Undercover in 200 Hass-Gruppen
Wir sind DieInsider und normalerweise wühlen wir uns durch Facebook-Gruppen, in denen ihr nicht sein wollt. Und das ist unser erster Text für unsere Freunde vom Volksverpetzer. Wir verstehen uns als ehrenamtliches (wirklich kleines) Kollektiv, das mit Hilfe seiner Recherchearbeit zeigt, wie Diskurse erst heimlich und dann öffentlich vergiftet werden. Es wird meistens so getan, als wenn „das Internet“ keinen Einfluss auf das Leben da draußen hätte. Aber das ist Unsinn.
Uns fehlen mal wieder die Worte.
#AfDVerbot #Querdenker #Reichstag#WirGegenHass #DieInsider pic.twitter.com/BjE15KF0sB— DieInsider (@Die_Insider) November 15, 2021
Die Gruppen, in denen wir uns bewegen, sind meistens geheime oder private (früher waren das „geschlossene“) Gruppen, also Gruppen, in die man ohne eine Anfrage nicht rein darf (privat) oder die gar nicht erst zu finden sind (geheim).
Alle Gruppen (geheim, privat oder offen), in denen wir sind, und das sind über 200, haben etwas mit der AfD zu tun. Oftmals sind auch Politiker:innen der selbst ernannten Alternative in den Gruppen. Wir sehen da die Profile lokaler, kommunaler, aber auch landes- und sogar bundesweit tätiger Politiker:innen.
Was Nazis und „Querdenker:innen“ schreiben, wenn sie unter sich sind.
Die Menschen hinter all den Accounts in den Gruppen denken, sie wären unter sich und so agieren sie auch. Sie schreiben offen rassistisch, menschen- und demokratiefeindlich. Sie sind offen für bewaffnete Umstürze, bemühen NS-Vergleiche und unterstützen Mord- und Gewaltfantasien. Tag für Tag. Es sind wirklich keine kleinen Gruppen, sondern sie haben von 1.000 bis zu 20.000 Mitglieder (geschlossen) oder sogar 40.000 und mehr (öffentlich).
Heute vor 2 Jahren wurde W. #Lübcke von einem Rechtsextremisten ermordet.🕯🙏
Die Screenshots sind aus unserem Archiv, wurden längst an die Staatsanwaltschaft übermittelt und unterstreichen den Werdegang und die Methode (bis heute): Aus dem Kontext reißen und hetzen.#DieInsider pic.twitter.com/rHWthgkNyh
— DieInsider (@Die_Insider) June 1, 2021
Wenn man nun über stochastischen Terrorismus Bescheid weiß, dann ahnt man, was für eine Gefahr in diesen Gruppen lauert. Der rechtsextreme Mord an Walter Lübcke oder erst zuletzt der Mord an dem Studenten in Idar Oberstein sind in unserem Gedächtnis verankert. Diese Ereignisse führten aber nicht zu einer Mäßigung oder Distanzierung, sondern eher zu einer Rechtfertigung, auf dem richtigen Weg zu sein. Immer wieder werden Poliker:innen aller demokratischen Parteien bedroht oder so beleidigt, dass es strafrechtlich relevant ist. Die Liste wäre jetzt beinahe endlos, aber es seien vor allem Karl Lauterbach oder Luisa Neubauer stellvertretend für den mittlerweile bodenlosen Hass genannt.
Mord von Idar-Oberstein motiviert Maskengegner: Immer mehr „Einzelfälle“?
Der Hass wird bereits zu Gewalt.
Es ist naiv zu glauben, dass all das, was wir dort lesen, all das Framing, die Narrative und die Memes dort bleiben. Mit großer Sorge beobachten wir, wie Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus verharmlost werden. Wir beobachten, dass die Kommentare nicht nur in den Gruppen genau so geschrieben werden, sondern auch in den Kommentarspalten und da vor allem – wer ahnt es – bei der BILD und öffentlichen AfD-Seiten.
