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Wenn der Rechtspopulismus im Fußball ankommt

von | Jun 17, 2018 | Aktuelles

„Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht – bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke?“

Fußball-Freunde, zu denen ich mich nicht einmal unbedingt zähle, werden den sonntäglichen Doppelpass auf Sport 1 kennen. Das ist ein nettes Format, um gemütlich und ganz locker beschwingt den letzten Tag eines Wochenendes zu beginnen. Es wird über Abseits, Elfmeter, Mannschaftsaufstellungen und Fehlentscheidungen des Schiedsrichters philosophiert. Dazu sitzen Experten, und das können Journalisten, ehemalige Fussballer oder auch Leute wie Oliver Pocher sein, in einer gemütlichen Runde, im Hintergrund die Zuschauer, jeweils im Trikot ihres Lieblingsvereins, oder in zivil.

Auch heute. Kurz vor dem ersten Spiel der „Die Mannschaft“ zur Weltmeisterschaft in Russland gegen Mexiko. Alles ganz entspannt. Wenn da nicht die Causa Özil/Gündogan wäre, die sich vor einigen Wochen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan haben ablichten lassen und damit eine Welle der Empörung auslösten. Ganz sicher auch nicht zu Unrecht.

Applaus für rassistische Unterstellungen

Nun wird, wie erwähnt, im Doppelpass die Mannschaftsaufstellung des heutigen Spieles thematisiert. Wird Özil spielen? Nach langem hin und her und weiterer Erörterung des Eklats, meldet sich Stefan Effenberg zu Wort, und meint, wenn sich Özil tatsächlich zu Deutschland bekennen würde, dann müsste er die Hymne singen. Tosender Applaus.

Der ehemalige DFB- Pressesprecher Harald Stenger widerspricht Effenberg vehement und erklärt, Özil konzentriere sich in diesem Moment auf das Spiel und bete ein letztes Mal vor Anpfiff. Tosendes Gelächter. Buh-Rufe. Einige Minuten später meldet sich auch Oliver Pocher zu Wort und behauptet, dass Özil, wenn die Türkei zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugunsten der deutschen Nationalmannschaft besser gewesen wäre, dann hätte sich Özil eben für die Türkei entschieden. „Rosinen picken“, nennt Pocher das. Tosender Applaus. Zaghafte Hinweise zweier Journalisten, dass diese Diskussion in eine falsche Richtung drifte, verpuffen.

Fassen wir zusammen: Özil singt die Hymne nicht, also ist er kein guter Deutscher? Dann wären einige Nationalspieler der so gefeierten Mannschaften der 70er und 80er Jahre auch keine guten Deutschen? Denn alte Videos beweisen: Da singt auch der eine oder andere nicht mit. Ok, lange her. Anderes Beispiel. Argentinien gegen Island, gestern. Auch da singen einige Isländer nicht mit. Wollen wir denen nun auch absprechen, nicht zu Island zu stehen? Gerade den Isländern!

Diese Debatte, ob das Singen einer Hymne dazu führt, zu seinem Land zu stehen oder eben nicht, ist grundverkehrt

Denn sie führt zu verschiedenen merkwürdigen Fragen: Wann bin ich ein guter Deutscher? Und wer ist kein guter Deutscher? Und was machen wir mit denen? Dieses Thema wäre mir jetzt gar nicht so wichtig, denn ob nun jemand die Hymne singt oder nicht, ist mir persönlich eigentlich egal. Ich war aber über die oben beschriebenen Reaktionen so erschrocken. Mir ist bewusst, dass Özil und Gündogan sich falsch verhielten, sie haben sich instrumentalisieren lassen oder wurden instrumentalisiert.

Was sich da nun aber für eine Debatte anschließt, ist allerdings erstaunlich. Sowohl Pocher als auch Effenberg bedienen Positionen der Populisten: Der Deutsch-Türke* pickt sich Rosinen. Der Deutsch-Türke ist lieber Türke und singt deshalb nicht die Hymne mit. Mir ist es ehrlich gesagt lieber, jemand singt die Hymne nicht, ist aber authentisch, als jemand, der sie singt, weil er es muss. Weil es alle sehen wollen.

Özil ist Deutscher

Özil ist in Gelsenkirchen geboren, seine Großeltern siedelten nach Deutschland über, seine Eltern sind in Deutschland aufgewachsen. Ich glaube Özil, dass er zwei Herzen hat: Ein türkisches und ein deutsches. So what?! Özil musste sich irgendwann entscheiden, ob er Türke oder Deutscher sein würde. Er entschied sich für Deutschland, und er äußerte sich bereits 2012 dazu, weil er gerade von rechtsaußen immer wieder angefeindet wurde:

„Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht – bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke? Warum denken wir immer so in Grenzen – Ich will als Fußballer gemessen werden – und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun.“

Und Jerome Boateng ergänzte damals: „So ist das in Deutschland. Wenn du für Deutschland spielst, wie Mesut, Sami oder ich, und alles läuft positiv, dann sagt man: ,Das sind Deutsche. Die haben viel Deutsches.’ Aber wenn etwas Schlechtes passiert, sieht man plötzlich die andere Seite. Das ist dann alles nicht mehr deutsch. Wenn es gut läuft, liegt es an den deutschen Eigenschaften. Wenn es schlecht läuft, sind es die ausländischen“. (Quelle)

Kann man unterschreiben, auch oder gerade heutzutage.

Artikelbild: Agência Brasil, Original, CC BY 3.0 BR