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Grüne wollen „Deutschland“ BEIBEHALTEN: Absurde Fake-Kampagne der Union

von | Mai 10, 2021 | Analyse

Grüne haben „Deutschland“ „geschaffen“ – Union fährt Fake-Kampagne

Der aktuelle Höhenflug der Umfragewerte für die Grünen lässt nicht nur die üblichen Verdächtigen vom rechtsextremen Rand zu allen Mitteln greifen, um ihrer politischen Konkurrentin zu schaden: Gemeinsam mit rechten und rechtsextremen Medien fährt die Union eine absurde Kampagne gegen die grüne Partei, die wenig mit der Realität zu tun hat, aber rechte Vorurteile über die Partei bedienen soll. Schamlos werden maximal irreführende Falschbehauptungen von führenden Stellen der Unionsparteien geteilt. Dabei steckt in Wahrheit wirklich gar nichts dahinter. Es wird ein Skandal künstlich erzeugt, der mehr über die Problematik offenbart, die Grünen faktenbasiert zu kritisieren als über die Partei selbst. Was ist passiert? Die Grünen haben den Entwurf ihres Wahlprogramms „Deutschland – alles ist drin“ genannt.

Was wirklich passiert ist: Grüne wollen „Deutschland“ behalten

Die Grünen haben im März einen Entwurf ihres Wahlprogramms veröffentlicht (Link). Der Titel lautet „Deutschland. Alles ist drin.“ Auf ihrer Website schreiben sie: „Der Titel des Programmentwurfs »Deutschland. Alles ist drin.« spiegele die Gewissheit wider, dass in diesem Land alles stecke, was wir brauchen, um die Krisen und Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen. Annalena Baerbock: »Deutschland kann so viel mehr. Diese Dekade kann ein Jahrzehnt des mutigen Machens und des Gelingens werden. Ein Jahrzehnt des Modernisierens.«“

Offiziell beschlossen wird das Wahlprogramm Mitte Juni auf dem Parteitag. Bis zum 30. April konnten Mitglieder noch Änderungsanträge stellen, über die dann abgestimmt werden kann. Die Kritiker:innen der Grünen kamen aber offensichtlich nicht mal weiter als bis zum Titel des Programms, in dem sicherlich einige kritisierenswerte Aspekte stehen. So enthält auch einer der 3.000 Änderungsanträge einen Vorschlag zur Anpassung des Titels, wie uns der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner mitteilte.

Der Änderungsantrag (Hier) wünscht sich, dass das Wahlprogramm lediglich „Alles ist drin.“ heißen soll, denn „im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit. Und nicht Deutschland.“ Der Antrag wird von etwa 300 Mitgliedern unterstützt. Wichtiger Hinweis: An keiner weiterer der über 110 Stellen im Wahlprogramm soll der Begriff „Deutschland“ gestrichen werden. Der Vorstand der Grünen freue sich in einem Statement Volksverpetzer gegenüber, dass man auf dem Parteitag darüber diskutieren könne, aber erklärt auch, dass der Vorstand selbst den Titel mit dem Begriff „Deutschland“ behalten will: „Wir als Vorstand stehen hinter dem Titel, schließlich treten wir an, um dieses Land zu führen und die nötigen Veränderungen voranzutreiben.“

…und wo ist jetzt der Skandal?

Also die Fakten: 300 Mitglieder der Grünen (von über 100.000, Quelle) haben einen Antrag gestellt, den Begriff „Deutschland“ aus dem Titel ihres Wahlprogramms zu streichen, weil sie lieber den „Mensch in seiner Würde und Freiheit“ in den Mittelpunkt stellen wollen. Der Vorstand möchte den Titel aber beibehalten. Daraus fabrizieren rechte und rechtsextreme Medien und führende Politiker:innen und Gruppen in der Union jetzt allerdings eine absurde und von der Realität losgelöste Kampagne gegen den politischen Gegner. Denkt dran: Der grüne Vorstand hat in den (eigentlich ja belanglosen) Titel seines Wahlprogramms „Deutschland“ reingeschrieben und will, dass das so bleibt. Und was machen CDU, CSU, BILD & Co. daraus?

Die CSU behauptet, die Grünen „wollen Deutschland streichen“, Pentz (CDU), dass die Grünen „Deutschland aus ihrem Wahlprogramm“ streichen wollen würden. Genau so liest sich das bei der für ihre Fake News gegen die Grünen bekannte „BILD“.

Während die Sachen technisch gesehen zum Teil stimmen – nämlich dass einige wenige Grüne den Begriff „Deutschland“ lediglich aus dem Titel des Wahlprogramms streichen wollen, so ist dieses Weglassen der wichtigen Details und aus dem Kontext reißen und künstlichem Skandalisieren eine völlige Verfremdung der Wahrheit. Für Außenstehende entsteht ein völlig falsches Bild, als ginge es nicht um das Wort „Deutschland“, als seien das feste Pläne der Grünen als Partei – der Vorstand will das Wort behalten! – oder als wolle man irgendwie grundsätzlich vermeiden, den Begriff zu verwenden, was ebenfalls falsch ist.

