5.240

Sprech-Verbot abgeschmettert: Gericht bestätigt Freiheit zum Gendern!

von | Apr 28, 2023 | Aktuelles

In Berlin verklagte ein Vater die Schule seiner Kinder, weil Lehrer:innen dort manchmal geschlechtsneutrale Sprache verwendeten. Diese Klage wurde zum absoluten Bumerang, denn am Ende bestätigte das Gericht nicht nur, dass in der Schule sehr wohl gegendert werden darf. Es kam sogar zu dem Schluss, dass eben gerade das Verbot zu Gendern in vielen Situationen die sprachliche Freiheit einschränkt!

Vater wollte Freiheit zum Gendern per Klage unterdrücken

Beim Gendern geht es eigentlich nur darum, durch sprachliche Feinheiten für mehr Inklusion zu sorgen. Das tut niemandem weh und kann für marginalisierte Gruppen einen großen Unterschied machen. Eigentlich eine klassische Low Hanging Fruit für mehr Gleichberechtigung. Tja, ein Vater aus Berlin fand Gendern allerdings so gefährlich, dass er die Gymnasien seiner Kinder verklagte.

Der Grund dafür war, dass Lehrer:innen unter anderem Arbeitsmaterialien in geschlechtsneutraler Sprache austeilten, nach Pronomen der Schüler:innen fragten und sogar, haltet euch fest, in E-Mails an Erziehungsberechtigte genderten!!! Mit so viel Menschlichkeit kam der Vater scheinbar nicht klar und nahm das zum Anlass, eine Klage beim Berliner Verwaltungsgericht einzureichen. In der forderte er, die angebliche “sprachliche Indoktrination” seiner Kinder zu stoppen und die Freiheit zum Gendern an Berliner Schulen zu unterdrücken. Das verstoße nämlich gegen die deutsche Rechtschreibung und Grammatik. Doch diese Genderklage wurde für den Vater zum krassen Bumerang.

Gendern ist nicht “grammatikalisch falsch”

Schauen wir zuerst auf die Fakten. Die häufige Behauptung, Gendern verstoße gegen Rechtschreibung und Grammatik, entspricht höchstens teilweise der Wahrheit. Werden beispielsweise durch die Verwendung von Sonderzeichen wie dem „Gendersternchen“ oder einem Doppelpunkt Formulierungen geschlechterneutral verfasst, kann das durchaus zu Folgeproblemen und grammatikalisch falschen Lösungen führen. Deshalb wird diese Form des Genderns vom deutschen Rechtschreibrat „nicht empfohlen“. Das Gendern durch Neutralisierung oder Beidnennung stellt für die deutsche Rechtschreibung aber kein Problem dar. Das Argument, Gendern sei per se grammatikalisch falsch, ist also inkorrekt.

Des Weiteren wird oft kritisiert, geschlechterneutrale Sprache und Schrift sei das Gegenteil von inklusiv, da es die deutsche Sprache für Beeinträchtigte und Deutschlernende unnötig verkomplizieren würde. Diese Kritik ist zwar durchaus berechtigt, die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik stellte jedoch in einer überregionalen Studie Folgendes fest: Menschen mit Behinderung sprachen sich deutlich für das Gendern mittels „Gendersternchen“ aus. Dieses diene nämlich als „Bedeutungsträger gesellschaftlicher Wahrnehmung und Anerkennung von Diversität. Das Gendern berührt als sprachlicher Ausdruck in digitalen Anwendungen, Fragen der Freiheit und der Demokratie von Menschen mit Behinderungen.“ Das Gendern macht die deutsche Sprache also vielleicht minimal komplizierter, schließt aber nun endlich alle mit ein.

Gericht bestätigt Freiheit zum Gendern!

Ende März kam das Berliner Verwaltungsgericht dann zu einem eindeutigen Entschluss: Die Klage des Vaters wurde zurückgewiesen. Dafür wurden mehrere Gründe genannt.

