Gastbeitrag von Lutz Jäkel
Tja, liebe Leute… was soll ich euch sagen? Das war schon ein sehr spezielles Erlebnis gestern auf den Corona-Demos bzw. den “Hygiene-Demos” in Berlin. Es fing alles ganz harmlos an, endete dann aber auf einer heftigen Demo auf dem Alexanderplatz.
Eigentlich kann ich nur jedem empfehlen, so etwas mal live zu erleben, um sich noch bewusster zu sein, was gerade passiert. Es ist zutiefst erschreckend zu sehen, wie eine aufgebrachte Menge ihren ganzen Ärger und ihren ganzen Hass herausbrüllt:
WI-DER-STAND! WIIII-DER-STAND!
Zurück zu Hause sehe ich dann in den News und auf Facebook, dass es in vielen anderen Städten sehr ähnlich war. Der SPIEGEL schreibt in seiner aktuellen Ausgabe: “Das Virus vereint Menschen im Protest, die bislang wenig gemeinsam und kaum etwas miteinander zu tun hatten. Rechtsextremisten, Impfgegner, Antisemiten, Verschwörungsideologen, Linksradikale, Alt-Autonome und Esoteriker. Und ganz normale Bürger, denen politisches Engagement bislang eher fremd war.”
All diese Leute waren wie in einem Brennglas auch gestern wieder in Berlin unterwegs.
Aber der Reihe nach.
Vormittags telefoniere ich mit meiner kubanischen Frau Dayami, die noch immer in Havanna festsitzt. Derzeit gibt es wegen Corona und der internationalen Reisewarnung keine Flüge zurück nach Berlin. Sie erzählt, dass die Ausgangssperren in Kuba weiterhin sehr streng seien und kontrolliert werden, dass es sogar ein Gesetz gebe, wonach Geld- oder gar Gefängnisstrafen demjenigen drohen, der gegen die von den Gesundheitsbehörden erlassenen Maßnahmen und Vorschriften zur Eindämmung der Pandemie verstößt. Das ist wohl mit ein Grund, warum auf Kuba das Coronavirus einigermaßen unter Kontrolle zu sein scheint.
Platz der Republik
Dann fahre ich mit dem Fahrrad zum Platz der Republik vor dem Reichstag. Keine Menschenmasse, nur ein paar Leute versammeln sich dort. Darunter aber ein bekanntes Gesicht: Rüdiger Hoffmann, Reichsbürger, früher bei der NPD, saß in den 1990er Jahren wegen versuchten Mordes mehrere Jahre im Gefängnis (er hatte einen rechtsradikalen Angriff auf ein Asylbewerberheim mitorganisiert), Gründer und Anführer der Gruppierung „Staatenlos“, die seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Hoffmann glaubt, Deutschland sei von fremden Mächten besetzt, die Bundesrepublik nur eine Firma, er möchte die Handlungsfähigkeit des deutschen Reichs wiederherstellen. Von diesen Reichsbürgerphantasien schwurbelt Hoffmann auch auf dieser Demo herum, auch von “Mickey-Bill” (also Bill Gates), der eh alles kontrolliere. Die Leute um ihn herum klatschen: “Jawoll!”, “Endlich sagt’s mal einer!”. Im Hintergrund weht die Flagge des Königreich Preußen. Nachdem ich recht viel fotografiere, ruft er in meine Richtung: “Na, hoffentlich machst du gute Fotos, die letzten waren ja nicht so dolle” (ich habe ihn noch nie fotografiert). Ein Mann neben ihm, der die ganze Zeit Hoffmanns Auftritt filmt, schwenkt die Kamera in meine Richtung und filmt mich eine Weile.
Rosa-Luxemburg-Platz
Dann zum Rosa-Luxemburg-Platz, wo seit Wochen jeden Samstag die Hygiene-Demos vor der Berliner Volksbühne stattfinden, initiiert von Anselm Lenz, dem Berliner Dramaturgen und Journalisten, der auch hinter der Corona-Pandemie eine Verschwörung der Machteliten sieht.
Das Kuriose an dieser Demo: Behördliche Auflagen lassen nur 50 Demonstranten zu. Da aber natürlich viel mehr Menschen auf den Platz drängen, riegelt die Polizei den Platz ab. Ergebnis: Die anderen Demonstranten versammeln sich in den Straßen und Plätzen daneben, teilweise dichtes Gedränge ist die Folge. Abstand halten? Was für Abstand? Masken? Wozu? Corona ist doch eh nur eine Grippe, wenn überhaupt.
Widerstand2020
Ein Polizist, mit dem ich mich ein bisschen unterhalte, sagt mir, dass sie von etwa 1000 Menschen ausgehen, die sich da versammelt haben. Ich beobachte die “bunte” Mischung: “Gib Gates keine Chance” steht auf einem T-Shirt, jemand verteilt eine Corona-Zeitung, in der zu lesen ist, dass die Bundesrepublik seit dem 14. März 2020 ein de-facto-diktatorisches Regime sei, nahezu sämtliche Grundrechte seien seither außer Kraft gesetzt.
Ein anderer hält das Grundgesetz hoch, ein paar Demonstranten werben für die neue Gruppierung “Widerstand2020”, jemand sammelt Unterschriften für ein Referendum, damit Artikel 146 Grundgesetz erfüllt werde und “das deutsche Volk” endgültig über die Verfassung entscheide. Ein Demonstrant trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: “Das Spa(h)nf(M)erkel ist nicht ganz bei T(D)rost(en). Ent-Coronifizierung !! Jetzt !!”, jemand hat sich ein Papierherz auf sein T-Shirt gepappt: “Wer Angst sät, wird Sklaven ernten.”
