Claudia Pechstein verkündete auf dem CDU-Parteikonvent in Berlin das, was sie dem Publikum als die wahren Probleme der Gegenwart ans Herz legte, die die Deutschen plagen und in Angst versetzen würden: Das „Gendersternchen“ zum Beispiel, und dass man nicht mehr „Z*******schnitzel“ sagen dürfe. Und erst die Kinder! Die würden besonders leiden, wusste Pechstein mitzuteilen, denn die würden eigentlich eine „traditionelle Familie“ bevorzugen, sie wollten „Mama und Papa“. Außerdem hatte sie rechte Plattitüden zu illegalen Einwanderern, Abschiebung und „öffentlich-rechtlichen Verkehrsmitteln“, in denen brave Bürger sich ängstlich an Haltestangen klammern müssten, zu bieten – ob die letzte Stilblüte wohl einer Streichung eines Anti-ÖRR Absatzes in letzter Minute zu verdanken ist, oder ein Freud’scher Versprecher war, darüber kann nur gemutmaßt werden.
Es ist nicht überraschend, dass die ehemalige Eisschnellläuferin sich als Rechtspopulistin präsentiert, hatte sie doch schon in der Vergangenheit ihr rechts-außen Gedankengut zu erkennen gegeben. In einem früheren Interview hatte sie beklagt, dass Sportler „Bürger zweiter Klasse“ seien und „jeder Flüchtling“ mehr Rechtsschutz genieße als sie. In der letzten Bundestagswahl trat Pechstein, die laut eigenen Angaben kein CDU-Mitglied ist, für die Union in Treptow-Köpenick an. Pechstein verlor – aber in der Union wird sie jetzt von vielen für ihre rechte Rede in Berlin gefeiert.
Identitätspolitik sind immer die anderen
Es wird immer deutlicher, dass ein Teil des Führungspersonals in der CDU/CSU sich auf einen neuen Themenschwerpunkt einschwören: den sogenannten „Kulturkampf“ – ein Begriff, der von dem amerikanischen Politikwissenschaftler James Davison Hunter in den 1990er Jahren geprägt wurde.
Zum einem solchen „Kulturkampf“ hatte die Union erst kürzlich der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn in einem Interview mit der WELT ermutigt. Es ist ein weiteres Warnzeichen einer Union, die immer offener Rechtsaußen und teils rechtsextreme Narrative bedient. Denn es geht, im Kern, beim „Kulturkampf“ um die Frage, wer „dazugehört“ – wer ist ein „echter Amerikaner“, ein „echter Deutscher“. Staatsbürgerschaft reicht nicht mehr aus, um als Bürger des Landes zu gelten, um wirklich zum „Volk“ zu gehören, um schützenswert zu sein, um die Rechte zu haben, die ein deutscher, ein amerikanischer Staatsbürger hat.
Das ist keine Hyperbolik – Jens Spahn verkündete auf Twitter, die Ampel „gefährde“ unter anderem mit ihrer Staatsbürgerschaftsreform den „gesellschaftlichen Frieden“ – ein nativistisches Framing, das impliziert, dass die Sicherheit und „Frieden“ der Gesellschaft durch das Erlauben der Doppelstaatlichkeit ins Wanken gerate. Als weitere, den „Frieden“ „gefährdende“ Themen der Ampel nannte Spahn den „Paragraphen 218“ und „Identitätspolitik“. Ähnliches sagte er auch in einem Interview mit der WELT. „Identitätspolitik“, das sind immer die anderen – dabei ist jede Politik „Identitätspolitik“, nämlich für die entsprechende Zielwählerschaft der jeweiligen Partei.
Das rechte “Normal”
Aber was hier geschieht, ist gefährlicher als die Einführung eines weiteren, rechten Buzzwords: Denn durch das Framing der Inklusion von marginalisierten Gruppen, der Verteidigung des Rechts auf Entscheidung über den eigenen Körper von Schwangeren, auf eine modernere, progressivere Definition von nationaler Zugehörigkeit, werden diese Dinge als gefährlich dargestellt, weil sie von der als „neutral“ dargestellten und empfundenen „Norm“ abweichen.
Nicht umsonst war der Slogan der AfD in der Bundestagswahl 2021 „Deutschland – aber normal“. Diese angebliche Norm beinhaltet eine perfide Brutalität: Denn „normal“, das bedeutet in diesem Zusammenhang: Weiße oder Weiß gelesene, cis, heterosexuelle Menschen, die in Deutschland geboren und idealerweise christlich sind, die patriarchale Strukturen und Rollenbilder stützen. Es bedeutet im Umkehrschluss: Ausgrenzung und stärkere Marginalisierung für alle, die nicht diesen engen Kategorien entsprechen – während, eine militante, rassistische, queer- und frauenfeindliche „Normalität“ als schützenswert dargestellt wird.
Pechstein übernimmt in ihrer Behauptung, „Kinder“ wollten eine „traditionelle Familie“ mit „Mama und Papa“ LGBTQ-feindliche Framings der amerikanischen religiösen Rechten, die schon seit Jahrzehnten „Familie“ und „Familienwerte“ als Dog Whistles für die heterosexuelle, cis Kernfamilie aus verheiratetem, christlichen Ehepaar samt Kindern. Wer nicht „normal“ ist, ist abartig – und wird schnell zum „Feind im Inneren“, und somit noch mehr zur Zielscheibe für Hass und Gewalt.
