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„Drehende“: Rechter „Verein Deutsche Sprache“ blamiert sich auf Twitter

von | Okt 16, 2021 | Analyse

Drehende und andere

Es scheint wirklich diesen „Gender-Wahn“ zu geben, aber nicht so, wie typische Nutzende jenes Wortes es denken. Der wahre „Gender-Wahn“ scheint es zu sein, wenn man überall gegenderte Wörter sieht, ohne dass da überhaupt welche sind. So ging es dem rechtspopulistischen „Verein Deutsche Sprache“, der regelmäßig gegen das Gendern wettert, gestern auf Twitter mit „Drehende“. Also dem Ende eines Drehs, welches das ZDF twitterte. Der Verein hielt das offenbar für ein gegendertes Wort.

Twitter lacht sich schlapp

Die belustigten Reaktionen über „Drehende“ ließen nicht lange auf sich warten.

Doch wer ist der „Verein deutsche Sprache“? Kein Unbekannter, wir bei Volksverpetzer haben ihn in der Vergangenheit bereits analysiert. Der auf den ersten Blick harmlose Verein mit einem unterstützungswerten Ziel – dem Schutz deutscher Sprache – zeigt einen Rechtspopulismus, den Stefan Niggemeier bereits 2016 mit einer gewissen „Pegidahaftigkeit“ beschrieb.

Für uns analysierte Stefan Hartmann, Juniorprofessor für germanistische Sprachwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dass der Verein regelmäßig rechtspopulistische Narrative bedient und dass man einen „Sumpf aus Rassismus, Homo- und Transphobie sowie typischer rechtspopulistischer Argumentationsmuster“ findet:

Der Verein Deutsche Sprache: Ein Wolf im Sprachpelz

„Könnt ihr nicht lesen“?

Wenn man dem „Verein Deutsche Sprache“ Glauben schenken möchte, war „Drehende“ allerdings kein peinlicher Aussetzer ihres „Gender-Wahnsinns“, sondern nur eine angeblich ganz komplizierte Strategie, um über zwei Ecken eine Satire über Gender zu betreiben und ein „Köder“.


Abgesehen davon, dass man immer im Nachhinein behaupten kann, das eigene Missverständnis sei Absicht gewesen, würde diese Erklärung natürlich nicht mal Sinn ergeben. Warum sollte ein Vorfall, in dem offensichtlich NICHT gegendert wurde, symptomatisch sein für angeblich ausuferndes Gendern? Die eigene, subjektive (und verzerrte) Wahrnehmung kann nicht Kritikpunkt der Gegenseite sein. Es ist das „perfekte Beispiel“, dass der ÖRR angeblich so viel gendert, dass ein rechter Account nicht richtig lesen könne…?

Bei zu vielen Gender-Fakes ist die Ausrede, dass man mit einem fiktiven Beispiel angeblich echte Missstände anprangern wollte. So läuft es oft bei Rechten: Es gehen lauter fiktive Beispiele herum, die ein echtes Problem belegen sollen, und man fragt sich stets: Wenn es ein echtes Problem wäre, gäbe es dann nicht mehr echte Beispiele, sodass man sich nichts mehr ausdenken muss? Im nächsten Tweet kommt jedoch die wahrscheinlich richtigere und viel aufrichtigere Auflösung, was die Aktion sollte – ob peinliches Versehen oder nicht.

Die Gruppe hat sich natürlich groß blamiert auf Twitter (und deklariert die ganze Öffentlichkeit gleich zur „Gender-Blase“), aber ihr ging es letztlich nur darum, an Reichweite zu gewinnen. Und auch mit offensichtlichen Blamagen bei den „Richtigen“ Applaus zu erhalten und die Gegenseite zu „triggern“, das kennen wir ja. Von Trump und der AfD. Und einigen Lesenden dürfte bereits zuvor schon ein anderer Vorfall in den Sinn gekommen sein. Vor Drehende gab es ja Fahrspurende.

Fahrspurende & weitere Blamagen – was sich die AfD von Peinlichkeiten erhofft

Drehende und andere Fakes sind rechte PR-Stunts

Wir hatten es vor einem Jahr an „Fahrspurende“ bereits analysiert: Wer ohnehin an „Gender-Wahn“ glaubt, der will glauben, dass das eine komplizierte Satire sei, in der man selbst so tue, als hätte man nichts verstanden, um damit die Gegenseite irgendwie als irrational darzustellen. Oder glaubt am Ende sogar einfach direkt, das ZDF habe von Drehenden gesprochen. Ob die eigene Anhängerschaft den Fake glaubt oder ihn als „Gender-Blase triggern“ akzeptiert, spielt ja gar keine Rolle. Man hat Aufmerksamkeit, und in jedem Fall kann man sich als im Recht inszenieren.

