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Community Notes: So bekämpfst du die Fake-News-Flut auf Twitter

von | Aug 23, 2023 | Analyse

Community Notes ist ein kollektives Faktencheck-Programm auf der Plattform Twitter, wo Fake News großen Schaden anrichten, angeheizt und verschlimmert durch Elon Musk. Das Programm hat ein paar Schwächen, aber kann genutzt werden, um zumindest einige Desinformationen einzudämmen. Wir erklären dir, wie du deinen Beitrag leisten kannst.

Community Notes oder auch „kollektive Anmerkungen“ sind Twitters Faktencheck-Programm. Natürlich stammt die Idee noch aus der Zeit vor Elon Musks Übernahme, immerhin ist sie einigermaßen durchdacht. Dabei können normaler User Anmerkungen zu Tweets schreiben, von denen sie glauben, dass sie falsch sind. Die Anmerkungen werden nur angezeigt, wenn verschiedene Nutzer, die sich vorher mal uneinig waren, die Notiz als „hilfreich“ bewerten. Das soll einen „Bias“ des Systems verhindern. Jeder kann mitmachen, und ihr könnt (und solltet) euch hier anmelden

Was bringt Community Notes?

Grundsätzlich sind dort viele gute Ideen dabei. „Counterspeech“ auf Twitter krankt oft daran, dass man halt geblockt und ausgeblendet wird, wenn man einen Tweet widerlegt und der Autor das nicht möchte. Außerdem bekommt der Tweet mit Desinformation durch mehr Antworten mehr Reichweite. Gegen Community Notes kann man als Troll und professioneller Fake-Verbreiter hingegen nichts machen. Ein extrem interessantes Feature des Systems ist, dass Nutzer unterschiedlicher Meinung ZUSAMMENARBEITEN müssen, damit eine Note angezeigt wird. Das ist ein Konzept, praktisch gegensätzlich zur sonstigen Funktionsweise sozialer Medien, bei der es sonst gern darum geht, der eigenen „Basis“ zu gefallen. Und Nutzer folgen eher Menschen, die sowieso schon verbreiten, woran man eh schon glaubt – was natürlich die Verbreitung von Fake News begünstigt.

Das stellt grundsätzliche Fragen an das Design von sozialen Netzwerken – was bringen eigentlich die Like-Schlachten und Twitter-Fehden? Sollten soziale Netzwerke nicht GRUNDSÄTZLICH so gebaut sein, dass Nutzer zusammenarbeiten? Doch ich schweife ab und das ist auch alles gar nicht so einfach, wie wir gleich sehen werden. 

Community Notes sind (noch) kein Game-Changer

Eine Studie hat Community Notes untersucht und festgestellt, dass Interaktionen mit Desinformation dadurch leider nicht reduziert werden. Die Notes werden zwar gerade bei Tweets von Accounts mit vielen Followern angezeigt, aber leider immer erst recht spät, zu einem Zeitpunkt, wo der falsche Tweet längst viral gegangen ist. Das ist natürlich ein grundsätzliches Problem bei Faktenchecks. Bis man Zeit hat, gut und gut belegt einen Fake zu widerlegen, hat der viel Zeit, sich schon zu verbreiten. Facebook hat das in der Pandemie so gehandhabt, dass User benachrichtigt wurden, wenn sie in der Vergangenheit Falschinformationen geteilt haben. Auch werden Nutzer gewarnt, wenn sie Accounts folgen wollen, die in der Vergangenheit massiv Falschmeldungen geteilt haben. Also kein unlösbares Problem. Aber wird Elon Musk es angehen? 

Ein weiteres Problem ist, dass die meisten Notes nie angezeigt werden – das ist kein Bug, sondern ein gewolltes „Feature“ des Systems. Community Notes zeigt nur die Aller-„besten“ Notes an, wobei die „besten“ Notes diejenigen sind, die breite Zustimmung von unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums bekommen haben – was oft nicht wirklich die wichtigsten Faktenchecks sind. Auf dieser Website hier lässt sich jeweils anzeigen, wie hoch der Anteil der angenommen Notes ist. Aktuell liegt er bei etwa etwas über 9 %.

Das heißt leider auch, dass viele Faktenchecks gar nicht angezeigt werden, besonders wenn sie auf der rechten Seite des politischen Spektrums wenig Freunde haben. Und die sind bekanntermaßen grundsätzlich keine Freunde von Faktenchecks. Das zeigt sich besonders bei Themen wie Klimawandel oder Covid – selbst wenn hochwertige Studien und objektive Fakten präsentiert werden. Rechte Ideologen werden dort nie die Fakten anerkennen. Die Probleme bei politischen Faktenchecks über Community Notes werden auch in dieser Studie problematisiert. Es ist halt ein grundsätzliches Problem, wenn nicht unterschiedliche Meinungen ausdiskutiert werden, sondern die Fakten und eine Seite halt einfach nicht Recht hat.

