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Todesrisiko: Schwarz sein

von | Mai 31, 2020 | Aktuelles, Gastkommentar

„Ich kann nicht atmen“ „Sie werden mich töten“ „Mama, Mama, Mama!“

Gastbeitrag von Liban Farah

Das sind die letzten Sätze von George Floyd, als er von einem weißen Polizisten auf offener Straße ermordet wird. Völlig unbeeindruckt vom Flehen der Passant*innen, die Floyd helfen wollen, kniet der Polizist minutenlang auf seinem Hals, bis er schließlich das Bewusstsein verliert und später stirbt (Quelle). Was an diesem Tag in Minneapolis geschah, ist verabscheuungswürdig, grausam und schlichtweg rassistisch. Bereits nach wenigen
Stunden trendete auf Twitter der Hashtag „I can’t breathe“.

Dort dachten nicht Wenige, es handle sich bei dem Hashtag um eine Erinnerung an den 2014 getöteten Eric Garner (Quelle). Doch so war es nicht! Denn: Es ist schon wieder passiert. Wie auch 2014 mussten auch hier erneut Millionen Menschen mit ansehen, wie ein Weißer geduldig und auf offener Straße einen Mord begehen kann und wie ein Schwarzer, erniedrigt und voller Gewissheit seines eigenen Todes, seine letzten Sätze spricht.

„Schwarze Menschen werden wie Tiere hingerichtet“

„Black lives matter“. Allein der Umstand, dass Schwarze diesen Satz laut schreien müssen, ist ein Armutszeugnis für die Vereinigten Staaten von Amerika. So sieht es auch die UNO. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet mahnte US-Behörden endlich zu handeln. George Floyds Tod sei nur der jüngste Fall in „einer langen Reihe von Tötungen unbewaffneter Afroamerikaner durch US-Polizeibeamte“ (Quelle). Doch dies gilt auch für die restliche Welt. Schwarze Menschen sterben an Hunger, obwohl auf der Welt genügend Nahrung produziert wird.

Abhängigkeiten, die (aufgrund von Weißen) seit der Kolonialzeit bestehen, sind weder aufgearbeitet noch aufgelöst worden. Rassismus tötet Schwarze. Jeden Tag. Überall. Doch wie wird der Mord an George Floyd von People of Colors (PoCs) in Deutschland wahrgenommen?

Ich schreibe es in Worten auf, die von mir verfasst und von anderen Schwarzen bejaht wurden: Es ist, als würde ein Bruder oder eine Schwester sterben. Erst sind wir schockiert, dann weinen wir, dann sind wir traumatisiert. Wir trauern Tage, Wochen, Monate denn der Mensch, der dort ermordet wurde, hat in vielerlei Hinsicht ein ähnliches Leben geführt: voller Gewalt, voller Ungerechtigkeiten, voller Rassismus. Dieser Mensch in den
USA ist uns in fundamentalen Aspekten näher, als unsere Nachbar*innen in Deutschland.

„Live“ zu sehen, wie ein Bruder oder eine Schwester stirbt, macht krank.

Die stellvertretende Landtagspräsidentin und MdL Aminata Touré (selbst PoC), schreibt dazu auf Twitter: „Es tut jedes Mal weh diese Bilder und Videos zu sehen. Jedes Mal gehen sie viral und wir müssen uns ansehen, wie Schwarze Menschen wie Tiere hingerichtet werden.“

Und es kommen sofort erdrückende Fragen auf:

„Was ist, wenn ich das gewesen wäre?“
„Was ist, wenn ich einmal um mein Leben betteln müsste, während mir langsam schwarz vor Augen wird?“
„Und was ist, wenn das meinen Geschwistern passiert, oder meinen Eltern?“
„Was soll ich meinen Kindern einmal sagen?“
„Wie schütze ich sie?“

All Diejenigen (Weißen), die nun die Worte „aber sowas kann ja in Deutschland nicht passieren!“ auf den Lippen haben, sage ich: Falsch! Es kann auch in Deutschland passieren und es passiert bereits in Deutschland. Auch wenn Gott sei Dank der letzte Schritt, also der Mord aus rassistischen Motiven in Deutschland nicht weit verbreitet ist, so sind es zumindest die ersten Schritte, die viele PoCs kennen: Blicke, als sei man verdächtig, das gemütliche Herspazieren von Polizist*innen und dann die „verdachtsunabhängige Kontrolle“ oder besser gesagt das „Racial Profiling“.

