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Die Freien Sachsen auf Telegram: Eine rechtsextreme Querdenker-Partei

von | Jan 3, 2022 | Aktuelles

Die Freien Sachsen auf Telegram

Autorin: Pauline Reinhardt

Triggerwarnung: Gewalt, Rassismus, Antisemitismus

Im Februar 2021 wurden die Freien Sachsen, nicht zu verwechseln mit der bis 2009 aktiven Partei Freie Sachsen – Allianz unabhängiger Wähler, gegründet. Seitdem sind sie vor allem durch ihre zahlreichen Proteste gegen die Coronapolitik bekannt geworden.

Wegen der hohen Infektionszahlen erlaubt die Corona-Verordnung in Sachsen derzeit nur ortsfeste Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmer:innen. Zusätzlich gilt eine Maskenpflicht. Gegen diese Auflagen verstoßen die Demonstrationen der Freien Sachsen, vermeintlich getarnt als harmlose „Spaziergänge“, regelmäßig. Zudem gibt es bei den Veranstaltungen der Partei rechtsextreme Sprechchöre und Symbole, Gewalt gegen Polizist:innen und Journalist:innen.

Nach nur 4 Monaten als verfassungsfeindlich eingestuft

Im Juni, gut vier Monate nach ihrer Gründung, wurden die Freien Sachsen als rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Gruppierung eingestuft, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Partei wurde von etablierten Rechtsextremisten gegründet: Vorsitzender ist Martin Kohlmann, bislang „Pro-Chemnitz“-Chef. 2018 war er Koordinator und Anführer der gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz (Quelle). Seine Stellvertreter sind der NPD-Funktionär Stefan Hartung und der Plauener Busunternehmer Thomas Kaden. Der Pro-Chemnitz-Funktionär Robert Andres fungiert als Schatzmeister.

Zu den Protesten aufgerufen wird vor allem über Telegram. Neben dem Hauptkanal mit 118.614 Abonnent:innen (Stand: 21. Dezember 2021) gibt es noch kleinere Kanäle für Erzgebirge, Mittelsachsen, Ostsachsen / Lausitz, Leipzig / Nordsachsen, Vogtland, Zwickau, Meißen und Dresden mit jeweils 2 – 8.000 Abonnent:innen. Dadurch werden alle Regionen des Freistaates abgedeckt. Ein Sonderfall ist @PROCHEMNITZ; der Kanal existierte schon vor der Gründung der Freien Sachsen und nennt sich inzwischen PRO CHEMNITZ/Freie Sachsen. Außerdem hat der Parteivorsitzende Martin Kohlmann seit dem 13. Dezember 2021 einen eigenen Kanal.

In den letzten Wochen ist besonders die Follower:innenanzahl des Hauptkanal angestiegen.

In Sachsen leben gut 4 Millionen Menschen. Dem Hauptkanal folgen demnach ca. 3 Prozent der Bevölkerung des Freistaates, Tendenz steigend. Um größer zu erscheinen, wird in den Kanälen für möglichst viele Kundgebungen in möglichst kleinen Ortschaften mobilisiert:

Auch in der Dokumentation Scheitert die Polizei in Sachsen an den Corona-Protesten? von dem MDR-Format exactly wird diese Strategie thematisiert: Jede Woche müssten die Polizist:innen an unzähligen Orten eingesetzt werden, hinzu kämen krankheitsbedingte Ausfälle, sodass die Polizist:innen häufig in der Unterzahl seien.

In den Telegram-Kanälen der rechtsextremen Freien Sachsen werden nicht nur Protestaufrufe und -berichte geteilt. Nebenbei wird Werbung für den Onlineshop und eine Mitgliedschaft bei den Freien Sachsen gemacht. Auch zahlreiche Fake News gehören zu den Inhalten, geschrieben wird in einer gewaltvollen Sprache.

