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INSA: Warum schneidet die AfD in Online-Umfragen so gut ab?

von | Aug 1, 2023 | Analyse

Onlineumfragen sind nach der gängigen Meinung der Forschung nicht repräsentativ. Trotzdem heißt das nicht, dass andere Erhebungsmethoden automatisch besser sind – Sie haben Vor- und Nachteile. In Onlineumfragen schneidet die AfD jedoch im Vergleich zu anderen Erhebungsmethoden besonders gut ab. Hierfür gibt es Erklärungen. Gleichzeitig wird INSA dafür kritisiert, der AfD nahe zu stehen und sie zu beraten. INSA wird aus diesem Grund hin und wieder Datenmanipulation unterstellt. Belege für eine gezielte Manipulation gibt es bisher keine. Im Gegenteil, die Umfragen waren in der Vergangenheit oft näher an der Realität als die von anderen Instituten. Trotzdem ist die verwendete Methode nicht unumstritten. Schauen wir uns das genauer an.

Was in Berichten über AfD-Umfrageergebnisse nicht erwähnt wird

Kürzlich berichteten viele Medien davon, dass die AfD in Umfragen derzeit bei 22 % und damit knapp hinter der CDU liegt. Dies veranlasste die Bild zu folgender Schlagzeile: „Experte enthüllt neuen Umfrageschock: AfD in Wahrheit stärkste Partei in Deutschland“. Die Zahl stammt vom Umfrageinstitut Insa. Dessen Chef, Hermann Binkert, erklärt gegenüber BILD, dass seiner Meinung nach die AfD sogar die stärkste politische Partei Deutschland sei. Und zwar deshalb, weil CDU und CSU eigentlich als zwei verschiedene Parteien angesehen werden müssten.

Andere Institute wie Forsa, Allensbach oder Forschungsgruppe Wahlen sehen die AfD hingegen zwischen 18 und 20 %. Interessant dabei ist, dass Insa im Gegensatz zu letztgenannten Instituten ihre Umfragen teilweise Online erhebt. Was in den Medienberichten über die hohen Insa-Werte oft ausgelassen wird, ist, dass Onlineumfragen nicht unumstritten sind. Dass insbesondere die AfD bei Insa so gut abschneidet, ist außerdem vor dem Hintergrund interessant, dass Insa und ihr Chef Binkert immer wieder durch eine besondere Nähe zur AfD auffallen. Sie beraten sie, haben Kontakte in die rechte Szene und scheinen einige Einstellungen zu teilen. Manche Kommentatoren gehen deshalb so weit, dass sie Datenmanipulation hinter Insa vermuten.

Wir haben uns deshalb das Phänomen Onlineumfragen näher angeschaut und dabei auch das Institut Insa genauer unter die Lupe genommen.

Wie funktioniert die Sonntagsfrage?

Zunächst muss festgehalten werden, dass die Umfrageforschung keine Wahlausgänge vorhersagt. Sie gibt nur an, was Menschen angeben, vorhaben zu wählen. Folglich handelt es sich um ein temporäres Stimmungsbild. Dieses wird mit statistischen Methoden ermittelt und diese wiederum sind nie perfekt. Jedes Institut verwendet eine eigene Methode, weshalb sich die Ergebnisse meist um einige Prozentpunkte unterscheiden. Die Fehlertoleranz von Umfragen liegt dabei zwischen 1,5 und 3 Prozentpunkte. Das heißt, dass die tatsächlichen Werte um 1,5 bis 3 Prozentpunkte nach oben oder unten abweichen können.

