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Kontaktbeschränkungen für alle trotz hoher Impfquote verfassungsrechtlich zulässig

von | Nov 14, 2021 | Aktuelles

Die Gastbeitrag erschien zu erst bei Verfassungsblog.de und wurde von Johannes Galon und Anna Katharina Mangold verfasst.

Epidemiebekämpfung ist verfassungsrechtlich möglich

Während das Coronavirus nun zum vierten Mal veranschaulicht, was exponentielles Wachstum bedeutet, scheinen die zukünftigen Koalitionsfraktionen wild entschlossen, in Zukunft nur noch den Status Quo an Maßnahmen durch die Landesregierungen zur Pandemiebekämpfung zu erlauben (dazu am Dienstag hier).

Politisch begründet wird dies mit der hohen Eingriffsintensität der Bekämpfungsmaßnahmen: Flächendeckende Maßnahmen gegenüber Geimpften seien nicht mehr „rechtlich zulässig“. In der politischen und gesellschaftlichen Debatte besteht große Unsicherheit hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Rahmens:

Welche Maßnahmen sind noch möglich?

Die Grenzen der Pandmiebekämpfung

In diesem Beitrag geht es um die Grenzen, welche die Grundrechte der Pandemiebekämpfung im November 2021 setzen unter dem Eindruck einer Impfquote von 67 % der Bevölkerung, einer Sieben-Tages-Inzidenz von 249 Infektionen / 100.000 Personen, 1.274 neuhospitalisierten Personen und über 50.000 Neuinfektionen am 11.11.2021.

Flächendeckende und kontaktbeschränkende Maßnahmen sind bislang in den Corona-Bekämpfungsverordnungen der Länder enthalten (vgl. zum Beispiel die Corona-Bekämpfungsverordnung der Landesregierung Schleswig-Holstein aus dem November 2020) und in § 28a Abs. 1 IfSG als Regelbeispiele aufgeführt. Dazu gehören etwa die Beschränkung von Kontakten im Privathaushalt oder von öffentlichen Veranstaltungen und Großveranstaltungen. Betroffen von den Pandemiemaßnahmen sind eine Vielzahl von Grundrechten: der Schutz der Familie, die Berufsfreiheit, die Kunstfreiheit, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Allgemeine Handlungsfreiheit, um nur einige zu nennen.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Ampel-Fraktionen möchte, soweit die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht wieder vom Bundestag festgestellt wird (§ 5 Abs. 1 IfSG), die Rechtsverordnungen der Landesregierungen beschränken auf 2G und 3G-Regelungen, Abstandsgebote, Maskenpflicht, Hygienekonzepte, Auflagen für den Betrieb von Schulen und die Kontaktnachverfolgung. Die Hintergründe und Folgen einer solchen Neuregelung haben wir am Dienstag hier analysiert.

Die relevanten Faktoren

Die verfassungsrechtliche Beurteilung einzelner Maßnahmen oder Bekämpfungsverordnungen hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab: der Ausgestaltung der Norm, dem lokalen Einzelfall sowie den betroffenen Grundrechten. Eine pauschale rechtliche Bewertung ist schlicht nicht möglich, so sehr sich die interessierte Öffentlichkeit dies oft wünscht. Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme oder eines Maßnahmenpaketes hängt eben von den konkreten Umständen ab. So entspricht manches in der Debatte vorgetragene Pauschal- oder Globalurteil eben nicht einer verwaltungs- oder verfassungsgerichtlichen Abwägungsentscheidung. Das Bundesverfassungsgericht wird demnächst zur Bundesnotbremse aus dem Frühjahr 2021 entscheiden, der Beschluss wird für die nächsten Wochen erwartet. Gleichwohl lassen sich gewisse Leitplanken markieren, in denen sich Corona-Maßnahmen bewegen müssen, um verfassungsgemäß zu sein.

Relevant sind drei verfassungsrechtliche Grenzen, die für die politische Auseinandersetzung um die Bekämpfung der vierten Welle der Corona-Virus Pandemie entscheidend sind:

(1) der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt,

(2) das Verhältnismäßigkeitsprinzip als verfassungsrechtliches Übermaßverbot und

(3) die Schutzpflichten als verfassungsrechtliches Untermaßverbot (dazu im Oktober 2020 bereits an dieser Stelle – Wesentliches bleibt nicht nachzutragen, in diesem Beitrag gehen wir nicht näher darauf ein).

