In der deutschen Öffentlichkeit wurde lange von einem berechtigten Sicherheitsinteresse Russlands gesprochen. Ein Blick in das russische Staatsfernsehen zeigt, wie weit entfernt man dort von Argumenten und Politik ist. Hier wird in den wildesten Tönen über die Vernichtung der Ukraine und ihrer Bewohner:innen fabuliert, die Gewalt gegen die Bevölkerung legitimiert, krude Theorien über den Krieg und den Westen gesponnen. Dämonisierung und Entmenschlichung sind an der Tagesordnung, sogar der Antichrist kommt ins Spiel. Dieser Artikel will einen Blick wagen auf die russische Medienlandschaft im Krieg gegen die Ukraine und die Sprache der Propaganda und Gewaltlegitimierung.
Die russische Medienlandschaft
Russland ist in Sachen Pressefreiheit laut Reporter ohne Grenzen auf Platz 155 von 180 (Quelle). Von der in der Verfassung garantierten Pressefreiheit kann also keine Rede mehr sein. Das Fernsehen als wichtigste Nachrichtenquelle ist fest in staatlicher Hand. Mit Beginn des Angriffskrieges hat sich die Situation weiter verschlechtert. Die letzten wenigen regierungskritischen und ausländischen Plattformen wie etwa die Zeitung Nowaja Gaseta und die Deutsche Welle mussten ihre Arbeit massiv einschränken. Gerade eben erst wurde Nowaja Gaseta von einem Moskauer Gericht die Drucklizenz entzogen (Quelle). Online-Plattformen und Social Media Kanäle sind gesperrt, die russischen Alternativen sind voller Propaganda und geben Informationen über Verfasser:innen kritischer Inhalte an Strafverfolgungsbehörden weiter (Quelle).
Die drei größten russischen TV-Sender sind seit Kriegsbeginn zu zentralen Propagandamaschinen geworden. Das Unterhaltungsprogramm wurde stark eingeschränkt und durch verschiedene Talk- und Nachrichtenformate ersetzt, in denen nun Rund um die Uhr die Perspektive der russischen Regierung auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine (der natürlich nur als ‘Spezialoperation’ bezeichnet wird) dargestellt wird.
Viele Journalist:innen, die nicht der staatlichen Propaganda folgen wollten, flohen ins Ausland und versuchen von dort ihre Arbeit weiterzumachen und über die Situation im Land aufzuklären. Die im Exil arbeitende Redaktion des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doschd etwa hat zusammen mit Arte eine kleine Miniserie zu russischer Propaganda im Staatsfernsehen aufgenommen:
Einige Journalist:innen machen sich die Mühe, russisches Staatsfernsehen zu schauen und Ausschnitte davon zu übersetzen. Ihre Arbeit dient diesem Artikel als Grundlage, um einen genaueren Blick auf die Sprache im Talkshows des russischen Staatsfernsehens zu werfen.
Die Vernichtung der Ukraine
Eine der Hauptprotagonistinnen in Sachen Polit-Talk und Hetze ist Olga Skabejewa, Moderatorin beim staatlichen Fernsehsender Rossiya-1. Schon im Oktober 2019 erklärte sie, dass Russland den Bau der Gaspipeline North Stream 2 fertigstellen werde “und danach werden wir die Ukraine vernichten!”.
Die Vernichtung der Ukraine als Ziel ist ein oft wiederholtes Narrativ im Staatsfernsehen.
Hier sagt etwa Andrey Karapolov, der Vorsitzende des Ausschusses für Verteidigung der Duma, dass es keinen Frieden zu den Konditionen der Ukraine geben werde. Viel mehr werde es eine bedingungslose Kapitulation geben:
Der Politikwissenschaftler Mikhail Markelov geht in einer Sendung bei Olga Skabejewa noch weiter. Er erklärt, man müsse ernsthaft über die Liquidierung der angeblichen Naziregierung nachdenken. Dabei gehe es nicht nur um Präsident Zelensky und das Parlament, sondern um die ganze Regierung. Die Moderatorin Skabejewa setzt dann noch eins drauf: Wenn die Amerikaner Raketen mit größerer Reichweite liefern, dann könne Russland schlicht nicht aufhören. “Wir werden bis nach Warschau gehen” droht sie.
“Krebs” und “Würmer” im Staatfernsehen
In den Metaphern, die für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verwendet werden, kommt die ganze Entmenschlichung zum Ausdruck. Starmoderator des Sonntag-Abend-Talks auf dem staatlichen russischen TV-Kanal Russia-1, Vladimir Sovovyov, erklärt etwa:
“Wenn ein Arzt eine Katze entwurmt, dann ist das für den Arzt eine Spezial-Operation. Für den Wurm ist es Krieg. Und für die Katze ist es eine Säuberung.”
