Autos im Allgemeinen und SUVs im Speziellen werden immer größer. Das hat nicht nur etwas mit Protzerei, Status-Symbolen und Kompensation zu tun, sondern auch mit wirtschaftlichen Interessen von Autokonzernen. Sie nutzen eine Gesetzeslücke in den USA, um Umweltregelungen zu umgehen. Das Ergebnis der Lobbyarbeit: Mal wieder leidet die Gesellschaft – vor allem Kinder.
SUVs werden größer und gefährlicher!
“So viel größer sind unsere Autos” titelte das Science-Magazin Quarks am Mittwoch auf Instagram. Dabei beziehen sie sich auf Berechnungen des TÜV Süd [PDF]. Demnach sind Autos im Schnitt seit 1975 über 20 Zentimeter länger und 10 Zentimeter breiter geworden, was unter anderem zu Problemen mit der Parkplatzbreite führe. Laut ADAC sind damit auch verengte Fahrbahnen, zum Beispiel auf Abschnitten mit Baustellen, zunehmend problematisch.
Nehmen wir mal ein extremes Beispiel: Zwischen den Maßen des Renault Twingo, Verkaufsschlager der letzten drei Jahrzehnte, der ab 2024 nicht mehr produziert wird und dem Ford Expedition, einem typischen US-amerikanischen “Full-Size” SUV, liegen gefühlt Lichtjahre. Der SUV ist 42cm höher und 1,63m (!) länger als der Twingo. Bildlich lässt sich das sehr schön auf der Website carsized.com nachvollziehen:
Es ist offensichtlich, dass die beiden kaum in gleich große Parklücken passen. Doch die Probleme der Verkehrsinfrastruktur sind bei weitem nicht die einzigen – und auch nicht die mit den schlimmsten Folgen.
Denn SUVs sind buchstäblich eine Gefahr für alle Menschen im Straßenverkehr. SUVs haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, Fußgänger:innen anzufahren, wodurch die Todesfälle von Fußgänger:innen zuletzt stark anstiegen. Auch Radfahren wurde gefährlicher. Einige Wissenschaftler:innen diskutieren aktuell die “Car Cushion Hypothesis”, wonach größere Autos mit einem riskanteren Fahrstil zusammenhängen. Besonders tragisch: Aufgrund der hohen Motorhauben und Frontspoiler ist die Sicht der Fahrer:innen auf das, was direkt vor ihnen passiert, eingeschränkt. Dadurch übersehen sie vor allem Kinder, die sich vor dem Auto befinden. Laut NBC starben zwischen 2016 und 2020 744 Kinder auf diese Art und Weise – Tendenz steigend. Wieso sind SUVs dann die meistverkauften Autos in den USA und werden auch in Europa immer beliebter?
Die Argumentation und viele Quellen in diesem Artikel basieren auf den Recherchen des YouTube-Kanals “NotJustBikes”, die ein spannendes Video zum Thema Gefahren durch SUV gemacht haben. Schaut gern mal rein, wenn ihr mehr über die Entwicklung der SUVs in den USA und das rücksichtslose Marketing der Autolobby erfahren wollt:
Der steile Aufstieg des SUV
Okay, natürlich haben Protzerei, Kompensation und die Sucht nach Statussymbolen ihren Anteil daran. Auch geschicktes Marketing [PDF] von SUVs als angeblich sichere Alternative spielt eine Rolle – ziemlich zynisch, wenn man die steil ansteigenden Todeszahlen im Hinterkopf hat. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Und dieser ist besonders ironisch, bedenkt man, dass SUVs zwischen 2010 und 2018 der zweitgrößte Treiber globaler Erwärmung waren. Denn ein entscheidender Grund für den Siegeszug der SUVs – sind Umweltregularien.
Okay, dazu müssen wir vielleicht nochmal einen Schritt zurückgehen. Also falls unsere Schrittlänge 48 Jahre beträgt, denn wir müssen ins Jahr 1975. Zu dieser Zeit waren SUVs in den USA und auch im Rest der Welt eher eine Randerscheinung, die vielleicht mal ein Bauer auf seiner Farm oder ein Förster in seinem Wald benötigte. Die allermeisten Menschen fuhren aber normale Autos.
1975 verabschiedete der Kongress der USA ein Gesetz, das erstmal wie das Ende der SUVs klang. Man wollte Energie sparen und legte darum Effizienzstandards für Autos fest: Mit einer Gallone Kraftstoff (ca. 3,8 Liter) musste man von nun an mindestens 27,5 Meilen (44,26 km) zurücklegen können. Für ein ineffizientes Fortbewegungsmittel wie den SUVs oder auch viele Trucks müsste das ja eigentlich das Ende bedeuten. Doch das geschah nicht. Ganz im Gegenteil, wie man im Graph von distilled oben sehen kann, begann erst einiges später der steile Anstieg an SUV-Produktionsanteilen. Was war da los?
