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Ist das also die „Alternative“? Will AfD-Chef Meuthen die DDR wieder einführen?!

von | Jan 13, 2020 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Social Media

.. oder ist es Propaganda, wenn man Zitate absichtlich verzerrt?

Sorry, aber in diesem Artikel geht es weniger um den AfD-Chef Jörg Meuthen und was dieser fordert oder nicht. Sondern in diesem Artikel geht es mehr darum, was der „demokratische Sozialismus“ ist und was die SPD-Chefin Saskia Esken damit zu tun hat. Denn die AfD um Meuthen, aber auch viele andere, unterstellen Esken, sie würde nach ihrem jüngsten SPIEGEL-Interview fordern, die DDR wieder einführen zu wollen. Und ja, die meisten haben es bereits erraten: Das hat Meuthen eben sowenig gefordert wie Saskia Esken.

Nach einer Idee des Politikwissenschaflers Erik Flügge, der auf seiner Facebook-Seite regelmäßig über solche Desinformationstaktiken aufklärt (Danke!), haben wir hier die wirklich getätigten Worte „die DDR war ein ganz tolles Land“ von Meuthen ebenfalls aus dem Kontext gerissen und ihm damit Dinge unterstellt, die er nicht gesagt hat. Flügge beschreibt es so: „Es macht den politischen Diskurs kaputt, wenn man Zitate aus dem Zusammenhang reißt und bewusst missinterpretiert. […] Wenn man diese abfotografierte Zeile verbreitet, hat man nicht gelogen, aber man hat eben so viel weggelassen und bewusst falsch gerahmt, dass es zur Lüge wird.“ Und ja, Meuthen (und viele andere) haben etwas ähnliches mit Saskia Esken gemacht.



Demokratischer Sozialismus?

Erst einmal: Was hat die SPD-Chefin gesagt? Im SPIEGEL-Interview hat sie sich ausdrücklich zum „demokratischen Sozialismus“ bekannt. „Der demokratische Sozialismus ist eine positive gesellschaftliche Vision“, lautet das ganze Zitat. Ironischerweise beginnt das Interview mit – wer hätte es gedacht – einer Anekdote, wie rechte Akteure einen Satz Eskens aus dem Kontext rissen.

SPIEGEL: Frau Esken, Sie haben vor zwei Jahren auf Twitter geschrieben: Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung. So. Würden Sie diesen Satz heute erneut twittern?

Esken: Haben Sie mal recherchiert, worauf sich mein Tweet bezogen hat?

SPIEGEL: Sie haben damit auf andere Nutzer geantwortet.

Esken: Stimmt. Der Tweet, auf den ich mich bezogen habe, lautete sinngemäß: Wer Neoliberalismus negativ besetzt, hat halt einfach keine Ahnung. Darauf habe ich mich mit meinem Sozialismus-Tweet bezogen. Das wurde dann aber von rechten Akteuren aus dem Kontext gerissen und hochgezogen. Das ist eine ganz perfide Methode.“

Und damit haben wir auch schon das heutige Motto. Anschließend stellt Esken richtig fest, dass die SPD sich „mit [Sozialismus] seit 156 Jahren“ beschäftigt. Umso absurder ist, wenn verschiedene politische Akteure damit absichtlich nur „DDR“ und „Sowjetunion“ missverstehen wollen. Denn „Sozialismus“ ist der Ursprung des Wörtchens „Sozial“ in „Sozialdemokratie“:

Enteignungen sind heutzutage völlig üblich

Esken versteht unter „demokratischen Sozialismus“ – und damit ist sie nicht die erste oder alleine – „ein Zielbild, so wie unsere Grundwerte Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit.“ Sie beschreibt im Kontext von Globalisierung, es sei „notwendiger denn je, darüber zu debattieren, wie wir den Kapitalismus gestalten.“ Merke: Kapitalismus gestalten, nicht abschaffen. Esken erwähnt auch Enteignungen oder Vergesellschaftungen als mögliche Mittel zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft.

