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Impfungen STÄRKEN das Immunsystem (gegen den Erreger), sie schwächen es nicht

von | Dez 17, 2021 | Aktuelles

Nein, Impfungen schwächen nicht das Immunsystem

Dieser Gastbeitrag wurde von einem von uns verifizierten promovierten Biologen verfasst, der auf Twitter unter dem Pseudonym @BMauschen schreibt

Es heißt ja ganz gerne von Impfgegnern, die Covid-Impfungen würden das Immunsystem schwächen oder wären sogar gezielt dafür gemacht. Da ist (fast gar) nichts dran, aber schauen wir mal genauer hin, okay?

Fangen wir mit den allgemeinen Impfgegnerargumenten zur „Immunschwächung“ an, da ist das prominenteste vielleicht die Behauptung, die Impfung würde eine bessere, „natürliche“ Immunität verhindern – dazu, dass die Argumente hierfür nicht stichhaltig sind, hatte ich schon einmal einen längeren Thread, den Ihr auf Twitter nachlesen könnt.

Immunsystemerschöpfung nach Corona-Impfung bisher nicht beobachtet

Eine andere Behauptung, die jetzt gerade mit den Boosterimpfungen aufkommt, ist die, dass zu viel Anregung des Immunsystems durch viele Impfungen das Immunsystem erschöpfen könne. Tatsächlich gibt es das Phänomen der Immunsystemerschöpfung („immune exhaustion“), ABER das tritt normalerweise als Folge chronischer Erkrankungen auf und hat wahrscheinlich (grob vereinfacht) etwas mit einer fehlgesteuerten Regulation des Immunsystems zu tun, die eigentlich Kollateralschäden durch die Überaktivität verhindern soll.

Dass regelmäßige Anregungen des Immunsystems nicht generell zu einer Schwächung führen, wissen alle, die Kitakinder, -betreuer oder Kinderärztinnen kennen – diese sind im ersten Jahr sehr oft bis fast durchgängig krank, gehen daraus aber eher mit gestärktem Immunsystem hervor! Verglichen mit solchen Expositionen sind ein paar Impfungen tatsächlich zu vernachlässigen. Außerdem gibt es keine verlässlichen Daten, die zeigen, dass Geimpfte generell häufiger von anderen Krankheiten betroffen wären. Und gerade bei der massiven Corona-Impfkampagne, mit inzwischen vielen Zweit- Dritt- und sogar Viertimpfungen müssten wir solche Effekte beobachten können – tun wir aber nicht. Und bevor jemand die heftige RSV-Welle diesen Frühwinter nennt – die ist nur EINE Krankheit und betraf Kinder ohne Coronaimpfungen. Ach ja, und zur Gürtelrose kommen wir später.

Dass Impfungen in der Vergangenheit das Immunsystem „schwächen“, wurde nie belegt

Im Zusammenhang mit dem Training des Immunsystems und insbesondere beim Auftreten neuer Virusvarianten kommt auch zuweilen der Begriff der „Antigenerbsünde“ ins Spiel. Hierbei handelt es sich auch um ein reales Phänomen, nämlich die Beobachtung, dass das Immunsystem bei einem neuen Erreger vor allem gegen bereits aus vorherigen Infektionen bekannte Merkmale reagiert und so eine nicht-optimale Reaktion auf einen Erreger mit einer Mischung aus bekannten und neuen Merkmalen zeigen kann. Tatsächlich spielt das Phänomen aber wohl nur selten eine größere Rolle und wird zudem bei den meisten Coronaimpfstoffen sogar insofern eher positiv genutzt, als diese nur auf dem Spikeprotein aufbauen, das als Oberflächenprotein des Virus schon der beste Ansatzpunkt für Antikörper ist – klassische Totimpfstoffe mit dem kompletten Virus oder solche, die nur auf einzelne Peptide setzen, wären hier eher problematisch! Außerdem zeigen aktuelle Daten, dass selbst gegen die Omikron-Variante – obwohl die ersten beiden Impfungen nur eine verringerte Antikörperbindung erreichen – mit der dritten Impfung eine sehr gute Erkennung erreicht werden kann. Die Antigenerbsünde schlägt also nicht zu!

Wenn also die allgemeinen Immunschwächungsbehauptungen wenig stichhaltig sind, wie sieht es mit den spezifischen Behauptungen zu Coronaimpfstoffen aus?

Und wie sieht es bei Corona-Impfungen aus?

Ein Kronzeugenpaper hierbei ist das Preprint „The BNT162b2 mRNA vaccine against SARS-CoV-2 reprograms both adaptive and innate immune responses“ (Quelle), aber verschiedene Arbeiten mit ähnlichen Ansätzen und Daten werden auch immer wieder angeführt.

