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Abrechnung: Brutale Antifa-Schläger vs. Neonazi Lucke!

von | Okt 19, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Social Media

Sind jetzt alle aufgeregt?

Die Debatte um die Antrittsvorlesung von Ex-AfD-Chef und -Gründer Bernd Lucke hat tiefe Spaltungen hinterlassen. Aber nicht die üblichen. Nicht zwischen Faschisten und ihren Wegbereitern und den Demokrat*innen auf der anderen Seite, sondern unter letzteren. Rechtsextreme klatschen sich in die Hände, während ein Sachverhalt eskaliert, der nicht hätte eskalieren müssen und wenn Antifaschisten vor lauter Ärger Schlagworte und Narrative verwenden, die Faschisten ohnehin zu etablieren versuchen. Ich versuche hier mal einzuordnen.

Vor einigen Tagen wollte Lucke, Wirtschaftsprofessor, wieder zur Hamburger Universität als Professor zurückkehren und seine Antrittsvorlesung halten. Eine von der AStA aufgerufene Kundgebung störte diese. Sie hatten ihm vorgeworfen, eine „Mitverantwortung für die heutigen gesellschaftlichen Verwerfungen in Deutschland“ zu tragen. In der Vorlesung kam es dann doch zu unschönen Szenen: Lucke wurde niedergeschrien, als „Nazi-Schwein“ beschimpft. Er soll mit Papierkügelchen beworfen worden sein, und sogar angerempelt. Der AStA verteidigte die Kundgebung, lehnte aber die Störung ab.



Heftige Fronten

Danach entstanden heftige Fronten, besonders unter denjenigen, die eigentlich auf der gleichen Seite stehen. Die einen verteidigten die Proteste, da Lucke schließlich ein „Faschist“ oder ein „Nazi“ sei – die anderen sprachen plötzlich von „Dingen, die man nicht mehr sagen“ dürfe. Ich sammelte am gleichen Tag Zitate Luckes und Belege darüber, wie rassistisch seine Partei schon unter ihm war, um zu belegen, dass er sich nicht einfach seine Hände reinwaschen kann von dem, was er da schuf, und dass ein Protest gegen seine Rückkehr durchaus gerechtfertigt ist.

Bernd Lucke ist mitschuldig am Rechtsextremismus der AfD

Doch das soll nicht heißen, dass ich alles, was im Namen des Protestes passiert ist, gutheiße. Nein, Lucke ist kein „Nazi“. Das hatte ich im Artikel bereits festgestellt. Ich weiß, er trägt Verantwortung für die inzwischen offen rechtsextreme AfD und auch für deren Rassismus. Aber wenn wir den Begriff zu lose verwenden, verliert er wirklich seine Schlagkraft und wird ineffektiv gegen diejenigen, die diese Bezeichnung verdient haben. Als solcher hat er auch nicht das Bewerfen mit Papierkügelchen verdient, oder Rempler. Das geht natürlich ein bisschen zu weit.

Natürlich darf Lucke juristisch gesehen wieder an die Uni zurückkehren. Natürlich darf er seine Meinung äußern und auch an der Uni lehren. Lucke ist Rechtspopulist, und hat eine Verantwortung an der AfD, von der er sich nicht reinwaschen darf, aber er bewegt sich immer noch innerhalb des demokratischen Spektrums. Er hat Kritik definitiv verdient und auch Protest, dass er wieder „ganz normal“ lehren soll, aber Niederschreien mit „Nazi-Schwein“ ist unseriös.

ABER Hufeisen

Kurz: Proteste gerechtfertigt, die Verantwortung Luckes darf nicht verschwiegen werden, aber die Protestierenden sind teilweise etwas zu weit gegangen. Manche haben sich in ihrer Kritik an den Protesten aber auch ordentlich vergallopiert. Weder ist Lucke ein Neonazi, noch sind die Protestierenden die brutale „Antifa“, wie sie die BILD bezeichnete. Aber von der BILD erwartet man ja sowas. Thomas Ney von den Piraten zog sogar den überzogenen Vergleich mit der Judenverfolgung, für welchen er heftig kritisiert wurde – aber auch viel Zuspruch erhielt.

Lucke verglich sich selbst mit den verfolgten Juden, als er jüngst sagte: „Früher ist man als Judensau beschimpft worden bei uns – und wenn das heute vorkäme, würde sicherlich auch eingegriffen werden. Jetzt heißt es also Nazischwein“ (Quelle). Lasst mal die Kirche im Dorf! Auch die sicherlich nicht für Sympathie mit der AfD bekannten Leute von Ankerherz ließen sich zu einigen problematischen Aussagen hinreißen.

