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Wie die AfD versucht, ihr eigenes Konzept von Staatsbürgerschaft zu propagieren

von | Apr 20, 2018 | Serie

Deutschländer Würstchen

Von Stephan Anpalagan

Vor einer Woche wurde also der Echo verliehen. Zu den Preisträgern gehörten dieses Jahr auch „Farid Bang“ und „Kollegah“ (an meine älteren LeserInnen: ja, die heißen wirklich so!). Im Vorfeld der Verleihung wurde dieses Mal ausnahmsweise nicht mit homophoben, gewaltverherrlichenden und sexistischen, sondern mit antisemitischen Liedzeilen provoziert. Der berechtigte öffentliche Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten, Campino verlas eine hörenswerte Verlautbarung, das Internationale Auschwitz Komitee veröffentlichte drei Pressemitteilungen zu diesem Thema und Künstler, die in der Vergangenheit mit dem Echo ausgezeichnet wurden, gaben ihre Trophäe zurück.

Wie so häufig in letzter Zeit, lohnt sich der Blick in Richtung AfD, um zu lernen, wie sich wahrhaft jedes Ereignis mit dem Thema Zuwanderung und Migration verknüpfen lässt. Alice Weidel hat in diesem Fall diese ehrenvolle Aufgabe übernommen und eine Facebook-Kachel mit dem Inhalt „Farid Bang – Nichts weiter als ein asozialer Marokkaner! Staatsbürgerschaft aberkennen und abschieben!“ veröffentlicht. Der Kachel angefügt ist ein Text, der die Forderung erklärt („zum Glück!“ möchte man sagen, da man sonst davon ausgehen müsste, die AfD wolle Farid Bang seine marokkanische (!) Staatsbürgerschaft aberkennen). Der gesamte Facebook-Post lässt sich dabei in drei Punkten zusammenfassen: 1. Verurteilung antisemitischer Strömungen 2. implizite und explizite Diffamierung des Islam 3. Forderung nach Ausbürgerung von Farid Bang.

Fremdländische Namen, nichtdeutsche Wurzeln

Dass die AfD antisemitische Worte und Taten ausschließlich in Richtung des Islam adressiert, ist ja bereits hinreichend bekannt (siehe dazu auch meinen Beitrag auf MiGAZIN). In höchstem Maße auffällig ist hingegen die Forderung nach Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft gegenüber Farid Bang, der mit bürgerlichem Namen Farid Hamed El Abdellaoui heißt (was Alice Weidel ebenfalls nicht unerwähnt lässt).

Farid Bang befindet sich damit in illustrer Gesellschaft mit:

  • Aydan Özoguz, MdB und ehemals Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, die Alexander Gauland in Anatolien entsorgen wollte.
  • Deniz Yücel, Journalist der WELT, zweimalig ausgezeichneter „Journalist des Jahres“ und ehemals politischer Gefangener des Erdogan-Regimes, den Alice Weidel nicht als deutschen Journalisten anerkennen mag.
  • Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, dem Carsten Hütter, MdL Sachsen, seine deutsche Heimat abspricht.
  • Aygül Kilic, Politikerin und Sozialassistentin, deren Kopftuch die AfD Neuburg-Schrobenhausen (ja, auch die heißen so) zum Anlass nimmt sie als Islamistin und türkische Ultranationalistin zu verleumden und die allein deswegen von Beatrix von Storch an den Pranger gestellt wird (natürlich sind alle Anschuldigungen haltlos)
  • Cem Özdemir, MdB und ehemaliger Vorsitzender der Bündnis 90/die Grünen, der von Jörg Urban, MdL Sachsen, nur namentlich erwähnt werden muss, damit die Menge „abschieben, abschieben“ skandiert.

Aydan Özoguz, Deniz Yücel, Aiman Mazyek, Aygül Kilic, Cem Özdemir oder eben auch Farid Hamed El Abdellaoui, denen die AfD ihre Staatsbürgerschaft entziehen möchte, haben eines gemeinsam. Sie alle haben „fremdländische“ Namen und nicht-deutsche Wurzeln, man könnte sie auch als Deutsche mit Migrationshintergrund bezeichnen. Und genau deshalb offenbart Alice Weidels Facebook-Post zur Echo-Verleihung die gesamte innere Haltung ihrer Partei. Obwohl „Farid Bang“ und „Kollegah“ das Echo-prämierte Album zu gleichen Teilen gemeinsam produziert haben, soll nur „Farid Bang“, aber eben nicht „Kollegah“, wegen dessen antisemitischer Inhalte ausgebürgert werden. Beide sind Muslime, beide haben einen Migrationshintergrund, doch raten Sie mal, wie „Kollegah“ mit bürgerlichem Namen heißt. Genau: Felix Blume. Und der Migrationshintergrund? Nun, Blumes Vater stammt aus Kanada. Das erscheint auch der AfD mutmaßlich der Hetze ungeeignet. So verweist Alice Weidel also nur auf Blumes muslimischen Glauben, den dieser durch seinen algerischen Stiefvater kennengelernt hat.

