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Bye bye Trump-Fans, Brexiteers & AfDler: Warum ich nicht mehr mit euch diskutiere

von | Feb 24, 2019 | Gastkommentar, Social Media

Adieu, AfD. Tschüss, Trump. Bye bye, Brexiteers

Ich verabschiede mich nun aus dem Diskurs in Twitter. Das fällt mir nicht leicht, immerhin habe ich mich mit Euch über zwei Jahre hinweg auseinandergesetzt. Manchmal witzig, manchmal ernsthaft, manchmal geistreich, und selten, wenn Ihr mich zu sehr ärgertet, auch einmal ärgerlich oder polemisch.

Ich ließ es mir nicht nehmen, Eure Anliegen, Eure Missverständlichkeiten, Eure Frechheiten, Eure Lügen, ebenso aber auch die Punkte, an denen ich Euch durchaus verstehe, zu kommentieren.

Anfang der Woche habe ich nun etwas für mich spannendes gemacht: ich habe die gesamten Tweets der letzten zwei Jahre an Euch gelöscht. Ratzeputz. Alles weg. Ich fühlte mich dabei zwiegespalten.



In Friedenszeiten einen Krieg gegen eine friedvolle Gesellschaft

Auf der einen Seite halte ich es für sehr wichtig, dem Quatsch, den Ihr so produziert, zu widersprechen. Aufzuzeigen, wie emotional, wirtschaftlich, politisch ungesund und – ja – seelenverletzend Eure Äußerungen sind. Ihr führt in Friedenszeiten einen Krieg gegen eine offene und friedvolle Gesellschaft. Und so müssen wir uns alle – jeder, dem Freiheit und Respekt vor den Menschen ein Anliegen ist – zur Wehr setzen, und unsere durch Euch in Frage gestellten Werte verteidigen.

Auf der anderen Seite ist es nur konsequent, zu gehen. Zum einen erhöhe ich – durch Widerspruch – euren Traffic in den Sozialen Medien. Mit jedem Tweet bringe ich Euch ins Gespräch. Es ist so, als würde ich die Bild-Zeitung für gefährlich halten, und jeden Morgen die neue Ausgabe kaufen, um mich darüber zu ärgern. Das Blatt selbst würde mich dann buchhalterisch als treuen Kunden schätzen.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund. Es tut mir gut. Über die Jahre gewann ich einen umfassenden Eindruck von Euch – ja, Ihr habt mich mit Euren Themen, Euren Problemen und Eurer Emotionalität wirklich berührt.

Meine Idee war ein Stück weit, Euch ebenso im Herzen oder im Intellekt anzusprechen. Leider scheine ich niemanden von Euch so recht erreicht zu haben. Woran mag das liegen?

Vielleicht leben wir, so meine Wahrnehmung, in völlig verschiedenen Welten?

Meine Welt ist offen für Unbekanntes und Fremdes. Die größte Freude ist es in meiner Welt, Neues zu entdecken, andere Menschen kennen zulernen, andere Gedanken und Einstellungen zu verstehen, sie nachvollziehen zu können und auch für sich zu bewerten. (Deshalb fand ich auch die Konversation mit Euch ausgesprochen interessant.)

In Eurer Welt macht alles Fremde Angst. Gut ist, was ihr kennt, böse ist, was Euch fremd ist. Die Frage, ob Jedi oder Sith, beantwortet Ihr anhand der Haar- und Hautfarbe, nicht anhand der Gesinnung der Herzen. Mexikaner, Nordafrikaner und die EU bedrohen Euch.

In meiner Welt gibt es viele Probleme. Wir erkennen sie als Herausforderung und wachsen daran, ihnen zu begegnen und Lösungen zu finden. Das gelingt nicht in jedem Fall, aber doch oft genug. Unser Weltbild ist immer ein hoffnungsvoll-optimistisches, und dem verdankt sich letztendlich unser aller Wohlergehen und Wohlstand.

In Eurer Welt gibt es ebenso viele Probleme. Ihr gebt jedoch anderen, zum Beispiel Mexikanern, Muslimen oder EU-Europäern, die Schuld an allem, und beklagt Euch. Und Ihr geht daran, Mauern zu bauen, Staatengemeinschaften aufzukündigen oder Menschen abzuschieben. So wird zwar kein einziges Problem gelöst, Ihr seid aber aus der persönlichen Verantwortung heraus, Euch selber für Euch selbst anstrengen zu müssen.