Institute, die solche Umfragen durchführen, sind u. a. Forsa, Infratest Dimap, Forschungsgruppe Wahlen oder das IfD Allensbach. Sie arbeiten alle relativ ähnlich. Da offensichtlich nicht alle Menschen befragt werden können, stützen sie sich auf Stichproben. Mit diesen können dann Rückschlüsse auf die gesamte Wählerschaft geschlossen werden. Dafür müssen die Stichproben jedoch repräsentativ sein. Dies ist nur möglich, wenn alle Menschen in der Bevölkerung, die gleiche Möglichkeit haben, an der Umfrage teilzunehmen. So wird sichergestellt, dass in der Stichprobe ausreichend viele Vertreter:innen relevanter Merkmale sind. Die Umfrage muss deshalb allen Menschen in ihren individuellen Merkmalen die Möglichkeit geben, innerhalb der Stichprobe repräsentiert zu werden. Haben sie diese Möglichkeit nicht, wird es zu systematischen Verzerrungen kommen. D.h. es werden automatisch einige Gruppen in der Bevölkerung über- und andere unterrepräsentiert sein.

Solche systematischen Verzerrungen werden am besten verhindert, wenn der Zufall darüber entscheidet, wer in die Stichprobe gelangt und wer nicht. Denn auf diese Art ist sichergestellt, dass alle Menschen die gleiche Chance haben, in der Stichprobe zu landen. Deshalb ist eine der wichtigsten Voraussetzung für die Repräsentativität, dass die befragten Personen in der Stichprobe zufällig ausgewählt wurden. Hierfür gibt es spezielle Randomisierungsmethoden. Sie können in Telefonumfragen, Face-to-Face-Interviews oder Papierbogen zur Anwendung kommen.

Wann sind die gewonnen Daten verlässlich?

Bei jeder Methode entstehen statistische Fehler. In der Realität erfolgt selten eine vollständige Zufallsstichprobe. In Telefoninterviews werden z.B. eher ältere Personen erreicht, sodass die so gewonnenen Stichproben nicht unbedingt dem Altersdurchschnitt der tatsächlichen Wählerschaft entsprechen. Es gibt allerdings Möglichkeiten, solche Fehler durch Gewichtungen und Erfahrungswerte nachträglich zu korrigieren.

Je höher die Anzahl der Befragten, desto verlässlicher wird die Stichprobe. Der Datenjournalist Dominik Wurnig hält fest: „Ab tausend Befragten kann man anfangen, ab zweitausend wird die Umfrage seriös“. Die Methode und Zufälligkeit der ausgewählten Personen bleibt dabei trotzdem von zentraler Bedeutung für die Verlässlichkeit der Daten. Werden bei einer Telefonumfrage nur Festnetzanschlüsse kontaktiert, sind jüngere Menschen, die eher über Mobilfunk erreichbar sind, in der Stichprobe unterrepräsentiert. Bei der Kontaktierung von Mobilfunknummern besteht allerdings die Gefahr, dass aus Zufall Befragte aus einer Region häufiger in der Stichprobe landen, als andere Regionen.

Umfrageprobleme mit der AfD

Außerdem kämpft die Sozialforschung damit, dass die Bereitschaft an Umfragen teilzunehmen abnimmt. Gründe hierfür sind Call-Center-Anrufe, Betrüger und Unternehmen, die Umfragen für getarnte Werbung missbrauchen. Ausreichend große und diversifizierte Stichproben zu erhalten, wird damit schwieriger. Dies kann zu verzerrten Daten führen. Besonders problematisch wird es, wenn das ganze Gruppen betrifft. So gibt es z. B. bei der AfD-Wählerschaft, eine geringere Bereitschaft (wahrheitsgemäß) an Umfragen teilzunehmen.

Gerrit Richter, der Gründer der Online-Umfragenplattform Civey, sieht jedoch kein „isoliertes Umfrageproblem mit rechten Wählern“. Er geht davon aus, dass die Teilnahmeverweigerung ein Massenphänomen ist. Interessant ist jedoch, dass gerade bei Onlineumfragen die AfD vergleichsweise gut abschneidet. Richter ist der Meinung, dass dies daran liegt, dass „Menschen online eher bereit sind, ihre wahre Wahlabsicht zu äußern, da die Angaben im Internet anonym bleiben.

