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Die Genfer Konventionen – Werden Putins Kriegsverbrechen Konsequenzen haben?

von | Mrz 14, 2022 | Aktuelles

Genfer Konventionen erklärt

Die Genfer Konventionen, auch Genfer Abkommen genannt, stehen im Plural, weil es seit der ersten Vereinbarung von 1864 mehrere Überarbeitungen und Ergänzungen gab. Die vier Abkommen und drei Zusatzprotokolle können hier nachgelesen werden. Der Anspruch: Methoden und Mittel der Kriegsführung sollen eingeschränkt werden (Quelle), um Menschen im Krieg vor Leid schützen. Insbesondere Zivilist:innen und nicht mehr im Einsatz befindliche Kombattant:innen (Quelle). 

Originaldokument der ersten Genfer Konvention, 1864. Kevin Quinn, Ohio, US; CC BY 2.0.

Die erste Konvention wurde vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) initiiert, zu dem auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) gehört. Viele verbinden das DRK mit den lokalen Verbänden, die Blutspendeaktionen organisieren, Pflege- und weitere Einrichtungen anbieten. Doch auch die Internationale Hilfe gehört zu den Aufgaben des Vereins. Das IKRK (auf Englisch: ICRC) erklärt aus aktuellem Anlass auf Twitter, was die Genfer Konventionen besagen:

https://twitter.com/ICRC/status/1499765222936096779

Angriffe auf Zivilist:innen sind illegal. Kämpfende müssen als solche gekennzeichnet sein. Zivile Infrastruktur ─ Schulen, Krankenhäuser, Wohngebäude, Wasser- und Elektrizitätsversorgung ─ dürfen nicht angegriffen werden. Um Verletzte sowie Getötete muss sich gekümmert werden. Gefangene müssen respektvoll behandelt werden. Illegale Waffen, sowie der illegale Gebrauch von Waffen sind verboten. Humanitäre Arbeit darf nicht blockiert werden.

Fast alle Staaten haben unterschrieben – auch Russland

„Mittlerweile haben 195 Staaten die Genfer Abkommen unterschrieben – fast alle Staaten der Erde!“, schrieb das DRK Hessen 2014 anlässlich des 150. Jubiläums des Abkommens (Quelle). Auch Russland gehört zu den Unterzeichnern.

Doch Verstöße gegen das Abkommen sind an der Tagesordnung. „Die Genfer Konvention ist ein leeres Versprechen“ titelte Deutschlandfunk Kultur 2019. Denn im Syrienkrieg habe es mehr Angriffe auf Krankenhäuser gegeben als jemals in einem Krieg seit 1971 (Quelle).

Damals gab es auch Angriffe auf Hilfskonvois ein weiterer Verstoß gegen die Genfer Abkommen (Quelle). Außerdem wurden humanitäre Korridore als Kriegsmittel missbraucht: Man forderte die Zivilbevölkerung auf, während der Feuerpausen die Stadt Aleppo zu verlassen. Anschließend griffen die syrische Armee und die russische Luftwaffe die Stadt an (Quelle).

Zweischneidigkeit von humanitären Fluchtkorridoren

Diese Verstöße gegen die Genfer Abkommen prägen auch die Reaktionen auf die von Russland angekündigten humanitären Fluchtkorridore in der Ukraine. Der Generalsekretär des DRK, Christian Reuter, sagte in einem Interview im ZDF, er sehe humanitäre Fluchtkorridore als zweischneidig. Denn es dürfte „nicht in der Konsequenz heißen, dass alle Menschen, die dort nicht fliehen, dann sozusagen angegriffen werden können, ungeschützt bleiben.“ (Quelle)

Solche Korridore sind sogar gemäß Artikel 17 des Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten verordnet: „Die am Konflikt beteiligten Parteien sollen sich bemühen, örtliche Abmachungen für die Evakuierung von Verwundeten, Kranken, Gebrechlichen, Greisen, Kindern und Wöchnerinnen aus einer belagerten oder eingekreisten Zone zu treffen, sowie für den Durchzug der Geistlichen aller Bekenntnisse sowie des Sanitätspersonals und materials, die sich auf dem Wege nach dieser Zone befinden.“

Die USA werfen Putin auch vor, eben diese humanitäre Fluchtkorridore auch beschossen zu haben (Quelle).

