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Konsequenter als die Grünen? „radikal:klima“ will 2021 in Berlin antreten

von | Aug 13, 2020 | Aktuelles, Bericht, Umwelt/Klima

radikal:klima in Berlin gegründet

„Um die Berliner Klimagerechtigkeitsbewegung ins Abgeordnetenhaus von Berlin zu bringen und die Hauptstadt 1,5°-konform – also bis spätestens 2030 klimapositiv – zu machen, gründen wir die Berliner Partei radikal:klima im August 2020.“ Mit diesen Worten wurden wir zum Gründungsparteitag von „Radikal:Klima“ eingeladen. Das klingt spannend dachte ich mir und war vergangenen Sonntag bei der Gründung der neuen Berliner Partei vor Ort. Meine ersten Eindrücke:

Es ist eine überdurchschnittlich junge und weibliche Truppe, die sich im Berliner ELSE Open Air Club zusammengefunden hat, um eine neue Partei zu gründen.

Gründungsparteitag radikal:klima: Parteimitglieder, In der Else, Berlin, 09.08.20

Aber wer ist „radikal:klima“ überhaupt? Auf ihrer Webseite findet man dazu folgende Erklärung:

„Wir sind eine seit Januar 2020 stetig wachsende Gruppe von entschlossenen Berliner:innen:  Wissenschaftler:innen, Eltern, Aktivist:innen, Studierenden, Künstler:innen, Angestellten, Selbstständigen, Mitglieder der 4Future-Bewegungen und Klimanotstand, ehemalige Grüne uvm.

Uns vereint die Überzeugung, dass die Klimakatastrophe vermeidbar ist, jedoch nur durch einen radikalen gesellschaftlichen Wandel in den nächsten 10 Jahren.

Über 40.000 Unterschriften haben wir im vergangenen Jahr für die Ausrufung des Klimanotstands in Berlin und eine ambitionierte, 1,5°-konforme Klimapolitik gesammelt. Die Antwort von Rot-Rot-Grün? Symbolpolitik und leere Lippenbekenntnisse. Leider haben wir feststellen müssen, dass unsere Volksvertreter:innen ihren politischen Erfolg über den wissenschaftlichen Konsens – und über unsere Zukunft stellen. Es gibt also nur noch wenig zu verlieren und umso mehr zu gewinnen.“

Aus der zur Gründung versendeten Pressemitteilung ist folgendes zu entnehmen gewesen:

„Der Berliner Senat reagierte weder auf die eindringlichen Hilferufe der jungen Klimagerechtigkeitsbewegung noch auf die Forderungen der Volksinitiative Klimanotstand Berlin adäquat. Die sogenannte Klimanotlage ebenso wie das BEK aus dem Jahr 2018 zeigen die riesige Ambitionslücke zur notwendigen Klimapolitik, damit die Menschheit dem Klimakollaps entgehen kann. Der Rot-Rot-Grüne Senat lässt die junge Generation im Stich.

Beispielsweise beim Umstieg der Berliner Fernwärmeerzeugung von Kohle auf klimaschädliches Erdgas oder bei der schleppenden Umsetzung des mit viel Selbstlob verabschiedeten Mobilitätsgesetzes. In Reaktion auf diese und weitere Enttäuschungen sehen wir uns gezwungen, einen politischen Gegenentwurf zum fahrlässigen Weiter-so der vergangenen Jahre zu entwerfen. Mit den wissenschaftlich fundierten Forderungen der Klimabewegung im Programm treten wir als radikal:klima für die Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 an.“

https://www.instagram.com/p/CA-pFyyiaiY/

Klingt nach einer politischen Kampfansage.

Zu wenig unternehme die Berliner Landesregierung in Bezug auf den Klimawandel. Das möchten die Aktivist:innen von „radikal:klima“ ändern und planen zur kommenden Abgeordnetenhauswahl 2021 in Berlin anzutreten. Dafür wurde zur Gründung, neben Satzung und Vorstandswahl, auch über ein Grundsatzprogramm abgestimmt. Hier ein kurzer Auszug aus dem 8-seitigem Grundsatzprogramm:

„Berlin hat eine besondere Verantwortung.

Als Hauptstadt eines wohlhabenden Landes hat sie eine Vorbildfunktion. Als Stadt des Globalen Nordens zeigt Berlin, dass die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen möglich und politisch umsetzbar sind.

GRUNDLEGENDE ZIELE & MISSION
Wir sind eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam darauf hinwirken, Berlin zu einer sozial-gerechten, 1,5-Grad-konformen Stadt zu machen. Lokale Bedürfnisse und globale Auswirkungen denken wir stets zusammen. Auch solche Folgen, die zeitlich versetzt auftreten und unsere Kinder sowie kommende Generationen belasten. Wir sind davon überzeugt, dass nur eine Politik, die entschieden wissenschaftliche Erkenntnisse respektiert und umsetzt, die drohende Klimakatastrophe verhindern beziehungsweise mindern kann. Deshalb entwickeln wir einen umfassenden Klimaplan auf der Grundlage unseres verbliebenen Treibhausgasbudgets (Treibhausgase werden in Folge unter dem Begriff CO2 zusammengefasst). Als Partei fühlen wir uns Berlin tief verbunden und erkennen gleichzeitig die globale Tragweite der Klimakrise an. Auf allen politischen Ebenen, national und international, setzen wir uns für nachhaltige, klimapositive Lösungen ein.