Volksverpetzer-Auswertung: Faktenchecks zu „besonders guter User“ chancenlos

Das zeigt auch meine eigene Datenauswertung: Ich habe Notes von Usern untersucht, die eigentlich besonders häufig als „hilfreich“ eingestuft werden. Das sind also faktensichere Leute. Trotzdem haben diese User bei bestimmten Themen viel weniger hilfreiche Notes, als statistisch zu erwarten wäre. Solche Themen sind wenig überraschend: „Impfung“, „Covid“ und „Klima“.

Überdurchschnittlich hilfreich sind dagegen Notes mit den Wörtern „Bilder“, „Video“ oder „AI“, also meistens für Tweet mit manipulierten Bildern oder Videos. Das scheint wiederum gut zu klappen.

Das ist eben ein wichtiger Punkt: Community Notes kann in seiner jetzigen Form keine Content-Moderation der Plattform ersetzen. Das sagt auch ein früherer Entwickler des Programms. Die Daten zeigen auch, warum das so schwierig ist: Ich habe Nutzer identifiziert, die besonders Pro-AfD Notes (solche, die den Faschisten Höcke oder die AfD verteidigen) als „Hilfreich“ markieren. Diese User stimmen auch besonders gern korrekte Notizen zu Impfungen oder Klimawandel herunter – obwohl sie auf guten Daten und Quellen basieren. „Community Notes“ müsste also einen Weg finden, Usern, die sich um Fakten nicht scheren und ihre Ideologie durchsetzen wollen, weniger Macht über die Notes zu geben. Beim Schreiben der Notes klappt das auch schon eher, hier werden User irgendwann gesperrt, wenn sie Fakes oder unpassende Notes verbreiten. Eine Möglichkeit wäre, User, die komplett unpassende Notes auch noch als „hilfreich“ bewerten, dann auch irgendwie zu sanktionieren. 

Notes enthalten aber auch manchmal Falschmeldungen

Notes enthalten aber auch manchmal Falschmeldungen. So wurde in Paris tatsächlich ein Haus während der Ausschreitungen angezündet – die Note behauptete aber, dass es eine unzusammenhängende Gas-Explosion war. Auch wurde eine rassistische Notiz mit falschen Daten zu einem CNN Tweet gezeigt. Man stellt oft fest, dass Notizenschreiber sich nicht besonders tief mit einem Sachverhalt beschäftigt haben, sondern mal schnell-schnell ein paar Links zusammengewürfelt haben. Gevotet wird oft nach Bauchgefühl, nicht nach Studium der verlinkten Artikel. Zumindest ein Klick auf die Quelle sollte doch Voraussetzung sein, um bei Community Notes zu voten. 

Trotzdem scheint es einigermaßen zu klappen. Unter den am häufigsten mit Notes versehenen Accounts sind 83, die rechts sind, aber sogar 28, die man eher dem linken Spektrum zuordnen kann. In der Realität werden leider tatsächlich 97 % der Falschinformationen von rechten Usern gesehen. Fake News sind nun mal überwiegend ein rechtes Problem. Community Notes hat also offensichtlich einen „Bias“ – und zwar einen rechten. Eben, weil es so funktioniert. Linke können öfter Fake News als solche erkennen, auch wenn sie ihre Ideologie vermeintlich bestätigen. Trotzdem kommen offenbar noch einige Notes und Faktenchecks auch bei rechten Usern durch. 

Du solltest Community Notes trotzdem benutzen

Ich halte es trotz all der Schwächen von Community Notes für sinnvoll, das Feature zu nutzen (für den Fall, dass du noch auf Twitter bist. Falls nicht, du findest uns auch auf Mastodon und Bluesky). Gerade zum Thema „Ukraine“ klappt es immer noch ganz gut, Fakes mit Notes zu versehen. Widerspruch per Community Note ist oft besser als dem Fake durch Antworten noch mehr Reach zu geben. Und: Es ist schwerer für die AfD-Mitläufer, echte Fakten Checks runter zu wählen, wenn es mehr davon gibt. Außerdem kannst du auch vorhandene Notes sehen, die aber nicht angezeigt werden, wenn du Mitglied bei Community Notes bist. 

Gerade wenn Twitter immer mehr auffällt durch Hassrede und Falschinformationen (und unter und wegen Elon wird es immer schlimmer) gibt es da wenig, was wir direkt auf der Plattform tun können – abgesehen von Community Notes. Musk stellt den Algorithmus um, um ihm nicht genehme Links zu drosseln oder er gibt buchstäblich Rechtsextremisten und Usern, die pädophile Inhalte teilen (ja wirklich) Geld aus Werbeeinnahmen, die auch durch Werbeanzeigen auf “Pro-Hitler”-Accounts (ja, wirklich) generiert werden. Community Notes hingegen ist komplett transparent und veröffentlicht alle Daten und auch den Algorithmus selbst, sodass eine Einflussnahme hier für Musk zumindest schwerer ist. Außerdem verbringst du hier keine Zeit damit, sinnlos mit Trollen zu diskutieren und Werbung wird auch keine angezeigt. 