Die Wahrheit ist jedoch viel weniger spektakulär und skandalös oder verwerflich, doch die zwangsläufigen Missverständnisse sind wohl einkalkuliert. Man möchte die Grünen in eine linksextreme „deutschlandhassende“ Ecke stellen, einfach nur, um ihnen zu schaden. Einige Unionsmitglieder gehen sogar noch weiter und verzerren die Wahrheit noch mehr und verbreiten blanke Fake News.

Union fährt perfide Fake-Kampagne

Markus Blume von der CSU fantasiert aus dieser Meldung gar ein „gestörtes Verhältnis zu Deutschland, zum Staat und zum Eigentum“. Diese Darstellung hat längst den Boden der Tatsachen verlassen und beschreibt ein konstruiertes Fantasie-Gebilde, das mehr mit Hetze als mit sachlicher Kritik zu tun hat. Von den Fakten darauf zu kommen, ist nüchtern betrachtet schlicht absurd.

Die „Junge Union“ bastelt aus der Fake-Meldung gar, dass „der grüne Kader“ „Deutschland abschaffen“ wolle. Ironischerweise sprechen sie von „echten Lösungen“, während sie gerade herbeifantasierte Dinge kritisieren.

Christoph de Vries behauptet, die Grünen würden sich für Deutschland „schämen“ und meint: „Kannste Dir nicht ausdenken“. Dabei hat er genau das gerade getan.

In der Rhetorik und vom Wahrheitsgehalt unterscheidet sich diese Fake-Kampagne nicht mehr groß von der Propaganda der rechtsextremen AfD und der rechtsextremen Filterblase, die diese Fake News genau so verbreitet wie viele weitere Lügen über die grüne Partei.

Hat die CSU ein „gestörtes Verhältnis zu Deutschland“?

Nur weil viele Personen und Medien dabei mitmachen, so zu tun, als sei das jetzt ein Skandal, wird noch keiner daraus. Bricht man die ganze Inszenierung herunter, bleibt am Ende nur übrig, dass einige eine Symbolwirkung eines relativ unbedeutenden Antrags für eine unbedeutende Änderung, die von einigen wenigen Grünen-Mitgliedern gestellt wurde. Kann man von mir aus diskutieren, allerdings ist der Fall wirklich nicht der Rede wert, jedenfalls rechtfertigt das nicht jene völlig überzogenen Anschuldigungen. Erst recht nicht angesichsts der Tatsache, dass aktuell wieder neue Details in den Maskenaffären (Ja, Plural) der CDU und CSU bekannt wurden (mehr dazu). Was ist relevanter für das Ansehen einer Partei? Was man selbst in einen unwichtigen Antrag einer Titeländerung hineininterpretiert oder… konkrete politische Positionen oder politische Integrität?

Und es ist ja nicht so, als hätte die Existenz des Begriffs „Deutschland“ im Titel eines Wahlprogramms jemals groß eine Rolle gespielt – oder der Titel an sich, was das betrifft. Im Wahlprogramm der Union aus dem Jahr 2002 fehlte der Begriff auch: „Leistung und Sicherheit – Zeit für Taten“ (Quelle), ebenso im Jahr 2009 (Quelle). „Deutschland“ steht auch nicht in den aktuellen Wahlprogrammen von SPD, FDP und Linke. (Die Union hat ihr Wahlprogramm noch nicht vorgestellt, Quelle). Das Programm der CSU von 2017 hieß übrigens „Der Bayernplan“ (Quelle). Kann man der CSU deshalb jetzt ein „gestörtes Verhältnis zu Deutschland“ vorwerfen, weil diese Politik nur für ein einziges Bundesland machen will? Offensichtlich ja nicht.

Absurde Kampagne, losgelöst von der Wahrheit

Fassen wir zusammen: Der Vorstand der Grünen schreibt in den Entwurf ihres Wahlprogramms den Begriff „Deutschland“. Und möchte auch, dass das so bleibt, ein Antrag einiger Mitglieder sieht das anders. Die Union, die „BILD“ und die rechtsextreme Fake-News-Presse bastelt daraus, dass die Grünen „Deutschland abschaffen“ wollen. Ohne einen parteiischen Blick oder eine ideologische Linse muss man klar erkennen, dass diese absurde Kampagne nichts mehr mit der Realität zu tun hat.

In jedem Fall sagt die rechte Empörungsinszenierung mehr über die Union aus als über die Partei der Grünen selbst: Wenn man im Wahlprogramm echte Kritikpunkte gefunden hätte, hätte man wohl nicht auf derart schmutzige Tricks zurückgreifen müssen. Wir müssen mehr zu faktenbasierter Kritik zurückkehren und zu echten Inhalten, und da sollte die Union mit gutem Beispiel vorangehen, anstatt Fake-News-Kampagnen zu betreiben, wie es auch die AfD tut.

Noch mehr Fakes:

„Witwenrente“-Zitat ist ebenfalls frei erfunden: Schmutzkampagne gegen Baerbock setzt sich fort

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Artikelbild: Hendrik Schmidt/zb/dpa

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