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Beweis-Video: Greta saß am Boden: Warum so viele eine Lüge glauben wollen

von | Dez 16, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Social Media, Videos

Warum so viele eine Lüge glauben wollen

Ja, noch einmal das Thema. Die Vorwürfe an Greta Thunberg sind absurd und dass ganz Deutschland darüber debattiert auch. Aber diese irre Debatte ist ein perfektes Beispiel was (nicht nur) in Deutschland heutzutage schief läuft. Mit Social Media, Unternehmens-PR, verzweifeltem Sensations-Journalismus und nicht zuletzt rechten Demagogen und deren Propaganda. Kurze Rekapitulation, dann sprechen wir darüber, wie absurd diese Diskussion ist und wie sie überhaupt entstehen konnte.

Es fing alles mit diesem Foto von Greta Thunberg an, die auf ihrem Heimweg nach Schweden mit der Deutschen Bahn fuhr und von überfüllten Zügen berichtete. Völlig wertfrei postete sie ein Reisebild von sich, wie unzählige Male zuvor, und stellte fest, dass der Zug überfüllt war. Auf diesem Foto sieht man sie mit Gepäck auf dem Boden des Zuges sitzen. Das war’s auch schon.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass Greta Thunberg ein Bild von sich auf dem Boden eines Zuges gepostet hat:

https://www.instagram.com/p/BvjJXUuhSrf/?igshid=1e4klssryh0pd

Deutsche Bahn schießt Eigentor

Doch die Deutsche Bahn war wohl eher gekränkt wegen der schlechten PR. Anstatt die Gelegenheit, die ihnen auf dem Silbertablett serviert wurde, zu ergreifen, dass die führende Klimaaktivistin in ihren Zügen reiste, versuchte man durch patziges Framing sein eigenes Image zu verbessern. Der DB AG-Account twitterte im verzweifelten Versuch, sein Gesicht zu wahren also:

Man versuchte, sich als umweltfreundliches Verkehrsmittel ans größere Narrativ zu knüpfen – was ja richtig ist und der Grund, warum Greta überhaupt Zug fuhr – konnte es aber nicht lassen, gegen die Klimaaktivistin zu sticheln und zu behaupten, Greta hätte in ihrem Zug durchaus einen Sitzplatz gehabt – und sei bei diesem auch noch „freundlich und kompetent“ betreut worden. Die Deutsche Bahn wollte indirekt betonen, dass Greta nicht unbedingt ein Foto hätte veröffentlichen sollen, wo sie auf dem Boden sitzt, sondern von dem Teil der Zugfahrt, in welchem sie dann endlich einen Sitzplatz hatte. Die DB legt sogar nach und veröffentlichte dazu gar eine Pressemitteilung (hier).



Beide hatten Recht

Viele interpretierten es so, als würde die DB sagen, Greta hätte die ganze Zeit auf einem Sitzplatz gesessen (obwohl in der Pressemitteilung später betont wurde, dass es nur „zwischen Kassel und Hamburg“ gewesen sei). Doch die patzige Antwort der DB war leider schon zum PR-Desaster geworden. Wie Greta Thunberg wenig später klar stellte, ist der Zug, in welchem sie eine Reservierung hatte, ausgefallen:

„Unser Zug aus Basel ist ausgefallen. So saßen wir in zwei [Ersatz-]Zügen auf dem Boden. Nach Göttingen habe ich erst einen Sitzplatz bekommen. Das ist natürlich überhaupt kein Problem und ich habe nie gesagt, dass es eins wäre. Überfüllte Züge bedeutet, dass die Nachfrage nach Zugreisen hoch ist!“

Greta hat nie die Deutsche Bahn kritisiert

Greta Thunberg wollte also niemals die DB dafür kritisieren, keinen Sitzplatz bekommen zu haben (obwohl das bei ausgefallenen Zügen durchaus berechtigt gewesen wäre), und erst recht nicht Zugreisen an sich diskreditieren. Es macht ja auch aus ihrer Perspektive überhaupt gar keinen Sinn. Das Foto entstand in einem der Ersatz-Züge, den Greta nutzte – dass sie (ab Göttingen) einen Sitzplatz hatte, schließt das ja nicht aus.