(1) Der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt

Grundrechtseingriffe durch die Exekutive, zum Beispiel auf das Infektionsschutzgesetz gestützte Rechtsverordnungen der Landesregierungen, benötigen nach dem Grundgesetz einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Die Gesetzgebungsorgane müssen also in einem Gesetz vorsehen, welche Maßnahmen durch die Exekutive getroffen werden dürfen.

An der Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage der Bekämpfungsverordnungen (heute §§ 3228 S. 128a IfSG) gibt es seit Beginn der Pandemie viel Kritik aus der Wissenschaft (so beispielsweise zu Beginn von KlafkiVolkmannMöllers und Lepsius, im Laufe der Pandemie von KingreenKießlingVolkmann und Hollo), aber auch kontinuierlich aus der Rechtsprechung.

Insofern ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Ampelfraktionen „weiterhin notwendige Infektionsschutzmaßnahmen bis zu einer grundsätzlichen Überarbeitung des IfSG rechtssicher“ machen (Gesetzentwurf, S. 2) und festschreiben wollen, welche Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in den nächsten Monaten, unabhängig von der politischen Entscheidung über das Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, zulässig sein sollen (zur Regelungstechnik Kießling im Sommer hier, zu den politischen Zusammenhängen des aktuellen Gesetzesentwurfes hier).

Kehrseite der gewählten Regelungstechnik

Kehrseite der gewählten Regelungstechnik ist die Beschränkung auf diejenigen Maßnahmen, die das Parlament in den gesetzlichen Katalog aufnimmt: Abstandsgebote, Maskenpflicht, 2G- und 3G-Regelungen, Hygienekonzepte, Auflagen für den Betrieb von Schulen und Kontaktnachverfolgung (§ 28a Abs. 7 IfSG-E, S. 9 f. des Gesetzentwurfes). Andere Maßnahmen sind nach Auslaufen der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite Ende November nicht mehr zulässig. Auch kann wegen der Spezialregelungen in § 28a IfSG nicht mehr auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1, 2 IfSG zurückgegriffen werden. Es ist ja gerade das erklärte Ziel der Ampelfraktionen, solche „eingriffsintensiven Maßnahmen“ zu beenden.

Der Bundestag kann aber auch weiterhin die epidemische Lage von nationaler Tragweite (§ 5 Abs. 1 S. 1 IfSG) feststellen und so die Voraussetzung für die Anwendung der weitergehenden, bisher geltenden und weiterhin im Gesetz enthaltenen Rechtsgrundlagen (§§ 3228 Abs. 1 S. 128a IfSG IfSG) zum Erlass von Bekämpfungsverordnungen durch die Landesregierungen schaffen.

Festzuhalten bleibt: Jede Bekämpfungsmaßnahme bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Sonst ist sie nicht verfassungsmäßig. Die aktuelle Situation illustriert die immense Bedeutung der Gesetzgebung, die in dieser Pandemie immer wieder angemahnt worden ist. Die Gesetzgebungsorgane dürfen und müssen die Grundlagen der Pandemiebekämpfung selbst festlegen.

(2) Das Übermaßverbot: Verhältnismäßigkeit

Die Gesetzgebungsorgane sind dabei jedoch nicht vollkommen frei, sondern – wie die Landesregierungen beim Erlass der Bekämpfungsverordnungen – an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden: Eingriffe in Freiheitsrechte sind nur dann verfassungsgemäß, wenn sie auch verhältnismäßig sind. Die Verhältnismäßigkeit hängt dabei wesentlich vom Zweck des Eingriffes ab. Hier entscheidet sich, welche verfolgten Ziele in die verfassungsrechtliche Abwägung einfließen.