Deutsche und Passdeutsche

Um Menschen, die ausgebürgert, abgeschoben und im Ausland entsorgt werden sollen, zu beschreiben, benutzt die AfD, genauso wie die rechtsextremistischen Kräfte vor ihr, das Konzept des „Passdeutschen“. So schreibt Andreas Wild, MdA Berlin, „Ein deutscher Staatsbürger mit deutschem Paß ist noch lange kein Deutscher.“ und „Wenn Sie Aug und Ohr aufmachen, können Sie Männer u. Frauen sowie Deutsche u. Paßdeutsche unterscheiden„. In dieselbe Kerbe schlägt auch Jörg Meuthen, der wörtlich sagte: „Ich sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen ich mich bewege, [nur] noch vereinzelt Deutsche.„, woraufhin die Bundeskanzlerin mit den einzig richtigen Worten antwortete: „Dann weiß ich nicht, was Sie sehen, denn ich kann auf der Straße Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind und solche, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, nicht unterscheiden“.

Wenn Jörg Meuthen also auf den ersten Blick einen Unterschied zwischen Deutschen und Ausländern zu erkennen glaubt, bleibt wohl nur die Hautfarbe als Identitätskriterium (und demnächst vielleicht wieder die Schädelform) und eben nicht die Staatsangehörigkeit, wie es Artikel 116 des Grundgesetzes definiert. So verwundert es nicht, dass Angehörige der AfD zwischen „Kanacken“ und „Negern“ auf der einen und „Biodeutschen mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern auf der anderen Seite unterscheiden. Ein beliebtes Sprichwort unter AfD-Anhängern lautet: „Ein Esel der im Pferdestall geboren wird, ist kein Pferd.„, was wohl so viel bedeutet wie: Ein Ausländer (Esel), der in Deutschland geboren wird (Pferdestall), wird niemals Deutscher (Pferd), sondern bleibt immer ein Ausländer (Esel). Dieses Sprichwort offenbart die gesamte gesellschaftspolitische Haltung der AfD-Anhänger, deren Überzeugungen zufolge die Zugehörigkeit zum deutschen Volk nicht durch das Staatsangehörigkeitsgesetz, sondern durch eine mystische Blutsgemeinschaft definiert ist und erbbiologischen Kategorien folgt.

Gemäß dieser Argumentationsmuster ist es nur folgerichtig, wenn Menschen wie Dunja Hayali oder ich selbst bei jeder Diskussion aus dem Land gewünscht und Reklametafeln, die schwarze Menschen zeigen, mit rassistischer und rechtsextremer Hetze geflutet werden. Weder Dunja Hayali, Philipp Awounou und ich, noch Aydan Özoguz, Deniz Yücel usw. können „zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern“ vorweisen und sind entsprechend auch keine Biodeutschen im Sinne der AfD (und zufälligerweise auch keine Arier im Sinne Josef Goebbels). Nun könnte man meinen, all die Worte und Aussagen von AfD-Bundestags- und Landtagsabgeordneten seien „Einzelfälle“ oder „individuelle Verfehlungen“. Dagegen spricht zum einen die Tatsache, dass sich sowohl Parteivorsitzende, Fraktionsvorsitzende, und Vorsitzende der Landesparteien in einer Art und Weise äußern, die keinen Zweifel am Narrativ des „falschen Deutschen“ lassen. Zum anderen hat die Partei ihren Wunsch nach Ausbürgerung deutscher Staatsbürger mit „Migrationshintergrund“ bereits institutionalisiert. So findet sich in verschiedenen Änderungsanträgen zum AfD-Bundesparteitag mehrfach der Wunsch, dass „die Ausbürgerung krimineller [deutscher] Staatsbürger (!) mit Migrationshintergrund (!!) möglich werden“ soll „und zwar auch dann, wenn die Ausgebürgerten dadurch staatenlos werden„, was die Bundesprogrammkommission wortgleich in ihren Leitantrag zum Bundesparteitag hineinformulierte und die Gesamtpartei noch immer prominent auf der Webseite platziert.

