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Gaza-Krankenhaus: Hört auf, jeden Fake zu glauben, der euch passt!

von , | Okt 18, 2023 | Faktencheck

Update: Die Infos in diesem Artikel sind eventuell stellenweise veraltet. Wir haben hier ein Update veröffentlicht:

Eine Rakete schlug gestern bei einem Krankenhaus in Gaza ein. Nein, wir wissen bisher nicht, wer dafür verantwortlich ist und wessen Rakete das war. Nicht einmal, wie viele Opfer es wirklich gab. Wenn du gerade widersprechen willst, dass du vermeintliche „Beweise“ für das eine oder das andere gesehen hast: Genau so funktionieren Fake News. Du möchtest, dass eines stimmt und das andere nicht. Es gibt aber bisher noch keine unabhängig verifizierten Informationen. Jeder, der sofort der einen oder anderen Seite die Schuld gab, sollte sich schämen.

Ich weiß, die Emotionen kochen hoch. Aber das ist keine Entschuldigung, kritisches Denken aufzugeben und sich zum Gehilfen von Propaganda zu machen. Das endet nur in Gewalt – es gab bereits einen Anschlag auf eine Synagoge in Berlin – und heizt die Stimmung nur weiter an. Willst du dafür mitverantwortlich sein? Lies hier den Faktencheck zum Krankenhaus und was bisher bekannt ist – und was sich bereits als Fake News herausgestellt hat.

Weiter unklar, wer die Rakete abfeuerte

In den sozialen Medien tobt weltweit ein Streit darüber, wer die Verantwortung für den Treffer auf das Krankenhaus trägt. Bisher ist weiterhin unklar, wer die Verantwortung trägt, beide Seite beschuldigen sich gegenseitig. Während die Behauptung, dass es sich um eine israelische Rakete handelte (eine Behauptung von Hamas!) sich schnell auch von seriösen Medien verbreitete, gibt es derweil etliche Hinweise, dass das nicht stimmen könnte. Die wahrscheinlichste Variante davon, was wirklich passiert ist, basiert auf Geodaten des Videomaterials, den OSINT-Faktenchecker zusammengetragen haben.

Diese Theorie erklärt das Geschehene so: Eine von einer palästinensischen Gruppe abgefeuerte Rakete explodierte in der Luft (Grund unbekannt) und ein Teil fiel auf das Krankenhaus und verursachte eine Explosion. Das ist aber nicht bestätigt. Und es gibt noch weitere Details:

Hamas hat Israel beschossen

Dass dem Einschlag im Krankenhaus zeitlich ein Beschuss durch die Hamas voranging, hatten beide Seiten bestätigt, dafür sprechen auch unabhängige OSINT-Recherchen. Das erklärten die israelischen Streitkräfte. Und das soll auch in den eigenen Kanälen der Hamas zuvor bestätigt worden sein.

Screenshot Telegram Kanal Kassam Brigaden: „Al-Qassam-Brigaden bombardieren die besetzten Dämme mit einem Raketenbeschuss“.

Dennoch ist weiterhin unklar, was genau vorgefallen ist. Ein Video zeigt, wie eine Rakete in der Luft zerbricht, oberhalb des Krankenhauses. Dieses Video zeigt den verifizierten aktuellen Einschlag. Es gab viele Fake-Videos, aber das hier scheint echt zu sein. Danach sieht man eine Explosion an der geolokalisierten Position des Krankenhauses.

Es ist natürlich denkbar, dass die Explosion anders zustande kam, das wissen wir nicht, aber es wäre schon ein großer Zufall. Daher ist es mit den aktuellen Informationen wahrscheinlicher, dass eine Hamas-Rakete verantwortlich war. Dennoch müssen wir abwarten, was unabhängige Berichterstatter und Experten erklären, und bei den Meldungen beider Kriegsparteien vorsichtig sein, die beide für Falschbehauptungen bekannt sind.