Das „Gesunde Misstrauen“

In unserer Welt ist es eine der wichtigsten Aufgaben, Freunde und Partner zu finden, um sich gegenseitig Unterstützung, Hilfe und Zusammenarbeit zuzusagen. So suchen wir, im Kleinen wie im Großen, Größeres zu bewältigen – bis hin zur Lösung globaler Herausforderungen und Konflikte. Grundwert im gemeinsamen Miteinander ist bei uns gegenseitiges Vertrauen.

In Eurer Welt ist es eine Tugend, sich abzuschotten, gegen Gefahren abzusichern, in nationalen Kategorien akute Themen zu bearbeiten, und im klein-klein das eigene Wohlständle abzusichern. My home is my castle. Eure Grundtugend nanntet Ihr in einer Antwort an mich „gesundes Misstrauen“, das nötig sei.

Wir sind Patrioten – wir lieben unser Heimatland, wir engagieren uns haupt- und ehrenamtlich für ein gutes Zusammenleben, wir halten unsere Straßen sauber, unsere Parks und Gärten gepflegt. Weil wir unsere Heimat lieben, schätzen wir auch die Welt. Wir reisen, um zu lernen und zu erleben. Wir reisen, um zu arbeiten, wir sind gleichsam Patrioten und Weltbürger.

Ihr seid Patrioten – ihr liebt unser Heimatland, Ihr engagiert Euch haupt- und ehrenamtlich, Ihr haltet unsere Straßen sauber, unsere Parks und Gärten gepflegt. Weil Ihr unsere Heimat liebt, schützt Ihr sie vor der Welt. Ihr reist als Touristen, lasst Euch in Hotels bedienen und kommt zurück nach Hause als Fremde der Fremde.

Die Lüge als Mittel zum Zweck

In unserer Welt wird manchmal gelogen. Wer lügt, tut alles dafür, die Lüge zu verbergen. Denn unser achtes Gebot verbietet es, zu lügen. Unser Anspruch ist Aufrichtigkeit. Lüge und Täuschung sind Sünde. Wer nicht lügt, wird ernst genommen. Wer lügt, wird mit Argwohn bedacht.

In Eurer Welt wird gelogen. Bei Euch ist die Lüge Mittel zum Zweck. Ihr versprecht Euren Wählern den Himmel auf Erden und spaltet böse Eure Nation. Menschen, die Euren Lügen glauben, stehen denen unversöhnlich gegenüber, die die Welt differenzierter sehen wollen. Werdet Ihr auf Eure Lügen angesprochen, lenkt Ihr mit weiteren Ungeheuerlichkeiten vom Thema ab.

Jeder, der den Lügen nicht glaubt, wird als Remoaner, The Swamp oder linksgrünversifft verhöhnt. Und wer Euch die Lüge nachweist, mit Schlachtrufen wie „Lügenpresse!“ selbst der Lüge bezichtigt. Und so fügt Ihr Euren Lügen noch weitere Verleumdung hinzu. Und so kommen wir zum wohl tragischsten Unterschied unserer Welten.

Immer dieselben Phantasien und Phrasen

In unserer Welt beziehen wir Stellung gegenüber Meinungen, die wir nicht teilen. Dabei achten wir diejenigen, die diese Meinungen vertreten. Und gehen offen, aber fair mit ihnen um. Zumindest ist das unser Anspruch, dem wir zugegeben auch nicht immer gerecht werden.

In Eurer Welt gibt es keinerlei Respekt gegenüber dem als ‚Gegner‘ identifizierten Gegenüber. Ihr wähnt Euch in einem Krieg. Ihr seid Täter, und richtet Euch gleichsam in der Opferrolle häuslich ein.

