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Elon Musk kauft Twitter: Nur Symptom des Grundproblems mit Social Media

von | Apr 26, 2022 | Aktuelles

Elon Musk & Twitter

Der Milliardär Elon Musk hat für rund 44 Milliarden Dollar Twitter gekauft (Quelle). Einem der reichsten Männer der Welt, dem auch Tesla und SpaceX gehören, gehört jetzt eine der wichtigsten Social-Media-Plattformen der Welt. Musk – in letzter Zeit wegen umstrittener Positionen in der Kritik – möchte die „freie Meinung“ wieder zurückholen. Kaum jemand weiß, was das heißt. In der extremen Rechten wird er als ihr Champion gefeiert, in Erwartung, dass er Faschisten, Verschwörungsideologen und anderen, die Hassrede und Lügen verbreiten, (mehr) freie Hand lässt, die Plattform heimzusuchen. Trump wurde nach seinem Coup-Versuch von Twitter gebannt (Quelle). Kriegt der Faschist jetzt wieder seinen Account zurück, um die (US-)Demokratie weiter zu zersetzen? Die faschistoiden Republikaner hatten Twitter zumindest mit Konsequenzen gedroht, wenn sie nicht verkaufen (Quelle).

Umgekehrt will er allerdings den Quellcode der Algorithmen veröffentlichen und so die Entscheidungsmechanismen transparent machen. Ziemlich revolutionär. Auch will er Spambots stärker bekämpfen (Quelle). Und klar, gerade in Deutschland ist Twitter auch nicht so wichtig wie anderswo. Aber allgemeinhin ist klar, dass im deutschsprachigen Twitter vor allem die politische und gesellschaftliche Öffentlichkeit stattfindet, wenn das auch nur wenige Prozente sind. Was dort trendet oder diskutiert wird, landet oft in den großen Zeitungen (oder bei Volksverpetzer), auch in Deutschland. Manche kritisieren dabei Elon Musk persönlich und machen sich sorgen was „freie Meinung“ bei diesem bedeuten würde – hatte er z.B. Justin Trudeau mit Hitler verglichen (Quelle). Oder er hatte einem 19-jährigen Geld geboten, seinen Account zu löschen, weil dieser seinen Privatjet trackte (Quelle).

Doch das alles bespricht nur Symptome des größeren Problems

Twitter mag ein besonders prominentes Beispiel sein, für Deutschland unbedeutend, Elon Musk besonders problematisch – das alles sei dahingestellt. Wir tänzeln dabei nur um das eigentliche Problem herum: Dass unsere Öffentlichkeit, also Social Media Plattformen, aber auch Medienkonzerne – dort, wo jetzt Information ausgetauscht wird, Meinungen gebildet werden und der demokratische Diskurs stattfindet – im Besitz von wenigen Konzernen und Milliardären ist. Die Öffentlichkeit ist im Privatbesitz. Das ist grundsätzlich problematisch.

Time wurde von Milliardär Marc Benioff gekauft, Le Monde von Xavier Niel (Quelle), The Washington Post von Jeff Bezos (Quelle) und viele mehr. Die deutsche Presselandschaft ist insgesamt größtenteils in der Hand weniger großer Verlage. Die Top 10 Verlage haben über 57% der Auflage des Tageszeitungmarktes, die Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung (11,5%) und Axel Springer SE (10,7%) belegen die Spitzenplätze (Quelle). Bei den Zeitschriften ist es ähnlich: 2012 konzentrierten sich 63,6% des Marktes auf die fünf größten Zeitschriftenverlage (Quelle). Bei den Kaufzeitungen machen die 5 größten Verlagsgruppen 2018 gar 99,6% aus (Quelle). Welche diskurszerstörende Macht so ein Konzern haben kann, sehen wir beim Axel Springer Verlag:

Reichelt ist weg – Das System Axel Springer bleibt & die deutsche Presse schweigt

Bei Social Media Plattformen sieht es ähnlich aus. Der Großteil unserer Kommunikation findet über Oligopole statt. Ein paar wenige Menschen *besitzen* den Großteil der Kommunikationswege. Und man muss nicht mal auf „bad actors“ schauen oder systematischen Missbrauch unterstellen. Manche Zeitungen und manche Plattformen machen dann trotzdem ordentliche Arbeit – und wer weiß, vielleicht wird Twitter unter Elon Musk wirklich besser? – es birgt systematisch Probleme und Einschränkungen, die in der Natur der Sache liegen.

Für Unternehmer/n ist das Hauptziel: Profit, nicht ein demokratischer Diskurs

Für Unternehmen, für Unternehmer ist das Hauptziel in der Regel: Profit. Und das ist nicht intrinsisch verwerflich, das ist das, was Unternehmen ausmacht. Man muss sich nur fragen, ob unsere öffentliche Kommunikation und Informationsaustausch Marktmechanismen unterworfen werden muss. Wir sprechen aus eigener Erfahrung: Fake News sind in einem System, in dem die Plattformen Unternehmer/n sind, ein feature, kein bug. Trump hat enorm viel Traffic & PR für Twitter geschaffen, Man schätzt, allein der Faschist hat Twitter zwei Milliarden eingebracht (Quelle). Facebook greift spät & selten in Reichweiten (großer) notorischer Fake-Schleudern ein. Facebook hat Studien unter Verschluss gehalten, in denen es um die geistige Gesundheit von Jugendlichen und der Nutzung von Social Media ging (Quelle). Facebook geht gegen Fake News quasi nur in den USA vor – und ein Leak zeigt, dass ihr Algorithmus Hass und Fakes bevorzugt (Quelle). Traffic ist Geld. Fakes sind Traffic.

