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WELT goes Fox News – Lob für Transfeindlichkeit & „Faschist“ Walsh

von | Sep 16, 2022 | Aktuelles

GASTBEITRAG VON ANNIKA BROCKSCHMIDT

Die WELT hat sich entschieden, dem selbsternannten “theokratischen Faschisten” Matt Walsh, einem rechtsextremen Aktivisten, eine Plattform zu geben und lobt dabei seinen transfeindlichen Film „What is a Woman” über den grünen Klee. Dabei liest sich der Artikel “Die einfache Frage, die Amerikas Gender-Experten in die Verzweiflung treibt” von Kai Burkhardt eher wie ein PR-Artikel für Walsh: “Amerikas Medien ignorieren ihn – allerdings ohne Erfolg: Matt Walsh, ein konservativer Michael Moore, mischt den Gender-Krieg auf”, heißt es da. Er treibe “Amerikas Gender-Experten in die Verzweiflung”, behauptet Burkhardt. Das kann man sicher so sehen, wenn man Walshs Weltbild einfach übernimmt und sich keine Mühe macht, ihn auch nur eine Minute lang zu googlen. 

Walshs Film wurde von Ben Shapiro’s Daily Wire produziert – einer rechten Website, die regelmäßig Falschinformationen rund um die Themen Klimawandel, das Coronavirus und trans Themen veröffentlicht. 

WELT bewirbt selbsternannten Faschisten

Walsh ist ein rechtsextremer Kommentator, der seine Karriere im Talk Radio begonnen hatte – laut WELT-Artikel sei “seine Stimme […] tatsächlich beeindruckend”. Walsh sei “spätestens seit ,What is a Woman’ (…) einer der führenden Satiriker und Ironiker der Konservativen in den USA.“ Eine seltsame Beschreibung davon, wie jemand menschenfeindliche Rhetorik zu seinem Markenkern gemacht hat. Nur ein paar Kostproben, was der hier als der “konservative Michael Moore” titulierte Walsh zum Thema trans Rights so zum Besten gegeben hat: Gender-bejahende Gesundheitsversorgung für trans Kinder und Jugendliche sei “Verstümmelung” und vergleichbar mit sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung. Ärzt*innen, die diese von Medizinern empfohlene Behandlung anbieten, seien “böse – so böse wie Nazi-Wissenschaftler”. 

Seine eliminatorische Rhetorik ist extrem gefährlich und nimmt immer extremere Züge an. Kritiker*innen werfen Walsh “genozidale Rhetorik” vor – und haben dafür mehr als genug Belege: Er will beispielsweise, dass gender affirming Gesundheitsversorgung für Menschen jeden Alters illegal wird, dass trans Menschen also aufhören zu existieren. Walsh ist der Meinung, dass es gar keine trans Menschen geben dürfe – er empfiehlt die massiv schädliche “Conversion Therapy” für trans Kinder und Jugendliche. Er will darüber hinaus die Durchführung von gender affirming Operationen bei Erwachsenen kriminalisieren.

Walsh vertritt Neonazi-Verschwörungsmythen

Matt Walsh behauptet zudem, dass die White Nationalist-Verschwörungserzählung vom “Great Replacement” “einfach Fakt” sei, will Abtreibung kriminalisieren – was zur Folge hätte, dass auch Fehlgeburten strafrechtlich verfolgt werden könnten.

What is a Woman” ist nicht das erste Medienerzeugnis, mit dem Walsh Falschinformationen über die trans Community verbreitet. Bereits 2021 hat er ein Kinderbuch geschrieben, das trans Menschen verhöhnt, indem es die Erfahrung, trans zu sein, mit der gleichsetzt, ein Walross sein zu wollen. “What is a Woman” fällt nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene durch, sondern hat mit unredlichen Praktiken Schlagzeilen gemacht. Walsh verwendete zum Beispieldas Bild eines trans Mannes nach Top-Surgery ohne dessen Zustimmung, integrierte es in seinen Film und nutzte es, um für den Streifen Werbung zu machen. 

Walsh gehört zu einer ganzen Reihe rechter Medienmacher, die stochastischen Terrorismus auf dem Rücken der trans Community betreiben – darunter auch der erzreaktionäre Rod Dreher, der genau wie Walsh Schauermärchen über verstümmelte Kinder verbreitet und Walshs Film in den höchsten Tönen lobt. Das Ergebnis von Brandstiftern wie Walsh und rechten Accounts wie Libs of Tiktok, die Fehlinformationen über Krankenhäuser und Kliniken verbreiten, die gender affirming Gesundheitsversorgung für trans Menschen anbieten, ist in der steigenden Zahl  vonAngriffen auf genau solche Einrichtungen zu sehen: Das Boston Children’s Hospital hat innerhalb weniger Wochen bereits zwei Bombendrohungen erhalten.