Erstens habe eine genderneutrale Sprache keinen Einfluss auf die (Un-)Verständlichkeit einer Aussage. Zweitens sei das Verwenden von genderneutralen Begrifflichkeiten keine unzulässige Form der politischen Meinungsäußerung. Im Gegenteil! Es „kann mittlerweile auch durch die Nichtverwendung von genderneutraler Sprache […] eine politische Zuschreibung in Betracht kommen“, urteilte das Gericht. Drittens gebe es noch keine rechtliche Verbindlichkeit für oder gegen genderneutrale Sprache. Deshalb ist diese in Schulen auch nicht verboten. Die Schulleitung eines der verklagten Gymnasien stellt es den beschäftigten Lehrkräften beispielsweise frei, ob diese im Unterricht gendern möchten oder nicht. Es sei lediglich auf die festgelegten Regeln der deutschen Rechtschreibung und Grammatik zu achten.

Gericht: Aktuell gibt es Zwang gegen das Gendern!

Nach diesen guten Nachrichten ging das Gericht dann aber noch einen Schritt weiter. Im Beschluss zur Klage wurde darauf aufmerksam gemacht, dass aus der entstandenen Debatte möglicherweise „eine rechtliche Pflicht zur Verwendung von genderneutraler Sprache im Allgemeinen und in der Schule […] oder dem Hochschulbereich […] herzuleiten ist.“ Denn bisher werden Schüler:innen zwar nicht zum Gendern gezwungen, aber eben zum Gegenteil: Zum Nicht-Gendern! Ja, ihr habt richtig gelesen. Es gibt den „Gender-Zwang“, von dem besonders Konservative gerne reden, also doch! Nur eben in die andere Richtung. Die Klage des Berliners hat uns also im Grunde allen einen Gefallen getan. Denn es bestätigt: Zur Freiheit gehört, dass alle so sprechen dürfen, wie sie wollen!

Studien belegen Wirksamkeit vom Gendern

Falls sich einige Lesende jetzt aber immer noch unsicher sind, wie sie zum Gendern stehen sollen, gibt es hier nun noch einige wissenschaftliche Erkenntnisse dazu. Denn Gendern ist keinesfalls mehr unbekanntes Terrain, wo jede:r einfach den eigenen unüberlegten Senf dazugeben kann. Seit etlichen Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler:innen damit, herauszufinden, ob Gendern einen (womöglich positiven) Effekt auf unser Denken und Handeln hat. Und jetzt muss ich alle „Gender-Gegner:innen“ leider enttäuschen: Viele wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Thematik kommen tatsächlich zu dem Ergebnis, dass Gendern prinzipiell sinnvoll ist.

Eine Untersuchung aus 2018 deutet beispielsweise darauf hin, dass selbst das Lesen von kurzen Texten, in denen gegendert wird, dazu beitragen kann, Geschlechterstereotype und heteronormative Denkweisen der Lesenden zu durchbrechen. In einer anderen wissenschaftlichen Arbeit wurde herausgefunden, dass „bei Personenreferenzen im generischen Maskulinum ein geringerer gedanklicher Einbezug von Frauen zu beobachten war als bei alternativen Sprachformen wie der Beidnennung oder dem “Großen I“ (z.B. seltenere Nennungen von beliebten weiblichen Persönlichkeiten oder von politischen Kandidatinnen für das Amt des Bundeskanzlers/der Bundeskanzlerin der BRD).“ Und auch, dass Gendern besonders für Kinder enorme Vorteile hat und sogar zu ihrem Selbstbewusstsein beiträgt, zeigt eine Studie von 2015.

Gendern sorgt für bessere Wahrnehmung bei Kindern

Darin sollten knapp 600 Kinder im Grundschulalter einschätzen, welche ihnen vorgestellten Berufe schwerer zu erlernen und auszuführen seien und jeweils angeben, ob sie sich selber vorstellen könnten, diesen Beruf auszuführen. Vorgestellt wurden den Kindern „typisch männliche“ (zB. Automechaniker:in), „typisch weibliche“ (zB. Kosmetiker:in) und „geschlechtsneutrale“ Berufe. Zusätzlich dazu wurden dem einen Teil der Kinder die Berufe geschlechtergerecht präsentiert („Automechaniker/Automechanikerin“), während den anderen die Berufe nur in der männlichen Form vorgestellt wurden („Automechaniker“).