Und völlig abgesehen davon, ob Musk jetzt wegen falsch verstandener Meinungsfreiheit Nazis wieder frei lügen lässt auf Twitter oder ein Mehrheitsgesellschafter des Ippen-Verlags, Dirk Ippen, eine riesige Recherche über damals-noch-Chef der BILD, Reichelt, stoppte (Quelle). So eine Schere passiert im Kopf. Oder glaubt ihr, in der Washington Post erscheint regelmäßig viel heftige Kritik an Amazon? Wenn ein Autohersteller in einer Zeitung wirbt, wird diese Zeitung vorsichtiger mit Kritik an jenem Autohersteller. Wenn regelmäßig sogar absolut richtige und faire Kritik erscheint, kann der Werber halt irgendwann zur Konkurrenz gehen, die das nicht schreibt.

Systematische Schere im Kopf

Wenn der Großteil des Zeitungsmarktes einer Handvoll Konzerne/Personen gehören, wird das zum Problem. Ebenso gilt das bei Social Media. Was, wenn dem Autohersteller die Plattform selbst gehört. Klar, Elon Musk will auch seine größten Kritiker auf der Plattform lassen. Darf ich aber auch eine Anti-Tesla-Werbekampagne dort laufen lassen  – nehmen wir an, sie ist fair und 100% faktisch korrekt? Darf man ungestört über Gewerkschaften bei Tesla sprechen? Was wenn China auf Musk Druck ausübt, Kritik an Uiguren zu zensieren & mit der Enteignung seiner dortigen Tesla-Fabriken droht?

Elon Musk dürfte ja noch weniger „checks and balances“ haben als Twitter ohnehin schon, denn er will Twitter von der Börse holen, wo Shareholder und das öffentliche Ansehen (Börsenpreis) immerhin etwas regulieren. Denn selbst wenn nicht Marktmechanismen die Bedingungen stellen, demokratisch oder frei von persönlichen Vorurteilen und Einfluss ist die Kontrolle einer einzelnen Person nicht. Und dazu muss sie nicht mal ein krudes Bild von Meinungsfreiheit haben, aber darüber können wir an anderer Stelle diskutieren.

Ich schlage keine Alternative vor

Ich möchte damit keine alternativen Lösungen implizieren. Staatliche Plattformen zum Beispiel bringen auch viele Probleme. Ein „fact check“ Ministerium mit Durchsetzungsrecht klingt nach Horror, wenn man sich Missbrauch vorstellt. Wer reguliert und kontrolliert die Regulierer? Eine alternative Möglichkeit, die Öffentlichkeit in öffentliche Hand zu übergeben, birgt auch Gefahren von Missbrauch. Wir brauchen nicht erst nach China schauen, aber darf ich dann weiter genau so frei die Regierung kritisieren? Klar, mehr Förderung von offenen und dezentralen Strukturen, aber wie wo was?

Erst einmal dürfte Regulierung wichtig sein und der Schutz der Nutzer. Da gibt es ja jetzt den „Digital Services Act“, der jetzt von der EU beschlossen wurde (Quelle). Man kann gegen Löschungen protestieren – und auch rechtlich dagegen vorgehen. Wissenschaft und NGOs können Einsicht in die Algorithmen kriegen, Hassrede soll stärker bekämpft werden. Einige verbraucherfreundliche Regelungen wurden allerdings verhindert. Es ist nicht viel, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Man muss dringend Monopole verhindern (und eigentlich auch Oligopole) und gute Regeln aufstellen. Der Marktmechanismus – egal, wie man ihn bewertet – ist nun mal eben nicht inhärent demokratisch.

Elon Musk ist nur ein prominentes Symptom

Das Problem ist eben viel größer: Klar, Elon Musk und Twitter sind ein prominentes Beispiel. Und Musk vielleicht sogar besonders problematisch – das sei jetzt dahin gestellt. Es ist aber eben nur ein Symptom davon, dass man einfach nur viel Geld braucht, und man kann sich nicht nur Reichweite – und damit Einfluss auf den Diskurs – kaufen, sondern sogar die Plattformen, auf dem dieser Diskurs stattfindet selbst. Und die Regeln nach eigenem, unkontrollierten Willen ändern. Das ist nicht Demokratie. Und die Konzentration der privatisierten Öffentlichkeit in immer weniger Händen schreitet weiter voran, das kritisiert auch der Kollege Beckedahl von Netzpolitik.

Wir dürften sehen, wie die Konfliktlinie vom „Digital Services Act“ und Elon Musks Vision aussehen wird. Und klar, das konkrete Problem ist: „Die Pläne von Elon Musk  treffen nicht nur auf eine noch immer lasche Regulierung, sondern auch auf eine zunehmende Autokratisierung. Das ist ein ungutes Gemisch, das am Ende nicht für „funktionierende Demokratie“ sorgen könnte, wie Elon Musk twittert – sondern für das Gegenteil.“, schreibt Dennis Horn. Das Problem ist also nicht so sehr Musk. Sondern wie wir als weltweite Gesellschaft unsere Öffentlichkeit in den Händen immer weniger konzentrieren und gleichzeitig zu wenig gegen die systematischen Unzulänglichkeiten dieses Systems regulativ vorgehen.

Artikelbild: shutterstock.com Vectorfarmer

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