Worum geht es?

Die Autoren haben sich die Reaktion verschiedener Signalsubstanzen des Immunsystems (Cytokine) auf verschiedene Reize nach der Impfung angeschaut und finden da Unterschiede. Meist unterhalb eines Faktors 2. Da die Cytokine bei der erlernten und angeborenen Immunantwort eine Rolle spielen und die Reaktionen auch eine gewisse Zeit nach der Impfung noch verändert waren, sprechen sie von einer Umprogrammierung des Immunsystems, die manche Reaktionen verbessern und andere verschlechtern könne und man das im Auge behalten müsse.

Jetzt sind bei dieser Art Studie mehrere Sachen zu beachten: Erst einmal misst man bei solchen Studien IMMER kleine Veränderungen in allen möglichen Parametern und je mehr Parameter betrachtet werden, desto mehr Änderungen findet man. Zum Zweiten ist alles hier Gemessene im Prinzip einfach veränderte Genaktivität und es ist nicht gezeigt, dass diese dauerhaft ist oder gar, dass sie nicht umkehrbar wäre. Solche Studien sind also eher als eine Forschung zum Aufstellen später zu prüfender Hypothesen zu betrachten, denn als „Beweise“ für Effekte, die dann tatsächlich biologisch-medizinische Relevanz haben.

Es steht nichts Neues drin

Abgesehen von diesen allgemeinen Überlegungen erwarten wir aber genau solche Anpassungen des Immunsystems sogar und haben sie bei anderen Impfstoffen auch schon beobachtet – wie auch schon der erste Kommentar unter dem Preprint bemerkt und mit einer Veröffentlichung belegt! Neben der erlernten spezifischen Immunantwort gibt es nämlich auch angeborene Antworten auf verschiedene Erreger, z. B. bei freier RNA eine angepasste Immunantwort zur Virusabwehr (auch darauf kommen wir nochmal!) – wenn also die Coronaimpfung mit RNA neben dem Immungedächtnis gegen das Spikeprotein auch die allgemeine Virusabwehr aktiviert, ist das nicht unerwartet und eventuell kurzfristig sogar als zusätzlicher Schutz von Vorteil.

Es kann dabei sein, dass während der akuten Reaktion die Abwehr gegen nicht-virale Erreger etwas abgeschwächt ist, aber das wäre eher vergleichbar mit einem Sportler, der Fußball trainiert hat und deshalb nicht seine theoretische Bestleistung im Tischtennis, Rudern oder Paartanz abrufen kann. Weder ist er deshalb allgemein unsportlicher, noch unfähig, auf andere Sportarten zu trainieren – wir erinnern uns an das Kita-Beispiel von oben – wir können eben nicht lebenslang nur noch Viren gut abwehren, nur weil wir zuerst einem Virus begegnet sind, sondern unser Immunsystem ist da erstaunlich flexibel.

Allerdings können diese Effekte bedeuten, dass ein akut beschäftigtes Immunsystem einen zusätzlichen andersartigen Erreger etwas schlechter bewältigt. Das macht Superinfektionen gefährlich und ist ein Grund, warum man nicht auf starke akute Erkrankungen impft!

Fälle von Gürtelroseausbrüchen?

Es könnte auch ein Grund für die derzeit gelegentlich berichteten Fälle von Gürtelroseausbrüchen nach Impfungen sein – denn diese gehen auf eine Reaktivierung von Varizella-Zoster-Viren zurück, die von einer früheren Windpockenerkrankung stammen. Allerdings sind das auch schlicht opportunistische Biester, die bei jeder Art Stress aktiv werden können UND es gibt auch Berichte von Ausbrüchen nach Covid und die Kombination beider Erkrankungen erscheint mir besonders unschön. Die gute Nachricht: Man kann heute nicht nur als Kind gegen Windpocken impfen, sondern auch als Erwachsene gegen Gürtelrose! Ob Gürtelrose und Covid oder Impfungen aber wirklich zusammenhängen und wenn ja, wie, ist aber noch so unklar und die Berichte so anekdotisch, dass ich hierzu nichts verlinke, sondern stattdessen lieber auf die Info zum Shinrix-Impfstoff verweise.

Ein Argument für eine allgemeine, dauerhafte Immunschwächung durch Covid-Impfstoffe sind die Berichte ziemlich sicher nicht, insbesondere auch, da sie eben auf eine lang zurückliegende Infektion zurückgehen!

