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Streeck-Supporter & KBV-Chef Gassen rudert zurück: Jetzt Für Merkel-Kurs

von | Nov 2, 2020 | Aktuelles, Bericht, Corona

Der Vorsitzende der KBV Gassen rudert zurück

Im Fall des medial viel diskutierten Positionspapiers hat es einen Sinneswandel gegeben: Die Virologen Hendrik Streeck von der Universität Bonn und Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg hatten gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Gassen eine Abkehr der bisherigen Pandemie-Strategie der Bundesregierung gefordert. In einem Positionspapier (Quelle) lehnten sie einen Lockdown ab und machten sogenannte „Gegenvorschläge“.

In unserem Bericht zum Thema schilderten wir bereits ausführlich, wie diese wissenschaftliche Minderheitenmeinung mitsamt dem Positionspapier medial gestreut wurde und insbesondere von BILD und Co. als Position von „Top-Virologen“ und „Ärzte-Aufstand“ gegen „Merkels Lockdown-Plan“ vermarktet wurde. Auch seriöse Medien wie die Tagesschau sprachen irreführend von „Kritik aus der Ärzteschaft“. In diesem Bericht gingen wir im Einzelnen auf die populistischen Vorschläge des KBV-Positionspapiers ein und die Widersprüche aus der „Wissenschaft und Ärzteschaft“ sowie die vielen Distanzierungen von Expert:innen zu dieser Kampagne. Zum Nachlesen:

Intensivmediziner & Experten widersprechen: Gezielte PR-Kampagne zum Streeck-Papier

Hinzu kam noch mehr: Nicht nur distanzierten sich genau jene Expert:innen und Wissenschaftler:innen, die vermeintlich hier repräsentiert hätten werden sollen, nicht nur protestierten viele Mitglieder der Verbände, die das Positionspapier von Streeck und Gassen unterzeichnet hatten und sammelten Unterschriften in Gegenpositionen (mehr dazu), einige Verbände wurden gegen ihren Willen als Unterstützer aufgelistet. Wir berichteten:

Unterzeichner wider Willen: KBV-Unterstützerliste plötzlich fast halbiert

Gassen unterstützt jetzt Merkel-Lockdown

In einer aktuellen Pressemitteilung der KBV gibt es jetzt aber einen Sinneswandel: Man unterstützt plötzlich die Maßnahmen der Kanzlerin.

„Das Ziel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel klar benannt und wird von uns auch unterstützt: Wir müssen die hohen Infektionszahlen unbedingt und konsequent senken“, erklärte Dr. Gassen. Er verbinde damit die Hoffnung, „dass die von Kanzlerin und Ministerpräsidenten beschlossenen und nun geltenden Maßnahmen eines teilweisen Lockdowns auch die erhofften Effekte bringen.“

Letzte Woche klang KBV-Chef Gassen noch so (Quelle): 

Ärzte und Wissenschaftler haben sich gegen ein breites Herunterfahren des Alltagslebens zur Corona-Eindämmung ausgesprochen. Stattdessen werben sie für größere Bemühungen um Akzeptanz. „Eine pauschale Lockdown-Regelung ist weder zielführend noch umsetzbar“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen.

Man könne nicht das ganze Land „Wochen und Monate in eine Art künstliches Koma“ versetzen, auch angesichts bleibender Schäden für Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft. Nötig seien zielgerichtete Maßnahmen zur Eindämmung. Essenziell für ein Gelingen sei die Kooperation der Bevölkerung etwa bei Regeln zu Abstand und Masken.

Nachdem mehrere Medien (wir, SZ, Focus, Welt) darüber berichteten, dass viele Ärzteverbände sich vom Positionspapier Streecks und der KBV distanzieren, erfolgt nun ein Zurückrudern der KBV und des KBV-Chefs Gassen. Möglich, dass die wachsende Kritik von Ärzt:innen und Wissenschaft dazu führte:

Kritik von Ärzt:innen, Verbänden, Weltärztebund:

Die Zeit merkte völlig korrekt das hier zum Positionspapier an: 

 

Der hier aufgeführte Artikel schließt wie folgt ab:

Andreas Gassen, Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit betonen zwar, dass die Akzeptanz der Maßnahmen extrem wichtig sei, um durch den Corona-Ausbruch zu kommen. Und sie ist auf lange Sicht wahrscheinlich wirklich eine der wertvollsten Ressourcen in der Pandemiebekämpfung, die man mit widersprüchlichen und unüberschaubaren Regeln durchaus kaputt machen kann. Am Ende aber müssen sich die Unterzeichner der Erklärung die Frage gefallen lassen, ob sie nicht selbst mit dem Vertrauen der Menschen spielen, wenn sie zu so einem kritischen Zeitpunkt medienwirksam ein derartiges Gegenpapier präsentieren. Ein Papier, das ein Umdenken fordert, aber vollkommen unbeantwortet lässt, wie man – ohne den nun beschlossenen zeitlich begrenzten Lockdown – aus der aktuellen Situation herauskommen soll.

Heute morgen äußerte sich dann auch noch Weltärzte-Chef Fran Ulrich Montgomery:

Screenshot Merkur (Quelle)

Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende des Weltärztebundes, verteidigte nun die Coronavirus-Politik der Bundesregierung. Da seien ein paar Leute vorgeprescht und hätten ein Papier produziert, „das viele Fragen stellt, aber alle Antworten offen lässt“, sagte Montgomery am Montag im Deutschlandfunk (Quelle)

Ist es dem medialen/öffentlichen und internen Druck, sowie der Warnung von Intensivmedizinern zu verdanken, dass der KBV von seiner Position abrückt? Vermutlich. Es bleiben jedoch Fragen offen, wenn Gassen davon spricht, dass das Positionspapier „erweitert“ werden solle und wie dann jene „Langzeitstategie“ aussehe.

Fragen, die ein Update des KBV Papiers beantworten muss:

Was verstehen Sie unter Risikogruppe? Sind das nur die 800 000 Menschen in Pflegeheimen, die 3,5 Millionen Pflegebedürftigen oder die 20 Millionen Menschen über 60?

Das ist eine der zentralen Fragen bei der Umsetzbarkeit der Vorschläge aus dem Papier. “Risikogruppen schützen” ist eigentlich nur dann simpel und einfach, wenn es sich ausschließlich auf die Personen in Pflegeheimen bezieht, aber nur dann effektiv, wenn wir wirklich alle 20 Millionen Menschen über 60 Jahre schützen können. Ganz zu Schweigen von den vielen jüngeren Menschen mit Vorerkrankungen und Risikofaktoren (wie zum Beispiel Raucher:innen).

Weite Teile der älteren Bevölkerung können unserer Meinung nach faktisch entweder nur durch niedrige Fallzahlen oder vollständige Isolation wirksam geschützt werden. Bitte klären Sie, Herr Gassen, möglichst konkret, welcher Weg hier für Sie in Frage kommt.

Möchte die KBV die Pandemie primär (als Plan A) über natürliche Herdenimmunität oder über den Impfsstoff beenden?

Aktuell befinden sich 49 Impfstoffe in klinischen Studien am Menschen und weitere 88 befinden sich in präklinischen Studien (Quelle). Die ersten voll zugelassenen Impfstoffe werden für Ende des Jahres erwartet. Die ersten Impfstoffe werden vielleicht noch nicht den Durchbruch bringen. Aber selbst wenn die ersten Impfungen die weitere Verbreitung der Krankheit nicht verhindern können, wäre eine starke Senkung der Sterblichkeit schon ein enormer Erfolg. Angesichts dessen ist es völlig unlogisch, aktuell bewusst hohe Fallzahlen zuzulassen, wo das doch auch die Kontaktverfolgung weniger effizient macht. Die einzige sinnvolle Erklärung dafür, die uns dazu einfällt, dass die KBV unter Gassen und mit Streeck eine natürliche Herdenimmunität mit allen Spätfolgen und Todesfällen, die das nach sich zieht, fordert, ist, dass sie das als Plan A gegen Covid-19 in Betracht zieht. Diese Frage müsste aber bitte in aller Klarheit beantwortet und ausgeräumt werden.

Zum Abschluss sind wir auch gespannt, ob auch Dr. Streeck genau wie Dr. Gassen von seiner Position abrückt, den Teil-Lockdown der Regierung nicht zu unterstützen.

Artikelbild: Tobias Schwarz/AFP Pool/dpa; Federico Gambarini/dpa 


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