Die Studie wollte damit untersuchen, ob sich eine geschlechtsneutrale Berufsbezeichnung darauf auswirkt, welchen Beruf sich die Kinder zutrauen würden. Die Forschenden fanden heraus, dass Kindern, denen die inklusive Berufsbezeichnung („Automechaniker/Automechanikerin“) vorgestellt wurde, sich eher zutrauen würden, einen „typisch männlichen“ Beruf auszuüben. Die „typisch männlichen“ Berufe wurden von den Kindern außerdem „nach der geschlechtergerechten Bezeichnung als leichter erlernbar und weniger schwierig eingeschätzt als nach der rein männlichen Bezeichnung.“ Das zeigte eindeutig, dass das Gendern von Berufsbezeichnungen positive Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Kindern hat und sich das Einsetzen von geschlechtsneutralen Formulierungen positiv auf das Selbstvertrauen der Kinder auswirkt.

Anmerkung: Wem die oben genannten Quellen noch immer nicht genug sind und wer mehr übers Gendern sowie die positiven Auswirkungen davon erfahren möchte, der:die darf gerne in den unterhalb verlinkten Artikeln weiterlesen!

Fazit: Gendern ist Freiheit und macht Menschen sichtbar!

Fassen wir also nochmal kurz zusammen: Ein Vater verklagte die Schulen seiner Kinder, weil deren Lehrer:innen im Unterricht und in E-Mails an Erziehungsberechtigte genderten. Die Klage wurde aber nicht nur zurückgewiesen, das Gericht eröffnete sogar die Debatte darüber, ob nicht an allen Schulen und Hochschulen mehr gegendert werden sollte. Schließlich sei das bewusste Nicht-Gendern heutzutage viel politisch aufgeladener, als wenn einfach geschlechterneutrale Sprache verwendet wird. Zusätzlich zum Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts plädieren außerdem etliche Studien für eine stärkere Integration von geschlechterneutraler Schrift und Sprache in allen Lebensbereichen. Denn Sprache ist nun mal ein Machtinstrument, mit dem wir unser eigenes Denken und unsere Ansichten, aber auch das unserer Mitmenschen maßgeblich beeinflussen können!

Und genau deshalb ist das Gendern auch so wichtig. Denn es geht hier einfach darum, marginalisierte Gruppen wieder in das Bewusstsein aller Menschen zu bringen. Es geht darum, Menschen, die bisher nicht angesprochen wurden, mit einzuschließen und sichtbar zu machen. Denn es gibt eben nicht nur Ärzte, Polizisten, Chefs und Lehrer. Es gibt auch Ärztinnen, Polizistinnen, Cheffinnen und Lehrerinnen und zusätzlich auch noch Menschen, auf die keine der beiden geschlechtsspezifischen Beschreibungen zutrifft. Und für diese Menschen gibt es dann ein Sternchen, einen Doppelpunkt oder einfach eine neutralisierte Form eines Wortes.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen: Sogar Markus Söder hat sich für die Freiheit zum Gendern ausgesprochen! Na wenn das mal kein Zeichen dafür ist, dass Gendern gar nicht so schlimm ist, wie alle immer behaupten.

Weitere Studien zum Thema:

Braun, Friederike u.a.: „Aus Gründen der Verständlichkeit…“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Hogrefe Verlag Göttingen 2007. URL: https://wiki.kif.rocks/w/images/0/08/Braun-et-al.pdf (Zuletzt abgerufen am 22.04.2023).

Nübling, Damaris: Und ob das Genus mit dem Sexus: Genus verweist nicht nur auf Geschlecht, sondern auch auf die Geschlechterordnung. Erschienen in Sprachreport Jg. 34 Nr. 3, 2018. URL: https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/7874/file/Nuebling_Und_ob_das_Genus_mit_dem_Sexus_2018.pdf (Zuletzt abgerufen am 22.04.2023).

Beck, Dorothee/Stiegler, Barbara: Das Märchen von der Gender-Verschwörung. Argumente für eine geschlechtergerechte und vielfältigere Gesellschaft. Friedrich Ebert Stiftung Berlin 2017. URL: https://library.fes.de/pdf-files/dialog/13544.pdf (Zuletzt abgerufen am 22.04.2023).

Sczesny, Sabine u.a.: Can Gender-Fair Language Reduce Gender Stereotyping and Discrimination? Frontiers in Psychology February 2016. URL: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2016.00025/full (Zuletzt abgerufen am 22.04.2023).

Lieb, Sigi: Gendersprache und die Umfragen. Online veröffentlicht am 18.09.2021. URL: https://www.gespraechswert.de/gendersprache-umfragen/ (Zuletzt abgerufen am 22.04.2023).