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Erste, sporadische Löschungen: Druck auf Staatsfeinde im Telegram-Untergrund wächst

von | Jan 19, 2022 | Aktuelles

Ein Überblick über aktuelle Bestrebungen gegen Corona-Extremismus auf Telegram

Die Messenger-App Telegram ist sehr beliebt unter Corona-Extremist:innen, die sich dort ungestört in größtenteils öffentlichen Gruppen austauschen können ─ noch. Denn es gibt aktuell Bestrebungen von verschiedenen Seiten, gegen extremistische Inhalte vorzugehen.

Warum ausgerechnet Telegram?

Telegram wurde 2013 von den Brüdern Nikolai und Pavel Durov aus Russland gegründet. „Pavel unterstützt Telegram finanziell und ideologisch, während Nikolai seine technischen Kenntnisse einbringt“, so heißt es in den deutschsprachigen Telegram-FAQ. Telegram würde derzeit seinen Sitz in Dubai haben.

Die Messenger-App ist sehr beliebt unter Querdenker:innen, denn sie bietet die Funktion, Nachrichten an bis zu 200.000 Personen gleichzeitig zu senden. Und: Anders als auf Facebook und YouTube werden Kanäle nur sehr selten gesperrt. Es gibt auch keine Funktion, die Fake News als solche kennzeichnet. Hier können nahezu ungestört Radikalisierungen stattfinden.

Wie Querdenker:innen auf Telegram unterwegs sind & warum das eine Gefahr für die Demokratie ist

Verfassungsschutz unterwegs auf Telegram

Ein kürzlich in der FAZ erschienenes Interview mit Thomas Haldenwang (FAZ+), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), sorgte für viel Aufsehen (u.a. berichteten Tagesschau und Heise). Er betont darin mehrmals, mit dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden bezüglich Telegram sehr zufrieden zu sein: „Unsere virtuellen Agenten sind auf den Plattformen unterwegs. Ich darf Ihnen nicht sagen, wie viele Mitarbeiter das sind, aber sie sind sehr erfolgreich.“

Nachdem es auf Telegram Morddrohungen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer gegeben hatte, „war es nicht zuletzt dank unserer Aktivitäten möglich, Personen zu identifizieren“, so Haldenwang. Was er verschweigt: Die Morddrohungen gegen Kretschmer waren vom ZDF aufgedeckt worden.

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Telegram in die Pflicht nehmen

In dem Interview deutet Haldenwang auch an, unzufrieden mit dem Verhalten der Telegram-Betreiber zu sein: „Hass und Hetze wird oft nicht gelöscht. Hier wäre ein Einwirken wünschenswert, damit Telegram selbst strafbare Inhalte entfernt.“ Die FAZ-Redakteurinnen erinnern ihn daran, dass dies bislang ohne Erfolg versucht worden war. Sie spielen darauf an, dass es bereits seit Sommer 2021 zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram von Seiten des Bundesamts für Justiz (BfJ) gibt: weil es keinen „leicht erkennbaren und unmittelbaren Meldeweg für strafbare Inhalte“ gebe. Und wegen „Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen von deutschen Gerichten“. Beide Verfahren beziehen sich auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Telegram wird somit als soziales Netzwerk definiert, nicht als reiner Messenger.

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) will Telegram in die Pflicht nehmen. Nach Informationen von Welt vom 17. Januar 2022 wurde in einer nichtöffentlichen Sitzung das Ziel erklärt, „in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine Kooperation mit Telegram zu erreichen.“ Konkret bedeute dies, man wolle Telegram „mit Löschbitten und Datenanfragen fluten“, schrieb die Welt. Auch die Tagesschau griff diese Meldung auf.

Telegram nicht kooperativ

Telegram selbst äußert sich in seinen FAQ sehr schwammig zu dem Thema Löschbitten und zeigt sich nicht kooperativ: „Während wir terroristische (z. B. ISIS-bezogene) Bots und Kanäle blockieren, werden wir keinesfalls Nutzer daran hindern, auf friedliche Weise alternative Meinungen zum Ausdruck zu bringen.“

Europol gab am 1. Dezember 2019 bekannt, mit Telegram zusammenzuarbeiten, um die Verbreitung von terroristischer Propaganda zu stoppen. Bei Löschungen im Bereich der Querdenkenszene zeigte sich Telegram aber bislang unkooperativ.

