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Darum hat Claudia Roth völlig zu Recht die inszenierte Schweigeminute der AfD unterbrochen

von | Jun 15, 2018 | Serie

Seit einer Woche bekommt Claudia Roth (Grüne) tausendfach Hassmails, weil sie die unangemeldete Schweigeminute der AfD zum Fall Susanna unterbrechen musste.

„Dich Vieh werden wir an Klavierdraht am Fleischerhaken hängen.“

„So und so ähnlich, tausendfach. Seit nunmehr einer Woche ergießen sich unzählige Vergewaltigungs- und Gewaltandrohungen über mich. Auslöser ist die von der AfD inszenierte Schweigeminute, die erst gestern von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble gerügt wurde“, schreibt  Claudia Roth (Grüne) auf Facebook. Vor einer Woche sah sie sich gezwungen, die unangemeldete Schweigeminute der AfD zu Susanna zu unterbrechen. (Wir berichteten)

Auf ihrer persönlichen Website schreibt sie: „Der Mord an der 14-jährigen Susanna Feldmann ist ein abscheuliches Verbrechen, das mich mit tiefer Trauer erfüllt. Der Familie und den Angehörigen möchte ich auch an dieser Stelle meine ehrliche und aufrichtige Anteilnahme aussprechen.

Zugleich sehe ich mich veranlasst, einige Dinge klarzustellen, die gezielt verfälscht wurden.  Am vergangenen Freitag hat die AfD-Fraktion versucht, eine „Schweigeminute“ im Deutschen Bundestag zu erwirken. Als amtierende Präsidentin der Sitzung habe ich entschieden, diesen Versuch zu unterbinden. Ich kann nachvollziehen, dass dieses Vorgehen vielen Menschen auf den ersten Blick unverständlich erscheint.“

Die AfD hat alles nur Inszeniert

Claudia Roth erklärt, dass der Bundestag eine feste Geschäftsordnung hat, damit Plenardebatten nicht im Chaos versinken und alle beim Thema bleiben. Die AfD hatte die Schweigeminute nie angemeldet oder angekündigt – Obwohl sie dazu noch bis kurz vor der Sitzung Zeit gehabt hätte. Auch wollte sie sie an einer Stelle bringen, die nichts damit zu tun hatte. Dass sie Roth zwang, die Minute abzubrechen, war genau so geplant gewesen, um die schreckliche Tat für ihre Zwecke zu missbrauchen. Sie schreibt:

„Dass sich mehrere AfD-Abgeordnete ein breites Grinsen nicht verkneifen konnten, wie in Ausschnitten der Debatte und auf Fotos klar zu erkennen ist, lässt die Inszenierung nur noch abstoßender erscheinen.“

Auch dass nur wenige Minuten nach dem Vorfall bereits die ersten rechten Hetzblogs das Thema ausschlachteten, zeugt davon, dass das alles vorher vereinbart gewesen war. Man verglich die Aktion mit einer Schweigeminute von 2015, um Roth Heuchelei zu unterstellen. Dabei hatte Roth 2015 im Gegensatz zur AfD alle Regeln eingehalten und die Schweigeminute auf die Tagesordnung gesetzt und mit den anderen Fraktionen vereinbart.

Roth hätte sie auch nicht trotzdem zulassen dürfen

Die AfD hat bewusst die Tagesordnung im Bundestag unterbrochen. Claudia Roth hatte als Bundestagspräsidentin in dem Moment die Pflicht, der Geschäftsordnung zur Umsetzung zu verhelfen. Wenn sie die AfD agieren hätte lassen, hätte sie einen fatalen Präzedenzfall geschaffen: Wenn die AfD einmal im Bundestag machen darf, was sie will, warum nicht öfter? Oder was würde andere Parteien hindern, das gleiche zu tun? Die AfD wäre wieder einmal mit einem Bruch der Regeln davon gekommen. Weiter erklärt sie:

„All das ist kein Zufall, kein Spiel, kein Geplänkel. In aller Klarheit: Die AfD will unsere Gesellschaft grundlegend verändern, und damit schadet sie uns. Wenn es in unserem Land mittlerweile ausreicht, eine Bundestagsdebatte gemäß Geschäftsordnung zu leiten, um etliche Morddrohungen zu erhalten, dann ist eine rote Linie nicht nur erreicht, sondern meilenweit überschritten.

Wenn offizielle Videos aus dem Bundestag bewusst instrumentalisiert und zum Teil manipuliert werden, um übelsten Hass zu verbreiten, dann sprengt das jede Grenze des respektvollen Miteinanders. Wenn der schreckliche Mord an einer 14-Jährigen unter Vortäuschung von Pietät und Anstand missbraucht wird, um gegen Politiker*innen und Geflüchtete zu hetzen, dann müssen wir alle – ohne Ausnahme – endlich anerkennen:

Was die AfD in Deutschland vorhat, hat nichts mit politischem Austausch oder demokratischer Debattenkultur zu tun, mit „besorgten Bürgern“ oder Protest. Was die AfD tagtäglich vorantreibt, ist die totale Entgrenzung von Sprache, die zügellose Verächtlichmachung von Demokratie, ist Geschichtsrevisionismus und rassistisch-sexistischer Hass auf Andersdenkende. Und im vorliegenden Fall war es sogar der sprichwörtliche Versuch, alle zum Schweigen zu bringen.“

„Mir reicht es. Vielen in Deutschland reicht es.“

Abschließend ruft Roth alle demokratischen Parteien des Landes auf, sich endlich geschlossen gegen die AfD zu wehren: „Wer vor diesem Hintergrund immer noch meint, wir sollten nicht „über jedes Stöckchen“ springen und geduldig abwarten, verkennt den Ernst der Lage. Die AfD wird sich schon noch entzaubern? Ich kann und will dieses Argument nicht mehr hören. Mir reicht es. Vielen in Deutschland reicht es. Und deshalb ist es an der Zeit, dass wir uns zusammentun und konsequent dagegenhalten – über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg, wenigstens in dieser Sache.“

Egal ob links oder konservativ, Reconquista Internet oder #ichbinhier, „deutsch, türkisch oder deutsch-türkisch, hetero oder queer, schwarz oder weiß“, alle sollen gemeinsam gegen Hass aufstehen und für ein vielfältiges und gerechtes Miteinander, besonders für die Landtagswahl in Bayern im Herbst dieses Jahres.

„Noch sind wir oft zu langsam, zu zerstreut, zu zurückhaltend – vor allem online. Das müssen wir ändern. Heute lieber als morgen. Mit Begeisterung, nicht Entmutigung. Mit #LiebeStattHass. Nur so wird wieder deutlich, was weiterhin stimmt: Wir sind die Mehrheit, und wir lassen uns nicht unterkriegen!“

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Artikelbild: Harald BischoffCC BY-SA 3.0