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Ihr Klima-Versager! IPCC-Bericht zeigt: Das 1.5 Grad Ziel steht auf Messers Schneide

von | Aug 9, 2021 | Aktuelles

Ihr Klima-Versager – 1.5 Grad Ziel steht auf Messers Schneide

Als es darum ging, in der Pandemie alte Menschen zu schützen, da berichteten die Medien den ganzen Tag nichts anderes. Jungen Menschen wurde alles abverlangt, sie opferten ihre Bildung, ihre Freizeit, Spaß, alles was Leben ausmacht – um ihre Mitmenschen zu schützen. Wir alle taten unser Bestes. Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit nennt man das, falls dem ein oder anderen diese Begriffe fremd sind. Gerade werden sie von Öffentlichkeit, Medien und Politik verraten. Eben nicht nur von den Menschheitshasser:innen von der AfD. Sondern auch von den angeblich so aufgeklärten und “liberalen” Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Medien. Und jetzt? Das IPCC ist ein internationaler Rat der UNO, wo die besten Wissenschaftler:innen der Welt ihre Erkenntnisse zusammentragen.

Der neue IPCC Bericht wurde heute veröffentlicht. Er zeigt ganz klar unmittelbaren Handlungsbedarf. Selbst im besten Szenario des Reports wird danach bereits in den 2030ern die 1.5 Grad Marke überschritten. Damit werden Ergebnisse aus vergangenen Reports nochmal bestätigt, die bereits ähnliche Daten zeigten (Quelle). Auch die Forderungen von Fridays for Future bereits bis Mitte der 30er Jahre Klimaneutralität zu erreichen, werden davon massiv gestützt. Die damit einhergehenden Extremwetterereignisse sind allerdings bereits unvermeidbar. Mit jeder gesparten Tonne CO2 müssen wir eine deutliche Verschlimmerung verhindern. Danke allen Klima-Versager:innen.

“Viele Veränderungen, die auf vergangene und künftige Treibhausgasemissionen zurückzuführen sind, sind für Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar.”

Wird die Klimaneutralität erst 2050 erreicht, wie aktuell in der EU geplant, kann bis zum Ende des Jahrhunderts ein Wert unter 1.5 Grad nur durch massive teure “negativ-Emissionen” erreicht werden. Damit wird der jungen Generation neben einer stärkeren Erwärmung (Kostenpunkt Flut NRW 15 Mrd €) und zwischenzeitliche Überschreitung der 1.5 Grad Grenze auch noch ein riesiger Haufen riskanter und teurer Verpflichtungen hinterlassen. Je mehr CO2 noch in dieser Hälfte des Jahrhunderts in die Atmosphäre geblasen wird, desto mehr muss später wieder entfernt werden. Wie das gehen soll ist noch vollkommen unklar, skalierbare Technologien existieren nicht (mehr dazu). Scheitert das, könnte sich die Erde unkontrolliert weiter erwärmen. Dann können wir dieses ganze hier ohnehin vergessen. So oder so bürdet man unvorstellbare Kosten und Leid auf junge Generationen auf.

Maximales Medienversagen

Was ist wohl wichtiger: Eine globale Katastrophe, die unsere Zivilisation in unserer jetzigen Form zu zerstören droht? Oder ob Laschet oder Baerbock in einem VERDAMMTEN Sachbuch irgendwelche Sätze stehen haben, die womöglich auch woanders so ähnlich stehen? Dass Laschet nun nach der Flutkatastrophe sagt, dass er seine Klimapolitik nicht ändern wird? Ob jetzt irgendwer den Genderstern benutzt? Oder ob Laschet nun “junge Frau” gesagt hat, oder nicht?

Laschet sagte im Interview nicht „junge Frau“ – Debatte lenkt vom Inhalt ab

Es gäbe so viel journalistisch aufzuarbeiten:

Was ist überhaupt die Klimapolitik von Olaf Scholz? Von welchen CO2-Budgets geht der FDP-Emissionshandel aus? Welche konkreten Maßnahmen fordert “die Linke”, die nicht der Wagenknecht-Flügel sofort wieder kassieren würde? Wie sollen junge Menschen die ganzen “negativen Emissionen” mal bezahlen und gibt es solche Technologien überhaupt? Wann steigt Deutschland aus Öl und Gas aus? Ist die Energiewende mit einem 1000m-Mindestabstand für Windräder überhaupt rechnerisch umsetzbar? Warum sprechen Politiker:innen immer vom 1.5 Grad Ziel, wenn alle ihre vorgeschlagenen Maßnahmen und Ziel-Pfade dieses gar nicht erreichen?