Nein, Naftali ist kein offizieller Sprecher der Regierung

Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte ist Arye Sharuz Shalicar oder Daniel Hagari. Ein gewisser Hananya Naftali war ein pro-israelischer Social Media Influencer und er ist definitiv ein pro-israelischer Aktivist. Er war im Social-Media-Team von Netanyahu, dann wurde er jedoch als Soldat eingezogen. Auch wenn er seit wenigen Tagen in irgendeiner Kapazität wieder mit Medien arbeiten solle, anscheinend auch für die Regierung. Aber er ist kein offizieller Sprecher der israelischen Regierung.

Der Account wurde zeitweise derzeit von seiner Frau geleitet, da er ins Militär eingezogen wurde. Ja, dieser Account hat gestern völlig unverantwortlich Fake News verbreitet zum getroffenen Krankenhaus, welches schnell wieder gelöscht wurde und man sich später immerhin dafür entschuldigte. Die Falschinformation sollte von Reuter stammen. Doch der Screenshot wurde wieder von anderen Fake-Verbreitern geteilt, mit der Behauptung, dass er ein offizieller Sprecher der Regierung sei. Das ist ebenfalls falsch.

Naftali ist kein offizieller Sprecher der Regierung. Und deswegen kann sein voreiliger Fake und Propaganda-Post auch kein Beleg dafür sein, dass die israelische Regierung irgendetwas „zugegeben“ hätte.

Transparenzhinweis: Wir hatten zeitweise einen Tweet veröffentlicht, in dem wir darauf hinwiesen, dass Naftali kein offizieller Sprecher der Regierung sei. Wir schrieben übereifrig, dass er „nichts“ mit der israelischen Regierung zu tun habe und das ist natürlich so nicht richtig.

Außerdem: Der offizielle Facebook Account der israelischen Streitkräfte ist dieser hier. Ein random Account, der sich vermeintlich als offizielle israelische Sprecher ausgeben, und in Arabisch twittern, ist auch kein Beleg dafür.

Die einzige Seite eines IDF-Sprechers in arabischer Sprache (mit anderem Titel und Profilbild als dem Bild in diesem Tweet) scheint dieser hier zu sein. Warum sollte dieser seltsame Account das twittern, aber nicht die offizielle Seite? Also nein, irgendwelche Screenshots belegen keine Verschwörungsmythen, dass Israel schon mal etwas zugegeben hätte. Im Gegenteil, offizielle israelische Stellen sprechen davon, dass es sich um eine Hamas-Rakete handelte. Diese Aussage sollte man natürlich nicht auch ungeprüft glauben und sollte als bisher unbelegte Behauptung behandelt werden. Aber warum glaubt man, dass offizielle Sprecher Israels Fakes verbreiten, aber Fake-Sprecher die Wahrheit?

Und ja, auch offizielle israelische Stellen posteten und löschten zunächst Videos. Israels Armee begründete dies damit, dass sie falsch datiert gewesen seien, so eine ARD-Korrespondentin. Aber man sieht: Man sollte einfach immer skeptisch bleiben und nicht auf jeden ersten Verdacht aufspringen.

Das Ausmaß des Schadens und die Zahl der Toten sind unbelegt

Was wir wissen: Dass ein Krankenhaus in Gaza getroffen wurden. Was wir bisher nicht wissen: Wie groß der Schaden ist und wie viele Opfer es gibt. Natürlich ist jedes verlorene Leben eine Tragödie, aber auch hier wurden viele Opfer vorschneller Meldungen. Erste Fotos des Schadens am Boden zeigen relativ kleine Schäden im Parkplatz des Krankenhauses:

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Man sieht, dass nur wenige Autos in der Mitte tatsächlich kinetisch beschädigt sind, der Rest hat Brandschaden. Das Krankenhaus selbst scheint gar nicht direkt getroffen worden zu sein. 

Ein Arzt sagt gegenüber Ärzte ohne Grenzen, dass es auch im Krankenhaus Schäden gab, aber wir haben bisher keine visuelle Bestätigung, wie dieser Schaden genau aussieht. Bisherige Videos zeugen zwar von einer Schockwelle, diese hat aber die strukturelle Integrität des Krankenhauses und anderer Gebäude nicht beschädigt.