Bei Insa erzielt die AfD ebenfalls meist relativ hohe Werte. Insa arbeitet u.a. mit Rohdaten aus Onlineumfragen, die teilweise durch das Institut YouGov erhoben werden. Auch bei YouGov schneidet die AfD meist ebenfalls besser als in anderen Umfragen ab:

AfD-Umfragewerte vor den Bundestagswahlen 2013, 2017, 2021, Angaben in Prozent

Institut2013 (4,7)2017 (12,6)2021 (10,3)
INSA51311
YouGov1212
Civey11,110
Forschungsgruppe Wahlen41110
Infratest Dimap2,51211
Allensbach4,59,6510
Forsa4910
Emnid/Kantar41111
Quellen: bundeswahlleiterin.de, wahlrecht.de, dawum.de

Während die meisten Institute für 2013 und 2017 bei der AfD größere Abweichungen zwischen Umfrage und Wahlergebnisse aufwiesen, lagen sie bei der Wahl 2021 relativ nah am tatsächlichen Ergebnis. Grund hierfür könnte sein, dass in den Umfragen für 2021 auch Befragte erfasst wurden, die bereits per Briefwahl gewählt hatten. Diese gaben damit keine hypothetische Wahlabsicht mehr an, sondern eine bereits getroffene Entscheidung. Folglich konnten diese Menschen ihre Wahlabsicht auch nicht mehr kurz vor der Wahl ändern. Denn ein Problem bei der Erfassung von AfD-Wähler:innen ist, dass die Partei einerseits noch relativ jung ist und damit Erfahrungswerte fehlen, die in nachträgliche Gewichtungen einfließen können. Andererseits besteht heute eine weniger starke Parteienbindung und die Wähler:innen ändern ihre Wahlabsicht häufiger noch einmal kurz vor der Wahl.

Auffallend bleibt, dass die auf Onlineumfragen basierenden Institute YouGov und Insa in den Bundestagsahlen 2013 und 2017 mit ihren hohen AfD-Werten relativ nah am Wahlergebnis lagen. Für die Wahl 2021 ermittelten sie letztlich sogar eine höhere Wahlabsicht der AfD, als letztlich tatsächlich gewählt wurde. Dies gilt jedoch auch für Infratest und Emnid/Kantar. In Onlineumfragen scheinen AfD-Wähler:innen aber zumindest in der Tendenz eher zu einer Teilnahme oder ehrlichen Antworten bereit zu sein.

Sind Onlinebefragungen repräsentativ?

Onlinebefragungen wie YouGov oder Civey stützen sich nicht auf reine Zufallsstichproben. Die Befragten werden also nicht zufällig ausgewählt, sondern selektieren sich teilweise selbst für die Umfrage. Dadurch ergeben sich automatisch Verzerrungen, durch die die Befragten nicht mehr zwingend ein Abbild der Bevölkerung darstellen. Dies beginnt bereits damit, dass all jene, die kein Internet nutzen, nicht in der Stichprobe repräsentiert sind.

Das betrifft in Deutschland ca. 6 % der Menschen insgesamt und ca. 17 % in der Gruppe der 65-74-Jährigen. Die Einstellungen, Absichten und Verhaltensweisen dieser Menschen sind in Onlineumfragen damit nicht vertreten. Laut der Institute wird dieses Problem jedoch über Nachgewichtung und Quotenstichproben der eigenen Panels gelöst.

Selbstrekrutierung kann nicht weg korrigiert werden

Civeys Umfragen werden auf Webseiten von Medienpartnern, meist große Nachrichtenseiten, platziert. Jede Person, die diese Seite besucht, hat die Möglichkeit, sich zu registrieren und abzustimmen. Dies birgt die Gefahr, die Daten zu manipulieren. Z.B. indem Personen mehrmals teilnehmen oder in Gruppen gezielt dazu aufrufen, das Ergebnis zu manipulieren. Civey gibt jedoch an, dem mit entsprechenden Plausiblitätschecks entgegenzuwirken. Außerdem erfolgt eine nachträgliche Quotierung und Gewichtung.