Er reagiert damit auf die Aussage von Margarita Simonyan, Chefredakteurin des staatlichen Medienunternehmens Rossija Sewodnja. Simonyan hatte in der Talkshow verkündet, dass es in Zukunft keine Ukraine, wie man sie gekannt habe, mehr geben werde. Das von ihr geleitete Medienunternehmen hat die Aufgabe, russische Propaganda an eine ausländische Zielgruppe zu vermitteln (Quelle).
Ein ähnlich drastisches und entmenschlichendes Bild wählt Vasily Fatigarov, ein als Militärexperte geladener Gast in einer anderen Sendung im Staatsfernsehen. Er vergleicht darin die angeblich Faschistisierung der Ukraine mit einem Krebs-Tumor. Russland arbeite als Chirurgen, die den Tumor rausschneiden. Chirurgen müssten, so erklärt er, auch einen Teil des gesunden Gewebes herausschneiden, sodass nichts übrig bleibe und weiter wachsen könne. “Deswegen werden wir das Territorium sehr präzise und gründlich reinigen, um sicherzustellen, dass diese faschistische Infektion nicht woanders weiter wächst”
Sprache und Gewalt
Der Vergleich von Menschengruppen mit Ungeziefer oder Krankheiten dient dazu, eine Gruppe als absolutes Böses zu brandmarken. Es ist ein klassisches sprachliches Mittel, mit dem Gewalt gerechtfertigt werden soll. Denn mit Ungeziefer oder Krankheiten kann man nicht verhandeln. Es hilft nicht, einen Schritt auf diese Gruppe zuzumachen, und es gibt keine Ausnahmen. Einzig die vollständige Ausrottung verspricht, das Problem zu lösen. Alle Gewalt, die dafür nötig ist, ist legitim.
Eine entmenschlichende Sprache mit starken Feindbildern ist ein wesentliches Merkmal von Gewaltkonflikten. Die Art, wie über die gegnerische Seite gesprochen wird, kann Hinweise auf das Eskalationsniveau eines Konflikts geben. Eine differenzierte Auseinandersetzung unterscheidet etwa zwischen verschiedenen Mitgliedern der gegnerischen Gruppe und ist in der Lage, die eigene Rolle im Konflikt angemessen zu bewerten. In einem gefestigten Feindbild ist dafür kein Raum mehr. Die gegnerische Gruppe wird absolut negativ, hinterhältig, böswillig bewertet. Es wird nicht mehr zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern und ihrer Rolle unterschieden.
Die ganze Gruppe ist so böse, dass sie keine Menschen mehr sind und entsprechend auch Empathie mit ihnen völlig fehlt am Platz. Dadurch wird das Antun von Gewalt moralisch unproblematisch oder gar geboten. Die Schuld für die Konfliktsituation wird allein der anderen Seite zugesprochen. Entsprechend wird der Konflikt auch als Nullsummenspiel wahrgenommen: Es gibt kein gemeinsames Interesse mehr, nur noch eigenen Nutzen und Schaden für den Feind.
Feindbilder im Staatsfernsehen
Diese Art von sprachlichen Figuren finden sich in allen Kontexten, in denen es zu exzessiver Gewalt gegen eine bestimmte Gruppe kommt. Sie legitimieren Gewalt gegen die Gruppe als Ganze, gegen jedes noch so junge Kind oder jeden alten Menschen. Es geht nicht mehr darum, einen bewaffneten Feind zu bekämpfen, sondern eine Gruppe als solche auszulöschen. Sie zielt also auf einen Genozid ab, auf die Auslöschung einer Gruppe als solche (Quelle). Sprachliche Mittel, die in dieser Form eine angebliche Gefahr durch jedes einzelne Mitglied einer Gruppe behaupten, können deswegen als genozidale Rhetorik bezeichnet werden.
Von Metaphern und Bildern dieser Art, die dazu dienen, Mitgefühl und Respekt gegenüber Menschen zu vernichten und sie stattdessen als unmenschlich darzustellen, gibt es zahlreiche. Bezeichnungen als Ungeziefer wurden etwa im Nationalsozialismus gegenüber Jüdinnen und Juden verwendet, im Völkermord in Ruanda war die Benennung von Tutsi als Kakerlaken weit verbreitet. Viele weitere sprachliche Elemente kommen in Hassreden gegen bestimmte Gruppen vor. Zum Beispiel wird einer Gruppe die eigene Geschichte abgesprochen. Dieses Mittel ist vor allem im Kontext kolonialer Gewalt weit verbreitet. Die Gruppe wird als schon immer böse gekennzeichnet, wie zum Beispiel im christlichen Antisemitismus durch das Narrativ des Gottesmordes. Eine Gruppe wird als weniger zivilisiert und minderwertig dargestellt, wie zum Beispiel im klassische Rassismus, der zur Rechtfertigung kolonialer Gewalt diente. Oder als krank, wie etwa in der Rechtfertigung von Gewalt gegen behinderte Menschen und Menschen, die nicht der binären, heterosexuellen Norm entsprechen.