Auf dem Bild ist es draußen auch noch hell wie man sehen kann. Wenn sie wirklich erst ab Göttingen (Ankunft ca 16 Uhr) einen Sitzplatz hatte, dann stimmt dieser Ablauf: Greta hatte geplant, mit dem ICE 76 von Basel nach Hamburg zu fahren. Aufgrund eines technischen Problems fiel dieser Zug ab Offenburg aus und die DB stellte einen Ersatzzug (ICE 2909) bis Frankfurt(Main) Hbf. Ab dort ging es weiter mit dem nächsten ICE (ICE 74), der natürlich gut gefüllt sein musste (er enthielt immerhin die Fahrgäste aus ICE 76 und 74). Ab Göttingen war es leerer, und sie konnte sich setzen (Danke an den Hinweis eines Lokführers!). Weder Greta noch die DB hat also gelogen, die DB wollte nur darauf hinweisen, dass Greta zumindest später doch saß, um sich selbst besser darzustellen.

Schwedisches Reporter-Team liefert Beweis-Video

Die schwedische Zeitung „Dagens Nyheter“ veröffentlichte darauf diesen Artikel (Hier klicken): „Tyska tågbråket: Reste Greta Thunberg på golvet eller i första klass?“ (Deutsch: Deutscher Zuglärm: Ist Greta Thunberg auf dem Boden oder in der ersten Klasse gefahren?)

 

Darin zeigte die Redaktion ein Video, das sie von Greta während der Fahrt gemacht hatte. Denn: Eine Reporterin der Zeitung hatte Greta während der Fahrt begleitet. „[Unser Team], das Greta Thunberg auf ihrem Weg von Lissabon nach Schweden begleitete, war im Zug und bestätigt dieses Bild.“ bestätigt die Reporterin.

„Ich war im Zug von Basel, der in Offenburg aus dem Verkehr gezogen wurde. Von dort fuhren wir zuerst mit dem Zug nach Frankfurt und dann mit einem anderen nach Hamburg. Im ersten Zug saßen sowohl Greta Thunberg als auch ich auf dem Boden, sagt DN-Reporterin Alexandra Urisman Otto, die auch im Zug gefilmt hat (siehe oben im Artikel). Sie waren nicht die einzigen, die keinen Sitzplatz bekamen. – Mehrere andere saßen im selben Korridor. Im zweiten Zug waren auch viele Leute und viele standen auf den Gängen oder saßen auf dem Boden, sagt sie.“

Rechte und Greta-Hasser sprangen auf den Zug auf

Durch den Tweet der DB wirkte es also so, als würde die DB Greta Thunberg unterstellen, sie hätte gelogen damit, dass sie keinen Sitzplatz gehabt hätte. Auch wenn sich beide Statements nicht gegenseitig ausschließen. Greta-Hasser, Klimawandelleugner und Klimaschutzverzögerer jeder Couleur witterten nun die Gelegenheit: Verbreitet man ohnehin ständig die unbelegte Verschwörungstheorie, hinter Greta stecke eine PR-Kampagne (habe ich hier widerlegt), glauben sie, hier den Beweis gefunden zu haben, dass Greta das Foto nur „inszeniert“ habe.

„gestelltes Foto“ behauptet dieser CDU-Politiker

Screenshots via DieInsider. Kurz nachdenkende Menschen müssten sich allerdings fragen, warum Greta – als Klimaschutzaktivistin – Interesse darin hätte, ein Transportmittel mit Absicht schlecht darzustellen, das mit 100% Ökostrom fährt. Doch soweit denken die Demagogen nicht, sie schlachten es sofort aus. Auch ihr zweites Statement wird in diesen Kreisen stets ignoriert.

Heute prasselten zu unserem gestrigen Artikel zum selben Thema (hier) jedoch unentwegt die immer gleichen Kommentare: Greta habe nur Aufmerksamkeit gesucht, sie hätte das Foto gestellt und das sei alles eine PR-Inszenierung. Und darin, dass alle Medien genau deswegen so viel darüber berichteten, weil sich die vielen Greta-Hasser aufregen wollten, sahen sie den „Beweis“, dass ihnen das Thema Greta aufgezwungen werde und die alle unter eine Decke steckten. Und kein Einziger hat unseren Artikel gelesen.