Durch die Quotierung wird sichergestellt, dass die Befragten in der Umfrage in ihren verschiedenen Merkmalen auch dem tatsächlichen Anteil in der Bevölkerung entsprechen. Dies heißt jedoch trotzdem nicht, dass alle Gruppen in der Bevölkerung tatsächlich die gleiche Chance hatten, in der Stichprobe zu landen. Das größte Problem bleibt also, dass sich die Menschen selbst in die Umfrage selektieren.

Laut Civey wird dies jedoch über spezielle Gewichtungsverfahren gelöst. Ulrich Kohler, Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung der Uni Potsdam kritisiert allerdings: „Das angewandte Gewichtungsverfahren ist hoch spekulativ, und das genaue Verfahren der wissenschaftlichen Kritik nicht zugänglich.“

Das Problematische daran ist, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass Menschen, die sich selbst für Umfragen rekrutieren, grundlegend anders sein könnten, als Menschen, die dies nicht tun. Damit wären diese Menschen prozentual stärker in der Stichprobe vertreten, als sie in der Gesamtbevölkerung tatsächlich vorzufinden sind. Die Stichprobe wäre damit nicht mehr repräsentativ. Rainer Schnell, Professor der empirischen Sozialforschung an der Uni Duisburg-Essen, hält die Selbstselektion für so stark, dass sie „nicht mehr wegkorrigiert“ werden kann. Gerd Bosbach, Professor für Statistik an der Hochschule Koblenz betont:

„Leute, die sich dort anmelden [Civey], machen einen großen Aufwand. Denen ist halt wichtig, dass ihre Meinung Einfluss nimmt. Und das ist schon ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Bevölkerung. Also insofern ist das schon mal von der Warte her nicht repräsentativ.“

Finanzielle Anreize von YouGov sind problematisch

Auch bei YouGov melden sich die Befragten selbst bei der Plattform an. Allerdings können die Befragten nicht entscheiden, an welchen Umfragen sie teilnehmen. Sie landen alle in einem Pool, aus welchen YouGov dann nachträglich selektiert. Hierfür wird eine Quotierung durchgeführt. Das heißt, es erfolgt eine Auswahl anhand der demographischen Daten (Alter, Geschlecht, Wohnort, etc), dem politischen Interesse und anderen Merkmalen, welche die Befragten zuvor angegeben haben. Es werden die passenden Personen in den Anteilen ausgewählt, die auch den Anteilen in der Gesamtbevölkerung entsprechen. Nur die so ausgewählten Menschen können dann an der Umfrage teilnehmen.

YouGov argumentiert, dass durch diese Methode ein repräsentatives Abbild der tatsächlichen Wählerschaft geschaffen wird. Fehleranfälligkeiten gibt es bei dieser Methode jedoch trotzdem. Denn es bleibt dabei, dass sich die im Panel verfügbaren Teilnehmer nach wie vor durch Selbstselektion rekrutiert haben. Außerdem werden die Befragten für die Teilnahme vergütet. Hier besteht  das Problem, dass Menschen, die eher auf finanzielle Anreize anspringen, sich wahrscheinlicher in die Umfragen selektieren, als Menschen, die dies nicht tun (aka „Professionelle Befragte“). Zudem besteht hier die Gefahr, dass jene, die sich aus monetärem Eigeninteresse anmelden, eher falsche Angaben machen, um an mehr Umfragen teilnehmen und somit mehr Geld verdienen zu können.

Ein anderes Problem ist, dass nicht klar ist, inwieweit sich Menschen, die kein Internet nutzen, in ihren Merkmalen von jenen unterscheiden, die es nutzen. Auch hier könnte diese Gruppe dann systematisch in der Stichprobe unterrepräsentiert sein. Quotierung und Gewichtungen können dem zwar teilweise entgegenwirken, ob die Daten dadurch jedoch repräsentativ sind, bleibt weiterhin ein methodischer Streitpunkt.

