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Faktencheck: Corona von Fledermäusen? Eine Molekularbiologin klärt auf

von | Mai 5, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona, Gastkommentar

Gastbeitrag der Molekularbiologin Ines Hahn

Woher kommt das Coronavirus? Aus einer Fledermaus-Suppe? Illegal eingeführten Schuppentieren? Wurde es absichtlich oder unabsichtlich im Labor gezüchtet? Viele dieser Theorien kursieren aktuell in den Medien. Viele Theorien werden sogar schon als verifiziert dargestellt (z. B. in der heute show vom 17.04.2020 oder in diesem Artikel der BILD). Aber was genau davon ist belegt und was ist der aktuelle Wissenschaftsstand?

(Google Anfrage 19.4.2020)

Um zu wissen, ob Fleisch als Quelle des Virus in Frage kommt, muss man verstehen, wie und wo das Virus übertragen wurde, und gerade da ist weit weniger klar, als es in den Medien aktuell dargestellt wird.
Als allererstes sollte klargestellt werden, dass Wissenschaftler*innen die Theorie, dass das Virus absichtlich in einem Labor hergestellt oder einem Labor aus Versehen entwichen ist, als unplausibel eingestuft haben und diese ablehnen (siehe zum Beispiel hier, hier oder hier). Auf Basis aller analysierter Proben und Daten kommt für sie nur ein natürlicher Ursprung in Frage: Entweder könnte das Virus von einem Tier übergesprungen sein oder bereits seit einiger Zeit in einer schwächeren Form unter Menschen zirkulieren.

Wie bestimmen Wissenschaftler*innen nun eigentlich, woher das Coronavirus (SARS-Cov-2; hCov-2, human Cov-2) kommt?

Eine mögliche Erklärung ist eine Zoonose, also die Übertragung eines Virus von Tieren (wild oder domestiziert) auf Menschen. Zoonosen sind sehr selten, da bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein Virus von einer Spezies auf die andere übertragen werden kann (Quelle): Das Virus muss sich im Wirtstier auf genetische Art verändern (durch Mutation oder Antigenshift), die es ihm erlaubt, in menschliche Zellen einzudringen, sich in ihnen zu vermehren (replizieren) und sich dann weiter verbreiten zu können (Quelle). Viren in Wirtstieren müssen sich deshalb spontan verändern, um Menschen erfolgreich zu infizieren zu können. Das heißt, man wird SARS-CoV-2 in identischer Form sehr wahrscheinlich nicht im Tierreich finden, sondern Wissenschaftler*innen suchen seinen Vorgänger; ein Coronavirus, das SARS-Cov-2 am ähnlichsten ist.

Fledermäuse oder Pangolins?

Bis jetzt wurden zwei Viren identifiziert, die dem menschlichen Coronavirus (SARS-Cov-2; hCov-2, human Cov-2) unter allen bisher isolierten Viren am ehesten entsprechen: Der erste ist ein Coronavirus aus Fledermäusen (RaTG13, isoliert aus einer Hufeisennasenfledermaus in der Yunnan Provinz). Dieser ist zu 96,2 % identisch zu SARS-CoV-2 (Quelle), das heißt ~96 % aller RNA Basen, die das Genom dieses Virus ausmachen, sind gleich. Das klingt zunächst nach relativ viel, bedeutet aber auch, dass sich ~4 % dieses Virus verändert haben müssen, um zu SARS-CoV-2 zu werden. Das Genom von SARS-Cov-2 besteht aus fast 30.000 Ribonukleinsaeuren (RNS), die unter anderem für Proteine kodieren, die dieses Virus benötigt, um in Zellen einzudringen und sich zu vermehren.

