Überblick über Fakes über die Ukraine
Der mögliche Angriff von Putin auf die Ukraine ist in aller Munde. Schon Mitte Januar warnten die USA unter Berufung auf Geheimdienste, dass Putin „False Flag“ Operationen starten würde, um einen Einmarsch in die Ukraine zu rechtfertigen (Quelle). Nun sollte man US-Geheimdienstinfos auch unter demokratischen Präsidenten mit gesunder Skepsis begegnen, in diesem Fall scheinen sie aber (leider) recht zu haben, es werden leider wirklich jede Menge Falschmeldungen produziert, die als Rechtfertigung für Gewalt genutzt werden könnten.
Besonders überraschend ist das ganze auch nicht, so gingen Putins Militäraktionen in der Vergangenheit regelmäßig mit Falschinformationen einher. Beispielsweise wurde bei der zunächst verdeckten Invasion der Ostukraine 2014 eine Falschinformation über einen angeblich von ukrainischen Extremisten gekreuzigten Jungen in Umlauf gebracht (Faktencheck).
Die Falschmeldungen scheinen sich aktuell vor allem an die einheimische Bevölkerung zu richten. Diese ist nämlich nicht sonderlich überzeugt von der Notwendigkeit einer Invasion in der Ukraine, besonders nach den für Russland enorm tödlichen Corona-Wellen (Quelle).
"Russia don't touch Ukraine!" 6 people unfurled banners against invasion in downtown Moscow. Waiting police immediately arrested them pic.twitter.com/DsUYqYDnXP
— Alec Luhn (@ASLuhn) February 20, 2022
Wir berichten hier über diese Falschmeldungen aus zwei Gründen. Einmal, um sichtbar zu machen, mit welchen Methoden bestimmte Akteure hier arbeiten. Es muss eben einen Preis haben zu lügen. Zweitens, weil diese Fakes eine gute Möglichkeit sind, um zu zeigen, wie die Zivilgesellschaft sich gegen solche Lügen zur Wehr setzen kann.
Faktencheck: Angriff auf ukrainischen Kindergarten
Letzten Donnerstag kam es zu einem Beschuss eines Kindergartens in der Ukraine. Bilder, die jeden Menschen davon überzeugen dürften, dass Krieg keine gute Idee ist:
Scattered soccer balls and skipping ropes. The kindergarten in Stanitsya Luhanska that was hit by shelling today. Staff here say “a big tragedy” was avoided only because the children were evacuated a few minutes earlier… pic.twitter.com/9QPK5KOrMg
— Mark MacKinnon (@markmackinnon) February 17, 2022
Glücklicherweise starb niemand. Eine typische Taktik von Putins Desinformation ist die Verbreitung von verschiedenen Fake-Szenarien, um die Wahrheit unwahrscheinlicher wirken zu lassen. So verbreiteten Putin-treue Accounts stattdessen gleichzeitig, dass
- Der Kindergarten eigentlich in besetzten Gebieten stünde (Faktencheck).
- Ukrainische Kräfte ihren eigenen Kindergarten beschossen hätten (Fake, Fake) .
- Der Kindergarten gar nicht beschossen worden sei (Faktencheck).
Es ist ziemlich klar, dass die Erzählungen sich sogar gegenseitig widersprechen. Aber es ist hier auch nicht das Ziel, Menschen von einem bestimmten Szenario zu überzeugen, sondern lediglich, sie so weit zu verwirren, dass ein Angriff von Putins Verbündeten auf den Kindergarten plötzlich nur noch als eine Möglichkeit von vielen erscheint.
Bestätigt: Es war ein Kindergarten in der Ukraine
Verschiedene Faktenchecker konnten die Informationen bereits widerlegen. So kursierte ein manipuliertes Bild, das einen Bagger neben dem Kindergarten zeigte, welches angeblich das Einschussloch als harmlose Bautätigkeit erklären sollte. Reuters Faktenchecker enttarnten das allerdings als manipuliertes Bild (Reuters Faktencheck)
Verschiedene Twitter-User um das Team von Bellingcat (Folgeempfehlung!) konnten den Kindergarten mit offen verfügbaren Daten lokalisieren und Krater analysieren. Ihr Ergebnis: Der Kindergarten liegt in ukrainischem nicht-besetztem Gebiet. Und der Beschuss kam aus Richtung der von pro-Putin-Kräften besetzten Gebiete.