Auch zufallsbasierte Erhebungsmethoden haben Probleme

Die vorherrschende Meinung ist, dass nur Zufallsstichproben repräsentativ sind. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle darauf basierenden Methoden nicht fehleranfällig oder automatisch repräsentativ sind. Telefonumfragen leiden immer mehr unter dem Problem, dass junge und berufstätige Menschen systematisch unter erfasst sind. Bisher lassen sich diese Ausfälle noch durch Gewichtungen und Erfahrungswerte korrigieren. Sie stellen aber für die Zukunft der Meinungsforschung eine wachsende Herausforderung dar. Das heißt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Erhebungsmethode nicht mehr repräsentativ sein wird.

Die zufallsbasierten Erhebungsmethoden haben außerdem das Problem, dass sie Wähler:innen rechter Parteien bisher unterschätzen. Ein Grund hierfür könnten Effekte der soziale Erwünschtheit sein. Also die Tatsache, dass die Wahl rechtsextremer Parteien einen gesellschaftlichen Tabubruch darstellt und Befragte deshalb ihre Wahlabsicht nicht wahrheitsgemäß angeben. Auffällig ist, dass die Prognosen in den neuen Bundesländern meist präziser ausfallen, als in den alten. Dies könnte daran liegen, dass eine AfD-Wahl im Osten eher als etwas „Normales“ angesehen wird und deshalb die dort lebenden Personen wahrheitsgetreue Angaben machen.

Ein weiterer Grund für die Untererfassung der AfD-Wähler:innen könnte sein, dass Menschen mit extremen Einstellungen dazu neigen, die Teilnahme an Umfragen zu verweigern. Hinzu kommt, dass viele AfD-Wähler:innen eine Anti-Establishment-Haltung haben, die sich auch gegen die Meinungsforschung wendet. Forsa-Chef Manfred Güllner erklärt, dass die traditionellen Institute von diesen Wähler:innen als Teil einer „Manipulationsmaschine“ von Medien und Politik wahrgenommen würden und deshalb ihre Teilnahme an Umfragen verweigerten.

AfD schneidet in Onlinebefragungen insgesamt besser ab

In den nicht-zufallsbasierten Befragungen von Civey, YouGov und Insa schneidet die AfD im Vergleich zu anderen Befragungsformen jedoch überdurchschnittlich gut ab. In der aktuellen Sonntagsfrage zur Bundestagswahl ist die AfD-Wahlabsicht bei Insa derzeit am höchsten. Während die anderen Institute sie zwischen 17-20 % einordnen, liegt sie bei Insa bei 21,5 % und bei YouGov bei 21 %.

Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass sich AfD-Wähler:innen verstärkt in die Online-Panel hineinselektieren, während sie die Teilnahme an anderen Umfragemethoden verweigern. Die Gründe hierfür könnten in der Anonymität und den geringen Hürden an der Teilnahme liegen. Einerseits fällt dabei die soziale Erwünschtheit geringer aus, sodass potenzielle AfD-Wähler:innen eher ihre wahre Wahlabsicht angeben. Andererseits könnte es sein, dass sich AfD-Wähler mit höherem Mitteilungsbedürfnis gezielt für Online-Panel registrieren, um ihre politische Frustration sichtbar zu machen.

Einflüsse der Sonntagsfrage auf das Wahlverhalten?

Nicht zuletzt darf nicht vergessen werden, dass es sich bei Sonntagsfragen um Stimmungsbilder und nicht um Prognosen handelt. Sie können nicht erfassen, ob sich Menschen nicht doch kurz vor der Wahl umentscheiden. Ebenso muss mitbedacht werden, dass sich vor der Wahl veröffentlichte Sonntagsfragen auf das Wahlverhalten auswirken können.

Ein oftmals diskutiertes Argument der Beeinflussung der Wähler:innen durch Sonntagsfragen ist der Mitläufereffekt. Demnach nach könnten Sonntagsfragen Menschen dazu bewegen, jene Partei zu wählen, von der ohnehin erwartet wird, dass sie gewinnt. So wird aus einer Sonntagsumfrage dann eine selbsterfüllende Prophezeiung. Dies ist auch in die gegenteilige Richtung möglich, und zwar beim underdog-Effekt (Mitleidseffekt). Hier wählen Menschen jene Parteien, die in Umfragen schlecht abschneiden. Die Studienlage zu diesen Effekten in Deutschland ist allerdings widersprüchlich, sodass nicht genau gesagt werden kann, wie stark und ob überhaupt Mitläufer- und Underdog-Effekte tatsächlich wirken.