Die tägliche Drangsalierung migrantisch markierter Menschen durch die Mehrheitsgesellschaft ist UNS ALLEN bekannt. Und auch in Deutschland gibt es Angriffe, nicht ausschließlich auf Schwarze, sondern auf PoCs jeglicher Herkunft. Viele dieser Schritte kennen wir PoCs also bereits in Deutschland.

Aber auch rassistische Morde geschehen hier in Deutschland:

Eines der bekanntesten Beispiele ist Oury Jalloh. 2005 verbrennt dieser in einer Zelle eines Polizeireviers in Dessau. Er war an Händen und Füßen gefesselt, soll sich aber angeblich selbst in Brand gesteckt haben. Der Fall ist bis heute ungeklärt, auch weil die Polizeibeamt*innen, die den Fall aufklären könnten, schweigen. Es ist eine lange Geschichte über den „Korpsgeist der Polizei“, „verschwundene Asservate“ und Rassismus. (Quelle).

Oder der Fall von Dennis J., der 2008 in Schönfließ mit acht Polizeikugeln erschossen wurde. Die verantwortlichen Beamt*innen, erhielten lediglich Bewährungsstrafen und werden seitdem von der Polizeigewerkschaft finanziell unterstützt (Quelle). Doch Polizeigewalt fängt nicht erst mit Mord an. Es gibt viele Fälle, in denen Polizist*innen ihre Befugnisse weit überschreiten und insbesondere PoCs nicht nur schlagen, sondern auch weit über das angemessene Maß fixieren.

Die Zeug*innenberichte dazu gibt es zuhauf. Ein Bericht stammt von Marvin Oppong. Er beschreibt, wie ihn mehrere Beamt*innen auf den Boden drücken und postet dazu ein Video: „Auch auf mich haben sich drei Polizisten gekniet. Eine Polizistin auf mein Bein, ein Polizist auf meinen Rücken, ein dritter auf meinen Kopf, der seitlich auf dem Asphalt lag.“ (Quelle).

Erfahrungen, die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland mit der Polizei machen

Die übertriebene Fixierung, die fehlende Geduld in der Auseinandersetzung, das sogenannte „Racial Profiling“, der harsche und teils erniedrige Ton, ausländerfeindliche Aussagen. All das sind Erfahrungen, die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland mit der Polizei machen. Biplab Basu von der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt „ReachOut“ in Berlin sagt dazu: „Jetzt kann man mir vorwerfen, dass ich die Polizei unter einen Generalverdacht stelle – und ich muss sagen: Ja, unsere Erfahrung zeigt, dass man der Polizei nicht trauen kann (Quelle).

Rassistische Gewalt ist allerdings nicht nur ein Problem, welches ausschließlich bei der Polizei zu finden ist. Auch wenn die Kombination aus fehlender Kontrolle, Ausnutzung der Macht und rassistischen Beamt*innen, eine gefährliche sein kann, so ist rassistische Gewalt für PoCs in jeder Alltagssituation ermüdend bis lebensgefährlich. Daher mahnt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS): „Wir erleben in den letzten Jahren einen
massiven Anstieg rassistisch motivierter Diskriminierungen im Arbeitsleben und bei Alltagsgeschäften“ (Quelle).