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Bombardierung ziviler Gebiete und Einsatz von Streuwaffen

Laut Spiegel-Recherchen gibt es offenbar inzwischen bestätigte Kriegsverbrechen von russischer Seite. Es wurden Ermittlungen von Anklägern des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag und der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe aufgenommen. Zivile Gebiete seien bombardiert worden, beispielsweise gab es Angriffe auf das Gesundheitswesen (Quelle, Spiegel+).

https://twitter.com/WHO/status/1500136320718766080

Außerdem wurden Streuwaffen eingesetzt. Dabei handelt es sich um Bomben, die zerbersten, während sie sich in der Luft befinden. Die vielen enthaltenen Sprengkörper verteilten sich so in einem großen Gebiet, sodass die Wahrscheinlichkeit steigt, zivile Gebiete zu treffen. Außerdem explodieren circa zehn Prozent nicht sofort, sondern bleiben am Boden liegen und explodieren bei Berührung (Quelle, Spiegel+). Auch in Syrien wurden von Russland Streuwaffen eingesetzt (Quelle) – der Krieg dort gilt als Putins Versuchslabor für Waffensysteme (Quelle).

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Russische Kriegsgefangene in der Ukraine

Wer die neusten Tweets nach #GenferAbkommen durchsucht, trifft häufig auf den Vorwurf, auch die Ukraine hätte gegen die Konventionen verstoßen: durch Videos, in denen russische Soldaten Kriegsgefangene gezeigt werden, die mit ihrer Familie sprechen. Einer entschuldigt sich für die Angriffe der russischen Armee gegen Zivilist:innen. Laut dem Faktenfinder der Tagesschau zeigen die Videos keine direkten Verstöße gegen das Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, allerdings sei unklar, unter welchen Umständen sie entstanden seien. Videos von Kriegsgefangenen seien an sich nicht verboten, jedoch dürften diese nicht entwürdigend sein oder Propagandazwecken dienen (Quelle).

Nahezu unmögliche Strafverfolgung

Das Problem bei der Strafverfolgung von Putins Kriegsverbrechen in der Ukraine: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt zwar bereits. Doch Russland erkennt diesen Gerichtshof gar nicht an (Quelle). 

Das gleiche Dilemma gab es schon bei den Ermittlungen des Internationale Strafgerichtshofes gegen Assad: Da Syrien kein Mitglied ist, ist die Strafverfolgung nur mit einer Befugnis vom UN-Sicherheitsrat möglich. Die UN-Mitglieder China und Russland legten ein Veto ein (Quelle).

Die Genfer Konventionen stehen zwar im Plural, aber die ungeahndeten Verstöße gegen sie auch. So lange Kriegsverbrechen nach den Konventionen nicht verfolgt werden, fragt man sich, wozu es sie eigentlich gibt. Nun liegt die Hoffnung auf nationalen Strafverfolgungsbehörden bei Assads und Putins Verbrechen in Syrien, sowie bei Putins Verbrechen in der Ukraine.

Fazit: Strafverfolgung von Putins Kriegsverbrechen dürften schwierig werden

Die Genfer Konventionen vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz initiierte Abkommen zwischen verschiedenen Staaten, zu denen auch Russland gehört. Sie regeln die Behandlung von Kriegsgefangenen sowie den Schutz von Verwundeten, Kranken, Schiffbrüchigen und Zivilpersonen in Kriegszeiten. Nun häufen sich Berichte von Verstößen bei Putins Krieg in der Ukraine, wie der Einsatz von Streubomben, die besonders Zivilist:innen gefährden. Doch die Strafverfolgung wird sich, ähnlich wie schon in Syrien, als schwierig gestalten.

Artikelbild: Mstyslav Chernov/AP/dpa

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