Berlin soll deshalb:
…eine klimagerechte, also eine sozial-gerechte und klimapositive Stadt sein.
…auf wissenschaftliche Erkenntnisse hören – insbesondere über die Folgen unseres Handelns auf Menschen, Ökosysteme und Klima – und sofort handeln, um die drohende Klimakatastrophe zu verhindern.
…Wohlbefinden im Einklang mit natürlichen Grenzen schaffen statt profitorientiertes Wachstum, Überfluss und Verschwendung zu fördern.
…die Berliner:innen und Kieze bestärken, damit wir diese radikal-fortschrittliche Transformation gemeinsam gestalten.
…Vorbild für eine lebenswerte, resiliente und gesunde Hauptstadt werden.“

Interview mit Vorstandsmitglied Sandra Wesemann

Weil ich noch ein bisschen mehr wissen wollte, habe ich dem neu gewählten Vorstandsmitglied Sandra Wesemann ein paar Fragen zur Gründung von radikal:klima gestellt:

Warum gründet ihr diese Partei?

„Beim Thema Klimaschutz muss noch viel mehr Druck gemacht werden. Um das im Pariser Klimaabkommen festgehaltene Ziel von einer Erderwärmung um maximal 1,5 Grad einhalten zu können, bleiben uns noch ungefähr zehn Jahre Zeit. Bis 2030 müssen wir die Emissionen auf netto null senken (bei linearer Reduktion). Entscheidend ist das verbliebene CO2-Budget, nicht das Enddatum! Die Wissenschaft ist sich einig, dass wir diese Grenze nicht überschreiten dürfen. Das hat keine politische Partei auf der Agenda.“

Wie habt ihr zusammengefunden?

„Wir sind Aktive von Klimanotstand Berlin, Fridays for Future, Parents und Scientists for Future, Extinction Rebellion und weiteren Gruppen.“

Was ist die Vision hinter der Idee von Radikal Klima?

„Ein klimapositives und sozial-gerechtes Berlin, das unsere städtischen Lebensgrundlagen und globalen Ökosysteme achtet und schützt.“

Warum der Begriff „Radikal“ im Namen?

„Das Wort „radikal“ kommt von “radix”, dem lateinischen Wort für Wurzel. Wir sind radikal, weil wir die Ursachen der Klimakrise bei der Wurzel anpacken müssen.“

Wie wollt ihr in Zukunft mit dem Thema Parteispenden umgehen?

„Lobbyismus hat in unserer Partei keinen Platz, daher haben wir eine Spendenkommission berufen, die alle Spenden mit Beträgen über 1000€ prüft und gegebenenfalls zurückweist.“

Wo verortet ihr euch im politischen Spektrum? Seid ihr eine linke Partei?

„Wir möchten uns gar nicht im politischen Spektrum verorten. „Klimawandel“ kann vielleicht nicht im politischen Spektrum verortet werden, sondern ist ein eigenes Spektrum.“

Warum sollte man bei der kommenden Abgeordnetenhauswahl in Berlin euch wählen, statt zum Beispiel die Grünen, die sich auch den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen geschrieben haben?

„Wir sind der Überzeugung, dass es dieses Angebot geben muss. Es gibt so viele Menschen, die verstanden haben, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern. Eine viertelmillion Menschen waren mit Fridays for Future auf der Straße, mehr als 40.000 haben die Volksinitiative unterschrieben. Es gibt keine Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, die die Forderungen der Bewegung aufgreift. Die Grünen machen keine wissenschaftlich basierte Klimapolitik.

Sie orientieren sich eher am vermeintlich „politisch Machbaren“ und nicht am Budgetansatz wie der IPCC und führende Klimawissenschaftler:innen. Im Gegensatz zu den Grünen folgen wir beispielsweise im Bereich der Wirtschaft nicht mehr dem Wachstumszwang, sondern orientieren uns an Wirtschaftsmodellen, die die planetaren Grenzen, und damit unseren Lebensraum, achten, ohne soziale Mindeststandards für die Menschen aus den Augen zu verlieren.“

Wer sollte sich bei Radikal:Klima engagieren?

„Wir wünschen uns, dass sich möglichst viele und verschiedene Menschen bei radikal:klima engagieren. Wir wünschen uns ein diverses Team, das durch Menschen getragen wird, die die Würde aller Menschen und deren Diversität achten und fördern.“

Gründungsparteitag radikal:klima: Vorstandsmitglied Sandra Wesemann im Interview mit dem RBB, In der Else, Berlin, 09.08.20

https://www.facebook.com/radikalklima/posts/185059629715356?__xts__[0]=68.ARAtuJeTH2F84H6jNk86AtHySAgLVI8PS0JX3_Mjg-2XyQVGWTWMESov2WED7uOupAg2TrZOWFZtocw9B_TXTVB5wqqiqZqxXXCPUCs-f9JUp8ULKPFORyyCBG0Vw36o8qrPlcfKnuJWMHs5RchzxPPbDJZwPiImL8m6yopkZz2KOzsgX58Toabn5yhykgaGosqkMWNA3SlJ6Hz_OQdjijuAs_7cIrUhUWt0eU5rJnB65qhA5GuL-ucegMfTABTcxNEjaXZgQdFlDqPe3buJciX2JALeqbAjY1NoU5oISaomybFAX6Epgld7kGcnt7RR9tXRa2cczlfjRN8nv38Z4oE&__tn__=-R

radikal:klima wird 2021 zur Berliner Wahl antreten

Man darf gespannt sein, was die Aktivist:innen von radikal:klima bis zur Abgeordnetenhauswahl 2021 in Berlin auf die Beine stellen. Schon in wenigen Wochen soll auch die Aufstellungsversammlung, also die Wahl der Kandidat:innen für die Wahl, stattfinden. Wer mehr Informationen zu radikal:klima sucht, findet sie hier: https://www.radikalklima.de/

Artikelbild: radikal:klima


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