Bundestag, nicht mehr. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Laszlo Pinter/dpa