Trotzdem können Sonntagsfragen Auswirkungen auf das Wahlverhalten haben. Insbesondere, wenn die Ergebnisse große mediale Aufmerksamkeit erhalten. So ist es möglich, dass Menschen infolge der Ergebnisse einer Sonntagsfrage ihre Stimme nicht an die präferierte Partei geben und stattdessen strategisch wählen. Das heißt, sie geben einer anderen Partei ihre Stimme, um bestimmte Konstellationen (Leihstimmeneffekt) oder Parteien (Fallbeileffekt) zu verhindern oder zu ermöglichen.

Das Kopf-an-Kopf-Rennen, was keines war

Ein Beispiel hierfür ist die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021. Die CDU erreichte in den Umfragen je nach Institut Werte um die 25 bis 27 %. Während die AfD jedoch bei Infratest oder Forschungsgruppe Wahlen bei 23 bis 24 % lag, erreichte sie bei Insa 27 % und bei Civey 28 %. Dies führte dazu, dass sich die mediale Berichterstattung v.a. auf letztere Institute konzentrierte und ein Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und AfD inszenierten.

Letztlich lagen am Wahltag dann 16 Prozentpunkte zwischen den Parteien: die AfD erreichte 20,8 % und die CDU 37,1 %. Dies lässt sich laut Experten darauf zurückführen, dass die zuvor veröffentlichten Ergebnisse und das Framing des Kopf-an-Kopf-Rennens die Wählerschaft beeinflussten. Der Politologe Christian Stecker fasst zusammen:

„In dem Moment, in dem es darum ging, die AfD nicht zur stärksten Kraft zu machen, haben sich einige entschieden, strategisch zu wählen. Und dadurch sind der CDU noch Wählerinnen und Wähler zugeflossen.“ Forsa-Chef Güllner hält fest: „Ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab es nie.“

Hier muss die Rolle der Medien kritisch reflektiert werden. Sich den höchsten Umfragewert herauszupicken, weil dies eine klickreiche Schlagzeile garantiert, ist aus ökonomischer Sicht zwar nachvollziehbar. Dennoch sollten innerhalb der Artikel trotzdem Differenzierungen stattfinden, die den Leser:innen klarmachen, mit welchen Daten das Ergebnis zustande kam und wie dies zu bewerten ist. Meinungsforscher warnen davor, ihre Daten zu überinterpretieren und die Fehlermargen nicht aus dem Blick zu verlieren. Stattdessen werden jedoch Ergebnisse der Umfragenforschung von Journalist:innen häufig unkritisch und ohne Einordnung einfach übernommen. Dies kann Menschen ein falsches Bild davon ermitteln, was Umfragen leisten können und wie die aktuelle politische Lage tatsächlich zu bewerten ist.

Insbesondere dann, wenn die Werte, die zu einer Schlagzeile gemacht werden, von Instituten kommen, bei der sich die Wissenschaft noch immer nicht einig ist, wie repräsentativ sie letztlich sind. Hinzu kommt, dass insbesondere Insa nachgesagt wird, kein unabhängiges Institut zu sein. Doch sehen wir uns dies einmal genauer an.

Insa: Methodische Fehler und Geschäfte mit der AfD

Insa arbeitet mit durch YouGov und anderen Online-Marktforschungsinstituten erhobenen Rohdaten. Diese werden um eigene Telefon-, Online- oder Face-to-Face-Befragungen ergänzt. Forsa-Chef Güllner kritisiert, dass nicht klar wird, wann mit welchen Online-Daten gearbeitet wird.

