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Neue Studie widerlegt die Argumente gegen ein Tempolimit

von | Jun 16, 2023 | Analyse

Deutschland ist das einzige Land in der EU, in dem es immer noch keine durchgehende Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gibt – beinahe sogar weltweit. Angeblich würden wir mit Tempolimit zu viele Minuten und damit wertvolle Arbeitszeit verschenken. Aber ist das wirklich so? Genau das haben internationale Forscher:innen in einer neuen Studie geprüft und festgestellt: 130 km/h auf deutschen Autobahnen würde viel mehr Vor- als Nachteile mit sich bringen.

NOT LIKE OTHER COUNTRIES

Schweden, Frankreich, Spanien – das sind nur ein paar der ganzen Länder, die uns einen Schritt voraus sind: Im Gegenteil, auf so gut wie jedem Land der Welt gibt es ein Tempolimit auf Autobahnen schon. Nur nicht in Ländern wie Afghanistan, Bhutan, Burundi, Haiti und Mauretanien. Und Deutschland. Nur für die Politiker:innen hierzulande scheint dieses Vorgehen nicht infrage zu kommen. Und das, obwohl die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sich genau das laut mehrerer Umfragen wünscht!

Die Ergebnisse verschiedener repräsentativer Umfragen zu einem Tempolimit von
130 km/h auf deutschen Autobahnen

Begründet wurde die Entscheidung gegen die 130 km/h mit angeblich zu hohen Kosten durch Zeitverlust auf dem Weg zur Arbeit. Daneben gäbe es laut dem Verband der Automobilindustrie nur geringe Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und dementsprechend auf die Umwelt. Dies habe auch das Kieler Weltwirtschaftsinstitut Berechnungen zufolge bestätigt. Dass das insgesamt betrachtet aber eher nicht der Fall ist, hat jetzt noch eine Studie gezeigt.

LÄNGER STATT SCHNELLER

Tatsächlich führen höhere Geschwindigkeiten viel eher zu längeren Strecken als zu einer kürzeren Fahrtzeit. Das liegt daran, dass die meisten Leute ein konstantes Zeitbudget für ihre Fahrt haben. So investieren sie offensichtlich auch die eigentlich eingesparte Zeit wieder in Mobilität, wie die Zahlen zeigen. Und die dadurch längeren Strecken sind vor allem eins: teuer, und zwar in jeder Hinsicht.

Gerade das Verhalten Einzelner kann sich da negativ auswirken. Schnell fahren bedeutet nämlich auch, dass die Straßen viel schneller an ihre Kapazitäten stoßen und saniert werden müssen. Anstrengend genug, dass durch die Baustelle der Verkehr ordentlich ins Stocken gerät. Auf eigentlich freien Strecken tragen Raser:innen aber noch zusätzlich dazu bei, den Verkehr aufzuhalten. Ein Tempolimit könnte dem entgegen wirken.

Ein typisches Phänomen sind z.B. die immer öfter auftauchenden „Phantomstaus“, die vor allem durch zu dichtes Auffahren durch Raserei entstehen, zeigen Studien. Laut einer weiteren Studie in den Niederlanden ist ungefähr jeder fünfte Stau einer, den wir auch hätten vermeiden können. Ein Stau führt also nicht nur zu Zeitverlusten, sondern auch zu mehr Kosten, weil wir durch den Stop and Go-Betrieb mehr Kraftstoff verbrauchen, sagt wieder eine andere Studie. In einem stoßen wir außerdem mehr Emissionen aus als nötig.

FOLGEN FÜR deine GESUNDHEIT

Das sind zum Großteil Kohlenmonoxid, Feinstaub und Ozon. All diese Abgase haben nicht nur negative Auswirkungen auf das Klima, sondern leider auch auf unsere Gesundheit. Insbesondere für die Lunge kann es hier zu langfristigen Problemen kommen, die beispielsweise an Asthma, anderen Herz-Lungen-Erkrankungen oder gar Lungenkrebs erkrankte Betroffene oft mit dem Tod bezahlen müssen.

Forscher:innen schätzen, dass rund 6 % der Gesamtsterblichkeit in Europa auf Luftverschmutzung zurückzuführen ist – immerhin die Hälfte davon kommt vom motorisierten Straßenverkehr. Laut der Europäischen Umweltagentur sterben jedes Jahr um die 1200 Kinder und Jugendliche an den Folgen schlechter Luft. Dazu kommt der Stress auf schnellen, lärmenden Straßen, unter dem viele Fahrer:innen und Mitfahrende leiden. Diese Nervosität kann Schlafstörungen auslösen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen und im schlimmsten Fall sogar zu Diabetes führen.