Insbesondere rassistische Angriffe steigen in unserem Land dramatisch an: 2019 gab es fast 8.000 rassistische Straftaten und das sind lediglich die, die zur Anzeige kamen. 1.746 Straftaten wurden gegenüber
Geflüchteten ausgeübt, 126 davon richteten sich gegen Geflüchtetenunterkünfte (Quelle). Bei all diesen Ereignissen stellt sich für viele PoCs die Frage, ob sie den lebenslangen Begleiter Rassismus noch loswerden. Ob es nicht sogar hoffnungslos ist, noch dagegen anzukämpfen. Ob die seelischen Narben, genau wie die körperlichen, nicht doch bleiben.

Unter diese Hoffnungslosigkeit mischt sich allerdings auch zunehmende Wut.

Wut über fehlende Repräsentanz. Wut über fehlendes Verständnis. Und Wut über das Versagen der Politik. Wut über die fehlende Konsequenz der sonst blumigen Beileidsbekundungen (oder vielmehr Mitleidsbekundungen) der Mehrheitsgesellschaft. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass PoCs und Weiße in unterschiedlichen Gesellschaften leben. Sie haben ungleiche Erfahrungen, ungleiche Probleme, ungleiches Leiden, ungleiche Chancen.

Jedes Mal sei es durch den Tod Oury Jallohs, die Morde von Hanau oder nun durch die Ermordung George Floyds bleiben aufgebrachte, trauernde und desillusionierte PoCs zurück. Was für eine in großen Teilen ignorante Mehrheitsgesellschaft, eben nur eine News unter vielen ist, ist für PoCs ein Anschlag auf sie selbst (Quelle).

Gerechtigkeit? Nur mit Handyvideos

„Racism isn’t getting worse, it’s getting filmed.“, sagte Will Smith im Juli 2016, als er zu den vielen Todesfällen Schwarzer durch weiße Polizist*innen gefragt wurde (Quelle). Mindestens jeden zweiten Tag stirbt ein*e Schwarze*r in den USA an Schüssen durch Polizeibeamt*innen (Database, Washington Post). In Deutschland starben seit 1993 etwa 138 Menschen mit Migrationshintergrund in Gewahrsam der Polizei (Quelle). Viele dieser Fälle hätten nicht aufgeklärt werden können, wären sie nicht von Journalist*innen dokumentiert worden oder aber, wie in letzter Zeit sehr oft geschehen: Von Zeug*innen mit dem Handy gefilmt worden.

In einem System, in dem die normale Strafverfolgung auf einen „Corps-Geist unter Polizisten, die zusammenhalten, egal was passiert“ trifft und einer Gesellschaft, die die Tatsache ausblendet, dass „Polizeibeamte Bürger demütigen, physisch und psychisch misshandeln und andere Kollegen decken“, wird das Vertrauen zwischen PoCs und der Polizei, aber auch dem Rechtssystem als Ganzes, aufs Spiel gesetzt (Quelle, Quelle). Wenn der einzige Unterschied zwischen erfolgreicher Strafverfolgung der ist, dass ein Fall mit dem Handy dokumentiert wird und damit jegliche Leugnung zwecklos ist, dann zeigt es vor Allem eins:

Man glaubt Schwarzen nicht.

Nicht, wenn sie ihr Leid beklagen. Nicht, wenn sie sagen, dass sie misshandelt wurden. Und nicht, wenn sie tatsächlich umgebracht werden und krude Geschichten erfunden werden, um den Fall in die Versenkung verschwinden zu lassen. Nicht, wenn sie in gewissen Situationen und Orten um ihr Leben bangen müssen. Solange Schwarze angegriffen und ermordet werden, ohne dass sie gehört werden. Solange gibt es Zweifel an den Worten:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Und am Ende bleibt nur die Erkenntnis, dass es sei es in den USA oder in Deutschland ein besonderes Todesrisiko gibt: Schwarz sein!



Autor: Liban Farah, Artikelbild: Matt Gush