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Warum vergewaltigte ukrainische Frauen nicht nach Polen flüchten wollen

von | Mai 18, 2022 | Aktuelles

Im Krieg vergewaltigt und keine Chance auf Schwangerschaftsabbruch – Warum ukrainische Frauen nicht nach Polen flüchten wollen

TRIGGERWARNUNG: SEXUELLE GEWALT

In der letzten Woche haben wir bereits darüber berichtet, ob die russische Armee Vergewaltigungen als systematisch als Kriegswaffe einsetzt. Das BBC berichtete, russische Soldaten hätten in Butscha mindestens 25 Frauen vergewaltigt, von denen neun schwanger geworden seien (Quelle). Laut der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza hatten sich außerdem 120 Frauen aus Butscha, die ebenfalls angaben, von russischen Soldaten vergewaltigt worden zu sein, bei der Evakuierung geweigert, nach Polen gebracht zu werden (Quelle). Der Grund dafür: Sie befürchten, von den Vergewaltigungen schwanger zu sein. Und fürchten sich vor den restriktiven Abtreibungsgesetzen in Polen.

Das polnische Abtreibungsrecht

Das polnische Abtreibungsrecht gilt als eines der härtesten in der ganzen Europäischen Union. Schwangerschaftsabbrüche sind demnach nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist oder die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorgeht. Die Vergewaltigung muss jedoch von einer Staatsanwaltschaft bestätigt worden sein. Das heißt, sie muss strafrechtlich verfolgt werden. (Quelle)

Im Falle von Ukrainerinnen, welche durch russische Soldaten im Krieg vergewaltigt und dadurch schwanger wurden, ist die strafrechtliche Verfolgung kaum möglich. Da zum einen die Sicherung von Vergewaltigungsspuren unmittelbar nach der Vergewaltigung sehr schwer ist. Besonders in den Kriegsgebieten sind kaum Ärzt:innen erreichbar, die sich mit der Sicherung solcher Spuren auskennen. Zum anderen können die Vergewaltiger in den meisten Fällen nicht mehr aufgespürt und zur Verantwortung gezogen werden. Hinzu kommt die sehr große Stigmatisierung und Tabuisierung von Vergewaltigungen und dadurch die Scham von Frauen, sich zu melden, um den Vergewaltigungen strafrechtlich nachzugehen.

EU versucht, die Situation zu entschärfen

Am 25. April hat der Ausschuss für Geschlechtergleichstellung der EU eine Entschließung verabschiedet, welche die Vergewaltigungen durch russische Soldaten als Kriegswaffe verurteilt. Gleichzeitig forderte er alle EU-Länder dazu auf, Notfall-Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche unbürokratisch zu ermöglichen (Quelle). Polen hat sich zu dieser Entschließung jedoch noch nicht geäußert.

Der Vorsitzende des Ausschusses für Geschlechtergleichstellung, der polnische EU-Abgeordnete Robert Biedrón, sagte dazu: „Wir fordern die EU und die Mitgliedsstaaten nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass Frauen, die in Europa Zuflucht suchen, alle Unterstützung und Hilfe erhalten, die sie brauchen, einschließlich der Zugangs zu Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit“ (Quelle). Der Linkspolitiker kritisierte damit auch die Einstellung seines eigenen Landes gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen.

Das polnische Parlament will sich noch im Mai mit der Situation vergewaltigter Frauen aus der Ukraine befassen und abstimmen, ob aufgrund der Entschließung neue Beschlüsse verabschiedet werden müssen (Quelle).

NGOs unterstützen Frauen beim Schwangerschaftsabbruch

Schon seit 2015 unterstützen Organisationen wie Abortion without Borders oder Ciocia Basia Frauen dabei, Schwangerschaftsabbrüche im Ausland vorzunehmen. Andere, wie die Organisation Women help Women, schicken Frauen Tabletten für einen frühen Schwangerschaftsabbruch zu. Sie machen sich zum Teil jedoch strafbar dadurch. Die polnische Pro-Choice-Aktivistin Justyna Wydrzynska wurde im Februar 2020 festgenommen mit der Anklage, illegal eine Abtreibung unterstützt zu haben. Sollte sie für schuldig befunden werden, drohen ihr bis zu drei Jahren Gefängnis. (Quelle)

Durch die Frauen aus der Ukraine, die nun nach Vergewaltigungen oder auch aus anderen Gründen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wollen, ist die Arbeit der NGOs noch wichtiger geworden.

Schwangerschaftsabbrüche sind ein Menschenrecht

Polnischen Frauen wurde durch die Verschärfung des Abtreibungsrechts bereits weitreichend die Möglichkeit genommen, einen sicheren Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Es sollte sich jedoch weithin herumgesprochen haben, dass das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen nicht zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen führt. Sondern dazu, dass sich jene Frauen andere Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs suchen und sich damit oftmals selbst in Gefahr bringen. Die Arbeit der NGOs ist sehr wertvoll, da sie damit dafür sorgen, dass immerhin ein kleiner Teil von Frauen noch eine sichere Abtreibung durchführen kann.

Frauen, die aus dem Krieg fliehen und ohnehin schon extrem traumatische Erlebnisse hinter sich bringen mussten, werden durch den nicht vorhandenen Zugang zu sicheren Abtreibungsmöglichkeiten noch weiter traumatisiert. Dadurch bekommt Vergewaltigung als Kriegswaffe eine noch verschärftere Bedeutung. Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ljudmila Denisova erklärte in einem Interview mit dem schweizerischen Magazin „Blick“, die Vergewaltigungen seien letztendlich ein Akt des Völkermordes. Da dadurch den Frauen die Möglichkeit und der Wunsch genommen werden solle, Kinder zu kriegen (Quelle). Wenn diese Frauen nun keine Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bekommen, könnte dies tatsächlich eintreten.

Polens Präsident Duda und die polnische Regierung spielen mit ihrem restriktiven Abtreibungsgesetz also der russischen Armee und ihrer Anwendung von Vergewaltigungen als Kriegswaffe direkt in die Hände. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die polnische Regierung diesen Monat tatsächlich noch dazu entscheidet, der Entschließung des EU-Ausschusses zu folgen und das Abtreibungsgesetz auch für die eigene Bevölkerung zu lockern.

Zum Thema:

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Artikelbild: Christoph Soeder/dpa

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