(a) Zweck der Maßnahmen: der Schutz der Gesundheit und des Lebens und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems

Zweck der Maßnahmen bis Sommer 2021 war der Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bevölkerung vor einer Infektion mit dem SARS-Coronavirus-2 und einem möglichen schweren Verlauf von COVID-19. Seitdem mehrere Impfstoffe gegen das Coronavirus flächendeckend verfügbar sind und sich viele, aber keineswegs alle Menschen über 12 Jahre impfen lassen können, relativiert sich dieser Zweck zumindest für jenen geimpften Teil der Bevölkerung, der als Folge der Impfung ausreichend Antikörper entwickelt hat. Gleichzeitig zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass die Wirkung der Impfung im Zeitverlauf nachlässt und durch eine dritte, sogenannte Boosterimpfung aufgefrischt werden muss. Es mag daher auch unter den Geimpften wieder schutzbedürftige Personen geben.

Geschützt werden muss definitiv jener Teil der Bevölkerung, der noch ungeimpft ist. Dieser besteht keinesfalls nur aus unverantwortlichen Personen mit Impfskepsis, sondern auch aus Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können und Hochrisikogruppen angehören, aus Schwangeren, sowie Personen, die keine Antikörper entwickelt haben. Für Kinder unter 12 Jahren an ist der Impfstoff ohnehin noch gar nicht zugelassen.

Nicht erst, wenn elektive Operationen in großen Universitätskliniken abgesagt werden, um die Intensivversorgung sicherzustellen, tritt der Zweck der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems gleichbedeutend hinzu. Eine Verschiebung elektiver Operationen beeinträchtigt die gesamte Bevölkerung, die potentielle gesundheitliche Versorgung durch Operationen und in der Intensivmedizin benötigt. Auch in Akutfällen wie bei Herzinfarkten muss eine Intensiveinheit verfügbar sein, und leider kommen Herzinfarkte auch während der Pandemie vor. Zweck weitreichender einschränkender Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kann unter dem Eindruck der aktuellen Belegung der Intensivmedizin in den nächsten Monaten deswegen die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sein, also die Verhinderung der Belegung mit Corona-Erkrankten.

(b) Geeignetheit: Maßnahmen der Kontaktbeschränkung zur Wiederherstellung der Funktionsweise des Gesundheitssystems

Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme ist ihre verfassungsrechtliche Geeignetheit: Die Maßnahme muss überhaupt geeignet sein, ihren angestrebten Zweck zu erfüllen. Die Erfahrungen mit den Auswirkungen weiterreichender kontaktbeschränkender Maßnahmen aus den letzten anderthalb Jahren zeigen, dass derartige Maßnahmen geeignet sind, sowohl die Auslastung der Intensivmedizin nachhaltig zu reduzieren und so die Funktionsweise des Gesundheitssystems wiederherzustellen als auch die Erkrankung einzelner Personen zu verhindern und damit deren Leib und Leben zu schützen. Soweit flächendeckende und kontaktbeschränkende Maßnahmen auch geimpfte Personen betreffen, muss die Beschränkung des Kontaktes zweier geimpfter Personen allerdings den Zweck fördern, das Gesundheitssystem zu entlasten.1)

(c) Erforderlichkeit: Impfpflicht oder 2G als mildere Mittel?

Die Maßnahmen müssen auch geeignet sein. Das sind sie im verfassungsrechtlichen Sinne, wenn der verfolgte Zweck nicht auch mit einem milderen Mittel bei gleicher Wirkung erzielt werden kann. Der Weg aus der Pandemie ist das Impfen. Alternativ könnte Herdenimmunität angestrebt werden. Dies erforderte eine Durchseuchung der ungeschützten Bevölkerung und hätte mindestens 100.000 zusätzliche Tote zur Folge. Ein solch utilitaristischer Ansatz führt zu Konflikten mit der Menschenwürde, die in Art. 1 GG geschützt wird, und zwar bedingungslos. Die Aufopferung des Lebens und der Gesundheit Einzelner, um vielen unbeschwerten Freizeitgenuss zu ermöglichen, ist als Regelungsansatz prinzipiell fragwürdig.