Was für eine absurde Debatte

Also, da haben wir eine Aktivistin, die ohne Hintergedanken Reisefotos gepostet hat. Der vorgeworfen wird, das alles nur der Aufmerksamkeit wegen zu machen. Stimmt, normale Aktivist*innen versuchen nicht aufzufallen und von niemandem gesehen zu werden – so funktioniert schließlich Aktivismus! Da haben wir ein Unternehmen, das Re-Framing verwenden wollte, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken – obwohl sie nicht mal von Greta kritisiert wurden – und dabei den Greta-Hassern eine Steilvorlage für eine Verschwörungstheorie lieferte. Eine Steilvorlage, auf die sogar völlig unnötig Franziska Giffey einstieg. Giffey, die wohl mehr als nur das ein oder andere PR-Foto machen ließ…

https://twitter.com/waschbaerpower/status/1206646620244336640

Dass die rechten Demagogen wie von der Lügenpartei AfD stets alles so drehen und wenden, wie es ihnen in den Kram passt, ist ein alter Hut. Doch warum wollen so viele Menschen erbittert glauben, dass Greta Thunberg irgendetwas gelogen oder inszeniert hätte? Es macht ja nicht einmal Sinn – warum hätte sie das tun sollen? Zu welchem Zweck denn? Und selbst wenn Greta nicht völlig unschuldig wäre, sondern Hitler persönlich, der kleine Kinder verspeist: Was hat das alles mit der UN-Klimakonferenz und der Klimakrise zu tun?

Wir haben einen ereignislosen Klimagipfel hinter uns, Waldbrände in Australien und im Amazonas, die Victoria-Fälle trocknen aus (mehr dazu), und viele weitere alarmierende Klima-Nachrichten (siehe den eingebetteten Artikel unten). Die ganze Welt müsste in Panik verfallen. Aber einige Menschen glauben, wenn sie Greta einer Lüge „überführen“ könnten, wäre die gesamte Klimabewegung entlarvt und man müsse nichts mehr tun. Wirklich, es wird nicht darüber nachgedacht, man liest keine Artikel. Man hat eine vorgefestigte Meinung und wenn etwas den Anschein hat, das Weltbild zu bestätigen, wird es geglaubt und verbreitet.

Gravierende Klima-News: Rechte zerstören unser Wasser und Brot!

Kampf um Meinungshoheit

Darum hab ich diesen Artikel auch mit „Beweisvideo: Greta am Boden“ betitelt. Alles weniger eindeutige wird verdreht, missverstanden und nicht gelesen werden. Egal ob es um den aufkeimenden Faschismus in Deutschland geht oder der Kampf gegen die Klimakrise: Wir haben den Boden von sachlichen, vor allem aber wissenschaftlichen Argumenten längst verlassen. Ein nicht unwichtiger Teil der Bevölkerung hat sich aus dem rationalen Diskurs verabschiedet und zwar in eine Blase, in der man nicht mit Fakten konfrontiert werden muss.

Versteht mich nicht falsch, das heißt nicht, dass wir Fakten und Argumente verabschieden sollen, im Gegenteil. Aber wir müssen kompromisslos Frames verwenden, die eindeutig sind, wenn möglich. Zum Glück müssen wir – im Gegensatz zu AfD & Co dazu nicht lügen oder nichts vertuschen. Die deutsche Presse steckt in der Krise. Papier verkauft sich nicht mehr und online lässt sich kein Geld mehr machen. Man ist auf Clickbait und andere unseriöse Tricks angewiesen und dazu gehört, Themen, die viele Emotionen erregen, aufzugreifen.

Und wenn man weiß, dass alles, was mit Greta zu tun hat, ihre Hater auf den Plan ruft, dann liefert man das auch. Hinter allen den tausenden Kommentaren, die sich darüber beschweren, wie viel über sie berichtet wird, stecken ironischerweise einfach sie selbst. Und so wurde aus einem absolut harmlosen Foto einer schwedischen Aktivistin ein ganzer Eklat. Wegen eines eingeschnappten Unternehmens, verzweifelten Zeitungen, die verkürzte Darstellungen verbreiteten und gezielt arbeitenden Demagogen.

Und wegen vieler Menschen, die nur danach suchen, ihr Weltbild bestätigt zu sehen: Wie erreicht man diese? Vielleicht nur noch im persönlichen Gespräch. Ansonsten hier eine Faustregel: Alles hinterfragen. Und das heißt nicht überall eine Verschwörung zu wittern. Sondern insbesondere alles nachprüfen, was das eigene Weltbild zu bestätigen scheint.

Zum Thema

Abrechnung mit diesem Bullshit-Post über Greta Thunberg

Artikelbild: dn.se (Screenshot)