Am 16. September 2022 ist Mahsa Amini in einem iranischen Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen, nachdem sie wegen eines locker sitzenden Kopftuchs von der Sittenpolizei verhaftet und gefoltert wurde (Quelle). Seither besetzen Protestierende die Straßen, mutige Frauen nehmen als Zeichen gegen die Unterdrückung das Kopftuch ab und schneiden sich die Haare ab. Im Rahmen der Proteste gab es weitere Tote, Präsident Ebrahim Raisi möchte noch härter durchgreifen (Quelle). Weltweit solidarisieren sich Menschen mit den Frauen im Iran, ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit – und die rechtsextreme AfD hat nichts Besseres zu tun, als den Kampf der Iraner:innen für ihren antimuslimischen Rassismus zu instrumentalisieren. Deutsche Anti-Rassist:innen kämpfen für die Freiheit der Frau, selbst zu entscheiden, was sie tragen, die AfD verdreht diese Position bewusst, um ihren Hass zu kaschieren.
AfD packt Narrativ der eingewanderten Misogynie aus
So schreibt Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion am 22. September auf Twitter: „Im #Iran sind Menschen bereit, für ihre #Freiheit zu sterben. Hierzulande wird die importierte Frauenverachtung als ‚Kulturbereicherung‘ gefördert und das Mullah-Regime als Partner betrachtet, dem man auch mal Glückwunsch-Telegramme schickt. #MahsaAmini“
AfD-Politiker Georg Pazderski quittiert derweil ein Video der Proteste mit dem Tweet: „Das Kopftuch ist sichtbares Symbol islamischer Frauenunterdrückung. Im Iran legen Frauen unter Lebensgefahr ihr Kopftuch ab und in [Deutschland] feiert die Grün-Linke Schickeria das Kopftuch als angebliches Zeichen der Emanzipation. Was geht nur in deren Köpfen vor?“
Die AfD ist definitiv keine Partei, die für Frauenrechte eintritt, sondern ganz im Gegenteil, wie wir schon analysierten.
Auch über die AfD hinaus schlägt das Thema große Wellen. Twitter-User echauffieren sich über einen Videoclip von Funk, in dem Frauen über ihren Hijab sprechen. Die Zeitschrift Cicero, der nicht nur die taz einen “Rechtsruck” attestierte, bringt online einen Beitrag über die vermeintliche Verharmlosung des Kopftuchs in westlichen Gesellschaften. BILD gibt derweil Autorin Birgit Kelle eine Bühne, die ein Kopftuch-Verbot für Schulen und Verwaltung fordert.
Der rechtspopulistische FDP-Politiker Gerhard Papke schließt sich der Instrumentalisierung des Themas an. „Im #Iran verbrennen Tausende mutige Frauen ihre Kopftücher als Zeichen ihres Freiheitskampfes! Und in Deutschland will man uns ernsthaft erzählen, das #Kopftuch sei ein ganz normales Zeichen religiöser Selbstbestimmung?“, schreibt er auf Twitter.
Es geht um den Zwang, nicht ums Kopftuch
Das verzerrte Narrativ des ‚eingewanderten Frauenhasses‘ ist hinlänglich bekannt und bereits seit 2015 ein beliebtes Mittel der AfD, um undifferenziert Hass und Ablehnung zu schüren. Die Sorge um Frauen zählt jedoch trotz des Framings höchstens sekundär, primär geht es um die Verunglimpfung der islamischen Religion und (geflüchteter) Muslime. Im Fall der feministischen Proteste im Iran wiegt die Skrupellosigkeit und Konfusion dieses Unterfangens besonders schwer. Während in jenem Staat tatsächlich Menschen im Rahmen der Proteste sterben, wiegen Politiker:innen wie Alice Weidel die körperliche Autonomie der Frauen im Iran gegen die der Frauen in Deutschland auf. Statt mit ihren Aussagen irgendwem zu helfen, stützt die AfD lediglich eine andere Art der Unterdrückung – die deutscher Muslime, ob mit oder ohne Kopftuch.
Was Alice Weidel und Konsorten einfach nicht verstehen wollen: Die Unterdrückung von Frauen beginnt dort, wo ihre körperliche Autonomie endet. Die Kopftuchpflicht ist lediglich ein Instrument und Symptom der Unterdrückung – darüber hinaus dürfen Iranerinnen bereits im Alter von 13 Jahren verheiratet werden, ihre Kinder nur temporär behalten und sich nur mit dem Einverständnis ihres Ehemannes von diesem trennen (Quelle). Denn im Grunde geht es gar nicht ums Kopftuch. Den Feministinnen hier in Deutschland und überall weltweit geht es darum, frei wählen zu dürfen. Ihnen steht körperliche Autonomie zu, ob sie diese nun nutzen, um ein Hijab zu tragen, sich eine Glatze zu rasieren oder eine neue Frisur zu präsentieren.
Einige Twitter-User räumen mit Islamfeindlichkeit auf
Im Gegensatz zu Weidel, Papke und Pazderski hat das ein Großteil der an der Debatte Teilnehmenden auch kapiert. Hochschulpfarrer und Autor Burkhard Hose erkennt auf Twitter folgerichtig: „Männern, die sich jetzt eifrig mit Frauen im #Iran solidarisieren, gleichzeitig in Deutschland vorschreiben wollen, dass Frauen kein Kopftuch tragen dürfen, geht es nicht um Frauenrechte, sondern um die Propagierung ihrer eigenen #Islamfeindlichkeit.“
SPD-Politikerin Sawsan Chebli fasst zusammen: „Ob ich jetzt gegen das Kopftuch sei, fragen mich einige, weil ich Frauen im Iran unterstütze, die dagegen demonstrieren, die sich aus Protest die Haare abschneiden oder das Tuch verbrennen. Bin nicht gegen Kopftuch, ich bin dagegen, dass Frauen gezwungen werden, es zu tragen.“ Ein User antwortet daraufhin: „Eigentlich kein schweres Konzept. Es geht um die Freiheit von Frauen, ihr Leben so zu leben, wie sie wollen. Egal, ob es um den Kampf gegen den Kopftuchzwang im Iran geht oder um den Einsatz für berufliche und soziale Chancengleichheit von Frauen mit Kopftuch hierzulande.“
Im Übrigen dürften es definitiv nicht die Anhängerschaft der Rechtsextremen sein, die auf deutschen Straßen zu zehntausenden aus Solidarität mit den Frauen im Iran protestiert (Quelle). Der Heuchelei-Vorwurf soll lediglich von der eigenen Bigotterie ablenken.
Artikelbild: Carola Große-Wilde/dpa