Ich habe vieles von Euch gelernt, aber nach zwei Jahren lerne ich nichts neues mehr von Euch. Immer dieselben Phantasien und Phrasen. Monoton nunmehr für mich Eure Themen, Eure Argumente, Eure Sorgen, die Ihr immer noch nicht gelöst habt. Euer Gejammer, das zum Beispiel jeden Investor davon abhält, sich in Eurer Nachbarschaft niederzulassen, um Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen. (Zu groß für ihn die Gefahr, selbst Opfer Eurer Sprüche und Ablehnung zu werden.) Ihr wirkt auf die Dauer leider einfach nur langweilig. Die Aufreger von gestern haben sich heute abgenutzt.

Versteht mich bitte nicht falsch: ich unterstelle niemandem persönlich, in dieses Raster zu fallen. Tatsächlich glaube ich auch nicht, dass es so trennscharf beide Welten überhaupt gibt. Jeder mag sich selbst einmal hier und einmal dort einordnen, ich nehme mich selbst da nicht aus. Was ich skizzierte, sind Muster, die sich so in meiner Wahrnehmung über die Jahre, in denen ich mich mit Euch auseinandersetzte, spiegelten.

So hatte ich mit Trump-Fans, Brexiteers und AfDlern oft auch sehr gute Gespräche, für die ich Euch wirklich danke.

Warum ich mich verabschiede

Jetzt aber ist es für mich an der Zeit und nur konsequent, mich zu verabschieden. Ihr werdet mir ein wenig fehlen: Eure manchmal sachlichen, häufiger aber bösen Rückmeldungen, Eure Beleidigungen, die animierten Gifs, in denen irgendwelche Serientussies und -typen ihre Augen verdrehen, die Aufnahme meines Profils in Listen die da heißen „Linksgrünversiffte Spackos“, Eure Bedrohungen und Geschmacklosigkeiten und all die Tweets unter falschen Namen, hinter deren Anonymität Ihr Euch versteckt. Ihr habt mir Einblick in einen zweifelsohne nur partiellen Teil Eures Seelenlebens gewährt, neben dem – davon bin ich überzeugt – die fürsorgliche, freundliche und ehrliche Seite Eurer Persönlichkeit nur darauf wartet, entdeckt zu werden.

Und damit komme ich zum eigentlichen Grund des Abschlusses meiner Konversation mit Euch. Das Eintauchen in Eure Welt ist ein Eintauchen in Eure Welt. Eine Welt voller Häme, Abwertung, Bosheit. Das lasse ich jetzt hinter mir. Böse Gedanken färben ab. Böses gebiert nur Böses. Und deshalb verabschiede ich mich nun.

Viel Spaß beim „Gewinnen“

Ich schaue dabei zu, wie Ihr Brexiteers ‚gewinnt‘ und Euer großes Britannien in die Provinzialität führt. Ich werde zusehen, wie alles Übel, das Ihr Trump-Fans über Euer Land bringt, alle Häme und alle Bosheit Eures Präsidenten, auf die lange Sicht auf ihn und Euch selbst zurückfallen.  Euch Hetzer der AfD lasse ich nun hetzen: Ihr verletzt Euch selbst am meisten, und ich kann Euch da nicht vor bewahren.

Ich verabschiede mich aus Eurer Welt. Es ist befreiend, Euch zurückzulassen. Es tut mir gut, mit Euch nichts mehr zu tun zu haben. Und macht mein Leben reicher.

Es erleichtert mich, in einem letzten Schritt nun noch Euch alle, die ich geblockt habe, noch abschließend zu entblocken. Für mich tretet Ihr damit aus meiner Welt. Und ich bin davon überzeugt, dass Ihr Euch in der Welt meiner Nachbarschaft eben sowenig auf Dauer werdet halten können. Denn:

Ich glaube an die Selbstheilungskräfte der Menschlichkeit.

Ich glaube daran, dass es ein Geschenk ist, die Begriffe ‚gut‘ und ‚Mensch‘ gemeinsam zu denken.

An das Seiende, das Wahre, das Gute, das Eine und das Schöne.

Ich glaube an die Klugheit, die Weisheit, die Gerechtigkeit und die Mäßigung,

Ich glaube an Glaube, Hoffnung und Liebe.

Adieu, AfD. Tschüss, Trump. Bye bye Brexiteers.

Autor: Jörg P. Belden, Theologe. Blogger. Bildungsreferent. Hier seine Website. Artikelbild: file404, shutterstock.com