Fake News

Die Freien Sachsen positionieren sich nicht nur gegen die Coronamaßnahmen und verbreiten Fake News zu Impfungen gegen das Virus, sie hetzen auch gegen Asylbewerber:innen. Dazu gehört die Verbreitung von Fake News und die Instrumentalisierung von Mord, wie zuletzt vor wenigen Monaten:

Am 15. September 2021 wurde ein 16-jähriges Mädchen in Großröhrsdorf (Landkreis Bautzen) ermordet. Einen Tag später meldeten sich die Freien Sachsen bei Telegram zu Wort. Sie spekulierten:

„Würde Täter aus Großröhrsdorf stammen, hätte die Polizei ihn sicherlich längst festgenommen. Oder zumindest öffentlich mit Namen und Bild nach ihm gefahndet. Anders sähe es aus, wenn der Täter – und das auch noch so kurz vor der Bundestagswahl – nicht von hier stammt, ggf. erst seit 2015/16 hier wohnhaft ist. Und gerade in Großröhrsdorf sind bis heute viele Gäste der scheidenden Bundeskanzlerin untergebracht.“

Es gibt keinerlei Grundlage für die Vermutung, eine geflüchtete Person habe das Mädchen ermordet, zum Beispiel Zeug:innenaussagen oder Aussagen aus dem Umfeld der Ermordeten. Der Text ist im Konjunktiv geschrieben, suggeriert aber trotzdem, bei dem Täter müsse es sich um einen Asylbewerber handeln, denn einen Täter aus dem Ort hätte man „sicherlich längst festgenommen“ ─ einen Tag nach der Tat.

Zudem wird das Konzept des Othering angewendet: Wer seit fünf oder sechs Jahren in dem gleichen Ort wie der Verfasser des Textes wohnt, aber „nicht von hier stammt“, gehört nicht dazu.

Inzwischen wurde ein Tatverdächtiger für den Mord gefasst, ein deutscher Teenager aus dem Ort, der das Mädchen aus der Schule kannte und inzwischen in der Psychatrie untergebracht wurde. Die Freien Sachsen schweigen angesichts dieser Auflösung des Mordfalls.

Sprache der Gewalt

Die Freien Sachsen betonen in ihrem Telegram-Kanal stets, ihre Demonstrationen seien „friedlich“. Gewalt würde nur von den Polizist:innen ausgehen, die sie als „Kretschmers Milizen“ bezeichnen. Man sieht sich in der Tradition der Friedlichen Revolution, wie folgendes Zitat zeigt:

„Björn Höcke prägte einst den Begriff „Herrschaft des Unrechts“. Er könnte wohl kaum besser auf die Zustände passen, die wir momentan in Sachsen erleben. Immerhin: In der Vergangenheit wurden ähnliche Herrschaften häufig irgendwann von den Bürgern beendet.“

Die Bundesrepublik Deutschland wird als eine zu bekämpfende „Diktatur“ dargestellt, die dem SED-Regime ähneln würde. Zeitungsartikel über Proteste in der DDR werden als vermeintlicher Beweis für diesen Vergleich herangezogen. Zumindest Martin Kohlmann und Stefan Hartung, zwei der wichtigsten Akteure der Freien Sachsen, sind viel zu jung, um an der Friedlichen Revolution mitgewirkt zu haben: Kohlmann war 1989 ungefähr 12 Jahre alt, Hartung wurde in dem Jahr geboren.

Gewaltvolle Proteste

Und: Die Proteste der Freien Sachsen verlaufen häufig, anders als die Friedliche Revolution, gewaltvoll. Auch die Nachrichten in den Telegram-Gruppen sprechen eine Sprache der Gewalt. Despot, Diktatur, solche Worte fallen oft, um die rechtsextremen Demonstrationen zu legitimieren. Vor allem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ist immer wieder das Ziel von Hasstiraden. 574 Nachrichten findet man in @freiesachsen, wenn man seinen Namen eingibt (Stand: 21. Dezember 2021). Häufig wird die Forderung geteilt, Kretschmer verhaften zu lassen.

