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So versucht der Kreml, uns mit Atomängsten zu manipulieren

von | Okt 15, 2022 | Analyse

In den sozialen Medien kursieren immer mehr Videos und Fotos von Waffentransporten, welche die Angst vor einem atomaren Schlag Putins erneut befeuern. Expert:innen schätzen die Inhalte als Kreml-Propaganda ein.

Angeblicher Atomzug ging viral

Während die Ukraine weitere Gebiete zurückerobert, droht Präsident Wladimir Putin immer wieder implizit mit dem Einsatz nuklearer Waffen. Viele Menschen aus aller Welt versetzt der Ukraine-Krieg mit all seinen möglichen Konsequenzen in Angst, die zusätzlich von Texten, Videos und Bildern auf Social Media bestärkt wird. Kürzlich ging ein Video eines Pro-Kreml-Kanals bei Telegram und Twitter viral, welches den Transport russischer militärischer Spezialausrüstung an die russisch-ukrainische Grenze zeigt, die angeblich zum Bestand der 12. Hauptdirektion des russischen Verteidigungsministeriums zählt. Der gezeigte Zug wird als „Atom-Zug“ bzw „nuklear train“ bezeichnet.

Experte gibt Entwarnung

Mehrere westliche Expert:innen halten die akute Gefahr eines atomaren Angriff Russlands für sehr unwahrscheinlich. Nuklearwaffen würden in Spezialwaggons transportiert, die auf den Videoaufnahmen nicht zu sehen gewesen seien, erklärte der amerikanische Proliferationsexperte Jeffrey Lewis auf Twitter. Und selbst diese Transporte seien häufig in Russland zu beobachten.

Die gepanzerten Fahrzeuge und Lastkraftwagen, welche im Video zu sehen sind, seien zudem gar nicht für den Transport von Nuklearsprengköpfen geeignet. Ferner lasse sich die Fahrtrichtung des Güterzugs nicht aus den Aufnahmen ableiten ergo sei ein Transport in Richtung Ukraine nicht ersichtlich.

Aufnahmen wohl nur Kreml-Bluff

Die Fox-Journalistin Jennifer Griffin teilte auf Twitter mit, dass nach den letzten Atom-Drohungen Putins bislang keine ungewöhnlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Moskauer Atomwaffenarsenal festgestellt worden seien. Griffin berief sich in ihrem Tweet auf einen namentlich nicht genannten amerikanischen Regierungsvertreter.

Die britische Boulevardzeitung „Daily Mail“ zitierte den Militärexperten Konrad Musyka. Dieser vermutet, dass die veröffentlichte Aufnahme nicht zufällig, sondern als propagandistisches Mittel entstand und ein „Signal an den Westen sein könnte, dass Moskau den Konflikt eskaliert“. Allerdings fügte der Experte hinzu, dass die russischen strategischen Raketentruppen (RVSN) ihre Trainingsübungen häufig im Herbst durchführen und der Transport somit zu erklären sei.

Atomangriff bleibt zu riskant – auch für Putin

Gegenüber der britischen Tageszeitung „Times“ sagte ein hochrangiger, britischer Verteidigungsbeamter, eine Militärübung sei wahrscheinlicher als ein geplanter Atomwaffen-Erstschlag. Ausschließen könne man diesen zwar nicht, doch der Einsatz nuklearer Waffen wäre für den Kreml mit hohen Risiken verbunden. So könne die Zustimmung der Bevölkerung sowie in Militärkreisen weiter sinken. Zudem bestünde die Gefahr, durch den Explosionsradius der taktischen Nuklearwaffen auch russische Städte nahe der ukrainischen Grenze zu treffen.

Auch andere „Atomzug-Videos“ Fake oder nicht aktuell

Ein weiteres Video – ebenfalls viral gegangen und angeblich aktuell – zeigt militärische Spezialtransporte auf der Moskauer Autobahn. Die Details und Hintergründe sind hier nicht vollständig bekannt, allerdings ergaben die Recherchen von Newsweek, dass dieses Video nicht aktuell, sondern mindestens acht Monate alt ist. Die momentan kursierenden Gerüchte vom Atomzug Richtung Ukraine können damit also nichts zu tun haben.

Verbreitet wurde das Video Anfang Oktober:

Screenshot: twitter.com

Doch ältere Videos lassen sich zumindest schon für Februar nachweisen. In diesem Video ist der Konvoi in derselben Reihenfolge mit denselben Fahrzeugen auf der selben Straße zu sehen:

YouTube player

Hört auf Experten, nicht auf Kreml-Propaganda!

Der Kreml reagierte gewohnt bissig auf die Ängste der vielen Menschen. „Westliche Medien, westliche Politiker und Staatsoberhäupter üben sich zurzeit in nuklearer Rhetorik“, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow, in Moskau. „Daran wollen wir uns nicht beteiligen.“

Wie gut, dass Expert:innen mit Fakten zu uns sprechen und nicht versuchen, uns mit propagandistischen Stilmitteln noch mehr Angst zu machen.