Insa wurden in der Vergangenheit außerdem methodische Fehler vorgeworfen. Zum Beispiel, dass in einem Fragebogen die AfD zweimal als Antwortmöglichkeit angegeben war und in einer anderen Frage das Wort „alternativ“ verwendet wurde. Dies ist insofern bedenklich, als hier Framing-Effekte wirken könnten, welche die Beantwortung zugunsten der AfD beeinflussen. Insa hat die Fragebögen daraufhin entsprechend überarbeitet. Solche Fehler sind nicht zwingend ein Beweis für Manipulation und passieren auch anderen Forschungsinstituten. Für ein Institut, dem jedoch eine besondere Nähe zur AfD nachgesagt wird, fällt ein solcher Fehler allerdings schwerer ins Gewicht.

Insa: Faschist Höcke beraten

So ist Insa-Chef Binkert bereits dadurch aufgefallen, dass er in den Anfängen der AfD auf Eigenintiative dem damaligen Parteivorsitzenden Bernd Lucke eine E-Mail schickte. In dieser schlug er die Gründung eines Beraterkreises für seine künftige Fraktion vor. In einem taz-Interview sagte Binkert, er wollte Lucke Vorschläge machen, wie er mehr Parteimitglieder werben könne. Denn Insa macht nicht nur Meinungsforschung, sondern auch Beratung. Und in seiner Beratungsfunktion hat Insa* bereits Reden für die AfD geschrieben, sowie ein „Arbeitsprogramm“ und Pressemitteilungen. Dabei wurde über Monate hinweg die rechtsextreme Thüringer AfD-Landtagsfraktion und ihr Vorsitzender, der Faschist Björn Höcke beraten.

In dem im Jahr 2014 erstellten Arbeitsplan der Thüringer AfD-Fraktion findet sich ein Vermerk über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit: Insa (ehem. DO) sei „mehreren Vorstandsmitgliedern persönlich und für seine guten Leistungen im politischen Raum auch allgemein bekannt“. Abschließend heißt es: „Die Beratung der Fraktion, insbesondere zur Erstellung eines Arbeitsprogrammes, wird auf der Grundlage eines Angebots zu einem monatlichen Pauschalpreis von 7000 Euro vergeben.

Als Berater der AfD hat Insa folglich ein mögliches monetäres Interesse an hohen Umfragewerten für die Partei.

*Damals noch unter dem Namen DO Dienstleistungsoffice; ab 2017 Insa Field GmbH, 2023 erfolgte Verschmelzung zwischen Insa Field und Insa Consulere.

Insa-Chef hat Kontakte in die rechte Szene

Insa arbeitet jedoch nicht nur mit der AfD zusammen. Als Referenzen sind auf ihrer Homepage u. a. SPD, die Junge Union, Bild, die Linke oder RWE aufgeführt. Die AfD fehlt in dieser Auflistung allerdings. Dies interessant, wenn man bedenkt, dass Insa von Jörg Meuthen (ehem. AfD) als eine Art „Hausinstitut“ der AfD beschrieben wurde. Insa bezeichnet sich selbst als überparteilich.

Die politische Ausrichtung des Insa-Chefs Binkert deutet hingegen an, dass er mindestens Sympathie für die AfD hegt. Einerseits veröffentlichte er zwischen 2013 und 2015 Meinungsbeiträge, in welchen er die guten Umfragewerte der AfD als „einen neuen demokratischen Aufbruch“ betitelte. Auch heißt es: „Versuche, die AfD mit dem rechten Rand in Verbindung zu bringen, scheitern offensichtlich an der gegenteiligen Einschätzung der Bürger.“ Andererseits spendeten im Jahr 2013 Binkert und seine Ehefrau 3.300 Euro an die AfD. Kurze Zeit später ging eine weitere Spende bei der AfD ein: diesmal von Insa in Höhe von 2.000 Euro. Anschließend spendete Ende 2013 eine leitende Mitarbeiterin von Insa einen Betrag von 1.700 Euro an die AfD. Damit erhielt die AfD innerhalb von 3 Monaten 7.000 Euro Spenden rund um das Insa-Netzwerk.

Wie rechtsradikal geht es bei Insa zu?