SUVs zählen nicht als Autos?!
Die Begründung klingt so simpel wie verblüffend: SUVs sind keine Autos und müssen sich damit nicht an die Grenzwerte halten. Ja, das klingt auf den ersten Blick verwirrend – ist aber ein juristischer Trick der Autolobby. Denn sie “überzeugten” die Verantwortlichen im US-Verkehrsministerium, dass man “trucks”, also das Gegenstück zu “cars”, den normalen Autos, sehr vage definiert. Ein Truck ist demnach ein “Automobil, welches auch jenseits von Highways fahren kann”. Auf SUVs mit ihrem Allradantrieb traf das zu. Sie waren keine “cars” mehr, sondern “trucks”. Und während die Effizienz-Regelungen für “cars” direkt from Kongress verabschiedet und in Stein gemeißelt wurden, wurde die vergleichbare Regelung für “trucks” erstmal an das Verkehrsministerium ausgelagert. Womit sie … “beeinflussbar” blieb.
Außerdem setzte die Autolobby durch, dass es eine Ausnahmeregelung für Fahrzeuge von über 6000 Pfund (ca. 2.722 kg) gibt. Angeblich seien derart schwere Fahrzeuge ja ohnehin nur kommerziell genutzte Fahrzeuge von Bauern oder ähnliche. Müssen wir noch erwähnen, dass nur wenige Jahre nachdem diese Regelung in Kraft getreten war, plötzlich zwei Drittel aller produzierten Fahrzeuge mehr als 6000 Pfund wogen und damit eine Ausnahme von der Energiespar-Regel bekamen? Übrigens nutzte die Autolobby diese Gesetzeslücke 1978 NOCH EINMAL. Damals wurde eine zusätzliche Steuer für Fahrzeuge eingeführt, die die Kraftstoff-Effizienzziele nicht erreichten. Doch auf Druck der Autolobby wurden wiederum “trucks” ausgenommen – also ausgerechnet die Fahrzeuge, die den höchsten Ausstoß haben.
SUVs per Lobbyarbeit gepusht – Werbeausgaben gehen in die Milliarden
Es wurde damit also immer attraktiver, SUVs zu bauen und immer weniger attraktiv, kleinere Autos zu produzieren. Denn bei Letzteren musste man sich ja an die nervigen Grenzwerte halten, wegen Energieverbrauch, Umwelt und so weiter. Dann doch lieber SUVs, wo man quasi machen konnte, was man wollte. Ford machte so beispielsweise in den 1990er Jahren 12.000 $ Profit pro verkauftem Fahrzeug des SUV-Modells Expedition! Gleichzeitig wurde ein enormer Aufwand für SUV-Werbung betrieben.
Eine Studie aus dem Jahr 2004 kam zum Ergebnis, dass allein zwischen 1990 und 2001 9 Milliarden US-Dollar nur in SUV-Werbung geflossen sind. Und das offenbar auch mit Erfolg. Laut einer Studie von Dezember 2021 [PDF] war für Menschen, die manchmal Werbung für SUVs sahen, die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen SUV besaßen, 71 % mal höher als die Wahrscheinlichkeit für ein Standardauto und 250 % höher als die Wahrscheinlichkeit, dass sie gar kein Auto besitzen.
Fazit: Konzerne machen Cash, der Rest muss leiden
Es ist nicht gerade eine neue Erkenntnis, dass kapitalistische Konzerne gegen die Interessen der Menschen handeln. Für sie zählt nur der Profit und die Interessen der Anteilseigner. Doch in wenigen Fällen ist die Situation so zynisch, selten sind die Folgen so offensichtlich ungerecht. Denn die Lobbyarbeit von Autokonzernen in den 70er Jahren und die Milliardeninvestitionen, die in den folgenden Jahren in die SUV-Werbung flossen, sorgten für massiven Anstieg der Marktanteile von SUVs. Darunter leiden vor allem die Schwächsten der Gesellschaft: Die Kinder.
Sie leiden ganz direkt, wenn sie überfahren werden, weil die Person hinter dem Steuer sie buchstäblich nicht sehen kann. Sie leiden aber auch indirekt an den Emissionen, die SUVs über Jahrzehnte hinweg unkontrolliert in die Atmosphäre pusten und die unseren Planeten zu einem lebensfeindlichen Ort machen, den die Kinder von heute in einigen Jahrzehnten miterleben werden. Aber auch alle anderen leiden darunter, dass wieder einmal Lobbyarbeit einiger weniger Konzerne die Politik eines ganzen Landes nach ihren Interessen lenkt. Der notwendige Aufschrei bleibt leider aus. Auch das ist ein trauriger Erfolg vom Marketing einiger Konzerne.
Artikelbild: Screenshot www.carsized.com