Martin Kohlmann bestritt am 15. Dezember in seinem Telegram-Kanal, was die ZDF-Sendung frontal herausgefunden hatte: dass es in der Telegram-Gruppe Dresden Offline Vernetzung Mordpläne gegen Michael Kretschmer gegeben hatte. Er distanziert sich von Mordplänen ─ nicht aus moralischen, sondern aus taktischen Gründen seien diese falsch:

„Sollte da irgendwas dran sein, daß jemand dem Pumuckl zu Leibe rücken wollte, ist so ein Plan sehr falsch. Nichts hilft dem Feind in der jetzigen Situation propagandistisch mehr als eigene Opfer. Außerdem können sich Kobolde unsichtbar machen.“ [sic]

Kohlmann spricht Kretschmer durch diese Nachricht nicht nur ab, ein Mensch zu sein. Der Vergleich mit einem Kobold ist zudem ein antisemitischer Stereotyp gegen angebliche Machthaber, in diesem Fall sogar mit magischen Fähigkeiten.

Sprache und Strategien der Telegram-Kanäle hängen mit dem Offline-Geschehen zusammen. Drohgebärden, wie der Fackelaufzug vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping, werden dort durch hasserfüllte Worte vorbereitet und anschließend als „Bürgerprotest“ legitimiert.

Vernetzung

Das Netzwerk der Freien Sachsen ist groß. Ein Blick in öffentlich zugängliche Telegram-Statistiken zeigt, dass die Partei hauptsächlich eigene Inhalte postet, die von vielen größeren Kanälen weitergeleitet oder erwähnt werden. Dazu zählen die Kanäle von Attila Hildmann, dem Compact-Magazin und dem Vorsitzenden der Identitären Bewegung Österreich Martin Sellner.

Am 21. Dezember wurden von 00:44 bis 18:59 Uhr Posts der Freien Sachsen 50-mal weitergeleitet oder erwähnt, teilweise von einem Kanal mehrmals. Da diesen überregionalen Kanälen zwischen 2.000 und 159.000 Menschen folgen, sind die Freien Sachsen auch außerhalb des Freistaats präsent. Jeder Post von ihnen endet mit einem Hinweis auf ihren Telegram-Kanal. So kann man von dem Post immer wieder zu den Freien Sachsen gelangen, selbst wenn dieser mehrfach weitergeleitet wurde.

AfD, III. Weg & Co

Die Freien Sachsen zitieren meistens sehr kleine Channels mit teilweise unter 100 Mitgliedern. Dazu zählen die verschiedenen regionalen Gruppen, ähnliche Gruppen aus anderen Bundesländern, aber auch Gruppen, in denen vor allem esoterische oder homophobe Inhalte geteilt werden. Das gesamte Spektrum wird abgedeckt, von III. Weg Vogtland bis Jörg Dornau, AfD-Mitglied des Sächsischen Landtages. So machen die Freien Sachsen breit gefächert und vor allem lokal auf sich aufmerksam. Sie werden viel häufiger zitiert, als sie selbst zitieren: im gleichen Zeitraum nur zweimal.

Türkis: Diese Kanäle haben in dem genannten Zeitraum Beiträge von @freiesachsen geteilt. Kanäle mit mehr als 10k sind größer dargestellt. Orange: Von diesen Kanälen haben @freiesachsen im gleichen Zeitraum Beiträge geteilt.

Die Telegram-Kanäle der Freien Sachsen wachsen: Der Hauptkanal bekommt immer mehr Zulauf, weil die Inhalte von verschiedenen großen Kanälen geteilt werden. Zusätzlich erweitert sich das regionale Netzwerk durch das Bespielen der kleineren Freie Sachsen-Gruppen. In diesem Artikel von Belltower News wird das Phänomen gut zusammengefasst: „Lokale Gruppen übernehmen Gemeinschaft bildende Austausch-Funktionen, überregionale bis globale Gruppen vermitteln ‚Bedeutung‘ für das eigene Tun und Glauben – gerade im verschwörungsideologischen Kontext wird das geschätzt.“

Ein Lichtblick: Es entwickelt sich Widerstand gegen die Freien Sachsen, in Form von Petitionen und Gegenprotesten.

Zum Thema:

Wie Querdenker:innen auf Telegram unterwegs sind & warum das eine Gefahr für die Demokratie ist

Autorin: Pauline Reinhardt, Artikelbild: Telegram / @freiesachsen

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