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Nein, nicht jeder dritte Mann findet wohl Gewalt gegen Frauen gut – Studie zweifelhaft

von | Jun 19, 2023 | Aktuelles

In den letzten Tagen ging eine Umfrage zum Thema ‚Männlichkeit‘ durch die sozialen Medien. Darin hieß es, dass jeder dritte Mann Gewalt gegen Frauen gutheißen würde. Was auf den ersten Blick nachvollziehbar einfach nur fassungslos macht, löst auf den zweiten Blick aber ein Stirnrunzeln aus. Denn die Methodik hinter den Ergebnissen ist ziemlich schwammig. Deswegen wird die Umfrage in diesem Artikel einmal ganz genau unter die Lupe genommen und untersucht, wie repräsentativ die Ergebnisse überhaupt sein können.

Die Umfrage Spannungsfeld Männlichkeit

Die Umfrage, von der alle reden, heißt „Spannungsfeld Männlichkeit“ und wurde von der NGO Plan International veröffentlicht. Befragt wurden dabei über zwei Wochen per standardisiertem Online-Fragebogen 1000 Frauen und 1000 Männer zwischen 18 und 35 Jahren. Zusätzlich wurde darauf geachtet, dass Menschen mit verschiedenen Bildungshintergründen (Ohne Abschluss bis Realschulabschluss und Abitur bis Hochschulabschluss), sowie aus verschiedenen Regionen (Nord, Ost, Süd, West) befragt wurden. Bei der Befragung wurde dann untersucht, wie Männlichkeit im Alltag gelebt wird. Dafür wurden die Männer direkt zu ihrem Verhalten befragt, die Frauen hingegen wurden zu ihrer Vorstellung nach Männlichkeit befragt. Befragten Personen, die sich als divers identifizieren, wurde der Fragebogen für Frauen gegeben.

Grundsätzlich klingt das ja alles erstmal nicht schlecht. Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf, dass die Durchführung der Umfrage ziemlich intransparent und inkonsequent abgelaufen ist.

Fehlende Transparenz bei den gestellten Fragen

Schaut man sich die veröffentlichten Informationen und Rahmenbedingungen zur Umfrage einmal genau an, fallen viele Unklarheiten dazu auf. Das beginnt zum Beispiel damit, dass die Fragebögen, die die Teilnehmer:innen der Umfrage beantworten mussten, nicht einsehbar sind. Das kritisierte beispielsweise DiePresse.

Dementsprechend ist auch unklar, welche Fragen überhaupt gestellt wurden und – was vielleicht sogar noch wichtiger ist – wie diese formuliert wurden! Denn schon über die Formulierung einer Frage kann man eine bestimmte Antwort „erzwingen“, beziehungsweise sie sich so zurechtbiegen, dass sie zu einer möglicherweise vorher festgelegten These passt. Das nennt man dann Suggestivfrage. Die Journalistin Saskia Gerhard sagt dazu:

„Werden in Studien Suggestivfragen gestellt, muss man damit rechnen, dass die oder der Befragte die Frage nicht nach der eigenen Meinung beantwortet. Am Ende führt das zu verzerrten Ergebnissen, die nicht die Realität abbilden.“

Inkonsequenz bei der Kategorisierung und Wertung der Teilnehmenden

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Anzahl der befragten Personen. Öffentlich heißt es, dass insgesamt 2000 Menschen an der Umfrage teilgenommen haben. Davon seien 1000 Männer und 1000 Frauen gewesen. Nun wurde durch die Langversion der Umfrage jedoch bekannt, dass nicht alle der befragten Personen auch einen vollständig ausgefüllten Fragebogen abgegeben hat. Insgesamt wurden 104 Fragebögen nicht in den Gesamtergebnissen berücksichtigt. Final gewertet wurden deshalb nur die Antworten von 949 Frauen und 947 Männern. Innerhalb dieser Männergruppe gab es außerdem noch die Kategorien homo- und heterosexuell.

