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In Schweden stirbt jede*r 11. Infizierte – Lob für Sonderweg ist Unsinn

von | Apr 15, 2020 | Aktuelles, Corona, Kommentar

Faktenfreie Spekulationen zu Schweden

Im Gegensatz zu Ländern wie Südkorea oder auch Deutschland, die strenge Eindämmungsmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie eingeführt haben (die Strategie dahinter haben wir hier erklärt), geht Schweden einen so genannten „Sonderweg“: Schweden setzt weniger auf Verbote und mehr auf Freiwilligkeit. Die Ausrufung eines Ausnahmezustands ist rechtlich in Friedenzeiten auch gar nicht möglich, dafür tritt ab 18. April eine Ergänzung des Seuchenschutzgesetzes in Kraft. Bisher gibt es nur Verbote von Menschenansammlungen mit mehr als 49 Personen und ein Besuchsverbot für Pflege- und Altenheime (Quelle).

Mehrere Artikel berichten jetzt davon, dass Schweden „aufatme“ – und dass ihre Strategie ohne „Lockdown“ funktionieren würde. Verschiedene Artikel berichten über die angeblich niedrige Mortalitätsrate (Tote pro Einwohner*innen) und dass die Krankenhäuser noch nicht überlastet seien. Es wird behauptet, es gäbe bereits eine Herdenimmunität und „nur“ 20% der 80-jährigen würde sterben – alles Entwarnungszeichen und dass sich „die Lage beruhigt“.

Das ist unseriöse & gefährliche Propaganda!

Das sind jedoch stark verzerrende Berichte, die nur dazu dienen sollen, Stimmung gegen den Lockdown und die notwendigen Maßnahmen zu machen. So sind die bestätigten Todesfälle durch Covid-19 gerade heute (15. April) um über 10% auf 1033 gestiegen (Quelle). Die Berichte, die Schweden lobten, schlossen von der Unterberichterstattung über Ostern vorschnell auf eine Verlangsamung. Doch der Denkfehler: Auch eine angeführte Sterblichkeitsrate von 8,7 Promille (Stand 14.4.) wäre immer noch schlechter als die Deutschlands, Österreichs und der USA!

Dabei spielt die ohnehin keine Rolle: Viel sinnvoller wäre ein Vergleich der Letalitätsraten – also, wie viele (bestätigte) Infizierte sterben. Und in Schweden sind das laut besten Zahlen inzwischen 9% – also jede*r Elfte. Zum Vergleich: In Deutschland stirbt nur jede*r 42. Infizierte am Virus. Da einen schwedischen Sonderweg zu loben, wäre absurd. Hinzu kommt, dass in Schweden vergleichsweise wenig getestet wird. Die Dunkelziffer an Toten könnte also viel höher sein. Ohnehin gehen Expert*innen davon aus, dass die Anzahl an Covid-19-Toten auch in Deutschland unterschätzt werde, weil die Zahlen nicht so zuverlässig seien (mehr dazu).

Der Vergleich der Letalitätsraten ist aus den gleichen Gründen nur begrenzt sinnvoll, aufgrund der unterschiedlichen Testraten und der Dunkelziffer. Aber das spricht auch nur dafür, dass man eben nicht zu vorschnell Schlussfolgerungen ziehen sollte. Wenn man wollte, könnte man über die Zahlen, die man hat, sogar das gegenteilige Argument anbringen. Wissenschaftler*innen aus Schweden verfassten kürzlich auch einen Brandbrief an die Regierung, der den Weg heftig kritisierte (Quelle).

Auch einfach von einer bereits existierenden Herdenimmunität in Schweden auszugehen, ist wahnwitzig. Zum einen wäre das viel zu schnell, zum anderen kann man das bei so wenig Getesteten doch unmöglich wissen. In den Berichten wird gelobt, dass 80% der „Alten“, die eingeliefert werden, überleben würden. Zum einen ist es morbid, eine Rate von 20% Toten zu loben, zum anderen lag die Sterblichkeit von über-80-Jährigen in China beispielsweise „nur“ bei 15% (Quelle).

Fazit

Ohnehin ist es viel zu früh, um zuverlässige Aussagen über die Verbreitung, Tödlichkeit oder den Erfolg der Maßnahmen zu machen. Mit wenig vergleichbaren Zahlen und absichtlichen Falschinterpretationen und Zitaten Stimmung gegen Eindämmungsmaßnahmen zu machen, ist nicht besser als völliges Drauflosraten. Die Daten aus Schweden, die wir haben, geben im Gegenteil alles andere als Anhaltspunkte für eine Entwarnung her. Und erst recht sind sie kein Beweis dafür, dass ein Lockdown erfolgreicher wäre.

Insbesondere, da man erst ab jetzt sehen dürfte, wie gut die Lockdown-Maßnahmen zum Beispiel in Deutschland wirken werden. Deutschland, das laut einer Analyse übrigens das sicherste Land Europas in der Krise ist und Platz 2 weltweit (Quelle). Man könnte also genauso gut auch die umgekehrte Behauptung aufstellen und das als Beleg hernehmen, dass ein Lockdown der bessere Weg sei. Es hätte die gleiche Aussagekraft. Von einem fehlenden Anstieg von Infizierten und Todesfällen in Schweden über Ostern gleich auf eine Wirksamkeit ihrer lockeren Politik zu schließen, ist also höchst unseriöse Stimmungsmache, die nichts mit Fakten zu tun  hat.



Artikelbild: pixabay.com, CC0