Nahezu ausgeschlossen wird in den FAQ die Weitergabe von Daten:

„Nur wenn unterschiedliche Rechtssysteme von mehreren Ländern auf der ganzen Welt eine Entscheidung über ein besonders ernstes und global anerkanntes Thema treffen, kann Telegram Daten herausgeben und die Kontrolle darüber abtreten. Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen.“

Eine europäische Lösung

Ab dem 1. Februar 2022 an müssen die Betreiber:innen von sozialen Netzwerken strafbare Inhalte, beispielsweise Hass und Todesdrohungen, nicht nur löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt melden. Diese Änderung des NetzDG allein verspricht aber nicht unbedingt Erfolg.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte dazu in einem Interview mit der Zeit (Z+), das am 12. Januar 2022 veröffentlicht wurde: „Ich halte es für einen der wichtigsten Punkte überhaupt, hier das Recht auch durchzusetzen.“ Sie stellt bezogen auf Telegram fest: „Es wird mittlerweile viel angezeigt. Aber an der Durchsetzung hapert es zum Teil. Wir müssen hier noch mal nachlegen, um dem Phänomen besser Herr zu werden. Aber dafür brauchen wir eine europäische Regelung. Weil wir alleine keine Chance haben. Heute sitzt Telegram in Dubai, morgen vielleicht auf den Cayman Islands.“

Sie spricht sich nicht für eine Abschaltung von Telegram aus, aber schließt solch ein Vorgehen im Zweifel nicht aus: „Ein Abschalten wäre sehr schwerwiegend und ganz klar Ultima Ratio. Vorher müssen alle anderen Optionen erfolglos gewesen sein.“

Sporadische Löschungen von Querdenken-Inhalten

Recherchen von netzpolitik.org zeigen, dass Telegram derzeit selbst sporadisch gegen Querdenken-Inhalte vorgeht: „Gruppen lassen sich nicht öffnen, Kommentare in Kanälen werden nicht angezeigt.“ Mindestens sechs Kanäle (Veröffentlichung des Artikels: 12. Januar 2022) beträfe dies. Des Weiteren schildert netzpolitik.org, dass dies nur zutreffen würde, wenn die App aus dem Google Play Store oder App Store von Apple heruntergeladen worden sei. Wer die App beispielsweise auf seinem Laptop öffne, könne nach wie vor auf die Kanäle zugreifen.

Am 28. September 2021 gab Pavel Durov über seinen eigenen Telegram-Kanal Durov’s Channel bekannt, dass zwei öffentliche Kanäle – ein italienischer und ein deutscher – gelöscht worden seien. Sowohl auf dem italienischen Kanal stopdittatura als auch auf dem deutschen menschenreise_diskussion sei öffentlich zu Gewalt gegen Ärzt:innen aufgerufen worden. Es sei auf Telegram öffentlich möglich, begründete Bedenken über Impfstoffe und Anti-Covid-Maßnahmen zu äußern:

What Telegram does not allow, however, is the distribution of calls for violence via public channels. Inciting violence has been prohibited by the Terms of Service of Telegram since 2015, so we take action every time this line is crossed.”

[“Was Telegram jedoch nicht erlaubt, ist die Verbreitung von Aufrufen zur Gewalt über öffentliche Kanäle. Die Aufforderung zur Gewalt ist in den Nutzungsbedingungen von Telegram seit 2015 verboten, daher ergreifen wir jedes Mal Maßnahmen, wenn diese Grenze überschritten wird.“]

Please stop spreading false information”

Auch jetzt können beide Kanäle nach wie vor nicht aufgerufen werden, weder vom Laptop noch vom Smartphone aus. Doch noch am gleichen Tag wurde jeweils ein neuer Ableger von „stopdittatura“ und „menschenreise_diskussion“ eröffnet.

Screenshots in ersterem zeigen, dass Durov’s Chat sich in dem Kanal geäußert hatte:

„Please stop spreading false information, the channel was inciting violence, that’s a fact. And you’re picturing Italy as if it were an illegitimate dictatorship, which it most definitely is not.”

[„Bitte hört auf, falsche Informationen zu verbreiten, der Kanal hat zur Gewalt aufgerufen, das ist eine Tatsache. Und du stellst Italien so dar, als sei es eine illegitime Diktatur, was es ganz sicher nicht ist.“]

Und:

“It is not, and you saying it is shows a profound lack of self awareness and, most of all, respect for all the people that live under such regimes in less fortunate countries around the world.”

[„Das ist es nicht, und dass du das behauptest, zeigt einen tiefen Mangel an Selbsterkenntnis und vor allem an Respekt für all die Menschen, die unter solchen Regimen in weniger glücklichen Ländern auf der ganzen Welt leben.“]

Zum Thema:

Nicht nur Telegram: Wie Meta, Google & Co. Radikalisierung unterstützen – und profitieren

Autorin: Pauline Reinhardt. Artikelbild: Justlight

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