Ich beobachte, wie die Polizei des Kommunikations-Teams freundlich und mit Engelsgeduld die Demonstranten bittet, Abstand zu halten. Die Demonstranten lächeln auch freundlich, gehen einen Schritt zurück oder zur Seite, um im nächsten Moment wieder zusammenzustehen. Aber die Stimmung ist nicht aufgeheizt, nicht aggressiv. Es wirkt alles wie ein Happening. Man könnte sagen: Hier haben heute Menschen ihre Meinung kundgetan, und das ist auch in Ordnung, schließlich leben wir in einer Demokratie, die Meinungsfreiheit gehört dazu und ist selbstverständlich durch die Anti-Corona-Maßnahmen auch nicht ausgesetzt. Als die Demonstration sich so langsam auflöst, beschließe ich, nach Hause zu fahren.
Alexanderplatz
Dabei komme ich am Alexanderplatz vorbei, sehe schon von weitem ein massives Polizeiaufgebot. Und das, was ich dann erleben muss, ist verstörend. Denn es ist zunächst überhaupt nicht ersichtlich, warum die Menge so aufgebracht, so aggressiv ist. Auch hier hatten sich am Nachmittag Demonstranten gegen die Corona-Vorsichtsmaßnahmen versammelt. Von denen ist aber eigentlich nicht mehr viel zu sehen, es ist früher Abend. Und dann wird klar, worum es geht: Die Meute richtet ihren Ärger, ihre Wut, ihren Hass gegen die Polizei. Offenbar nur, weil sie Lust daran haben.
Sie skandieren, schreien, brüllen: “WI-DER-STAND! WI-DER-STAND!”, “Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!”, einige bauen sich direkt vor der Polizei auf: “Ihr steht auf der falschen Seite! Ihr Verräter!”, “WIR bezahlen euch, NICHT IHR UNS!”, “Schämt euch!!”. Die Polizei-Hunde bellen dagegen an, eine Frau schreit: “Die armen Hunde! Ihr Tierquäler!”
Dann brüllen einige: “DIK-TA-TUR! DIK-TA-TUR!!”
In diesem Moment möchte ich jeden Demonstranten und jede Demonstrantin schütteln und zurückbrüllen: “Jeder einzelne von Euch hier, jeder einzelne Ruf, jede einzelne Hasstirade ist ein Beweis, dass wir eben *nicht* in einer Diktatur leben. In einer Diktatur würdet ihr alle verhaftet und weggesperrt! Mindestens.”
Zu beobachten ist auch, dass die Polizei vereinzelt diejenigen festnehmen, die erkennbar nicht nur brüllen, sondern mit Parolen die Meute aufzuheizen versuchen. So soll wohl eine weitere Eskalation verhindert werden. Und was für ein Bild: zwei, drei Polizisten ziehen den Festgenommen aus der Menge, und um die zwanzig Polizistinnen und Polizisten schützen dabei die Kolleginnen und Kollegen vor den Demonstranten.
Wir leben also in einem Land, wo die Polizistinnen und Polizisten erkennbar einer Deaskalationsstrategie folgen, die sich anbrüllen und anschreien lassen müssen, ohne dass den Demonstranten etwas passiert. Und denen fällt nichts besseres ein, als DIK-TA-TUR zu brüllen!
Ein solcher blinder Hass macht mich wirklich fassungslos. Denn darin zeigt sich ein großes Problem, das den Sicherheitsbehörden zunehmend Sorge bereitet und das auch auf den Fotos zu sehen ist: Dass Links- und Rechtsexremisten und Verschwörungsideologen sich die Unsicherheit zunutze machen, die offenbar viele Bürgerinnen und Bürger durch die globale Corona-Pandemie verspüren, oftmals einhergehend mit dem Gefühl des Kontrollverlusts. Damit werden auch normale Bürger angesprochen, viele lassen sich da unreflektiert hineinziehen. So wird das gesellschaftliche Miteinander weiter gespalten.
Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz stehen zwei jüngere Paare, vielleicht so um die 30, und ich höre, wie eine der Frauen sagt: “Wo sind denn jetzt die ganzen Links- und Rechtsextremisten? Ich sehe nur ganz normale Leute.”
Ja, das ist womöglich das Problem
Und ein weiteres Teil des Problems ist, dass man auch die Extremen unter ihnen als normale Leute wahrzunehmen scheint.
Nach und nach beruhigte sich dann die Situation auch auf dem Alexanderplatz. Es war wohl so, wie ein Polizist zu einem Demonstranten, der ihn minutenlang beschimpfte, lapidar sagte: “Ja, meine Güte, jetzt hast du dich doch genug ausgetobt. Geh mal nach Hause.”
Ganz ehrlich: Ich habe Hochachtung vor der Arbeit der Polizei.
Ich bin dann auch nach Hause, habe mir erst mal ein Bier aufgemacht und angefangen, die Fotos zu sortieren und zu bearbeiten. Und was ich da auf den Fotos sehe, beunruhigt mich.
Zum Thema:
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Autor Lutz Jäkel, www.lutz-jaekel.com. Artikelbild: Lutz Jäkel