Die Kommentarspalten der sozialen Medien werden als Multiplikator und Katalysator dafür verwendet, all die Hetze, die Desinformationen und die falschen Zitate in die „Mitte der Gesellschaft“ zu tragen. Wir können davon ausgehen, dass diese Mitte durch deine Mutter, meinen Großvater oder eure Verwandten repräsentiert wird. Ihr kennt alle die WhatsApp-Gruppen der Sportvereine oder der Fahrgemeinschaften oder der eigenen Familie.
Hildmann ist Antisemit.
Die Behörden müssen @Karl_Lauterbach vor einem weiteren Fall #Lübcke schützen.
#TeamLauterbach #Solidarität#WirGegenHass #DieInsider https://t.co/JezfLJhsW2 pic.twitter.com/Yd7EYMoRQT— DieInsider (@Die_Insider) May 29, 2021
Nie war es so leicht, mit Desinformationen zu verwirren, Zweifel zu schüren und Misstrauen zu säen.
Viele Kommentare geben wir von DieInsider an die Behörden weiter (hier ist vor allem die gute Zusammenarbeit mit der ZIT, der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zu erwähnen), die dann wiederum Ermittlungen aufnehmen. Mit Erfolg, denn ein hoher Anteil davon wird tatsächlich strafrechtlich verfolgt und auch belangt. Wir haben da mal Zahlen aus dem Mai.
Wir haben in den letzten Monaten 447 Kommentare an die @GStA_FFM_ZIT gemeldet.
Davon waren 369 strafrechtlich relevant: Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Davon wiederum konnten 232 Beschuldigte identifiziert und strafrechtlich belangt werden. #DieInsider
— DieInsider (@Die_Insider) May 28, 2021
Wir werden oft gefragt, warum wir die Namen der Profile schwärzen. Aber erstens wollen wir niemanden aus einer viel größeren Menge allein herauspicken und an einen Pranger stellen, sondern vielmehr die Ideologie dahinter aufzeigen. Zweitens werden sich die Strafverfolgungsbehörden mit den Personen hinter den Namen auseinandersetzen und nicht eine gut gemeinte Selbstjustiz. Wenn sich Kommentare als strafrechtlich relevant erweisen (und das prüfen nicht wir, sondern eben die Staatsanwaltschaft), dann stellen wir Links und ungeschwärzte Screenshots entweder den Behörden oder aber natürlich auch den Betroffenen zur Verfügung. Karl Lauterbachs Mitarbeiter:innen können da mittlerweile sicher große Ordner füllen.
Wir werden immer wieder gefragt, warum wir die Namen schwärzen.
1. Wir machen uns juristisch angreifbar, wenn wir aus privaten Gruppen nicht anonymisiert veröffentlichen. Ähnlich zur Rechtslage hinsichtlich der Veröffentlichung privater Nachrichten.
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— DieInsider (@Die_Insider) October 20, 2021
Ihr müsst verstehen: Dieser terroristische Nazi-Hass brodelt täglich in Social Media. Und keinen interessiert es.
Wir wagen uns an diesen Text, weil es notwendig wird, nicht nur Screenshots zu zeigen, sondern auch unsere klare Haltung: Wir verachten alles, was dort geschrieben wird und mahnen, dass viel zu wenig dagegen getan wird.
Wir als ehrenamtliche Aktivisten versuchen alles in unser Macht stehende, um auf die Verrohung nur annähernd genügend aufmerksam zu machen. Aber es wird nichts besser. Unsere Gesellschaft reagiert träge. Sie ist empört, aber nicht hart genug gegen diejenigen, die unser Zusammenleben zerstören wollen.
Wir werden nicht müde, aus den Gruppen zu berichten, auch wenn wir wissen, dass die Aufmerksamkeit noch zu gering ist.
Artikelbild: pixabay.com, CC0
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