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Faktencheck: Eine absurde Rechnung behauptet, Impfungen haben die Mortalität in Israel erhöht

von | Mrz 15, 2021 | Analyse

Nein, Impfungen haben die Mortalität in Israel nicht um das 260-fache erhöht

Beitrag von Laurin U.

Pandemie-Leugner:innen und Impfgegner:innen teilen derzeit massiv eine Fake News, die sich vermeintlich auf eine seriöse Studie stützt, aber reine Desinformation beinhaltet. Daten werden falsch interpretiert, irreführend dargestellt und unzulässige und unlogische Schlüsse gezogen. In einem Artikel (Quelle), der von vielen in der Szene einflussreichen Corona-Impfverweiger:innen geteilt wurde, wird also behauptet, dass durch die Corona-Impfung in Israel bei über 65-jährigen angeblich 40-mal mehr Menschen gestorben seien, als sonst an Corona gestorben wären. Bei den unter 65-jährigen sollen sogar 260-mal mehr Menschen gestorben sein, als aufgrund von Corona gestorben wären. Welche Fehler die beiden Autoren Haim Yativ und Hervé Seligmann des Originalartikels (auf Englisch) (Quelle) machen, erklären wir hier.

Komplizierter Ansatz

Auf diese Grafik berufen sich die Autoren und sie bildet eine Grundlage für die Berechnungen. Ursprünglich stammt sie von der israelischen Nachrichtenseite ynet.co.il. Sie stellt dar, wie viele Israelis sich trotz Impfung mit dem Coronavirus infiziert haben. Gleichzeitig differenziert sie nach Alter, „Fortschritt“ der Impfung und wie schlimm die Infektion war. Die Grafik soll alle Daten seit dem Beginn der Impfung bis zum 11.02.2021 enthalten.

Warum man Zeitpunkte nicht mit Zeiträumen vergleicht

Grafik 2 zeigt, wie viele Menschen in Israel am 11.02.2021 unter „serious conditions“ aufgrund des Coronavirus hospitalisiert waren. Die Autoren vergleichen nun Grafik 1 mit Grafik 2 und stellen fest, dass in Grafik 1 von 1031 Menschen in „serious conditions“ und in Grafik 2 von 1056 die Rede ist. Sie schließen daraus, dass nahezu alle davon geimpft wurden. Das ist falsch, weil in Grafik 1 alle Fälle seit Beginn der Impfungen bis zum 11.02.2021 erfasst sind, während Grafik 2 eine Momentaufnahme ist. Folglich stimmt diese Annahme nicht.

Zeitraum-Verwirrungen

Das ist nicht das einzige Mal, dass die Autoren unterschiedliche Zeiträume und Zeitpunkte versuchen, in ein Verhältnis zu setzen. Denn als nächstes rechnen die beiden Autoren aus, wie viele Menschen in Israel zwischen dem 19. Januar und dem 10. Februar geimpft wurden. In diesem Zeitraum haben 1.331.881 Millionen Israelis ihre erste Impfung bekommen. Vom 26. Januar bis zum 10. Februar haben 909.102 die 2. Dosis bekommen. Die Autoren probieren diese Zahlen nun in ein Verhältnis zu Grafik 1 setzten. Was sie dabei aber nicht bedachten, ist, dass Grafik 1 Daten seit Beginn der Impfkampagne in Israel enthält, während es die beiden anderen Zeiträume nicht tuen. Dadurch entstehen natürlich höhere Zahlen.

Die Impfung wirkt nicht sofort

Wichtiger Disclaimer vorab: Bei über 300 Millionen Impfungen weltweit ist bis jetzt noch kein einziger Fall bekannt, in der eine Impfung nachweislich kausal zum Tod geführt hat. Die ganzen abenteuerlichen Rechnungen deshalb bitte mit Vorsicht genießen.

Die Autoren gehen nämlich weiter davon aus, dass das Vakzin für jeden Corona-Tot nach der Impfung verantwortlich ist. Dies ist völlig falsch, unseriös und sogar unlogisch, denn die Deutsche Gesellschaft für Immunologie schreibt zum Beispiel, dass die Impfung erst ab Tag 14 nach der ersten Dosis einen beträchtlichen Schutz bietet. Der volle Schutz von über 90 % ist erst ein bis zwei Wochen nach der zweiten Impfung erreicht (Quelle). Außerdem ist es völlig unwissenschaftlich, grundlos die zufällige Korrelation als Kausalität anzunehmen. Und wenn wir jetzt einen Blick auf Grafik 2 werfen, geht daraus hervor, dass lediglich 4 Menschen 14 Tage nach der zweiten Impfung verstorben sind.

Quatschmathematik

Nun berechnen die beiden Autoren, wie viele Menschen zufällig zeitlich nach der Impfung gestorben sind (1331881/568=0,042). Dass die Berechnungen keinen Sinn machen, da unterschiedliche Zeiträume ins Verhältnis gesetzt werden und Impfung nicht sofort wirkt, lassen wir hier mal außen vor. Die Zahl ist jetzt aber immer noch ziemlich klein. Deswegen argumentieren die Autoren, dass in dem Zeitraum vom 19. Januar bis zum 10. Februar größtenteils jüngere Menschen geimpft wurden und man die Zahlen deswegen dafür korrigieren müsse. Macht keinen Sinn, aber tun sie trotzdem. Deswegen rechnen sie eine „Todesrate“ zwischen Menschen, die älter als 65 und die jünger als 65 sind, aus.