Noch weniger valide sind die Behauptungen, die Impfungen würden gezielt T-Zellen zerstören, tatsächlich handeln die dafür herangezogenen Paper teilweise nicht einmal von T-Zellen! Dafür, dass eine Coronainfektion bestimmte Zellen des Immunsystems (dendritische Zellen) längerfristig schädigen kann, gibt es dagegen validere Hinweise. Und selbst wenn hierbei das Spikeprotein des SARS-CoV-2-Virus eine Rolle spielen sollte, ist dies kein Hinweis darauf, dass eine lokale und kurzzeitige Produktion des Spikes nach Impfung ähnliche oder gar schwerwiegendere Effekte wie eine Covid-19-Erkrankung haben sollte.

Pseudouridin?

Okay, last but not least schauen wir noch die Behauptung an, dass die mRNA in den Impfstoffen gezielt so konstruiert sei, dass sie das Immunsystem inhibiere. Und da wird besonders oft das angeblich „unnatürliche“ Pseudouridin erwähnt. Was stimmt, ist, dass Pseudouridin in unserer körpereigenen mRNA nicht vorkommt. Es kommt aber sehr wohl in anderen körpereigenen RNAs vor, vor allem in der (in Zellen in großen Mengen vorhandenen) tRNA – und diese RNAs werden vom Körper normal abgebaut und auch nicht auf seltsame Weise ins Genom integriert oder Ähnliches. Die Behauptung von Unnatürlichkeit oder unvorhersagbaren Eigenschaften ist also schonmal nicht richtig.

Was macht aber das Pseudouridin in den mRNA-Impfstoffen? Tatsächlich verhindert es eine zu starke Immunreaktion, aber nicht, indem es das Immunsystem inhibiert! Die freie RNA aus dem Impfstoff kann nämlich vom Körper als fremd erkannt werden und dann die oben erwähnte angeborene Virusabwehr anregen – und das ist wohl mit ein Grund, warum wir bei mRNA-Vakzinen keine zusätzlichen Adjuvantien benötigen, um eine starke Immunantwort auszulösen!

Geschieht diese Anregung aber durch die relativ großen Mengen an mRNA zu stark, haben wir zum Einen stärkere entzündliche Nebenwirkungen und zum Anderen wird die Proteinsynthese inhibiert (was als Teil der angeborenen Immunabwehr Virusvermehrung hemmen hilft). Will man also mit mRNA viel Spikeprotein herstellen, um das Immunsystem zu trainieren, ohne den Körper unnötig zu belasten, dann braucht man viel mRNA, die diese Reaktion nur wenig auslöst – und genau das erreicht man durch den Einbau von Pseudouridin (https://www.spektrum.de/news/corona-impfstoffe-warum-curevac-anders-ist/1882984)!

Keine Gefahr, keine Hemmung des Immunsystems

Es geht hier also um das Verhindern einer überschießenden allgemeinen Immunantwort durch die mRNA, nicht um eine Hemmung des ganzen Immunsystems. Und da die mRNA eben immer noch abbaubar ist usw. besteht auch keine reale Gefahr, längerfristig das System zu blockieren – einzig, falls die mRNA mit einem Virus konkurrieren sollte, das gerade dabei ist, die gleichen Zellen zu infizieren, könnte man sich Probleme vorstellen, aber das ist unwahrscheinlich und nur ein weiterer Grund, lieber nicht auf eine akute schwere Erkrankung zu impfen!

Fazit: Impfstoffe schwächen nicht das Immunsystem – sie stärken es (gegen den jeweiligen Erreger)

Fassen wir zusammen: Ja, die Coronaimpfstoffe machen mehr mit dem Immunsystem, als es „nur“ auf das Spikeprotein zu trainieren und ja, manche von den Daten dazu sind nicht direkt verständlich. Aber die Behauptungen, dass sie das Immunsystem schwächen, sind – bis vielleicht auf wenige Spezialaspekte – unzulässige Verallgemeinerungen, Extrapolationen oder schlicht Missverständnisse oder sogar Lügen. Ganz im Gegenteil stärken sie unser Immunsystem hervorragend gegen SARS-CoV-2 und schützen es nebenbei noch vor möglichen Schäden durch eine schwere Erkrankung!

Und natürlich ist in Wirklichkeit alles noch komplizierter, aber am Ende zählen die klinischen Daten und bei der enormen Menge an Impfungen ist es schier unmöglich, dass größere Probleme noch gar nicht aufgefallen wären. Bei den bekannten und auch bei eventuellen kleinen, die wir noch finden, genau hinzuschauen, ist Feinschliff – wünschenswert und wichtig, aber eben weder Grund zur Panik, noch zu wilden Spekulationen. 

Und damit müdes Mäuschen Out 🐭

Artikelautor: Dieser Gastbeitrag wurde von einem von uns verifizierten promovierten Biologen verfasst, der Pseudonym auf Twitter als @BMauschen schreibt. Artikelbild: insta_photos

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