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Warum so einige Personen in der CDU einen Social Media Lernkurs besuchen sollten

von | Mai 28, 2019 | Aktuelles, Kommentar, Medien, Social Media

Kennt ihr das? Vor eurer Nase fährt der Bus weg.

Nun, im Regelfall fährt der Bus weg, weil man zu spät war. Oder vielleicht unachtsam war. Im Falle der CDU ist das jedoch anders. Da fährt der Bus weg, weil man es nicht für nötig sieht, sich in Richtung des Fahrzeugs zu bewegen. Und am Ende schimpft man gar noch über den Busfahrer.

Kommen wir einfach mal zur Sache. Da war dieser Youtuber mit dem Namen Rezo. Rezo hat ein knapp eine Stunde langes Video veröffentlicht, in dem er mit Quellenangaben die Unwählbarkeit von CDU, CSU und SPD darlegt (die FDP hat er aufgrund Zeitmangels ausgelassen, die AfD gilt für ihn generell als unwählbar). Das Video findet man hier.

Ich gehöre übrigens zu den Menschen, die das Video komplett gesehen und zumindest grob über seine Quellen für seine Argumentation geschaut haben. Abgesehen davon, dass Rezo nicht erwähnt, dass in der Politik Kompromisse ein wesentlicher Teil sind und er ein sehr kontrastreiches Bild in seiner Argumentation aufbaut, halte ich es für legitim, Probleme der Politik, ja spezifisch Probleme bestimmter Parteien anzukreiden.

Indem er eine mehr als ausführliche Quellenangabe seiner Aussagen liefert, halte ich seine diskutierbare Darstellung sogar für mehr als legitim (ich habe dagegen einen Haufen alberner Blogs gesehen, die nicht ansatzweise so viele Quellen dargelegt haben und stattdessen viel lieber reine Meinung veröffentlichen).

 

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Kurzum

Auf Rezo gab es viele Reaktionen. Auch viele Reaktionen seitens der CDU, um die es hier zentral gehen soll. Diese fielen natürlich mehr als empörend aus. Das ist interessant zu beobachten gewesen, denn die Empörung gegenüber dem Video erschien dem normalen Social Media Nutzer im Vergleich höher als jenen Empörungen gegenüber Grenzüberschreitungen der AfD. Man hatte gar das Gefühl, Rezo hat einen Teil der Union bei ihrem Eitelkeitsschopfe gefasst und zur Schau hochgehoben.

Neben den Gegenreaktionen gab es aber auch ein umfassendes Solidaritätsvideo, welches ich hier voranstellen möchte, um die Dynamik von Social Media und Social Media Protagonisten zu zeigen.

Rezo und die Welt von Social Media vs. einer Partei. Aber zu Letzterem ein wenig später. Und generell möchte ich zu diesem Video im Verlaufe dieses Artikels noch ein paar Worte verlieren.

Rezo hat die Union getroffen. Ob ins Herz oder am Oberschenkel, das weiß ich nicht. Dennoch hat das Video die Union so sehr getroffen, dass sie reagiert hat (war es das Video selbst oder die extrem erfolgreiche Viralität?).

Die Gegenstrategien der Union

Tatsächlich hat die Union Gegenschritte in Erwägung gezogen. Kann man machen, wenn man sich durch ein solch viral erfolgreiches Video angegriffen fühlt. So war zum Beispiel Philipp Amthor im Gespräch, eine Videoantwort zu produzieren. Hat Amthor dann auch gemacht, wurde jedoch nicht gesendet. Eigentlich schade, denn der Social Media Hype im Vorfeld des Antwortvideos war recht groß.

Nein, das Video wurde nicht veröffentlicht. Stattdessen ein seitenlanges PDF mit Erklärungen. Und da sind wir exakt bei Fehler Nummer 1 gelandet.

Fehler Nummer 1

Hier prallen zwei verschiedene Welten aufeinander, deren Diskussion uns in der nächsten Zeit noch begleiten wird. Auf der einen Seite sehen wir eine junge und dynamische Kommunikationsform, die progressiv ausgelegt ist und eine junge Sprache verwendet.

Demgegenüber ein eher konservatives Verhalten, die zunächst angekündigte Videoantwort wurde nicht veröffentlicht, stattdessen liegt ein 11-seitiges PDF mit Erklärungen vor. Dieses findet sich hier.

Wenn du die Möglichkeit hast, mit „Bewegtbild“ zu arbeiten, greife nicht auf PDFs zurück. PDFs… verdammt. PDFs sind aus Social Media Sichtweise völlig undramatische, unauffällige und nahezu unsichtbare Elemente. Eigentlich können wir Messengern und Social Media Plattformen wie Facebook oder Twitter überhaupt dankbar sein, dass PDFs halbwegs verständlich verknüpfbar sind. Wenn auch ohne Snippet. In der CDU nimmt man jedoch genau das als vermeintlich probate Mittel. Das ist ein typischer Social Media Error.

Die CDU als klassisch konservative Partei dürfte hier jedoch den Ansatz nicht finden, stattdessen wäre es Rezo anzuraten, sich nicht in die Politikerfalle zu begeben und sich auf Gespräche einzulassen. Das ist nicht seine Arena, da findet am Ende die Politik ihre Selbstbestätigung.

Fehler Nummer 2

Die letztendlich tatsächlich stattgefundenen Gegenreaktionen auf Social Media waren eine… sagen wir mal harmlos… von Fremdscham geprägten Reaktionen. Liebe Union: habt ihr echt keine Social Media Beauftragten (nein, jemand der auf seinem Handy Facebook installiert hat ist nicht automatisch ein Kommunikationsexperte für Social Media).

Was da teilweise an „Whataboutism“ geprägten Inhalten und abstrakten Vorwürfen erschien, ist nicht nur einer Volkspartei unwürdig, sondern bestätigt dummerweise auch noch die Vorwürfe ihr gegenüber. Die Unionspolitiker haben meiner Ansicht nach Social Media, die Dynamik von Social Media und die Auftretensweise auf Social Media schlichtweg nicht verstanden.

Social Media ist kein Einweg-Kanal, auf dem man reaktionslos ein Botschaft postet. Social Media ist überdies hinaus keine Fire-and-forget Rakete. Genau das liebe ich ja an Social Media: Alles kann, darf und sollte auch zu Diskussion stehen. Auch das Video von Rezo. Doch die Interaktionen auf das Video haben ihm Erfolg bescheinigt.

Keinen Erfolg haben jedoch Aussagen bekommen, die argumentativ dem Video nicht ebenbürtig waren und auf einer Diskreditierungsschiene verweilten. So wie der inhaltlich sehr schwache Post der wirtschafts- und verkehrspolitischen Sprecherin der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag Gabriele Wieland.

Was zum Teufel hat das mit der Argumentationsstruktur des Rezo-Videos zu tun?

Damit stand sie jedoch nicht alleine da. Auf Twitter gab es mehrere Reaktionen aus CDU-Kreisen, die nicht imstande waren, inhaltlich auf die Aussagen Rezos einzugehen, sondern lediglich destruktiv auf die Person Rezo verfasst wurden, daneben aber auch absolut sinnfrei verfasst wurden. Liebe Madeln und Buam, so funktioniert das in „diesem Internet“ nicht:

Matthias Hauer, CDU und Mitglied des Deutschen Bundestags seit 2013, hat da tatsächlich die Rezo Argumente zu zerstören versucht, indem man Rezo die Legitimität abspricht, überhaupt politisch aktiv zu werden. Was also soll dieser Tweet bewirken?

Übrigens ich für meinen Teil habe von Hauer noch keine Antwort auf meine strukturell einfache Frage bekommen.

Aber Hauer steht nicht allein in der CDU. Parteikollege Marco Wanderwitz (CDU und seit März 2018 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat) schafft es wunderbar, der Kritik aus dem Video aus dem Wege zu gehen, indem er das Narrativ des „linken Aktivisten“ nutzt und somit dem Kritiker die Kritikfähigkeit abspricht.

An dieser Stelle eine ganz klare Aussage: So geht das methodisch schlichtweg nicht. Man kann kritische Stimmen nicht einfach als Feind abstempeln.

Wir dürfen hier natürlich nicht vergessen, dass einige Wissenschaftler Rezo Recht geben. So wie beispielsweise Prof. Dr. Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin. Der sagt recht deutlich in seinem Gesamtfazit (siehe hier):

In diesem Faktencheck wurden keine belastbaren Aussagen der CDU gefunden, welche die Inhalte in Bezug auf Klimaschutz des Videos von Rezo substanziell widerlegen.

Einen sehr guten Faktencheck der Aussagen des Rezo-Videos hat Kollege Stefan Rahmstof erstellt. Auch er gibt ihm in den wesentlichen Aussagen recht.

In diesem Gesamtfazit erwähnt er Stefan Rahmstof, der wiederum ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Um mit Lindnerworten zu sprechen „ein Experte“. Und dieser Experte sagt (siehe hier):

Hut ab. Für jemanden, der sich erst neu in die Materie eingearbeitet hat, hat Rezo die entscheidenden Fakten zur Klimakrise sehr gut verstanden, und er hat sie klar und eindringlich in seinem Video kommuniziert. So klar und eindringlich, wie es der Wissenschaft mit ihren IPCC-Berichten nicht gelungen ist, und wie man es auch nur selten in den klassischen Medien liest.

Also alles linke Aktivisten und Hassadeure (SIC!), wie es Marco Wanderwitz von der CDU auf Twitter beschreibt? Gefährliches Terrain in meinen Augen.

Fehler Nummer 3

Überdies kommen Unionspolitiker nun mit der Idee einer Reglementierung in der Meinungsäußerung durch Influencer. Diese problematischen Forderungen sind natürlich nicht sehr populär und zudem auch schwierig, da sie je nach Auslegung im Konflikt mit dem Grundgesetz Artikel 5 stehen.

So sagte AKK in einer Pressekonferenz:

„Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal sagen: Als die Nachricht kam, dass sich eine ganze Reihe von YouTubern zusammengeschlossen [hat], um einen Wahlaufruf gegen CDU und SPD zu starten, habe ich mich gefragt, was wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von, sagen wir mal, 70 Zeitungsredaktionen erklärt [hätte], wir machen einen gemeinsamen Aufruf, wählt bitte nicht CDU und SPD.

Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen. Ich glaube, das hätte eine muntere Diskussion in diesem Land ausgelöst. Und ich glaube, die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache: Was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein.“

AKK sieht sich zwar missverstanden und hat auf Facebook veröffentlicht, es wäre absurd, ihr das Vorhaben, die Meinungsäußerung zu regulieren unterstellen zu wollen, doch das sieht unter anderem Dennis Horn, Journalist und Redakteur wieder ganz anders. Er schreibt unter anderem auf Facebook:

Es ist selbstverständlich nicht absurd, Kramp-Karrenbauer zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen, denn sie hat gefordert, Meinungsäußerungen zu regulieren. Extrem verschwurbelt, aber wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich auch deutlicher anders positionieren können. t-online.de hat Kramp-Karrenbauer im Wortlaut online [2], in dem sie fragt, welche Regeln es zum Thema Meinungsmache analog und digital so gebe, und sagt, dass dies bestimmt in der medienpolitischen Diskussion eine Rolle spielen werde.

https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10157591455734497&set=a.10150194588429497&type=3&theater

Das wiederum wird bestärkt durch einen Tweet des digitalpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Tankred Schipanski, denn dieser spricht sogar von der Notwendigkeit einer Regulierung:

Ergo: was wir nicht kennen, nicht verstehen und so nicht haben wollen, müssen wir unterbinden. Das ist exakt das Gegenteil einer progressiven Kommunikationsform.

Lehnen wir uns mal kurz zurück

Nicht erst seit gestern wird die CDU kritisiert. Auch nicht die SPD. Aber noch nie wurde – bitte diesen Ausdruck verzeihen – so armselig gegenargumentiert. Sieht man sich hier etwa so auf verlorenem Posten, bzw. so sauber getroffen, dass eine vernünftige Aufarbeitung nicht möglich ist?

Mal im Ernst, speziell AfD Anhänger „raten“ seit Jahren bereits von der Wahl der von ihnen so genannten Altparteien ab. Man geht sogar mit einem Galgen für Merkel auf die Straße (was dann am Ende Kunst sein sollte, siehe hier), und nun kommt ein YouTuber und die Union gerät in Rage. In Rage, weil sie in seinen Augen nicht mit Social Media umgehen kann und sich einfach nicht zu helfen weiß.

Vielleicht sollten sie da einmal ansetzen. Social Media verstehen. Die Vorwürfe verstehen, damit vernünftig umgehen, sich selbst fragen und prüfen und vielleicht sogar aus dem Ganzen positiv lernen.

Zum Thema:

Kramp-Karrenbauer fordert Zensur? Die wahnwitzigen Reaktionen der CDU auf die Wahl

Artikelbild: Red Moccasin, shutterstock.com, Screenshots twitter.com