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Faktencheck: Hochrechnungen zur Frankreich-Wahl kamen nach 20 Uhr!

von | Mai 1, 2022 | Analyse

Kein Wahlbetrug, sondern ein ganz normaler Liveticker!

Emmanuel Macron hat die Wahl zum französischen Präsidenten gewonnen, seine Konkurrentin, die rechtsextreme Marine Le Pen, ihre Niederlage eingestanden (Quelle). Mit rund 18 Prozentpunkten Vorsprung (Quelle) fiel das Ergebnis zwar knapper aus als noch 2017, aber dennoch deutlicher, als zwischenzeitlich befürchtet worden war. Unabhängig davon, ob man das nun als Erfolg feiert oder als Niederlage betrachten muss, sind sich alle über den Ausgang der Wahl also recht einig – könnte man meinen. Doch einigen Menschen fällt es offenbar schwer, die Fakten anzuerkennen. Sie klammern sich an jedes Indiz, das ihr Weltbild des Lugs und Betrugs bestätigt. In diesem Fall: Den Liveticker der ZEIT.

Wie funktioniert ein Liveticker?

Der scheinbare „Skandal“: Ein Screenshot einer Google-Suche zum Thema „Wahl frankreich 2022 hochrechnung“ hatte rund 20 Minuten nach Schließen der Wahllokale einen ZEIT-Artikel ausgespuckt, der auf den ersten Blick schon 4 Stunden vorher das Ergebnis kannte. Kaum verdeckt ist dabei der Vorwurf des Betrugs und der Wahlfälschung – typisch für Rechtsextreme und Querdenker. Die Wahlbetrug-Lüge hat Trump modern gemacht und wird ständig wiederholt, um unsere Demokratie zu untergraben und diese Gruppen zur radikalisieren.

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Aber ist es nicht auffällig, dass das erst nach 20 Uhr jemandem auffällt, obwohl der Artikel ja demnach mindestens seit dem späten Nachmittag online sein müsste? Der Denkfehler: Wenn ZEIT es schon vier Stunden vorher wusste – wieso hat das dann keiner der ZEIT-Leserschaft gemerkt?

Die Erklärung ist ganz einfach. Wie viele andere Medien pflegte auch ZEIT einen Liveblog während der Wahl. Verschiedene Autor:innen schrieben regelmäßig Beiträge und aktualisierten aller paar Minuten damit die Informationen im Liveblog. Auch die Überschrift und die Google-Vorschau können aktualisiert werden. Natürlich geschieht genau das, sobald das Wahlergebnis feststellt. Ab kurz nach 20 Uhr war also die Google-Vorschau des Liveblogs wie im Screenshot angezeigt. Der Liveblog selbst startete allerdings schon deutlich eher – deswegen das irreführende „vor 4 Stunden“. Hier könnt ihr den Liveblog selbst nachlesen.

Wie funktionieren Prognosen und Hochrechnungen?

Bleibt noch der zweite implizite Vorwurf: Wie können die Medien überhaupt 2 Minuten nach Schluss der Wahllokale schon wissen, wer gewonnen hat? In einem Kommentar wird offensichtlich zynisch vermutet, es sei im „Turbomodus“ ausgezählt worden. Doch auch hier gibt es eine simple Erklärung: Das, was direkt 20 Uhr verkündet wurde, ist nicht das amtliche Endergebnis. Es sind vorläufige Prognosen. Diese errechnen sich aus zufälligen Befragungen von Wähler:innen direkt am Wahllokal, sogenannte exit polls. Diese werden von Expert:innen statistisch korrigiert und geben meist eine grobe Richtung an, bei knappen Ergebnissen sind sie aber noch mit Vorsicht zu genießen.

Die „echten“ Ergebnisse kommen dann im Laufe des Abends mit den Hochrechnungen. Wenn die ersten Wahlbezirke ausgezählt sind und ihre Ergebnisse gemeldet haben, wird auf Basis dieser Ergebnisse hochgerechnet, wie das Ergebnis erwartungsgemäß am Ende aussehen dürfte. Je mehr Ergebnisse gemeldet werden, desto exakter die Hochrechnungen. Während die Prognosen also auf Befragungen direkt am Wahllokal beruhen und noch die Gefahr relativ großer Schwankungen mit sich bringen, werden die Hochrechnungen im Laufe des Abends immer exakter.

Im Falle der Wahl in Frankreich hatten allerdings schon die Prognosen um 20 Uhr einen Sieg Macrons mit mehr als 15 Prozentpunkten Vorsprung ergeben. Auch wenn Prognosen also durchaus noch Raum für Schwankungen lassen, war der Abstand so groß, dass man von einem sicheren Wahlsieg Macrons ausgehen kann. Das wurde dann auch 20 Uhr von ZEIT und vielen anderen Medien gemeldet.

Fazit: Information statt Demokratiefrust!

Natürlich ist es wichtig, sich kritisch mit den Prozessen unserer Demokratien auseinanderzusetzen. Insbesondere bei großen Wahlen wie der in Frankreich. Doch zu einer kritischen Auseinandersetzung gehört auch, sich tatsächlich über ein Thema zu informieren. Hätte der/die Urheber:in des oben zitierten Tweets (und auch viele andere, die sich ähnlich äußerten) das gemacht, dann wäre klar gewesen, dass die Vorwürfe der Wahlmanipulation keinen Sinn ergeben.

Natürlich versuchen aber viele Menschen auch bewusst, demokratische Prozesse zu delegitimieren, um Demokratien zu untergraben. Besonders die Fans einer rechtsextremen Kandidatin wie Marine Le Pen sind dafür natürlich prädestiniert. Umso wichtiger ist es, dass die vernünftig denkende Mehrheit die Demokratie verteidigt. Und in der Demokratie dürfen alle ihre eigene Meinung haben – aber nicht ihre eigenen Fakten erfinden!

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Artikelbild: shutterstock.com / Screenshots

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