Notes Tipps:

Hier ein paar Tipps, um durchzustarten: Am Anfang hat man keine „Schreibrechte“, man muss erstmal ein paar Notes bewerten. Erst wenn fünf dieser Notes als „Hilfreich“ gelten, darf man schreiben. Das kann durchaus eine Weile dauern, wie gesagt, nur ca. 9 % aller Notes werden letztlich angezeigt. Man müsste also gut 50 Notes bewerten, bis man schreiben darf. 

Wie gesagt: Am ehesten werden „unpolitische“ Notes erfolgreich, also Notes, die die Rechten auch nicht stören. Klimawandel und Covid haben da schlechtere Karten. Macht es dann teilweise etwas witzlos, aber ist so. Auch Notes zu Memes oder Satire werden oft als störend und unpassend empfunden.  

Oft wird derselbe Fake von mehreren Accounts geteilt. Man kann hier mit wenig Aufwand einen großen Beitrag leisten, indem man dort einfach überall eine Community Note drunter kopiert unter alle, die den gleichen Fake teilen. Es ist auch nicht verboten, gute Notes von anderen zu stehlen. Man kann sich die Seiten der Faktenchecker von AFP, Correctiv und DPA ansehen und Twitter nach den entsprechenden Fakes durchsuchen. Natürlich lohnt sich das eher bei Tweets, die noch nicht so alt sind, und viele Likes oder eine hohe Reichweite bekommen. Und man sollte wirklich zu jeder Note eine möglichst neutral geltende Quelle angeben, sonst bekommt man keine Votes. Ja, vermutlich kommt ihr mit Volksverpetzer-Links nicht weit, nutzt einfach gern die Quellen aus unseren Artikeln, die wir immer mit angeben, wir sind ja selten Primärquelle.

„Besonders guter User“

Sobald man zehn akzeptierte Notes hat (dafür muss man etwa 100 Notes schreiben), gilt man als „besonders guter User“ und man darf noch mehr Notes verfassen. Außerdem werden die Notes dann häufiger anderen Usern zum Bewerten angezeigt. Zusätzlich kann man dann Bilder faktenchecken und der Faktencheck wird dann bei jedem Tweet mit dem entsprechenden Bild angezeigt. 

Es lohnt sich nicht, extrem viel Zeit damit zu verbringen, Notes zu bewerten. Es kommt nicht auf die Zahl der Bewertungen an, sondern darauf, dass unterschiedliche Nutzer eine Notiz positiv bewerten. Daher ist Koordinierung, Absprachen und massenhaftes Abstimmen hier auch sinnlos. Natürlich kann es trotzdem schöner sein, zusammen mit Freunden Fakten zu checken. So viele Notes wie möglich zu schreiben, hat hingegen laut meinen Datenanalysen keinen negativen Effekt. Das scheint also durchaus sinnvoll zu sein. 

Community Notes ist nicht perfekt, aber ein Anfang

Es gibt für die Menge an Fakes zu wenige Faktenchecker. Hier die Community einzubinden, ist also erstmal eine gute Idee. Andere Netzwerke könnten so etwas ebenfalls zusätzlich zur Moderation einbeziehen. Gerade für ein dezentrales Netzwerk wie Mastodon wäre es hilfreich, über entsprechende Ansätze nachzudenken – denn hier gibt es keine zentralen Faktenchecker oder Moderation. 

Die meisten Notes verbinden sowieso existierende Faktenchecks mit falschen Tweets. Das ist eigentlich recht unkontrovers, und dafür ist der ganze Algorithmus von Community Notes eigentlich etwas überkomplex. Netzwerke wie Facebook bezahlen zwar Faktenchecker, aber verknüpfen dann nur einen Bruchteil der Fakes mit den Faktenchecks, hier wäre es eine “low hanging fruit”, auf die Community zu setzen. 

Eine Hoffnung wäre auch, dass Community Notes oder ähnliche Mechanismen durch Zusammenarbeit das Thema „Fake News“ stärker zu einer „gemeinsam zu bekämpfenden“ Sache machen und der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken. 

Wenn eine Note, die den russischen Propagandisten Medvedev widerlegt, von linken wie rechten Nutzern gemeinsam „zur Anzeige“ gebracht wird, ist das schon ein schönes Gefühl. 

Link zum Faktencheck

Artikelbild: canva.com