Angesichts dieser Fakten scheint es unplausibel, dass mehrere hundert Todesopfer zu beklagen sind, wie von Hamas-Behörden behauptet. Auch ist der Schaden nicht konsistent mit Bombardierung aus der Luft. Der Schaden ist allerdings konsistent mit Hamas-Raketen, die in Israel eingeschlagen sind. 

Viele Accounts behaupteten auch, dass 500 Tote unmöglich durch eine Hamas-Rakete verursache werden konnten. Allerdings ist der Schaden sehr viel kleiner als gedacht. Die einzige Quelle für mehrere hundert Tote ist die Hamas. Wir glauben der Hamas nicht. 

Um tatsächlich auf diese Zahl zu kommen, hätte es auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus eine dichte Menschenmenge geben müssen. Allein die dort stehenden Autos dürften das allerdings verhindert haben.

Es kann also durchaus sein, dass es zu dutzenden Todesopfern gekommen ist. Allerdings sind höhere Todeszahlen zum jetzigen Zeitpunkt unglaubwürdig. Auch bei Aufnahmen von lokalen Bürger vor Ort zeigt sich nur ein kleiner Krater und nur limitierter Schaden.

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Unklar, wer die Rakete gefeuert hat

Wir sollten uns alle schämen. Bis jetzt ist unklar, wer die Rakete auf das Krankenhaus gefeuert hat. Aber jeder Account, der nur wenige Minuten nach der Meldung ohne zu zögern behauptet hat, zu wissen, wer Schuld hat, hat sich an Desinformation beteiligt. Es ist erschreckend, wie viele Medien, Influencer und Politiker, die Erstmeldung der Hamas geteilt haben, obwohl zu Anfang überhaupt nicht klar gewesen ist, was überhaupt wirklich genau passiert ist. Das ist aktuell unfassbar unverantwortlich. 

Der Deutschlandfunk verbreitete zunächst die unbestätigten Behauptungen der Hamas.

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Der Guardian verlinkte unkritisch eine Hamas-nahe Nachrichtenagentur.

Nach der Explosion beim Krankenhaus in Gaza hat Israel jetzt Luftaufnahmen vorgelegt, die beweisen sollen, dass die Terrororganisation Hamas dafür verantwortlich sei, diese widerspricht. Dementsprechend ist es leicht, dass sich jede Seite hier die vermeintlichen Beweise herauspickt, die sie wahrhaben will. Es wurde jedoch noch nicht unabhängig bestätigt und bis dahin ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und abzuwarten. Das wird umso schlimmer, wenn die Bedrohungslage für jüdische Menschen in Deutschland und anderswo zunimmt, und offenbar Anschläge auf jüdische Einrichtungen verübt werden.

Hier geht es nicht darum, alles einseitig in Gut und Böse einzuteilen – das führt nur zu Gewalt und zu Hass. Teilt nicht jede Meldung, die euer Freund-Feind-Bild bestätigt, ohne es unabhängig überprüft zu haben. Im Zweifel lieber nichts posten. Diese aufgehetzte Stimmung ist das letzte, was dabei hilft, Frieden und Sicherheit für alle Menschen zu schaffen. Wir sind auf keiner Seite, wir gucken uns die Fakten an. Wer Frieden will, bekämpft Falschinformationen.

UPDATE: Hamas-Rakete bestätigt

Nach derzeitigen Informationen scheint bestätigt zu sein: Eine von einer palästinensischen Gruppe abgefeuerte Rakete explodierte in der Luft (Grund unbekannt) und ein Teil fiel auf den Parkplatz vor dem Krankenhaus und verursachte eine Explosion. Verschiedene unabhängige Details und Analysen sprechen dafür. Bei den Behauptungen der Hamas scheint es sich um voreilige Propaganda gehandelt zu haben. Mehr dazu in unserem neuen Artikel.

Artikelbild: Ariel Schalit/AP/dpa