Unionsmitglieder blasen nicht erst seit dieser Woche zum Kulturkampf. Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder ist schon lange in erster Reihe mit dabei, rechtes Verschwörungsgeraune für den konservativen Mainstream salonfähig zu machen. Auf einer Konferenz der rechten Denkfabrik R21 behauptete sie, eine kleine Gruppe wolle der deutschen Bevölkerung „Wokeismus“ aufzwingen: „Die, die so ticken, das ist eine Minderheit. Aber die sind im Besitz der kulturellen Produktionsmittel, in den Medien, in den Unis, in den NGOs.“
Reaktionärer Kulturkampf
Auch Jens Spahn unkte der bei der WELT, eine „großstädtischgeprägte Elite“ würde die „Lebensentwürfe“ von „Millionen Menschen“ infrage stellen und entwerten. Und vereinte so anti-Intellektualismus, LGBTQ-feindliche Ressentiments und verschwörungsideologische, antisemitisch gefärbte Dog Whistles zu einem unappetitlichen, rechtsreaktionären Kompott. Spahn stellte dabei den aggressiven rechten „Kulturkampf“ von CDU/CSU als defensive Reaktion dar – ein Klassiker von Kräften des radikalisierten Konservatismus, um den politischen Gegner als undemokratisch und gefährlich zu framen, und sich selbst als bloße Verteidiger eine angeblichen schweigenden Mehrheit, anstatt als bewusste Ausgrenzung von marginalisierten Personen und als Angriff auf ihre Rechte.
Pechsteins Auftritt scheint Teil des Vorhabens innerhalb der CDU zu sein, vor allem in Ostdeutschland AfD-Wähler abzuwerben, indem man nicht nur nach rechts blinkt, sondern einfach hart rechst abbiegt. Pechstein wurde im damaligen Ost-Berlin geboren und ist so etwas wie eine ostdeutsche Sport-Heldin – nicht umsonst wird sie dort liebevoll „unsere Pechi“ genannt. Die Signalwirkung, wenn jemand wie Pechstein als reaktionäre Galionsfigur auf einem Grundsatzkonvent der CDU auftritt, ist verheerend.
Auch Spahn griff jüngst in einem WELT Interview tief in die reaktionäre Mottenkiste, und appellierte direkt an „Ostdeutsche“: „Die Ampel stellt die Lebensentwürfe von zig Millionen Menschen infrage. Das ähnelt dem, was viele Ostdeutsche mir berichtet haben, wie sie sich nach der Wende fühlten.“
Dienstrechtliche Prüfung gegen Pechstein eingeleitet
Dass Pechstein die Rede in ihrer Polizeiuniform gehalten hat, ist nur das Krönchen auf der reaktionären Torte. Denn eigentlich heißt es im Beamtengesetz: „Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.“ Claudia Pechstein verteidigte nach der Kritik ihren Auftritt und sagte, sie „würde die Uniform wieder tragen.“
Das Bundespolizeipräsidium hingegen hat laut dem SPIEGEL „unverzüglich eine dienstrechtliche Prüfung eingeleitet“. Auf Tagesspiegel-Nachfrage äußerte sich der Sprecher der Bundespolizei, dass auf politischen Veranstaltungen keine Dienstkleidung getragen werden dürfe, wollte sich aber zu möglichen Konsequenzen für Pechstein nicht äußern.
Merz lobt den rechten Pechstein-Auftritt
Der doppelte, rassistische Standard in der Reaktion einiger CDU Politiker wird auch hier deutlich: Bahar Aslan, ehemals Dozentin an einer Polizeihochschule, hatte Rassismus innerhalb der Polizei vor dem Hintergrund ihrer eigenen Rassismus-Erfahrungen scharf kritisiert. Sie verlor ihren Job und wurde massivst angefeindet. Sie war keine Polizistin, sondern lehrte lediglich an einer ihrer Hochschulen.
Pechstein, eine Weiße Frau, trägt bewusst auf einer CDU-Konferenz Uniform und verbreitet und verteidigt dort rechtspopulistische und rassistische Thesen. Statt Konsequenzen gibt es aus der CDU Applaus, allen voran vom Parteivorsitzenden Friedrich Merz: Der lobt im ZDF bei „berlin direkt“ den „brillanten Auftritt“. Der offensichtliche Verstoß gegen das Beamtengesetz war Merz wumpe: “Ehrlich gesagt, das interessiert mich wirklich, das Äußere interessiert mich nicht”, so Merz. “Claudia Pechstein hat wie viele andere, die auch da waren, uns was zu sagen und darauf haben wir geachtet und da haben wir zugehört.”
Man kann noch nicht einmal wirklich sagen, dass Pechstein Merz die Show gestohlen hat – eigentlich sollte es bei der Konferenz ja um das neue Grundsatzprogramm der CDU gehen. Medienberichte kreisen zwar um Pechstein, aber das Merz’sche Lob für die plumpe, rechte Propaganda, lässt auch inhaltlich für die Union Schlimmes ahnen: Merz lobte besonders den „Inhalt“ von Pechsteins reaktionärer rechts-außen Rede. “Der war wirklich interessant und der hat uns auch ein Stück motiviert, in diese Richtung weiterzuarbeiten.” Pechsteins stockend vorgelesene Rede strotzte nur so vor rechts-außen Propaganda. Wenn Merz solche Positionen als „brillant“ und inspirierend lobt, dann sieht es für den Kurs der CDU/CSU in den nächsten Jahren sehr düster aus.
Artikelbild: Michael Kappeler/dpa