Aus Angst als “Haltungsjournalist” abgestempelt zu werden, sagen viele Journalist:innen einfach gar nichts mehr und fragen nicht kritisch nach – und stützen damit die Haltung der Bremser:innen und Blockierer:innen. Keine Haltung zu einem so wichtigen Thema zu haben, dessen Fakten so klar wie nie zuvor auf dem Tisch liegen, ist eben auch eine Haltung.

In den Online-Ausgaben der großen Zeitungen ist der IPCC-Bericht praktisch nirgendwo an zentraler Stelle. Süddeutsche, ZEIT, FAZ, WELT, t-online haben Stand Montag 18:00 alle andere Aufmacher. Einzig TAZ, Spiegel und Tagesschau räumen dem Thema den oberen Platz ein. Es ist dabei vielleicht DAS wichtigste Thema unserer Zeit. Bleibt das aber auch die nächsten Tage, Wochen, Monate so?

Merkel und Co. werden dafür in die Geschichte eingehen

Als Versager-Politiker:innen. Wir könnten bereits so viel weiter sein. 2007 forderte Söder noch ein Ende des Verbrennungsmotors für 2020. Ungefähr zu dieser Zeit wurde Merkel als Klimakanzlerin gefeiert. Stattdessen wurde die Solarindustrie in Deutschland von schwarz-gelb mutwillig zerstört (Quelle), das gleiche passiert jetzt mit der Windenergie (Quelle). Durch massiven Einfluss der deutschen Regierung wurden auf EU-Ebene Klima-Ziele bei Autos blockiert (Quelle). Die Quittung sehen wir jetzt: Deutschland hängt bei E-Autos hinterher (Quelle, Quelle).

Die Solarzellen kommen aus China und mit dem aktuellen Windausbau-Tempo und Flächeneinschränkungen ist 100% erneuerbare Energie vermutlich niemals zu schaffen (Quelle). Die scheidende Merkel hat nach 16 Jahren CDU-geführten Regierungen selbst festgestellt: „Wenn ich mir die Situation anschaue, kann kein Mensch sagen, dass wir genug getan haben“ (Quelle).

Diesen Politiker:innen ist es zu verdanken, dass das 1.5 Grad Ziel jetzt auf Messers Schneide steht. Es ist eine Sache, internationale Verträge auszuhandeln, wie das Pariser Abkommen, das sicher ein Verdienst ist. Diese Verträge dann im eigenen Land auch umzusetzen ist allerdings viel wichtiger. Immer nur auf “die anderen” zu warten, hat uns in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind. Hinteres Mittelfeld in der EU (Quelle).

Das Problem für viele Politiker:innen ist doch: Selbst wenn ihr jetzt hoch und heilig schwört doch umzusteuern, wieso sollten wir euch auch nur ein Wort glauben? Wir können uns noch mal vier verlorene Jahre einfach nicht leisten, der Kipppunkt ist nicht mehr weit weg. Das ist keine vage Zukunft mehr. Es hat bereits begonnen.

Unwählbar? Parteien müssen sofort ihre Programme nachschärfen

Die aktuellen Klimaziele ALLER deutschen Parteien sind eine Gefahr für das Überleben unserer Zivilisation. Das muss man erstmal so festhalten. FDP will erst 2050 Klimaneutral sein. Fast 20 Jahre zu spät. CDU und SPD wollen erst 2045 Klimaneutral sein. Über ein Jahrzehnt zu spät. Auch die Grünen sprechen “nur” von Klimaneutralität in den nächsten 20 Jahren, also 2040, was ebenfalls zu spät ist. Die Linkspartei fordert 2035 (EDIT 11.08., zuvor stand hier 2040, was falsch ist), aber ihr eigenes Spitzenpersonal bekämpft aktiv einige Maßnahmen, die dieses Ziel erreichbar machen würden. Außerdem müsste man halt auch regieren, um die Maßnahmen umzusetzen und danach sieht es bei den Linken bisher überhaupt nicht aus. Von der Clown-Partei AfD, die vor allem beim Klima in ihrer eigenen Fantasie-Welt lebt (mehr dazu), brauchen wir natürlich gar nicht erst anfangen.

Auch die Grünen, die noch das vielversprechendste Programm in Sachen Klima haben, müssen nachschärfen. Aber es ist doch so einfach: Völlig egal, was man von dieser Partei sonst hält, aus reinem Selbsterhaltungstrieb für sich und seine Kinder haben wir mit ihr noch die besten Chancen bisher bei der Klimakrise. Und das ist ein Armutszeugnis für unsere Demokratie, das man allein danach sein Kreuz machen müsste und nicht danach, ob einem die Partei wirklich gefällt. Und die Grünen werden ja auch nie allein regieren und dann noch mal Kompromisse machen müssen, mit Parteien, die noch weiter hinterherhinken. Die Realität des IPCC-Berichts müssen alle akzeptieren.

