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Faktencheck: Die größten Lügen von Populist Boris Johnson als Premierminister

von | Jan 5, 2022 | Analyse

So eiskalt täuscht der britische Premier die Bevölkerung

Boris Johnson ist vermutlich der erfolgreichste Populist in Westeuropa. Mit seinen Lügen, Fake News und „kreativen Wahrheiten“ hat er eine entscheidende Rolle beim Brexit gespielt, es zum Außenminister und 2019 sogar bis ins höchste Amt des Vereinigten Königreichs, das des Premierministers, geschafft. Das ist insofern überraschend, als dass er mit seiner affektiven und ungestümen Art nicht gerade wie jemand wirkt, dem man in einer Zeit der Unsicherheit sein Vertrauen schenkt.

Doch die Lügen und die gesellschaftliche Spaltung, mit der Johnson Brexit-Agenda und Wahlkampf machte, scheinen zu verfangen. Vielleicht hofften die Menschen noch 2019, dass Johnson Verantwortung übernehmen würde, sobald er das höchste Amt des Landes bekäme. Vielleicht hofften sie auf eine Mäßigung und auf ernsthafte Veränderung in der Politik. Doch schon nach einem Jahr war klar: Populisten hören niemals auf Populisten zu sein (frei nach einem genialen deutschen Musiker).

Bereits im August 2020 hatte der Londoner Jurist Peter Stefanovic ein Faktencheck-Video aus Johnsons Premierminister-Lügen gemacht. Wir haben uns das natürlich angeschaut und für euch zusammengefasst.

Die eigene Leistung „grün lügen“

Im ersten Clip behauptet Johnson, das Vereinigte Königreich habe die CO2-Emissionen „seit 2010 auf 1990-Niveau um 42 % reduziert“. Dies sei eine „erstaunliche Leistung“, lobt Johnson sich selbst (und seine Vorgänger:innen aus der eigenen Partei, die zufällig seit 2010 regiert). Das klingt nicht nur total verdreht und verwirrend, es ist auch faktisch falsch. Tatsächlich sind die Emissionen seit 1990 um 39 % gesunken.

So wie Johnson es formuliert, ist es nicht nur eine Lobhudelei auf eine „eigene Leistung“, die es so nicht gibt. Es ist auch eine Art Sedativum für alle, nach dem Motto: „Wir haben ja schon richtig viel fürs Klima gemacht, da können wir es ja jetzt entspannter angehen.“ Das ist vielleicht wirkungsvoll, um die Sympathien von Wähler:innen zu erhaschen. Um den Klimawandel zu bekämpfen ist es jedoch ein totaler kommunikativer Schuss in den Ofen. Abgesehen davon, dass es einfach gelogen ist.

Erlogener Economy-Boom extreme

Johnson behauptet im nächsten Clip, die britische Wirtschaft sei unter „dieser konservativen Regierung“ (also seit 2010) um 73 % gewachsen. Das wäre ein sensationell hohes Wachstum – wäre es nicht wieder einfach falsch. Tatsächlich war das Wachstum der britischen Wirtschaft „nur“ 20 %, wenn man den Zeitraum zwischen 2010 und Covid betrachtet.

Die 73 % sind nicht komplett aus der Luft gegriffen. Sie beziehen sich allerdings auf den Zeitraum 1990-2019. Damit ist das Wachstum verhältnismäßig moderater. Außerdem war in 13 von diesen 30 Jahren ein Premierminister der sozialdemokratischen Labour Party im Amt. Das hätte wohl nicht so schön ins Narrativ gepasst.

Keine Stipendien für Pflege-Ausbildung

Auch hier geht Boris Johnson „kreativ“ mit der Wahrheit um: Er behauptet, es habe ein „Comeback der Student Nurses Bursaries“ gegeben, also Stipendien für auszubildende Pflegekräfte. Das war wiederum zu diesem Zeitpunkt gelogen. Einen besonderen Hauch Ironie hat das Ganze, da es solche Stipendien bereits einmal gab. Bis 2015, da wurden sie von der Regierung abgeschafft. Welche Partei war damals wohl an der Macht? Genau – Johnsons Tories.

Hier muss man Johnson aber immerhin zugestehen, dass sich die Situation mittlerweile geändert hat: Seine Regierung hat im September 2020 die Student Nurses Bursaries wieder eingeführt (Quelle). Falls das zu diesem Zeitpunkt schon in Planung war, hätte Johnson das ja durchaus einbringen dürfen. Aber so zu tun, als habe „irgendwer“ diese Stipendien gestrichen und die Konservativen würden sie heldenhaft zurückbringen, ist schlicht falsch. Ein bisschen Selbstkritik würde vielleicht ganz guttun.