Und völlig egal, wie man zu diesem politischen Mitteln steht: Esken hat sie nur als mögliche Optionen ins Spiel gebracht – und daran ist nichts verwerflich oder extrem. Denn diese Mittel stehen als staatliches Werkzeug im deutschen Grundgesetz. „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“, heißt es in Artikel 14, der zugleich aber auch Entschädigungen vorschreibt. Wer die politische Option der Vergesellschaftung als „linksextrem“ bezeichnet, muss auch unsere Verfassung für linksextrem halten. Esken sagt es auch treffend: „Wären das komplett spinnerte Ideen, würden sie nicht in unserer Verfassung stehen.“

Noch absurder wird es, wenn man bedenkt, dass Enteignungen auch heute noch vollkommen üblich sind! Siehe beispielsweise beim Bergbau. Für den Tagebau Garzweiler wurden 370 Gemeinden umgesiedelt, insgesamt 125.000 Menschen. Das ging nur mit Enteignungen. Und hier auch von Privatpersonen. Auch für Straßen werden Menschen enteignet, für den 1,3 Kilometer langen Ausbau der A7 bei Hamburg wurden 44 Anwohner zum Verkauf gezwungen, da anderweit eine Enteignung gedroht hätte. Das gleiche trifft auf die Bahn zu. Im bayerischen Fürth mussten für zusätzliche S-Bahn-Gleise Bewohner*innen ihre Grundstücke abgeben und vor Gericht um die Höhe der Entschädigung streiten.

Für Airbus wurde vor 15 Jahren die Landebahn ihres A380 Werkes Finkenwerder um 600 Meter verlängert, dafür wurden die Grundstücke einiger Bauern enteignet. Obwohl das eigentlich nur für Militär- und Verkehrsflughäfen möglich ist. Dafür hat der damalige Bundeskanzler Schröder das betreffende Gesetz ändern lassen. Und es gibt noch viele weitere Beispiele (Mehr dazu beim Spiegel).

Wie Meuthen und andere daraus DDR basteln

Der „demokratische Sozialismus“ ist explizit das Gegenmodell zum „Sowjet-Stalinismus“, wie auch Erik Flügge schreibt. „Es ging also genau darum, genau nicht so zu sein wie die DDR oder die UdSSR.“ Wenn jetzt Meuthen oder andere daraus eine Affinität zur DDR basteln ist das bestenfalls unehrlich, schlimmstenfalls Propaganda. Meuthen argumentiert in seinem Facebook-Post, dass die DDR sich schließlich auch „demokratisch“ genannt habe und „sozialistisch“ gewesen sei – und behauptet dann, für Esken müsse automatisch das gleiche gelten.

Das ist eine gezielte Verwirrungstaktik, die sich der Propaganda der DDR bedient: Denn diese hat sich natürlich „demokratisch“ genannt, um darüber hinwegzutäuschen, eine Diktatur zu sein. Aber nur weil ein Unrechtsstaat sich absichtlich zu Propagandazwecken falsch genannt hat, sagt das noch lange nichts über Esken und die SPD aus. Die gleiche Taktik hat übrigens auch die NSDAP genutzt, die das damalige Mode-Wort „sozialistisch“ genutzt hat. Rechte wollen bis heute diese Propaganda nutzen, um zu behaupten, die Nazis wären links gewesen. Alles davon ist natürlich Blödsinn.

Faktencheck: Die Zerstörung vom „Die Nazis waren links!“-Bullshit

Framing und Falschdarstellungen

Das ist gezieltes Framing und eine gezielte Falschdarstellung von den Forderungen Eskens. Und Meuthen weiß das sicherlich, wenn er aktiv seine leichtgläubigen Anhänger*innen belügt, um seinen politischen Gegner*innen zu schaden. Wer verfassungstreue und demokratische Aussagen in die Nähe von Totalitarismus und DDR rückt, der will entweder bewusst Propaganda verbreiten – oder ist auf diese hereingefallen. Niemand muss den „demokratischen Sozialismus“ für eine gute Idee halten oder Enteignungen und Vergesellschaftungen anwenden wollen. Doch es ist weder fair, noch demokratisch, so zu tun, als seien das nicht Optionen, die im Grundgesetz stehen oder die nicht demokratisch seien.

Es ist ein Beispiel, wie politische Akteure wie Meuthen – aber auch nicht-rechtsextreme Politiker*innen – Zitate aus dem Kontext reißen und anderen Dinge unterstellen, die sie nie gesagt haben. Der Satz Meuthens „Liebe Leser, die DDR war ein ganz tolles Land“ endet nicht an dieser Stelle. Und er fordert auch nicht die Wiedereinführung der DDR. Saskia Esken aber auch nicht.

Schaut doch bei Erik Flügge vorbei, der viele großartige Analysen liefert! Artikelbild: pixabay.com, CC0