Die Voraussetzungen einer Impfpflicht sind zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat im Frühjahr 2020 bislang lediglich Eilanträge gegen die Pflicht zur Masernimpfung von Kindern in Gemeinschaftseinrichtungen abgelehnt. Für jene Berufsgruppen, die besonders exponiert sind oder in Alten- und Pflegeeinrichtungen oder der Gesundheitsversorgung für besonders vulnerable Personengruppen Verantwortung tragen, lässt sich eine Impfpflicht verfassungsrechtlich grundsätzlich durchaus rechtfertigen (skeptisch unter anderen faktischen Umständen noch Rixen im Sommer 2021).

Aus der Epidemiologie und der Virologie heißt es, dass auch flächendeckende Booster-Impfungen notwendig sind, um die Infektionsdynamik zu brechen. Eine Durchimpfung der Bevölkerung braucht freilich Zeit. Zur Brechung des Infektionsgeschehens reicht es nicht, allein vulnerable Personengruppen mit Impfstoff zu versorgen. Vielmehr müssen 50 % der Bevölkerung mit einer dritten Impfung versorgt werden. Derzeit empfiehlt die STIKO eine Auffrischungsimpfung erst nach sechs Monaten für einen begrenzten Personenkreis.

Was ist richtig? Schwer zu sagen

Politisch diskutiert wird aktuell die flächendeckende Einführung eines 2G-Modells. 2G gestattet nur noch geimpften oder genesenen Personen die Teilnahme am öffentlichen Leben. Ob 2G eine „Schubumkehr“ des Infektionsgeschehens bewirken kann, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab und insbesondere von Ausweicheffekten, faktischer Kontrolle und Umfang der Regelungen.

Die Wirkungen der einzelnen pharmazeutischen und nichtpharmazeutischen Maßnahmen wie Impfpflicht, Booster-Impfungen, 2G-Regelungen, aber auch Kontaktbeschränkungen oder Betriebsbeschränkungen hängt von einer Vielzahl faktischer Voraussetzungen ab. Diese können weder von einem Gericht mit letzter Sicherheit überprüft noch wissenschaftlich präzise vorhergesagt werden. Auch unter diesen epistemischen Unsicherheiten müssen jedoch Entscheidungen getroffen werden. Sowohl den Gesetzgebungsorganen als auch den Landesregierungen obliegt nach wie vor eine weite Einschätzungsprärogative bei der Auswahl der Maßnahmen, mag sich auch das zweite Pandemiejahr seinem Ende zuneigen. Die Faktizität der Pandemie schert sich nicht um hoffnungsvolle Wünsche der Politik.

flächendeckende Maßnahmen könnten noch für geimpfte erforderlich sein

Die Bewertung der Geeignetheit einzelner Maßnahmen hängt sowohl von deren Intensität als Grundrechtseingriffe ab als auch von ihren Wirkungen auf Infektionsdynamik und Infektionsgeschehen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand können flächendeckende Maßnahmen auch gegenüber geimpften Personen durchaus noch erforderlich sein, um die verfassungsrechtlich legitimen Ziele des Schutzes von Leib und Leben der Einzelnen zu erreichen, wenn keine anderen, ebenfalls geeigneten, aber weniger eingreifenden Maßnahmen ersichtlich sind, wie es momentan der Fall zu sein scheint.

Hinweis: Der Wochenbericht des RKI vom 11.11.2021 verzeichnet einen Anteil geimpfter Patienten über 60 mit einer Coronavirus-Infektion auf der Intensivstation an den auf der Intensivstation mit Coronavirus-Infektion behandelten Patienten von 36 %, in der Altersgruppe 18 bis 59 12,9 %. Es gibt also einen Anteil an Personen, die trotz Impfung bei Infektion auf der Intensivstation landen (sogenannte Impfdurchbrüche). Nach dem RKI steigt auch das Risiko für die geimpfte Bevölkerung mit zunehmenden Infektionszahlen.

(d) Angemessenheit: Das Gewicht der Gesundheit

Schließlich müssen die Maßnahmen angemessen sein: Der verfolgte Zweck darf zur Intensität des Grundrechtseingriffes nicht außer Verhältnis stehen. Wiederum muss zunächst das verfassungsrechtliche Gewicht des verfolgten Zwecks bewertet werden: Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet und berechtigt den Staat dazu, die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung zu schützen (dazu im Oktober 2020 hier).

