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Der Ukraine-Pass von der Krim-Brücke ist Fake!

von | Okt 11, 2022 | Analyse

Gastbeitrag von „Hey Wolfi“

Eigentlich geht es nur um eine kleine Plastikkarte. So eine Karte, wie wir sie alle mit uns herumtragen. Und genauer gesagt geht es sogar nur um das Bild einer solchen Karte – eines Passes. Blutflecken sind auf ihr zu sehen. Der Mann, der von ihr heraus blickt, wirkt verstörend, fast manisch mit seinen wilden Haaren und starren Augen. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass er nicht einmal Kleidung zu tragen scheint. Das alles wäre wohl schon verrückt genug. Doch hier beginnt erst die Geschichte eines Memes, welches nun einen sehr kleinen Teil in der großen Weltpolitik einnehmen könnte, im Kontext des Angriffs auf die Krim-Brücke und des russischen Überfalls auf die Ukraine. Und eine Geschichte darüber, wie moderne Medien funktionieren.

Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim stand Russland plötzlich vor einem Problem: die gesamte Region war abhängig von der von der Ukraine kontrollierten Landbrücke (Quelle). Um dieses Problem zu lösen, errichtete das Land die 19 Kilometer lange Krim-Brücke, welche ab dem Punkt ihrer Fertigstellung im Jahr 2018 die längste Brücke Europas wurde (Quelle). Lange galt sie als Prestigeobjekt Russlands und wurde ab Beginn der russischen Invasion der Ukraine auch zu einem wichtigen Transportweg für militärische Ausrüstung und Personal (Quelle).

Bis sie am 8. Oktober 2022 von einer heftigen Explosion erschüttert wurde und ein Teil der Fahrbahn ins Meer stürzte (Quelle). Die Ukraine feierte diesen Schlag als militärischen Erfolg, für Russland war es ein Schock.

Russland braucht eine Erklärung

Für Russland war schnell eine wirksame Erklärung für die Medien gefunden: ein „Terroranschlag“ der Ukraine sei Schuld an der Verwüstung der so wichtigen Brücke. Und schnell geisterten Bilder eines LKW durchs Netz, welcher dafür Verwendung gefunden haben soll. Und nach dem LKW folgten Bilder des vermeintlichen Attentäters. Oder besser: die seines vermeintliches Ausweises, welcher die Explosion der Krim-Brücke wie ein Wunder nahezu unbeschadet überstanden haben soll. 

Schnell wird jedoch klar, dass an diesem Ausweis nicht viel passen kann. Nicht nur, weil die Person auf diesem Pass offensichtlich nackt zu sein scheint, sondern weil die darauf angegebenen IDs denen des ukrainischen Muster Ausweises entsprechen, welcher auf Wikipedia zu finden ist. Genau übrigens wie die Unterschrift auf dem Ausweis. Und auf den zweiten Blick passen auch Formatierungen und Schriftarten nicht überein. Es ist eine offensichtliche Fälschung.

Der Mann auf dem Bild ist Sam Hyde

Der wirre, nackte Mensch auf dem Bild des Passes ist Sam Hyde. Dieser ist ein Komiker aus den USA, der sich auf teilweise sehr fragwürdige Internet-Scherze spezialisiert hat. So sammelte er einmal Geld für ein Rollenspiel in der Welt von My Little Pony und löste den Gag erst spät auf. Zudem erscheint sein Gesicht immer wieder im Zusammenhang mit Gewalttätern. Es ist inzwischen zu einem Art Meme geworden, dem Internet und den Medien Hyde als Täter – oder Opfer – zu verkaufen. Und sein ukrainischer Pass, der fälschlicherweise auf Simon Hydeko „ausgestellt“ ist, tauchte im Ukraine Krieg sogar bereits einmal auf. Und zwar als Beleg für den Tod eines Azov-Kommandeurs, der Opfer russischer Kommandos geworden sein soll.

Manche Medien fielen auf den Fake herein.

Und hier könnte die Geschichte um das gefälschte Bild eines Passes enden. Wäre das Internet nicht das Internet – und der Ukraine-Krieg nicht auch ein Krieg der Deutungshoheiten. So ging auch mein Hinweis, dass das Bild eine Fälschung sei, viral und fand Anklang bei Menschen aus der ganzen Welt, von Finnland bis nach Asien. Die Botschaft: „Russland ist selbst für Fake News zu doof“ passte einfach gut in eine Grundstimmung, die bei den Sims begann und in der Gegenoffensive der Ukraine ihren Höhepunkt fand. Dabei ist unklar, woher der Hyde fake wirklich kommt. Aber auch pro-russische Accounts fielen auf den Fake herein:

Es ist eine gute Lektion in Sachen Medienkompetenz. Auch wenn die Erzählung vom gefundenen Pass des vermeintlichen Krim-Brücke-Angreifers gut ins Bild einer desaströsen Außenwirkung Russlands passt, dürfte sie doch nicht aus dem Kreml oder russischen Trollfabriken stammen. Jedoch – und das ist der Wahnsinn dieses Krieges – könnte sie ohne große Fantasie genau dort enden. Leider.

Hier mein Video dazu:

Titelbild: Screenshots