Dabei beziehen sie sich auf das VAERS. VAERS ist eine amerikanische Regierungsorganisation und sammelt Meldungen zu Impfschäden. Allerdings kann dort jede:r Bürger:in Fälle melden, weswegen die Aussagekraft nur sehr bedingt gegeben ist. Über Israel sagen die Zahlen natürlich auch nichts aus. Ich selber konnte die in dem Artikel von den beiden Autoren beschriebenen Zahlen nicht reproduzieren, sie könnten aber trotzdem stimmen. Bei den restlichen Pfuschereien und unwissenschaftlichen Schlüssen könnte es aber durchaus ebenfalls falsch sein. Welche Krankheit oder sonstige Ursache zu dieser  Todesrate führte, ist daraus auch nicht ersichtlich. Die Todesrate wird dann wenig nachvollziehbar mit 4,42 (155/35) festgelegt.

Als nächstes wird jetzt die alte Dezimalzahl mit der Todesrate multipliziert, um eine Todesrate für die über 65-Jährigen zu produzieren (0,042*4,42=0,186). Diese absurde Rechnung wird dann großzügig auf 0,2 % aufgerundet. Das entspricht 200 von 100.000, woraus die Autoren schließen, dass 200 von 100.000 über 65-jährige aufgrund der Impfung verstorben sind. Das ist eine wahrlich absurde Logikkette, die aufgebaut wurde.

Da Corona laut Grafik 3 nur 4,91 Menschen über 65 getötet hat, kommen sie zu dem Schluss, dass die Impfung 40-mal gefährlicher ist. Dass das absolut nicht stimmt, zeigen unsere Erklärungen.

Es wird noch haarsträubender

Die Autoren möchten jetzt ausrechnen, wie viele junge Menschen pro 100.000 die Impfung angeblich umbringt. Dafür rechnen sie mit den extrem fragwürdigen 0,042 weiter, die weiter oben ausgerechnet wurden. Als erstens runden sie diese noch einmal extrem großzügig auf 0,05 auf! Wenn man das jetzt auf 100.000 hochrechnet, kommt heraus, dass 50 Menschen angeblich nur wegen der Corona-Impfung gestorben sind. Was aber vergessen wurde, ist, dass die 0,05 alte und junge Menschen enthalten. Und deswegen logischerweise nichts über die Sterblichkeit unter den lediglich jungen Menschen (unter 65) aussagen kann.

Der gleiche Fehler wurde auch bei der Berechnung der angeblichen Opferzahl bei den Älteren (über 65) gemacht. Allerdings fällt er dort nicht so ins Gewicht, da das Coronavirus für ältere viel gefährlicher ist und deswegen die meisten Opfer auch über 65 Jahre alt sind. Diese Rechnung enthält lauter unzulässige Aufrundungen, Logiksprünge, Denk- und Rechenfehler und ist damit quasi wertlos. Aber das ist noch nicht alles.

Der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität

Die Behauptung, wenn man die absurden Rechnungen akzeptieren würde, mag zwar auf den ersten Blick nachvollziehbar sein, allerdings macht sie auch in sich wenig Sinn. Da die Zahl der Impfungen immer weiter ansteigt. Die Zahl der Corona-Toten aber immer weiter sinkt. Wenn die Impfungen wirklich 40-mal tödlicher wären, warum sinken dann die Corona-Toten seit den Impfungen?

Warum gibt es kein Massensterben auf der ganzen Welt, da weltweit etwa dreimal so viele Menschen geimpft wurden wie bisher an Corona infiziert waren? Da es bis zum Impfstart 1,7 Millionen Corona-Tote gab (jetzt 2,5 Mio Quelle), müsste es ja 68 Millionen (!) Corona-Tote geben. Im Jahr 2021 gab es aber zum Beispiel erst 11 Millionen Tote insgesamt weltweit (Quelle). Aber zurück zu Israel. In dem Artikel wird weiter behauptet, dass die Impfungen das Coronavirus deutlich gefährlicher machen würden. Das wird damit begründet, dass es in Israel kurz nach Beginn der Impfungen die höchsten Todeszahlen aufgrund des Coronavirus gab.                       

Impfstoff sehr sicher

Der BioNTech/Pfizer-Impfstoff, der einzige Impfstoff, der in Israel „verimpft“ wird, ist sehr sicher. Der Impfstoff schützt zu 95% vor schweren Verläufen bei einer Corona-Infektion (Quelle). Bisher gibt es keine Sicherheitsbedenken gegenüber einem der Wirkstoffe. Bekannte Impfreaktionen, die regelmäßig auftreten, sind lediglich Erkältungssymptome sowie Übelkeit oder Kopfschmerzen. Sehr selten erleiden Patient:innen unmittelbar nach der Impfung einen allergischen Schock, welcher mit ärztlicher Hilfe allerdings nicht lebensbedrohlich ist (Quelle).

Diese pseudowissenschaftliche Rechnung ist also von vorne bis hinten hanebüchen. Die Annahmen sind falsch, die Daten sind verzerrt, die Rechnungen sind absurd und die Schlussfolgerungen decken sich nicht mit der Realität. Es ist eine weitere Desinformation im großen Repertoire der Fake-News-Verbreiter:innen, die Geld damit verdienen, Menschen, die in Verschwörungsmythen gefangen sind, ihr realitätsfernes Weltbild zu bestätigen. Indem sie unwissenschaftliche Verunsicherung streuen.

Mehr dazu:

Faktencheck: Wie man euch mit dieser Fake-„Impf-Checkliste“ manipulieren will

Änderungshinweis: In einer früheren Version schrieben wir versehentlich, die Impfung schütze zu 95% vor einer Corona-Infektion, das ist falsch, sie schützt zu 95% vor einer Erkrankung, Quelle). Autor: Laurin U. Artikelbild: Screenshot

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI