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Florian Warweg: Ein Kreml-Propagandist will in die Bundespressekonferenz

von | Jun 21, 2022 | Aktuelles

Ex-RT-Chef geht zu „Nachdenkseiten“ – und will in die Bundespressekonferenz

Gastbeitrag von Matthias Meisner

„Potentiell hinterfragender Expeditionsteilnehmer in den Weiten der leeren Stuhlreihen der BPK“, stellt sich der Reporter Florian Warweg auf Twitter vor. Aktuell: „Subsubsubcomandante @NachDenkSeiten.“ Zur Herkunft fügt der gebürtige Magdeburger hinzu: „Made in GDR.“ Illustriert hat Warweg sein Twitter-Profil mit dem Foto eines alten Emailleschildes des Bundesgrenzschutzes, Aufschrift: „Wirkungsbereich sowjetzonaler Minen“. Ist das Journalismus – oder Spektakel?

Der Bundespressekonferenz (BPK), dem traditionsreichen Verein der in der Hauptstadt tätigen Korrespondentinnen und Korrespondenten, steht eine Inszenierung ins Haus, über die das geneigte Publikum kontroverser Meinung sein wird. Denn die NachDenkSeiten wollen in den Verein – und den 42-Jährigen Warweg entsenden, der seit Anfang Juni als Redakteur für den Blog arbeitet, welcher dem verschwörungsideologischen Spektrum zuzurechnen ist. Warweg war zuvor mehrere Jahre Online-Chef des russischen Propagandamediums RT in Deutschland.

Die erste Hürde haben die NachDenkSeiten und Warweg genommen. Per Rundbrief teilte die BPK zu Wochenanfang allen Mitgliedern mit, dass sich um die Aufnahme drei neue Leute bewerben: neben einer Korrespondentin von RTL News Deutschland und einem Reporter des ARD-Hauptstadtstudios auch Warweg. „Der Mitgliedsausschuss hat die Aufnahme dieser Bewerber beschlossen. Falls nicht innerhalb von zehn Tagen Einwände erhoben werden (§ 11, Abs. 1 der Satzung), wird der Beschluss wirksam.“

Diese Einwände könnte es im konkreten Fall durchaus geben

Denn der 2003 vom ehemaligen SPD-Politiker Albrecht Müller gegründete Blog NachDenkSeiten ist nicht irgendein Medium. Ursprünglich gestartet mit dem guten Anspruch der Gegenöffentlichkeit, hat er sich über die Jahre mehr zu mehr in eine fragwürdige Richtung entwickelt. Müller suchte etwa die Nähe zu Verschwörungsideologen wie dem nach Antisemitismusvorwürfen gefeuerten rbb-Moderator Ken Jebsen oder Linkssektierern wie dem langjährigen Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm. 2015 kommentierte die taz: „Weg vom sozialdemokratischen Mainstream, hin zum wahnsinnigen Rand.“ (Quelle)

Die Coronapandemie wurde von 2020 an zum zentralen Thema des Blogs, teilweise abgelöst seit 24. Februar durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit Stimmungsmache auf „Querdenker“-Niveau: Es ging um eine angebliche „Tyrannei der Panikmacher“, der „öffentlich-rechtlichen Propagandamaschinerie“ wurde „Hass“ gegen Ungeimpfte unterstellt, der Bundesregierung eine „bürger- und demokratieverachtende Politik“. Beim Krieg gegen die Ukraine warnte Müller vor der Formulierung „Putins Krieg“, sie sei zu undifferenziert. Immer wieder fanden Kreml-Argumentationsstränge Eingang in die Texte. So war etwa die Rede davon, dass der russische Kriegseinsatz „teilweise als Notwehr“ einzuordnen sei.

Warweg kein unbekannter auf der BPK

All diese Fragen haben den BPK-Mitgliedsausschuss unter dem Vorsitz von Jörg Blank, Korrespondent der Nachrichtenagentur dpa, nur am Rande interessiert – sie durften es nicht. Das Gremium prüft, ob die formalen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllt sind – das wurde nach mehreren Nachfragen bejaht. Spannend wird im konkreten Fall nun die Frage, ob Warweg als Mitglied in Konflikt käme mit Paragraph 3 der Satzung, in dem es unter anderem heißt: „Die Pressekonferenzen der Bundespressekonferenz dienen einer sachlichen, an Tatsachen orientierten und fairen Vermittlung von politischen Informationen, Aussagen und Positionen. Die Bundespressekonferenz trägt damit zu einem freiheitlichen, kritischen und unabhängigen Diskurs in der demokratischen Öffentlichkeit bei.“

Würde dieser Anspruch zusammenpassen mit Kreml-Propaganda eines Mitglieds? Einen Vorgeschmack, wie er sich seine Aktivitäten in der BPK vorstellt, hat Warweg gegeben. Für den russischen Sender RT war er Mitglied im Verein der Ausländischen Presse (VAP) – und VAP-Mitglieder haben laut Vereinbarung mit der BPK in den Bundespressekonferenzen ein Fragerecht. „Vielen unserer Leserinnen und Leser dürfte er wegen seiner beharrlichen Nachfragen auf der Bundespressekonferenz bekannt sein“, schwärmt NachDenkSeiten-Herausgeber Müller (Quelle NachDenkSeiten). Nachfragen allerdings, die manches Mitglied mal als abwegig, mal als Ko-Referat empfand, wie es aus dem Verein heißt. VAP-Mitglied ist Warweg nicht mehr.

Müller verband die Bekanntgabe der Personalie mit seiner sich beständig wiederholenden Suada gegen „Methoden der Manipulation“ in den Qualitätsmedien: „Es vergeht kein Tag im Fernsehen, im Hörfunk und in den Printmedien, ohne dass das Publikum massiver Manipulation ausgesetzt wäre“, schreibt er. Bereits zuvor erklärt er, die „deutsche Medienlandschaft“ sei beim Thema Ukrainekrieg „endgültig im Rausch“ und an „massiver Propaganda“ beteiligt, die „selbst die Corona-Kampagne übertrifft“.

Beauftragt wird Warweg auch damit, Misstrauen gegen etablierte Faktenchecks zu säen

„Faktencheck der Faktenchecker“ nennt sich das neue NachDenkSeiten-Projekt (Quelle NachDenkSeiten). Dem Recherchezentrum Correctiv unterstellte Warweg in einem ersten Beitrag in dieser Reihe eine „fragwürdige Finanzierung und Zertifizierung“.

Hinter den Kulissen wird in der BPK heftig über den Fall diskutiert. „Meinungspolizei“ oder „Gesinnungs-TÜV“ wolle man nicht sein, heißt es von Funktionären. Der Vereinsvorsitzende Mathis Feldhoff, Korrespondent des ZDF, will sich zum noch laufenden Aufnahmeverfahren nicht äußern. Allgemein aber sagt er: „Unsere Satzung setzt keine inhaltlichen Grenzen. Wer die Satzung erfüllt, kann Mitglied werden.“ So, wie es beispielsweise Redakteure der Zeitung Neues Deutschland seien, die sich jetzt nd.Der Tag nennt, oder der der rechtspopulistischen Jungen Freiheit.

„Ich bin kein Zensor“, sagt Feldhoff. „Was ist sachliche Information, was ist Propaganda?“ Feldhoff stellt selbst die Frage, ob jemand Mitglied der BPK sein könne, der die russische Aggressionspolitik verteidigt. Er sagt: „Der reinen Lehre nach: Ja. Die Frage ist, ob die BPK das aushält.“

Nachdenkseiten: „Träger von Ideologie, Scharnier für Verschwörungstheorien und Agenda-Setzer der radikalen Systemopposition“

Würde Warweg endgültig Mitglied des Vereins, wäre dort mit den NachDenkSeiten ein Medium vertreten, von dem der Politikwissenschaftler Markus Linden sagt, es sei Träger von Ideologie, Scharnier für Verschwörungstheorien und Agenda-Setzer der radikalen Systemopposition (Quelle). In einer Fallstudie für das Projekt „Gegenmedien“ des Zentrums Liberale Moderne schrieb Linden, bei einzelnen Themen wie einer fundamentalen Medien- und Politikkritik, der Vertretung der Position des diktatorischen Putin-Regimes, Nato-Bashing und Corona reihe man sich bewusst in eine fundamental-oppositionelle Querfront ein. In der Regel geschehe dies nicht mit direkten Fake News, sondern mittels einer auf Halbwahrheiten und instrumenteller Pauschalkritik fußenden Methodik. „Im Verbund mit anderen ,Alternativmedien‘ betreiben die NachDenkSeiten vorwiegend das, was sie vorgeben zu kritisieren: einseitige Meinungsmache.“

Die NachDenkSeiten sind zum Sammelbecken geworden für Autorinnen und Autoren, die mit Qualitätsmedien über Kreuz geraten sind. Das betrifft etwa Ulrich Heyden, den langjährigen Der Freitag-Korrespondenten in Russland. Die Chefredaktion der Wochenzeitung hat ihm wegen Kreml-naher Positionierungen die Zusammenarbeit aufgekündigt (hier beklagt sich Heyden darüber). Für die NachDenkSeiten war Heyden Ende März unterwegs in der international nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“, im „von Russland eroberten Gebiet“, die Reise war vom russischen Verteidigungsministerium organisiert worden. Auch die Kabarettistin Lisa Fitz ist regelmäßige Kolumnistin der NachDenkSeiten geworden. Sie hatte ihre Zusammenarbeit mit dem Südwestrundfunk aufgekündigt, nachdem der eine Folge der Satiresendung „Spätschicht“ aus der Mediathek genommen hatte. Fitz hatte unter Berufung auf den Entschließungsantrag einer rechtsextremen französischen EU-Parlamentarierin 5000 Impftote behauptet (mehr dazu).

Parallelen zum rechten Blogger Reitschuster

Für die BPK ergeben sich Parallelen zum rechten Blogger Boris Reitschuster. Er hatte die von dem Verein organisierten Pressekonferenzen „immer wieder als Bühne für Verschwörungsmythen“ genutzt, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. In einem offenen Brief warnten vor gutem einem Jahr mehr als 60 Mitglieder der BPK vor der „Instrumentalisierung des Vereins und der Pressekonferenzen durch teilnehmende Korrespondenten“. Die Namen Reitschuster und Warweg, der damals schon regelmäßig an den Pressekonferenzen teilnahm, wurden nicht genannt – die Anspielung aber verstand jeder. Letztlich pflegen sowohl Reitschuster wie auch die NachDenkSeiten das Lügenpresse-Narrativ. Auch wenn der Begriff wörtlich nicht gebraucht wird.

Der große Reitschuster-Faktencheck: Warum der Blog reitschuster.de keine seriöse Seite ist

Reitschuster musste die BPK verlassen, weil er nach Montenegro umgezogen ist. Nach der Satzung des Vereins kann nur Mitglied sein, wer hauptberuflich aus Berlin oder Bonn über Bundespolitik berichtet (Quelle). Die Mitglieder müssen außerdem für deutsche Medien arbeiten. Es läuft noch eine Beschwerde Reitschusters gegen die Beendigung der Mitgliedschaft – den Begriff „Ausschluss“ versucht die BPK zu vermeiden.

Trotzdem: Mit seinem Umzug nach Montenegro hat er es dem Verein ziemlich einfach gemacht, ihn loszuwerden. Mit Warweg wird die Sache nicht so einfach sein.

Autor: Matthias Meisner. Der Autor ist freier Journalist. Er ist seit 1994 Mitglied der Bundespressekonferenz. Seit November 2021 gehört er zum Rechercheteam des „Gegenmedien“-Projekts des Zentrums Liberale Moderne.

Artikelbild: shutterstock.com ralphmeiling 

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