Die ignorierten, vernünftigen stimmen in den Parteien

Dabei haben alle Parteien längst die Voraussetzungen, um selbst umzusteuern. In allen Parteien gibt es so viele gute Politiker:innen, die das Problem verstanden haben und Lösungen anbieten. Nur in den Wahlprogrammen liest man dazu – so gut wie gar nichts.

Die Klimaunion ist eine Vereinigung in der CDU, die das Problem voll und ganz verstanden hat. Die Vorsitzende Wiebke Winter unterstützte Röttgen bei der Wahl zum Vorsitzenden. Der hat als einer der wenigen Politiker:innen bereits gestern auf den neuen IPCC-Bericht aufmerksam gemacht. Da merkt man, dass sich jemand auskennt:

Die Klimaunion fordert Deutschland mit Marktmechanismen bis 2030 voll auf erneuerbare Energien umzustellen. Das will sie erreichen, indem sie im Gegensatz zu Laschet nicht auf Quasi-Verbote beim Windkraftausbau (wie in NRW) setzen, sondern beispielsweise Gemeinden an den Gewinnen durch Windkraftwerke in der Nähe beteiligen. Die Unterstützung von Laschet hat die Vereinigung offenbar nicht. Keine ihrer Forderungen findet sich im CDU-Parteiprogramm.

FDP fordert CO2-Budget-Anpassung an IPCC-Budget

Die FDP hat in ihrem Parteiprogramm sogar einen Passus, der eine Anpassung des CO2-Budgets für den Emissionshandel an IPCC-Budgets fordert. Völlig zu Recht: Der Emissionshandel ist ein mächtiges Instrument, um Emissionen zu senken, wenn er auf wissenschaftlichen Füßen steht. Da das IPCC jetzt sogar in den 2030ern von einer Überschreitung des 1.5 Grad Ziels ausgeht, die FDP aber immer noch 2050 in ihrem Wahlprogramm stehen hat, wäre eine solche Anpassung fällig. Noch dazu, wo aktuell alle anderen ernstzunehmenden Parteien steilere Pfade im Programm haben. Schon vor der Wahl das Wahlversprechen von 1.5 Grad zu brechen, kommt meistens nicht gut bei den Wähler:innen an.

Auch die Grünen müssen nachschärfen und ihr Programm in Einklang mit dem 1.5 Grad Ziel bringen. Dafür ist zum einen ein Datum für die Klimaneutralität nötig, welches vor 2040 liegt. Und es müssen verstärkt Maßnahmen für negative Emissionen und ihre Finanzierung vorgeschlagen werden.

In der SPD wird Umweltministerin Schulze oft gelobt. Doch gleichzeitig baut SPD-Ministerpräsidentin Schwesig tatkräftig die Nord-Stream 2 Pipeline, die noch auf Jahrzehnte Gas aus der russischen Oligarchie einkauft, die mit dem Geld dann Novichok, Trollfarmen und Söldner finanziert. Olaf Scholz muss endlich klar machen, wie er die Klimaziele erreichen will. Zuletzt hatte er von der SPD selbst beschlossenen Maßnahmen widersprochen, um Baerbock im Wahlkampf eins reinzuwürgen:

Faktencheck »Klimaheuchler«: Alle demokratischen Parteien werden Spritpreis anheben

Die Linkspartei müsste tatsächlich Regierungsbeteiligung anstreben, um überhaupt wählbar zu sein. Für Protestwählen ist die Zeit einfach zu knapp. Joe Biden zieht gerade überall auf der Welt Truppen ab – mit allen Konsequenzen, die das zum Beispiel in Afghanistan hat – und erfüllt damit Kernforderungen der Linkspartei. Die Ablehnung der NATO unter diesen Voraussetzungen über wirksamen Klimaschutz zu stellen ist für alle vernunftbegabten Menschen nicht nachvollziehbar.

Fridays For Future hatte Recht

Der neue IPCC-Bericht zeigt: Es haben einfach alle bisher versagt. Es ist alles schlimmer als die Politiker:innen der letzten Jahre das wahrhaben wollen, und wir wissen das mit sehr hoher Sicherheit. Deutschland muss dringend aus seinem Tiefschlaf der Klimapolitik aufwachen und sein Gewicht auf der Welt dafür einsetzen, dass die anderen nachziehen. Wir haben nur noch wenige Jahre Zeit. Und die bald gewählte Regierung – das wissen wir beim Blick auf die Parteiprogramme jetzt bereits – wird garantiert wieder zu wenig machen. Je länger wir unsere Verpflichtung verpassen, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, desto drastischer müssen die Maßnahmen werden. Und da müssen alle Parteien mehr liefern.

Artikelbild: Felix Busse

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