Das gilt für durch eine Impfung geschützte Personen ebenso wie für noch ungeschützte Personen. Gegenüber Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, wird oft das Argument der Eigenverantwortlichkeit vorgebracht, nach dem Motto: „selber schuld“, wer sich nicht impfen lässt. Schutzmaßnahmen zugunsten ungeimpfter Personen gegenüber der Bevölkerung seien daher nun nicht mehr notwendig bzw. gar nicht mehr zulässig.

Diese Argumentation mit der Eigenverantwortlichkeit verkennt zwei Aspekte:

Erstens können sich aus gesundheitlichen Gründen nicht alle Personen impfen lassen und nicht alle entwickeln Impfschutz. Oftmals gehören gerade diese Personen besonderen Risikogruppen an. Der Staat muss gleichwohl auch und gerade diese Menschen effektiv vor einer Infektion mit dem Corona-Virus schützen.

Zweitens hätte eine Durchseuchung der ungeschützten Bevölkerung eine Überlastung der Kapazitäten auf den Intensivstationen zur Folge. In einem solchen Falle aber wäre die Gesundheitsversorgung keiner Person, egal ob geimpft oder ungeimpft, im Notfall sichergestellt – man denke an den Herzinfarkt.

Mit dem Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit ungeimpfter Personen können daher flächendeckende Maßnahmen nicht für verfassungswidrig erklärt werden, denn deren Erkrankungen haben Auswirkungen auf alle anderen Menschen: Eine überfüllte Intensivstation gefährdet potentiell die Gesundheit aller Menschen, die medizinisch betreut werden müssen. Zum Schutz der Gesundheit aller können folglich in der gegenwärtigen Situation auch flächendeckende Maßnahmen gegenüber immunisierten Personen eingeführt werden.

Eine bedeutende Aufgabe der Politik

Die Erarbeitung eines Maßnahmenkonzeptes, das die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems wiederherstellt und die Gesundheit vulnerabler Personengruppen effektiv schützt, ist und bleibt Aufgabe der „Politik“, unterliegt aber auch ihrer Einschätzungsprärogative. Das bedeutet konkret:

  • Die Gesetzgebungsorgane des Bundes dürfen und müssen eine gesetzliche Grundlage schaffen, wie die Coronavirus-Pandemie auch ab Dezember 2021 bekämpft werden kann. Der aktuelle Gesetzentwurf geht dafür unseres Erachtens nicht weit genug, weil er den Ländern notwendige Möglichkeiten der Pandemiebekämpfung vorenthält.
  • Der Deutsche Bundestag könnte jederzeit das Fortbestehen einer Epidemischen Lage von nationaler Tragweite erneut feststellen (§ 5 IfSG). Eine solche Feststellung erlaubte es Landesregierungen auch in Zukunft, flächendeckende Maßnahmen nach §§ 3228 Abs. 1 S. 1, 228a Abs. 1 IfSG zu erlassen.
  • Die (geschäftsführende) Bundesregierung kann Maßnahmen zum Schutz am Arbeitsplatz in der Corona-Arbeitsschutzverordnung verschärfen und die Teststrategie durch Änderung der Coronavirus-Testverordnung anpassen. Zum Glück scheinen die zukünftige Ampelkoalition und die scheidende Bundesregierung in diesen Fragen zusammenzuwirken.
  • Die Landesregierungen müssen ihrem Schutzauftrag gerecht werden und auf Basis des bundesgesetzlichen Infektionsschutzgesetzes durch Rechtsverordnung Bekämpfungsmaßnahmen anordnen, jeweils angepasst an das lokale Infektionsgeschehen.

Auch zu Beginn des Winters 2021/2022 sind in der absehbar gewaltigen vierten Welle der Pandemie die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen zu einer wirksamen Pandemiebekämpfung aufgerufen. Die Verfassung steht einer weiterhin maßvollen, aber eben auch effektiven Pandemiebekämpfung keineswegs entgegen. Sie lässt in der aktuellen Situation und auf Basis einer gesetzlichen Grundlage flächendeckende und kontaktbeschränkende Maßnahmen gegenüber der gesamten Bevölkerung zu, also gegenüber geimpften wie ungeimpften Personen.

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Artikelbild: pixabay.com, CC0

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