Volk und Rasse

Den politischen Erwägungen der AfD zu „Volk und Rasse“ kommen allerdings das Staatsangehörigkeitsgesetz und das Grundgesetz in die Quere, die zum einen neben dem Abstammungsprinzip eben auch das Geburtsortprinzip als Norm definieren und zum anderen Konzepte wie die Menschenwürde nun einmal nicht exklusiv an Deutsche verteilen. Allerdings offenbart gerade letzteres, dass manche AfD-Abgeordnete wahlweise das Grundgesetz nie gelesen haben oder – schlimmer noch – vor Lügen und Irreführungen nicht zurückschrecken. So schreibt Frank-Christian Hansel, MdA Berlin: „Ja, die Würde des Menschen ist unantastbar! Aber: Artikel 1 GG bedeutet nicht: „Alle Menschen sind Deutsche“„. Auch mit viel gutem Willen lässt sich diesem Satz kein Sinn entnehmen, außer vielleicht, dass Artikel 1GG (Menschenwürde!) nicht für alle Menschen gilt, da nicht alle Menschen Deutsche seien (?!). Hansjörg Müller, MdB, veröffentlicht auf Twitter den Satz: „Staatsvolk im Sinne des Grundgesetzes sind Deutsche mit deutscher Staatsangehörigkeit – Grundgesetz Artikel 20„. Das ist schlichtweg falsch bzw. mutmaßlich gelogen. Das gesamte Grundgesetz kennt den Begriff „Staatsvolk“ nicht, und ausgerechnet Artikel 20 definiert in Absatz 1: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer (!) und sozialer (!!) Bundesstaat.“ und in Absatz 3: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“. Weder an die verfassungsgemäße Ordnung, noch an Recht und Gesetz sind die Vorschläge der AfD zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft auch nur angelehnt. Artikel 16 sagt eindeutig: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“ Womit sich diese gesamte Diskussion eigentlich erübrigt haben sollte.

Gestern erbkrank, heute behindert

Dass die AfD das Grundgesetz nicht kennt (siehe oben) oder es ihren Wählern wissentlich falsch verkauft (siehe auch oben), ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass ihr Grundrechte und Menschenwürde wahlweise egal sind oder diese aus ihrer Sicht nur für Biodeutsche in Anspruch zu nehmen sind. Das zeigt auch eine kleine Anfrage an die Bundesregierung, bei der die AfD wörtlich fragt:

  • Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Behinderten seit 2012 entwickelt, insbesondere die durch Heirat innerhalb der Familie entstandenen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?“
  • „Wie viele Fälle aus Frage 4 haben einen Migrationshintergrund?“
  • „Wie viele der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Schwerbehinderten (bitte hier alle Arten von Behinderungen zusammenfassen) besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft (bitte nach Jahren seit 2012 aufschlüsseln)?“

Die AfD möchte also wissen, wie viele der Behinderte in Deutschland durch Inzest „entstehen“, wie viele davon einen Migrationshintergrund haben und wie viele davon keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Die Herleitung, dass gerade Migranten und Nichtdeutsche durch Inzest Kinder mit Behinderungen zeugen, die den Steuerzahler und das Sozialsystem belasten ist vollkommen hanebüchen und gefährlich. Zum einen ist auch dem arischen Staatsvolk das Thema Inzest nicht unbekannt (die Vorabendserie „Verbotene Liebe“ zum Beispiel basiert auf der Liebesgeschichte des Geschwisterpaares Jan und Julia), zum anderen hat genau diese Herleitung bereits schon einmal in der deutschen Geschichte großen Schaden angerichtet.

Wenn man all diese losen Fäden nun richtig zusammenbindet, dann möchte die AfD „nichtarische“ Deutsche identifizieren, „nichtarische“ Deutsche ausbürgern und Lebenswerturteile gegenüber „nichtarischen“ Schwerbehinderten aussprechen. Damit bewegt sich diese gesamte Debatte nur wenige Millimeter an früheren Diskursen über Herrenmenschen, Rassenhygiene, Blut und Boden, Lebensborn und der Verehrung von Menschen wie Alfred Rosenberg und Josef Mengele vorbei. Und auch wenn die AfD sich ständig und wiederkehrend dagegen wehrt in die rechte Ecke gestellt und als Nazis bezeichnet zu werden, so muss man doch sagen, dass diejenigen, die andere Menschen abgrenzen, ausgrenzen, aus dem Land und aus den Kreißsälen jagen möchten mit Begriffen wie rechtsextrem noch beileibe gut bedient sind. Zumindest das Landgericht Gießen sieht das genauso.

Vor 25 Jahren forderte eine mutige Gruppe kluger Menschen ein „Staatsbürgergesetz, das der Tatsache einer seit vielen Jahren bestehenden multikulturellen Gesellschaft Rechnung trägt – in einer Republik, die als offene Gesellschaft das „völkische“ Selbstverständnis hinter sich gelassen hat„. Wir alle sollten jedes dieser Worte unterschreiben und mit Inbrunst verteidigen, denn nichts Geringeres brauchen wir heute, in einer Zeit, in der wieder Menschen und Menschenrechte angegriffen werden. Einer der Unterzeichner dieser Resolution war übrigens: Dr. Alexander Gauland.

Es bleibt: die Hoffnung stirbt zuletzt.

https://www.facebook.com/stephan.anpalagan/posts/1654395747929285

Artikelbild: pixabay.com, CC0