Aber zurück zum russischen Propaganda-Fernsehen.
Die satanistischen Werte des Westens
Das Feindbild, das Moderator:innen und Talkshowgäste im Staatsfernsehen aufzeigen, geht weit über die Ukraine hinaus und umfasst “den Westen” und die “westliche Werte”.
Auf der einen Seite steht Russland unter der Führung Putins, als starke Nation, in der die wahren Werte hochgehalten werden. (Ein schönes Beispiel für das Selbstbild dieses Russlands ist das Video “Time to move to Russia”, das unter anderem von der russischen Botschaft in Spanien auf Twitter gepostet wurde). Als feindliches Gegenüber wird der Westen behauptet, in dem ein völliger Werteverfall stattfinde. Homophobie und Queerfeindlichkeit spielen in diesem Narrativ des Verfalls eine tragende Rolle. In einer Talkshow behauptet Olga Skabeyeva etwa, man müsse nur abwarten, Amerika und der Westen würde aufhören zu existieren, weil die LGBT-Community immer größer werde.
Verteufelung freiheitlicher und selbstbestimmter Sexualität und Geschlechtsidentität
Die Verteufelung freiheitlicher und selbstbestimmter Sexualität und Geschlechtsidentität wird von der russisch-orthodoxen Kirche massiv befeuert und dient auch zum Schulterschluss mit zum Teil islamistischen Kräften. Apti Alaudinov, der Kommandeur der für Russland kämpfenden tschetschenischen Streitkräfte etwa, erklärt in einer ausführlichen Rede in der Talkshow bei Olga Skabeyeva, dass es sich bei dem Krieg um den Heiligen Krieg gegen den Antichrist handle. Das stehe schon in den heiligen Schriften der Abrahamitischen Religionen, also dem Christentum, Judentum und Islam. Er danke Gott dafür, in Russland unter Putin zu leben, weil dieser als einziger die wahren, natürlichen Werte verteidige. “Wir sind nicht unter der LGBT-Flagge und solange er [Putin] lebt werden wir das auch nicht sein”. Der Westen dagegen müsse jetzt frieren, weil es kein Gas gibt, und am Tag des jüngsten Gerichts in der Hölle braten, weil die Menschen sich von Gott abgewandt haben.
Diese Queerfeindlichkeit mit Bezug auf angeblich natürliche, gottgewollte Werte erinnert stark an die Rhetorik christlich-religiöser Kräfte in den USA, und das ist kein Zufall. Tatsächlich bestehen enge Verbindungen zwischen Trump-nahen ultrakonservativen Organisationen und Putin beziehungsweise der russisch-orthodoxen Kirche (Quelle).
Die Rolle von Propaganda im Krieg
Ideologie und Propaganda, die eine entmenschlichende Sprache anwenden und damit die Gewalt gegen eine Gruppe rechtfertigen und befeuern, findet sich in allen Fällen von genozidaler und exzessiver Gewalt. Propaganda und Ideologie schaffen ein Klima, in dem die Gewalt sehr viel wahrscheinlicher, naheliegender und leichter zu begründen wird – und entsprechend auch viel öfter stattfindet. Der Weg in eine friedlichere Zukunft, in der die Interessen beider Seiten gewahrt werden können, wird dadurch massiv erschwert. Ehemalige gewaltverherrlichende Feindbilder werden oft über Generationen hinweg in Form von Vorurteilen weitergetragen. Selbst wenn sie nicht mehr absolute Entmenschlichung vorantreiben, tragen sie so weiter zu Diskriminierung und Unterdrückung bei.
Auch auf ukrainischer Seite lassen sich sicherlich Beispiele für diese Art der Sprache finden – aber das Ausmaß, wie sie aktuell im russischen Staatsfernsehen angewandt wird, ist kaum zu übertreffen. Für diesen Artikel haben wir nur einige Beispiele ausgewählt. Francis Scarr und Julia Davis sammeln und übersetzen auf Twitter zahlreiche weitere Beispiele.
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Artikelbild: Screenshot