Laut „WELT“ ist der Faschist ein Held gegen eine verschworene Medienlandschaft

Walsh wird in dem WELT-Artikel als Held beschrieben, gegen den sich die Medienlandschaft verschworen habe: „dass keine der großen nationalen Zeitungen in den USA seinen Film besprochen hat, wird in der konservativ-libertären ,National Review’ damit begründet, dass Journalisten ihren Job gefährden, wenn sie in irgendeiner Weise mit Walsh assoziiert würden.“ Dass es daran liegen könnte, dass Walsh ein Hetzer ist und rechtsradikale Inhalte verbreitet, spielt für den Autor scheinbar keine Rolle. 

Der WELT-Autor zeigt sich begeistert von Walshs mehrfach als transfeindlich kritisiertem Film, der die klassischen anti-trans Narrative der Rechten wiedergibt: trans Frauen würden cis Frauen aus dem Sport verdrängen, in ihre Safe Spaces eindringen und seien sexuell übergriffig. Aber nicht nur die anti-trans Schauermärchen nimmt der Autor für bare Münze, sondern verbreitet auch andere haltlose Behauptungen der amerikanischen Rechten: „Natürlich schlachtet Walsh die Cancel Culture der postmodernistischen Aktivisten weidlich aus“, heißt es da beispielsweise.

Die Konservativen, schreibt Burkhardt, seien zwar nicht unbedingt ehrlicher als ihre Gegenseite, „aber sie beherrschen weder die Universitäten noch verfügen sie dabei über eine Waffe wie die Cancel Culture.” Ein Satz, wie er zur besten Sendezeit auch auf Fox News zu hören sein könnte, der mit der Realität nichts zu tun hat – aber zwei sehr beliebte konservative Schreckgespenster an die Wand malt, die angeblich so allmächtige Cancel Culture und Universitäten, die ganz in der Hand der “Linken” seien. 

„WELT“ lobt Schulterschluss zwischen Bürgertum und Faschismus

Der Artikel lobt den Schulterschluss zwischen Bürgertum und Faschismus, der Transfeindlichkeit besonders leicht macht, als etwas Positives: „Was Walsh präsentiert, ist nicht ausgewogen, aber witzig, eloquent, scharfsinnig und unbedingt sehenswert – auch wenn man an der oberflächlichen Frage nicht oder nur mäßig interessiert ist…Wünschen muss man dem Film eher die richtigen Zuschauer, die in der Lage sind, die richtigen Schlüsse zu ziehen, und den Film als Brücke zwischen rechts und links zu begreifen.“ 

Es ist nicht überraschend, das transfeindliche “Feministinnen” gemeinsame Sache mit Menschen wie Walsh machen: J.K. Rowling hat seinen Film beispielsweise ebenfalls gelobt. Beide verbindet eine essentialistische, biologistische Weltsicht, die Frauen auf ihre Geschlechtsorgane und der Fähigkeit zur Reproduktion reduziert. Die Vorstellung, dass ein “Replacement” von cis Frauen durch trans Frauen dank einer geheimen, sehr kleinen, aber angeblich übermächtigen “trans-Lobby” finanziert und durchgeführt werden solle, hat nicht nur antisemitische Untertöne.

Radikalisierungspipeline von Transfeindlichkeit zu Faschismus

Es ist dasselbe erzählerische Modell wie der White Nationalist-Verschwörungsmythos vom Great Replacement” – und das erklärt die erschreckend kurze Radikalisierungs-Pipeline von anti-trans Inhalten zum Rechtsextremismus. Nathan J. Robinson von Current Affairs findet dementsprechend deutliche Worte für “What is a Woman”: “Es handelt sich dabei nicht um eine philosophische Diskussion über die Bedeutung des Wortes ‘Frau’. Es ist ein Nazi-ähnliches Propagandastück, das Menschen davon überzeugen soll, dass ihre trans Nachbarn, Kollegen und Mitschüler wahnsinnig und bedrohlich sind.” Auch Science-Based Medicine, das Walshs Behauptungen minutiös widerlegt, nennt den Film ein Propagandawerk und vergleicht ihn, was seine Unwissenschaftlichkeit angeht mit dem Anti-Impf-Film “Vaxxed”.

TRANS PERSONEN WURDEN ÜBER INHALT DES FILMS GETÄUSCHT – AUCH EIN KIND

Im Film werde die Existenz von Transsexualität nicht geleugnet, behauptet Burkhardt. Auch hier übernimmt er Walshs trans-feindliches Framing und schreibt vom „Problem der Transsexualität“, als müsse man dafür eine Lösung suchen, um dann mit transfeindlicher Sprache weiterzumachen: „Der eigentliche Held des Films ist ein Transgender“. An dieser Stelle hätte ein Kritiker, der seiner journalistischen Pflicht gewissenhaft nachkommt, nicht nur das richtige Vokabular verwenden müssen – transgender ist ein Adjektiv – sondern auch kontextualisieren müssen, dass einige der in Walshs Film auftretenden Protagonist*innen unter falschen Angaben zur Teilnahme an dem Filmprojekt gebracht wurden, sprich: Sie wussten nicht, dass es sich um ein trans-feindliches Projekt handelte. Unter den potentiellen Teilnehmer*innen, die Walsh zu täuschen versuchte, war laut The Daily Beast auch ein 14-jähriges trans Mädchen.

Hass und Desinformation ist bei „WELT“ „Lustig“

Burkhardt impliziert weiter, es gehe hier einer Lobby nur um Geld – Leute (gemeint ist wohl medizinisches Personal) würden mit der Beratung und Behandlung von trans Menschen viel Geld machen: „Natürlich ist die Beratung und Betreuung der Personen mittlerweile ein einträgliches Geschäft.” Auch hier schwingt die antisemitische Idee von der bösen Verschwörung einer geheimen Gruppe mit, die nur auf Geld aus sei und dabei kein Problem damit habe, Kinder zu verstümmeln. 

Der Autor betont immer wieder, wie lustig Walsh doch sei. Abgesehen davon, wie verabscheuungswürdig es ist, über Transfeindliches zu lachen, geht er hier auch zwei klassischen Strategien der Neuen Rechten auf den Leim: Die eine bildet das Fundament für den gesamten Film, die Position des “just asking questions – zu deutsch etwa “ich stelle doch nur Fragen”. Damit wird die Menschenfeindlichkeit, die durch die Infragestellung von Menschenrechten  z.B. für trans Menschen, als harmloses Unterfangen getarnt, damit nicht erkennbar ist, worum es sich eigentlich handelt: rechte Propaganda, deren Ziel es ist, die Grenzen des “Sagbaren” auch außerhalb ihrer eigenen rechtsradikalen Räume immer weiter zu verschieben. Die zweite Strategie ist die der angeblich alles untermauernden Ironie. Ist doch alles nur Spaß, alles nur ein Witz! 

Er nennt sich selbst „Faschist“ – natürlich nur „ironisch“ – oder nicht?

Matt Walsh hat ein Video veröffentlicht, in dem er erklärt, weshalb er sich in seiner Twitter-Biographie“ theokratischer Faschist” genannt hat: ein Kritiker habe ihn so genannt. Er sagt selbst: Das könne man so verstehen, als mache er sich darüber lustig  oder als meine er es ernst. Natürlich sei Letzteres der Fall, grinst Walsh in die Kamera. Alles Spaß, er ist doch kein Faschist – oder doch? Ist es Ironie oder nicht? Allein die Tatsache, dass nicht völlig klar ist, dass es kein Witz ist, hätte dem Autor zu denken geben sollen – aber von der Selbstbezeichnung scheint er nicht einmal zu wissen – oder, schlimmer, es ist ihm  egal. Über den radikalisierenden Effekt rechtsextremer “Ironie” ist bereits viel geschrieben worden.

Abschließend darf dann bei Burkhardt mal wieder geschmunzelt werden: Der „Intellektuelle“ Jordan Peterson habe Walsh geraten, wenn er wissen wolle, was eine Frau sei, „solle er eine heiraten und es herausfinden“. Und so habe das „letzte Wort…die patente Frau des Moderators. Der Film lässt seine Zuschauer nachdenklich, aber gut unterhalten zurück.“ Misogyne Wortwahl darf nicht fehlen und natürlich auch hier noch einmal der Verweis darauf, wie lustig Transfeindlichkeit doch ist. 

Both-side-ism

Und wie immer bei der Verharmlosung von Faschismus und Transfeindlichkeit gibt es zum Schluss noch eine Runde both-sides-ism: „[B]eide Seiten“ sollten einfach ein bisschen ruhiger darüber diskutieren, welche Menschenrechte trans Menschen haben dürften: 

„[W]er würde als Zeitzeuge der allzu aggressiv geführten Debatte nicht zustimmen, wenn man sagt: Etwas mehr Leichtigkeit würde der Debatte auf beiden Seiten guttun.“ Vermutlich jemand, der für trans Rechte eintritt und rechte Verschwörungsmythen als solche erkennt – und diese Aussagen daneben findet. 

Annika Brockschmidt ist Historikerin und Journalistin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Einfluss der Religiösen Rechten auf die amerikanische Politik. 2021 erschien ihr aktuelles Buch „Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ bei Rowohlt. Artikelbild: Screenshots

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