Männer, die als Sexualität homosexuell angaben, erhielten Fragen zu männlichen Partnern. Nur heterosexuelle Männer haben also überhaupt Fragen bezüglich Gewaltbereitschaft gegen Frauen bekommen. Komplett ignoriert wurden übrigens Männer, die sich beispielsweise als bi- oder pansexuell identifizieren, wie es t-online auffiel. Ob diese bereits vor der Beantwortung der Fragen aussortiert oder einfach in die Kategorie hetero- oder homosexuell gezählt wurden, ist jedoch nicht bekannt. Wie man also merkt, ist auf den zweiten Blick gar nicht so eindeutig, wie viele Männer nun tatsächlich welche Fragen beantwortet haben und worauf sich dementsprechend das „eine Drittel“ von dem alle reden, bezieht.

Fragwürdige Vorbilder

Zusätzlich kann durch die abgefragten Vorbilder ein Rückschluss auf die Befragten gezogen werden. Und das sieht nicht gut aus: Die drei am häufigsten als Vorbild betitelten Personen waren bei den Männern Cristiano Ronaldo, Elon Musk und Andrew Tate. Hier ist unklar, ob die Antworten nur von den heterosexuellen oder von den hetero- und homosexuellen Männern gegeben wurden. Zwei der drei genannten Herren fallen übrigens mit rechtsradikalen Verschwörungsmythen respektive radikalem Frauenhass negativ auf. Das könnte ein Hinweis auf eine Voreingenommenheit der Befragten sein.

Dementsprechend muss auch die Repräsentativität der Umfrage dringend hinterfragt werden. Denn wenn man beispielsweise Anhänger der Fangemeinde von Andrew Tate befragt, darf man sich nicht wundern, wenn sich davon etliche für Gewalt gegen Frauen aussprechen. Das spricht aber dann keinesfalls für die Mehrheit der Männer!

Gewalt durch Männer ist trotzdem ein aktuelles Thema!

Trotzdem deuten die Ergebnisse natürlich auf ein Problem hin, was auch in anderen Studien hervorgehoben wird: Geschlechtsspezifische Gewalt gehört für viele Frauen zu Alltag. Gewalt gegen trans* und cis* Frauen ist nämlich eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen, die tagtäglich weltweit passieren. Laut einer österreichischen Studie von 2021 ist beispielsweise jede vierte Frau und jedes fünfte Kind von Gewalt betroffen. Laut deutschen Zahlen sei sogar jede dritte Frau weltweit mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen!

Das ist aber noch nicht alles: 2017 wurden weltweit mehr als 50.000 Frauen von ihren (Ex-)Partnern oder einem Familienmitglied aufgrund ihres Geschlechts getötet. Fast jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. 2021 waren es 113 Frauen.  

Diese Zahlen zeigen, dass von Männern ausgehende Gewalt gegen Frauen noch immer ein sehr relevantes Thema ist. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass die oben vorgestellten Umfrageergebnisse so durch die Decke gingen. Trotzdem ist es immer wichtig, neue – und besonders so brisante – Informationen zu hinterfragen und gegebene Fakten zu checken, selbst wenn sie eigentlich die eigene Position stärken. Denn natürlich ist es erschreckend, wenn von 1.000 befragten Männern auf den ersten Blick über ein Drittel Gewalt an Frauen gutheißen oder sogar selber ausüben. Das darf aber nicht einfach verallgemeinert werden, wenn die Methodik, mit der diese Daten gesammelt wurden, nicht schlüssig ist.

Umfrage darf einfach nicht als repräsentativ verstanden werden

Und um nun noch einmal abschließend etwas klarzustellen: Es soll in diesem Beitrag nicht darum gehen, infrage zu stellen, dass am häufigsten Männer Gewalttaten gegen Frauen ausüben und damit zum Täter werden. Das ist schließlich durch obige Quellen und viele weitere eindeutig belegbar. Es wird außerdem nicht angezweifelt, dass offensichtlich einige Männer in der Umfrage angegeben haben, sie würden Gewalt gegen Frauen gutheißen. Es geht lediglich darum, dass eine so offensichtlich unwissenschaftliche Befragung nicht verwendet werden darf, um von wenigen hundert auf alle Männer zu schließen. Die Repräsentationsfähigkeit hat die Umfrage nämlich durch ihre fehlende Transparenz und mangelhafte Methodik verloren.

Darüber, wie ausgerechnet schlechte Studien mehr Reichweite bekommen, haben wir hier schon mal geschrieben:

Artikelbild: canva.com