More analysis of the crater shape and direction of attack by @Timmi_Allen for the 2nd attack reported today on a Ukrainian school. This is based on a technique we developed for measuring the direction of artillery attacks in this report: https://t.co/jl1qx4NxED pic.twitter.com/q26Hffofbo
— Eliot Higgins (@EliotHiggins) February 17, 2022
Correctiv hat mittlerweile ebenfalls einen Faktencheck dazu veröffentlicht.
Fake: Meta Daten verraten „Saboteure“ Video
Ein Video, das angeblich „Saboteure“ zeigen sollte, konnte das Team von Bellingcat ebenfalls als Fake enttarnen. Die Metadaten verraten, dass das Video schon vor längerer Zeit aufgenommen wurde, außerdem wurde Gewehrfeuer später eingefügt. Laut Pro-Putin-Kräften in der Ostukraine zeigt das Video den Angriff von „Saboteuren“ (Quelle). Es sei jedoch eine false flag Operation.
Trigger-Warnung: Gewehrfeuer
Anatomy of a Russian Seperatist False Flag – On February 18th the Telegram channel of the press service of the People's Militia of the Donetsk People's Republic published the following video, claiming to show a sabotage operation targeting chlorine tankshttps://t.co/Syk8NG2zKx pic.twitter.com/R4mfggxbPg
— Eliot Higgins (@EliotHiggins) February 20, 2022
Nur: Die Metadaten der Videodateien zeigen, dass die Videos bereits Anfang Februar produziert worden waren.
However, the online community started to quickly identify a number of issues with the evidence presented. @oldLentach examined the metadata from the video, and discovered a media creation data of Feb 8th, and a Feb 4th project folder date.https://t.co/I25c7QXsIt
— Eliot Higgins (@EliotHiggins) February 20, 2022
Außerdem ist das zu hörende Gewehrfeuer offenbar nicht echt, sondern aus einem anderen Video hereinkopiert, welches das Team ebenfalls identifizieren konnte:
As @AugustGraham first pointed out, the specific audio waveforms of certain explosions from 1:51 of the “M72A5 LAW and AIPLAS live fire” YouTube video were a very close match to those in the “Polish saboteur” videohttps://t.co/OseOR0ObHM
— Eliot Higgins (@EliotHiggins) February 20, 2022
Das schöne an Open Source Intelligence: Ihr könnt einfach die Schritte des Teams von Bellingcat 1:1 selbst nachprüfen, ihr müsst weder ihnen noch uns glauben: Das originale Video ist nach wie vor online.
If you wish to check this data for yourself and add your own comments on what you find you can view the metadata on https://t.co/ju59M61BfZ and download the original video here:https://t.co/Syk8NG2zKx
— Eliot Higgins (@EliotHiggins) February 20, 2022
Fake: Zweifelhafte Evakuierungsbotschaft
Auch ein weiteres Video wurde von Bellingcat enttarnt. Es zeigt eine Evakuierungsbotschaft der Pro-Putin-Rebellen in der Ostukraine. Angeblich stünde ein Angriff der Ukraine (!) kurz bevor, was eine Evakuierung nötig mache. Gepostet wurde es am letzten Freitag, aber die Meta-Daten zeigen, dass es bereits zwei Tage zuvor aufgenommen wurde – am Mittwoch, also dem Tag, den Biden vor Kurzem noch als mögliches Datum einer russischen Invasion nannte.
You can check this yourself by downloading the two videos on Telegram from here:https://t.co/NmlRKRWxqjhttps://t.co/YXKt3dp4wh
Then uploading them to a metadata viewing site, like https://t.co/1Py94ugIQy, then you'll get lots of metadata, including when the files were created https://t.co/GEynT7hrW0 pic.twitter.com/BmXEmujBf7— Bellingcat (@bellingcat) February 19, 2022
Axios schreibt dazu passend: Die Metadaten schwächen die Argumentation der Pro-Putin-Rebellen, dass sie die Evakuierung wegen eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs der Ukraine angeordnet hatten (Quelle). Und eben nicht nur für Show, um sich selbst als Opfer zu inszenieren.