4 % entsprechen ungefähr 1200 einzelnen Stellen (oder auch RNA Basen) des viralen Gesamtgenoms (Quelle), die anders (also mutiert) sind. Aus Studien mit bekannten Coronaviren und aus Covid-19 Patient*innendaten können Wissenschaftler*innen nun schätzen, wie lange es dauern könnte, bis ein Virus sich an so vielen Stellen verändert hat (bzw. mutiert ist). Diese Änderungen/Mutationen sind zufällig und passieren mit einer bestimmten Rate. Nimmt man an, dass die Änderungs- oder auch Mutationsrate pro Jahr vergleichbar mit anderen Coronaviren ist und betrachtet man die aktuelle Mutationsrate von SARS-Cov-2 aus Patient*innendaten, kann man errechnen, dass die beiden Viren zwar miteinander verwandt sind und einen gemeinsamen Ursprung haben, sie sich aber seit 20 – 70 Jahren (je nach Modell) unabhängig voneinander entwickeln (Quelle; Quelle).

Ein weiteres Indiz, dass RatG13 als direkten SARS-Cov-2 Vorgänger eher ausschließt, ist, dass sich die beiden Viren in einem bestimmten Protein, dem Spike Glycoprotein, recht wenig ähnlich sind (Quelle). Dieses Protein ist notwendig, damit Viren in Zellen einer bestimmten Spezies eindringen können. Da es gerade in diesem Protein einen Unterschied an einer entscheidenden Stelle gibt, wäre der evolutionäre Sprung auf ein für Menschen infektiöses Virus hier sehr groß.

Schuppentiere

Das zweite Virus, das als Urpsrung von SARS-CoV-2 diskutiert wird, ist ein Betacoronavirus aus malaysischen Pangolins (Schuppentiere; Quelle), die illegal in die Guangdong Provinz importiert wurden (Quelle). Dieses Virus weist eine höhere Ähnlichkeit in der entscheidenden Spike Protein Sequenz auf; fünf Aminosäuren (die von 15 RNS Basen kodiert werden) sind hier identisch zwischen Pangolin Cov und SARS-Cov-2. Vergleicht man aber das gesamte Genom beider Viren sind diese zu nur 90% gleich und daher insgesamt sich noch weniger ähnlich als RaTG13 und SARS-Cov-2 (Quelle; Quelle). Daher wird vermutet, dass auch dieses Virus zwar ein enger Verwandter, aber eben vermutlich nicht der direkte Ursprung ist.

Wild lebende Hunde?

Das bedeutet, dass Forscher*innen im Moment davon ausgehen, dass es einen Zwischenwirt gab. Vor kurzem kamen Wildhunde als möglicher Zwischenwirt ins Gespräch. Eine dazu veröffentlichte Studie (Quelle) vergleicht hier nicht die Ähnlichkeit der Gesamtsequenz von SARS-Cov-2 mit anderen verwandten Viren, sondern beschreibt das Auftreten eines genetischen Musters*, welches SARS-Cov-2 erlauben könnte, die menschliche Immunantwort zu umgehen und daher seine Aggressivität in Menschen erklären könnte.

Der Autor der Studie beobachtet ein ähnliches Muster in einer anderen Coronavirus Gattung in Hunden (canine enteric coronavirus – CECoV) und spekuliert, dass deshalb u. a. Hunde als mögliche Zwischenwirte in Frage kommen könnten, da sich in ihnen bevorzugt Viren mit diesen genetischen Muster bilden. Diese Schlussfolgerung ist unter Wissenschaftler*innen sehr umstritten (Quelle), da zum einen der Hund gar nicht besonders in dieser Eigenschaft ist; in anderen Säugetieren wurden vergleichbare Muster gefunden.

Zum anderen sind Alphacoronaviren, mit denen SARS-Cov-2 hier verglichen wurde, nur entfernte Verwandte und vergleichbarere Betacoronaviren sind gar nicht besonders ähnlich in Hunden (Quelle). Insgesamt sind die Schlussfolgerungen dieser Studie aktuell rein spekulativ. Sie könnten als Anstoß für zukünftige Studien dienen, liefern aber nicht den Beweis, dass Hunde der gesuchte Zwischenwirt sind.