Ausgedachte Armutszahlen

Der nächste Clip zeigt wiederum, dass Boris Johnson entweder nicht in der Lage ist, mit Statistiken umzugehen, oder bewusst lügt. Er behauptet, absolute und relative Armut seien „unter dieser Regierung“ gesunken. Die absolute Zahl ist allerdings gestiegen. Noch dreister wirkt seine Behauptung, dass 400.000 Familien der Armut entkommen seien. Dafür gibt es laut Stefanovic keinerlei Belege – anscheinend hat Johnson sich diese Zahl einfach spontan ausgedacht, um ein bisschen besser dazustehen.

Boris Johnson verleugnet Corona-Apps

Ein weiterer Videoausschnitt stammt aus einer Diskussion über Corona-Apps. Johnson behauptet dabei, es gäbe nirgendwo in der Welt solche Apps – dabei gab es bereits zahlreiche (z. B. auch in Deutschland). Wir erinnern uns sicherlich alle noch an die Diskussionen und Probleme, die es mit der CWA gab. Und zum Zeitpunkt der Diskussion (24. Juni 2020) war die App auch noch ziemlich neu. Aber es gab sie bereits und die Politik machte sich Gedanken darum, wie sie eingesetzt werden könnte. Ähnlich sah es in Frankreich aus (mit einer frühen Version der „TousAntiCovid“-App), oder in Island, Ungarn, Griechenland u. v. m.

Nun kann man darüber streiten, wie groß der Erfolg der Corona-Warn-App und vergleichbarer Apps war. Einfach leugnen, dass sie existieren, sollte man als Premierminister aber ganz bestimmt nicht. Auch nicht, wenn man vielleicht hofft, daraus politisches Kapital schlagen zu können.

Lüge über NHS-Investments wird zum Bumerang

Klar, während der Corona-Zeit ist es immer verlockend, sich damit brüsten zu können, viel Geld in den Gesundheitssektor investiert zu haben. Nur wäre es gut, wenn man dabei nicht weitere Lügen verbreiten würde. Ihr ahnt es – Boris Johnson tat genau das am 15. Juli 2020. Stolz behauptete er, seine Regierung habe Investitionen in Rekordhöhe für den NHS (National Health Service) locker gemacht. Das populistische Narrativ dahinter: „Wir sind die, die Geld für das Volk bereitstellen und das aufholen, was die bösen Volksfeinde der Labour Party versäumt haben“. Nur leider basiert auch das auf einer Lüge.

Tatsächlich hat die konservative Partei sogar WENIGER gemacht als ihre Rivalen von der Labour Party: Während Letztere in ihren Regierungsjahren im Schnitt jeweils 5,6 % mehr in das Gesundheitssystem investierte als im Vorjahr, kommen die Tories von Johnson und seinen Vorgänger:innen nur auf 1,3 % pro Jahr. Insgesamt sind sie damit sogar deutlich unter dem Schnitt von 4,1 % pro Jahr seit 1955 (jeweils inflationsbereinigt, Quelle). Auch diese Lüge wird also letztlich zum Bumerang, weil sie zeigt, dass es dem Gesundheitssystem unter der sozialdemokratischen Labour Party besser ging.

Fazit: Populisten hören niemals auf Populisten zu sein!

All diese Lügen und Zitat stammen nicht etwa aus wilden Jugendjahren oder politischer Opposition. Das alles hat Johnson rausgehauen, während er Premierminister war! Aber warum das alles?

Der Grund ist relativ simpel: Ab dem Moment, an dem Johnson tatsächlich das Amt des Premierministers innehatte, hatte er etwas zu verlieren, das für seinen Aufstieg elementar wichtig war: das Narrativ vom „Helden des kleinen Mannes“. Solange er kein hohes Amt hatte, konnte er viel fordern und lügen, um sein Ansehen beim „kleinen Mann“ zu erhöhen. Wenn er allerdings seriöse politische Arbeit machen würde, müsste er auch aufhören zu lügen. Worunter wiederum seine Beliebtheit leiden würde. Johnsons Lösung? Einfach weiter lügen.

Das ist allerdings ein gefährliches Spiel mit dem Feuer – und im Extremfall auch mit Menschenleben, wie wir während der Pandemie gesehen haben. Deswegen sollten wir endgültig Abschied nehmen von der Vorstellung, dass populistische Politiker:innen sich mäßigen würden, sobald man ihnen Macht gibt. Das hat in der Geschichte nicht geklappt und das klappt in der Gegenwart genauso wenig. Wenn Fehlinformationen zur Normalität werden, werden Faktenchecks zur Pflicht!

Artikelbild: TeddyandMia

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.