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REWE beendet DFB-Kooperation: Nur Marketing oder gute Geste?

von | Nov 22, 2022 | Aktuelles

Kommentar

Hier soll es mal nicht so sehr um Fakten oder deren Checks gehen, sondern eine schwierige Einordnung einer aktuellen Debatte. Okay, dabei sind Fakten durchaus relevant, denn sie sind es, die eine Bewertung ermöglichen. Und ich finde, für Menschenrechte einzustehen, ist die logische Konsequenz aus den Fakten, aber das ist ein großes Fass. Ich versuche mal eine differenzierte Einstellung, die bei 280-Zeichen leider viel zu oft untergeht in der Themenfrage Katar, REWE und dem DFB.

Hintergrund: Die OneLove Armbinde

Kurz zur Auffrischung: Die FIFA mag sich gewünscht haben, dass die ganze berechtigte Kritik an der WM in Katar mit dem Anpfiff des ersten Spiels vorbei ist – doch das ist sie nicht. Das Turnier ist nie unpolitisch gewesen, mit dem Verbot der OneLove Armbinde und dem Einknicken des DFB wird sich das nicht ändern. Besonders peinlich für den bis gerade noch ach so mutigen DFB: Die Mannschaft aus dem Iran hat als Zeichen des Protests gegen die brutale Unterdrückung der Revolution durch das Regime das Singen der Hymne verweigert.

Die Spieler riskier(t)en Repressionen gegen sich und ihre Familie, doch setzen ein wichtiges Zeichen. Gleichzeitig schreckt der DFB davor zurück, Manuel Neuer die OneLove-Binde (, die an sich schon statt der eigentlichen Regenbogenflagge ein zurecht kritisierter Kompromiss war!) statt der Kapitänsbinde tragen zu lassen. Der angegebene Grund: Die FIFA erpresse sie mit einer gelben Karte.

Dass die WM nicht nach Katar gehört, müssen wir wahrscheinlich niemandem mehr erklären. Doch die Enttäuschung über das Einknicken war bei allen gleichermaßen groß.

Rewe beendet jetzt Kooperation vorzeitig

Okay, jetzt hat REWE einen Stunt geliefert: „Nach den aktuellen Entscheidungen der Fifa sowie den Aussagen von Fifa-Präsident Infantino sieht sich das Unternehmen aufgefordert, sich in aller Deutlichkeit von der Haltung der Fifa zu distanzieren und auf seine Werberechte aus dem Vertrag mit dem DFB – insbesondere im Kontext der Weltmeisterschaft – zu verzichten“, teilte REWE jetzt mit.

Die Kooperation wäre ohnehin zeitnah ausgelaufen, allerdings erst im Dezember. Das wird jetzt wegen der OneLove-Binde-Debatte vorgezogen. Das heißt: keine TV-Spots mehr, aber auch das Sammelsticker-Album wird beendet. Das wird jetzt kostenlos auf REWE-Kosten verteilt und die Einnahmen werden gespendet, sagt REWE.

„Die skandalöse Haltung der Fifa ist für mich als CEO eines vielfältigen Unternehmens und als Fußballfan absolut nicht akzeptabel“, sagte der REWE-Chef Souque.

Viel Applaus – und auch (verkürzte) Kritik

Das… ist doch gut, oder? Findet ihr nicht? Ich fand es schon gut. Ich habe es heute u.a. auf Twitter gelobt. Denn: Immerhin ein Zeichen, das DFB und FIFA nicht hingekriegt haben.

Und es gab viel Applaus, viele finden das sehr gut. Versteht mich nicht falsch. Aber ich habe auch einiges an Kritik gehört, die ich nachvollziehen kann, die mir jedoch teilweise verkürzt ist. „Sie wollten die Zusammenarbeit ohnehin beenden, also war es nur ein billiger Marketing-Stunt“, habe ich öfter gelesen. Sogar, dass ich mich jetzt an „Kapitalistischer Propaganda“ beteilige. Okay. Ja, REWE hat das gemacht für die PR. Und ich hab es mit verbreitet.

Dürfen Unternehmen das „richtige“ tun?

Komme mir komisch vor, jetzt ein wenig REWE in Schutz zu nehmen, aber dass sie das Ende der Zusammenarbeit mit dem DFB vorgezogen haben, macht ihr Zeichen ja nicht nur zu „billigem Marketing“, oder? Sie stellen auch das Sammelheft ein und spenden alle Einnahmen. Und ja, natürlich ist es PR und Marketing. Und die Einnahmeausfälle machen sie jetzt durch das positive Image vielleicht wieder wett. Das ist wahrscheinlich (auch) die Kalkulation. (Obwohl es Ausfälle im siebenstelligen Bereich sein sollen!)

Aber… ist das „Richtige“ (Nennen wir es mal so) tun deswegen falsch? Ihr habt Recht, dass REWE als Unternehmen zuerst auf Profit schaut. Gefällt mir auch nicht, aber es ist halt auch ein Unternehmen. Daran kann ich jetzt auch fundamental nichts ändern. Aber es ist doch immerhin eins, das mal eine gute Geste macht. Wie viele machen nicht mal das? Das mal zu loben ist doch nicht gleich „kapitalistische Propaganda“. Ist euch etwa lieber, sie hätten nichts gemacht? Weiter Geld gemacht mit der FIFA und mit Katar? Das ist doch auch nicht das, was wir wollen.

Und ja, es gibt so unglaublich viel Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt für Profit. So viele, die wegschauen. So viele, die faule Kompromisse eingehen. Wir diskutieren doch buchstäblich über die FIFA und die ganze Farce der WM. Und die kleine Geste von REWE, die zumindest jetzt ihren kleinen Beitrag zu diesem korrupten System marginal verbessern wird nicht unser System retten. Im Gegenteil, REWE ist auch Teil dieses Systems, definitiv. Aber ist es deswegen verwerflich, diese eine Sache zu loben?

Ist marketing immer verwerflich?

Uah, und ich weiß, wie seltsam es ist, dass ich hier gerade die Marketing-Aktion eines profitorientierten Unternehmens wie REWE irgendwie verteidige. Ich komme mir sehr komisch vor dabei. Aber wir wollen die Welt doch alle irgendwie besser machen, oder? Ist es zynisch ausschließlich von Profit-Motiven auszugehen? Ich finde, wir dürfen Dinge auch mal differenziert bewerten. Denn ja: das Problem ist ja, dass Profite das Wichtigste sind. Weil viel zu viele die Profite über Menschenrechte, Tiere und Umwelt stellen.

Und ja, dass ein Unternehmen für Profit mal das RICHTIGE tut, ist definitiv nicht die Lösung. Und auch nicht mehr als eine Geste. Ich finde, das darf ich doch aber auch wissen, kommunizieren und … trotzdem loben? Ich finde, das „Richtige“ für Profit zu tun ist immerhin besser als das Falsche tun. Und wenn ich beides kritisiere, haben Unternehmen wenig Anreiz, das „Richtige“ zu tun, wenn das andere mehr Geld verspricht. Wir können unser System nicht von heute auf morgen verbessern. Das macht REWE nicht und das macht niemand, der das jetzt gut findet. Ich finde aber, wir dürfen kleine, positive Gesten auch loben. Es ist schließlich buchstäblich das, was wir von unseren Herren aus der Fußballnationalmannschaft vermissen. Also Marketing oder gute Geste? Warum nicht beides?

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Artikelbild: Rolf Vennenbernd/dpa