Screenshot Ankerherz

Screenshot Ankerherz

Grundaussage: Meinungsfreiheit wird von Rechts wie von Links gleichermaßen bedroht, die Proteste gegen Lucke waren nicht nur „Gewalt“, sondern auch gleichzusetzen mit der von Rechten, die explizit „NICHT zu unterscheiden“ [sic] sind. Die Hufeisentheorie lässt grüßen.

Kommt mal alle runter

Liebe Freunde von Ankerherz, liebe Leute, die ihr eurem Ärger über Lucke Luft machen wollt: Von dieser unnötigen Spaltung, die eigentlich nur auf Auslegungen basiert, ob das schon Gewalt war oder nicht, profitieren nur die Faschisten. Die das Feuer noch extra durch Fake-Accounts anheizen, wie ich durch Überprüfung einiger Profile vermute. Ich weiß, die einen nehmen Kritik an ihren Protesten als Normalisierung des Faschismus wahr, die man konsequent kritisieren muss. Das ist auch richtig, aber ein weniger aggressiver Protest hätte genauso gewirkt und wäre nicht so angreifbar gewesen.

Die anderen versteifen sich auf die extremsten Kommentare und auf Trolle und fangen an, rechte Mythen in ihrem Ärger zu wiederholen. Klar gibt’s Idioten und auch Extreme unter Linken und Antifaschisten. Mit denen schlagen wir uns ja genau so rum. Aber die sind alles andere als vergleichbar mit rechten Trollen, mit Neonazi-Schlägern oder mit Faschisten. Zwischen linker „Gewalt“ (und hier bereits von Gewalt zu sprechen, halte ich schon für eine Relativierung des Begriffs, eine Woche nach dem Anschlag von Halle) und rechtem Terror liegen Welten.

Vergiss Lübcke: Du wirst nicht glauben, wie kriminell die Antifa ist!

Wir können nicht pöbelnde Studierende genau so verurteilen wie mordende Neonazis. Davon profitieren Neonazis. Klar kann man einige Eskalationen bei der Antrittsvorlesung von Lucke kritisieren. Ich bitte sogar darum. Aber wer hier bereits den Holocaust heranzieht und Parallelen zu rechtem Terror, der lässt überhaupt keinen Raum mehr für Introspektion. Oder Luft nach oben. Wie weit kann man so eine Rhetorik noch steigern, wenn tatsächliche, körperliche Gewalt kommen würde?

Friedensangebot

Ich versuche mal das Utopische, in Zeiten von Anschreiwettbewerben im Internet, aber ich würde beide Seiten aufrufen, ein wenig zu deeskalieren. Die eine Seite kann sich eingestehen, dass „Nazi-Schwein“ zu viel des Guten ist und Ankerherz natürlich keine heimlichen AfD-Sympathisanten sind. Die andere sollte sich vielleicht auch fragen, ob Relativierungen rechter Gewalt der richtige Weg sind und rechtes Framing wie „Man darf nicht mehr sagen, was man denkt“ und „Selbstbesoffen“ nicht mehr Schaden anrichten als Brücken bauen.

Ignoriert Trolle, die – ob False Flag oder nicht – überzogene Beleidigungen um sich werfen, und nehmt sie nicht als Paradebeispiel für den vermeintlichen politischen Gegner. Und wie immer: Bei allem Ärger, egal ob gegen Ankerherz, Lucke oder die AfD: Bleibt sachlich und fair. Dann entstehen keine Missverständnisse mit Verbündeten und dann macht man sich nicht angreifbar in seiner berechtigten Kritik.

Die Protestierenden sind etwas zu weit gegangen, Kritik daran mit Judenverfolgungsvergleichen und Relativierungen auch. Was davon „schlimmer“ ist, mag ich nicht zu beurteilen, und ist auch völlig egal, ich weiß nur: Diese ganze Debatte verschiebt die Aufmerksamkeit weg von denjenigen, die wir alle ursprünglich kritisieren wollten. Weg von der Verantwortung Luckes, und noch wichtiger: Weg von der geplanten Machtergreifung der von ihm gegründeten AfD. Die sich bei diesem Streit freudig die Hände reibt.

Artikelbild: Mathesar, CC BY-SA 3.0