Das läuft jedes Mal so mit diesen rechtspopulistischen Gender-Gegnernden ( 😉 ). Irgendwie sind alle Beispiele für angeblich irrationales Gendern „Satire“ gewesen…

Original

Dabei sind das alles (absichtliche!) Missverständnisse, Manipulationen, Fakes und angebliche „Satire“. Ihnen kann völlig egal sein, dass es Quatsch ist. Im Gegenteil, weil es Quatsch ist, halten sie es für einen Beweis für ihre verquere Ideologie. Deshalb ist kein Blödsinn, kein Fake dumm genug, um nicht instrumentalisiert zu werden. Wenn auch nur eine Person darauf hereinfällt und wirklich denkt, „Drehende“ sei aus irgendeinem Grund gegendert, haben sie einen Punkt gewonnen. Eine Person mehr, die überzeugter wird: Gendern muss lächerlich sein. Obwohl sich hier eigentlich die eigene Ideologie entblößt.

Aber darum geht es nicht. Es ist ein Kampf um Meinungshoheit, um Inszenierung. Sie wissen, dass die meisten sie ohnehin nicht ernst nehmen. Aber Stück für Stück, mit jedem Fake, mit jeder Blamage hoffen sie, mehr Leute überzeugen zu können. Wenn diese nämlich einmal in der eigenen Propaganda-Blase sind, spielen Gegenargumente und die Wahrheit keine Rolle mehr. Darum tun AfD-Politikernde (Konnte nicht widerstehen) so, als wären die Blamagen ein Erfolg für sie. Und freuen sich über die Aufmerksamkeit.

Blamieren bis zum Erfolg

Mit derart offensichtlichen Blamagen konnte Trump sogar bis ins Präsidentenamt gelangen. Es ist eine uralte Strategie: Unsinn erzählen, der die eigene Ideologie vermeintlich bestätigt und wenn man sich damit blamiert, die Aufmerksamkeit als den eigentlich anvisierten Erfolg verkaufen. Ist es ja auch irgendwie.

Auch AfD-Politiker Stephan Brandner, der menschenverachtende Tweets zum rechtsextremen Anschlag von Halle verbreitet hatte und deswegen von allen anderen Parteien geächtet wurde und sogar als erster Vorsitzender des Rechtsausschusses in der Geschichte dieses Postens abgewählt wurde (mehr dazu), hatte einen vermeintlichen Aufreger gefunden: Er verbreitete ein Foto, auf dem ein Adventskalender von „Kinder“ zu sehen ist. Brandner war wütend darüber, dass dieser angeblich nicht Adventskalender heiße.

Was Brandner jedoch verschwieg: Das ist die Rückseite des Adventskalenders. Wie man auf der Produktseite (Und das Produkt heißt übrigens sogar „kinder Mix Adventskalender“ ) sehen kann, befinden sich die Türchen auf allen Seiten. Auf der Vorderseite sieht man deutlich die Aufschrift: „Adventskalender“.

Die ganze Geschichte haben wir hier erklärt:

Brandner behauptete später, das sei alles Absicht gewesen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Und hier sehen wir den Kern der Strategie: Der AfD und anderen neuen Rechten ist es völlig egal, dass das Blödsinn ist. Sie glaubt (oder tut zumindest so), dass das Problem, sei es ihre „Islamisierungshysterie“ oder „Genderwahnsinn“, ein echtes ist. Und zur Not kann man auch mit Fakes Aufmerksamkeit darauf richten. Das Problem: Die ideologisch Verblendeten sehen die Realität vor lauter Fakes nicht mehr.

Was heißt das jetzt?

Keine Frage – so eine Blamage ist viel zu lustig, als dass man sie ignorieren könnte. Wir konnten auch nicht widerstehen.

Aber wichtig ist für alle: Retweetet nicht seinen Original-Tweet. Teilt die Screenshots nicht ohne Einordnung und Erklärung. Nicht alle eure Leser.. Lesenden checken, dass ihr euch darüber lustig machen wollt. Ihr dürft die Inszenierung nicht ohne klares Framing verbreiten. Denn dahinter steckt eine gefährliche Ideologie: „Gender-Gaga“ entsorgen wir auf dem „Müllhaufen der Ideologie-Geschichte“, sagte der Faschist Höcke, der immer noch in der AfD ist (Quelle). Hitler wurde vor seiner Wahl ausgelacht. Trump auch. Gezielte Lächerlichkeit ist Teil der Selbstverharmlosung. Das ist eine konkrete Strategie der AfD (mehr dazu).

Es muss allen klar sein: Das ist ein Manipulationsversuch. Und entsprechend müssen wir damit umgehen. Entlarven und auslachen – ja. Denn die Inszenierung darf nicht unwidersprochen bleiben. Aber passt auf, wie ihr dieser gefährlichen Ideologie Aufmerksamkeit gebt. Selbst wenn sie noch so lächerlich ist. Jetzt bloß nicht das Textende übersehen.

Artikelbild: shutterstock.com/Screenshot

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