ES KÖNNTE SO EINFACH SEIN

All das könnten man mit einem Tempolimit stark eindämmen, zeigt die Studie. Denn das würde dafür sorgen, dass es weniger stockenden Verkehr auf den Autobahnen gäbe – wodurch wir uns mindestens 4,9 % der aktuellen Emissionen sparen könnten laut Studie. Laut Umweltbundesamt hätte ein Tempolimit von 130 km/h bei 39,1 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalenten im Jahr 2018 die Gesamtzahl immerhin um fast 2 Mio. Tonnen reduzieren können.

Zusätzlich müssten Fahrzeuge nicht mehr für so hohe Geschwindigkeiten konzipiert und stattdessen für niedrigere Leistungen optimiert werden. Das hätte zur Folge, dass der Kraftstoffverbrauch sänke, genau wie die Emissionen vom Fahrzeug selbst. Aber auch die indirekte Abgabe durch die kürzere Versorgungskette würde schrumpfen: Kleine Teile beispielsweise sind leichter und dementsprechend mit weniger Fahrzeugen zu transportieren.

FAST 1 MILLIARDE GEWINN DURCH TEMPOLIMIT

Kommen wir jetzt aber nochmal zu ein paar Zahlen, die das alles greifbarer machen. Die Studie kommt einerseits zu dem Ergebnis, dass wir wirtschaftliche Einbußen durch Zeitverlust machen würden – ganze 1052,6 Mio. Euro. Diese Kosten würden aber durch alle positiven Faktoren wieder aufgewertet werden.

Die Kraftstoffausgaben würde günstiger werden, es gäbe viel weniger Unfälle und weniger Emissionen, kürzere Lieferketten und zusätzlich würden Sanierungen und Co. im Straßenverkehr viel seltener notwendig. Alle Vorteile zusammengerechnet ergäbe sich da ein Gewinn von 2003,7 Mio. Euro. Am Ende würden wir die Kosten also nicht nur wieder reinholen, sondern obendrauf noch Gewinne machen: von 951,1 Mio. Euro.

Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse der Forscher:innen

FDP UND AUTOLOBBY HALTEN DAGEGEN

Umso verwunderlicher, dass die Bundesregierung bei dieser klaren Faktenlage immer noch diskutiert und nicht auf einen Nenner kommt. Dagegen hält vor allem die FDP, obwohl gerade die durchgeführte Laufzeitverlängerung der AKWs letzten Sommer noch mit dem Kampf für das Klima begründete. Jedes eingesparte Gramm zähle – aber wie es scheint, gilt nicht für unsere Autobahnen.

Und auch die Autolobby selbst leistet aktiv einen Beitrag dazu, Tempolimits zu verhindern, vor allem mit einer unlogischen Argumentführung. Bei diesen machen die Gegner:innen von Tempolimits es sich einfach, indem sie eventuelle Vorteile einfach auslassen oder die Faktenlage teils umrunden, teils gezielt ignorieren. Begründungen wie ein Tempolimit habe keinen Effekt auf Lärm oder das Verhindern von Staus sind halt einfach nicht haltbar.

Was auch gerne gemacht wird, wenn man keine validen Argumente hat: Einfach auf ein anderes Thema verweisen, mit Worten wie „Die meisten Straßen in Deutschland haben schon ein Tempolimit“. Ja, das ist richtig, wenn man von Autobahnen absieht. Es geht ja auch nur um Autobahnen – ein Strohmann-Argument.

FAZIT

Fakt ist: Ein Tempolimit hätte positive Auswirkungen auf unsere Wirtschaft, die Gesundheit – insbesondere betroffener Verkehrsteilnehmer:innen – und das Klima. Die Mehrheit der Deutschen ist sogar dafür. Reichen 130 km/h auf deutschen Autobahnen, um den Klimawandel aufzuhalten? Natürlich nicht. Aber es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Eine einfach umzusetende Maßnahme, extrem viel einfacher als eine AKW-Verlängerung, die aus genau diesem Grund von vielen Gegnern des Tempolimits genau aus diesem Grund gefordert wird (ein Grund, den auch wir dafür anrechneten). Jede eingesparte Tonne Emissionen ist es wert, mal auf die Bremse zu treten.

Artikelbild: canva.com