Auch hier könnt ihr die Metadaten wieder selbst überprüfen, wenn ihr das möchtet.
Weitere Fakes: Durchschaubare Desinformation
Die gesamte Desinformationskampagne ist bei genauerem Hinschauen recht durchschaubar. Ein weiteres Beispiel: Pro-Putin-Kräfte wollen der Öffentlichkeit verkaufen, dass ihnen die Pläne für eine „ukrainische Invasion“ in die Hände gefallen seien. Komischerweise sind die Pläne in Russisch, was verdächtig ist:
Russian propaganda: “Ukraine discriminates Russian language!”
Also Russian propaganda: “We have stolen secret plans of Ukrainian army how they want to take over Donetsk and Luhansk, and these plans are ehm in Russian”. pic.twitter.com/FtMIdz9g0J— Sergej Sumlenny (@sumlenny) February 19, 2022
Hier noch ein Beispiel: Pro-Putin-Kräfte erzählen, dass ein Mann von ukrainischem Feuer getroffen wurde und offenbar ein Bein verloren haben soll. Seltsamerweise trägt der Mann bereits zuvor eine Prothese und blutet auch kaum:
The DPR just uploaded a video of a man who according to them had his leg blown off by a Ukrainian artillery strike. As they move him, you can see that he in fact has a prosthesis on that leg already. The propaganda is reaching crazy levels. pic.twitter.com/lV9Va7uyiP
— Oliver Alexander (@OAlexanderDK) February 21, 2022
Die Pro-Putin-Kräfte scheinen sich keine große Mühe zu geben, ihre Spuren zu verwischen. Beispielsweise ist Telegram eines der wenigen sozialen Netzwerke, bei dem die Meta-Daten von Videos nicht beim Upload gelöscht werden. Und wo haben die Pro-Putin-Kräfte ihre Fake Videos hochgeladen? Auf Telegram. Nicht so schlau:
They just had to pick the only popular social network on earth where you can actually look at a video's metadata to upload the original files for the evacuation announcements. Thanks LDNR geniuses!
— Aric Toler (@AricToler) February 18, 2022
Leider scheint es aber ausreichend, um in Russland Menschen zu täuschen:
If you're wondering if Kremlin's poorly executed war propaganda works on its domestic audience: sadly, it does. Have been talking to young people from Russia's countryside. They don't follow the news intently but are convinced Ukraine is shelling DNR/LNR and wants to start a war.
— Christo Grozev (@christogrozev) February 19, 2022
Das zeigt erneut, wie wichtig es ist, eine wache Zivilgesellschaft zu haben, die gegen Desinformation aufsteht. Das ist auch der Grund, warum die Angriffe von Querdenken und AfD auf Journalist:innen und Aktivist:innen so bedenklich sind. Denn genau diese Menschen sind es, die in der Lage sind, uns gegen strategisch eingesetzten Lügen zu immunisieren. Von „Liebe“ und „Frieden“ zu schwafeln ist nur ein Feigenblatt, wenn man gleichzeitig daran arbeitet, unser Informationssystem mit Falschmeldungen und Lügen zu vergiften und gemeinsames Handeln gegen echtes Unrecht zu erschweren.
„Wer dich dazu bringt, Absurditäten zu glauben, bringt dich auch dazu, Ungeheuerlichkeiten zu tun.“
Der Kampf gegen Krieg und für Frieden ist auch immer ein Kampf gegen Desinformation. Wer im 21. Jahrhundert unschuldige Menschen töten will, der kann das nur, wenn er genug Menschen mit Falschmeldungen verwirrt und demobilisiert, sodass sie nicht laut genug dagegen aufschreien. Ein weiteres Zitat: „Alles, was für den Triumph des Bösen notwendig ist, ist, dass gute Menschen nichts tun.“
Artikelbild: Frederic Legrand – COMEO
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