*Xuhua Xia (University of Ottawa, Canada) vergleicht dabei, wie oft zwei der vier Nukleotide (Cytosin, C und Guanin, G) aufeinander folgen. Diese Sequenzen nennt man CpG Dinukleotide. Viren, die Säugetiere befallen können, haben einen geringen Anteil an CpG Dinukleotiden, da diese von anti-viralen Proteinen (wie zum Beispiel dem zinc finger antiviral protein, ZAP) erkannt werden können, was zur Degradierung der viralen RNA führt. Man nennt diese angepasste Verringerung der CG Dinukleotide in viralen Genomen CpG Defizienz.

Xuhua Xia hat CpG Defizienzen verschiedener Coronaviren verglichen und festgestellt, dass SARS-Cov-2 einen extrem niedrigen CpG Gehalt besitzt. Xia vermutet daraufhin, dass sich das Virus in einer Wirt-Spezies entwickelt hat, die ein sehr hohes Level an anti-viralen Proteinen, wie ZAP, haben. Da Alphacoronaviren in Hunden ebenfalls einen sehr niedrigen CpG Anteil haben, vermutet der Autor der Studie, dass prinzipiell in Viren, die Hunde befallen, sehr stark gegen CpGs selektiert wird, ZAP Level deswegen hoch sein könnten und nennt diese deshalb als Beispiel einer Spezies, in der sich das Virus entwickelt haben könnte.

Das bedeutet:

Wie der Zwischenwirt aussieht und aus welcher Tierart der direkte SARS-Cov-2 Vorgänger abstammt, ist aktuell völlig unklar und es ist weitere Forschung nötig, um mögliche Vorstufen im Tierreich zu finden.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass eine schwächere Variante von SARS-Cov-2 schon länger in Menschen kursiert und dort die entscheidende(n) Mutation(en) stattgefunden hat, die ihn nun so aggressiv macht.

Auch diese Hypothese wird nur durch weitere Forschungsarbeiten geklärt werden können; indem man zum Beispiel systematisch Serumproben (flüssiger Anteil des Blutes) von Menschen untersucht, die vor dem Auftreten von Covid-19 entnommen wurden (Quelle). Die Forschung dazu läuft auch auf Hochtouren und viele Hypothesen werden aktuell aufgestellt, die dann durch Sammeln von Daten entweder bestätigt, angepasst oder verworfen werden. Aber Vorsicht, denn

1) eine wissenschaftliche Hypothese ist daher keine definitive Aussage,

2) viele Publikationen sind aktuell als “preprint” publiziert und noch nicht durch wissenschaftliche Prüfung gegangen (peer review),

3) wissenschaftlicher Konsens ist noch nicht vorhanden und braucht Zeit, mehr Daten und Studien.

Bis wir mehr wissen, sind Spekulationen über Fledermaussuppe, Pangolinschuppen, streunende Hunde und generelle Übertragung durch Fleisch als Ursprung der Pandemie unwissenschaftlich, falsch, reines Clickbait.

Achtung vor Fake News

Wie gefährlich solche Falschmeldungen sind und dass diese gefährliche Konsequenzen haben können, zeigt sich in den aktuell aufkommenden Stereotypen und anti-chinesischen und -asiatischen Ressentiments. Seit dem Beginn der Coronakrise haben Vorurteile, Diskriminierung, Rassismus und Gewalt gegen Menschen mit asiatischem Aussehen global dramatisch zugenommen (Quelle). Sie werden online attackiert (Quelle) und auf der Straße verbal und körperlich angegriffen (Quelle).

Das ist absolut verwerflich! Die aktuelle Situation ist sicherlich aufreibend und schwierig. Und da ist es einfach, einen Sündenbock oder einfache Erklärungen zu suchen, wie zum Beispiel die Meldung über die Fledermaussuppe als angeblichen Ursprung der Pandemie (die direkt als Fake entlarvt wurde), statt differenziert Fakten zu betrachten. Aber gerade in dieser emotional aufwühlenden Zeit ist es essentiell, keinen Sensationsjournalismus mit vereinfachten oder falschen Behauptungen zu betreiben, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse akkurat wiederzugeben.



Text: Molekularbiologin Ines Hahn, Artikelbild: HitchHike von Pexels