Wie die „Zeit“ aufdeckte, verbreitete die zuvor erwähnte leitende Insa-Mitarbeiterin außerdem wiederholt pro-AfD Inhalte in den sozialen Medien. 2017 teilte sie ein Video von Alice Weidel mit dem Betreff „Merkel-Regierung stürzt Deutschland immer weiter ins Chaos!“ Zudem teilte sie einen Beitrag mit dem Titel „So zerstören die Medien unsere Demokratie!“ und einen Beitrag der Facebook Seite „Grüne! Nein danke“, die u. a. Hetze gegen Politiker:innen betreibt.

Insa-Chef Binkert hat außerdem Kontakte ins Netzwerk der Neuen Rechten. So war er 2018 als einer der Hauptredner für die neurechte Zeitung Junge Freiheit tätig. Dort hielt er einen Vortrag über „Meinungsforschung in postfaktischer Zeit“. Auch Insa selbst ist mit der Jungen Freiheit geschäftlich verbunden und hat eine Leserbefragung für sie durchgeführt.

Binkert nahm 2017 außerdem an einer Veranstaltung des rechtspopulistischen Onlinemagazins Deutschland-Kurier teil. David Bendels ist Chefredakteur und Inhaber des Magazins. Im Oktober 2018, kurz vor der Landtagswahl in Bayern, arbeitete Insa für Bendels: Dieser teilte auf Twitter eine „exklusive Insa-Umfrage“ für den Deutschland-Kurier.

AfD-Nah, aber kein Nachweis für Datenmanipulation

Insa hat eine nachweisliche Nähe zum rechten Netzwerk und der AfD. Durch ihre Beratertätigkeiten profitieren sie auch finanziell davon, wenn die AfD in Umfragen hohe Werte erzielt. Da Insa gleichzeitig ein Meinungsforschungsinstitut ist, welches sodann die Ergebnisse der Beratertätigkeiten gleich mit feststellt, hat dies einen gewissen Beigeschmack.

Allerdings gibt es bisher keine Beweise dafür, dass Insa ihre Daten manipuliert, um die AfD beliebter zu machen, als sie tatsächlich ist. In einigen Insa-Umfragen wurde die AfD z.B. auch unterschätzt. Es scheint plausibel, dass sich sowohl wegen des Selbstselektionsproblems von Onlineumfragen, als auch dem Misstrauen gegenüber klassischen Forschungsinstituten, AfD-Wähler einerseits stärker in die Online-Panels selektieren und andererseits ehrlichere Antworten geben. Plausibel wäre auch, dass sich Insa-Chef Binkert und Insa gezielt der rechten Szene anbiedern, um zu ihr das Vertrauen aufzubauen, das den anderen Forschungsinstituten fehlt. Das mag kritikwürdig sein, ist aber ein Pluspunkt für die Robustheit der Umfragen.

Auch wenn Insa sich als überparteilich versteht, scheint eine Nähe zur AfD gegeben zu sein. Inwieweit sie das Erstarken der Partei selbst mitgestaltet, wird an den Beratungsaufträgen klar. Als Beratungsfirma ist dies auch völlig legitim. Es sollte trotzdem klar sein, dass Beratung eben auch Meinungsmache ist. Insa hat folglich in mehreren Fällen Meinungsmache für eine mindestens in Teilen rechtsextremistischen Partei betrieben und damit Geld verdient. Aus Unternehmersicht nachvollziehbar. Aus einer ethischen Sicht mindestens hinterfragbar. Die Qualität der Umfragen scheint aber dadurch nicht weniger unseriös zu sein als die der anderen Meinungsforschungsinstitute. Umfragen sind eben nicht die absolute Wahrheit, wie oft von einigen Medien dargestellt.

Korrekturhinweis: in einer früheren Version befand sich in der Tabelle zu den Bundestagswahlprognosen eine falsche Zahl. In dieser Version hieß es, INSA ermittelte für 2021 einen Umfragewert von 12 % für die AfD. Tatsächlich waren es jedoch 11 %.

Artikelbild: canva.com