Gastbeitrag Jakob Springfeld
Jakob Springfeld (*2002 in Zwickau) ist Student und Aktivist – für Klimagerechtigkeit, gegen Rechts. Er studiert in Halle Politikwissenschaft und Soziologie. Aktuell ist Jakob mit seinem Buch “Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts.” auf Lesungstour. Termine zu den Lesungen und weitere Updates findet ihr auf seinen Social Media-Kanälen (Twitter, Instagram). Wenn ihr euch für Jakobs Arbeit interessiert und ihn unterstützen wollt, könnt ihr unter diesem Link sein Buch kaufen.
„Haltung. Rückgrat. Jakob Springfeld.“ Das titelte der Volksverpetzer 2019 über mich. Gedacht war es als Ermunterung, nicht aufzugeben und der rechten Szene nicht die Straßen zu überlassen. Das Rückgrat hat mir niemand gebrochen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, auf Krücken zu laufen.
Wer in der Überzahl ist, zeigte sich während der Coronapandemie. Wir, die Linken, standen manchmal zu zehnt Hunderten Demonstranten – Neonazis, Rechtsradikale, Verschwörungsgläubige – entgegen und mussten von der Polizei zur Bahnhaltestelle eskortiert werden, damit wir sicher nach Hause kommen. Die Zwickauer Klimagruppe von FridaysforFuture, die ich mitgegründet habe, existierte nicht mehr wirklich. Auch der Kampf um Erinnerung an die Mordopfer des NSU ist nicht einfacher geworden. Und wer meine Lesungen besucht, geht ein Risiko ein.
Neulich erklärte Zwickaus Oberbürgermeisterin in einem dpa-Interview: “Es besteht Einigkeit in der Stadtgesellschaft, dass diese Taten abgelehnt werden.” Weiter erklärte sie:
“Der Zwickauer ist in seiner Haltung nicht anders als der Bochumer, der Berliner und der Heidelberger.”
sueddeutsche.de
Unter Nazis: Bittere, ostdeutsche Realität in Buchform
Ist das wirklich so? In meinem Buch „Unter Nazis“ beschreibe ich, weshalb das Leben in Städten wie Zwickau eben doch anders ist als in Bochum, Heidelberg oder Berlin. Ich berichte von meiner nie schwindenden Angst, die junge Aktivist*innen erleben, wenn sie vor Neonazis weglaufen müssen. Ich erzähle davon, was einem durch den Kopf geht, wenn man weiß, dass gewaltbereite Rechtsextreme deine Adresse kennen. Und ich beschreibe aber auch, weshalb es sich dennoch lohnt, laut gegen die Faschos zu sein.
Unserer Oberbürgermeisterin drückte ich gleich nach Erscheinen ein Exemplar von „Unter Nazis“ in die Hand. Hätte sie es verstanden, würde sie auf den relativierenden Hinweis auf Bochum, Berlin und Heidelberg verzichten. Natürlich gibt es auch dort Faschos. Aber eben auch eine lebendigere Zivilgesellschaft, die sich laut zu Wort meldet, wenn Geflüchtete bedroht werden. Und auch No-Go-Areas für People of Color existieren dort nicht. Einem Schwarzen würde ich zum Beispiel nicht zu einem Urlaub im Erzgebirge raten, das lässt sich nicht weg relativieren.
Heidelberg ist nicht Bautzen
Am 6. März las ich im sächsischen Bautzen aus „Unter Nazis“. Etwa 10 bis 15, teilweise vermummte Neonazis versammelten sich vor dem Veranstaltungsort. Die Security erklärte: „Wir verbarrikadieren die Tür und sorgen dafür, dass niemand reinkommt.“ Jemand rief die Polizei. Ich las unter Polizeischutz und nach dem Ende der Veranstaltung, die nicht abgebrochen wurde, eskortierten mich Sicherheitsleute zum Bahnhof nach Dresden. Passiert so etwas in Bochum, Heidelberg und Berlin?
Der Zufall wollte es so, dass ich wenige Tage später zwei Lesungen bei Heidelberg gab. Die gingen friedlich über die Bühne. Ich erzählte von der Lesung mit Polizeischutz, der Spucke von Neonazis in meinem Gesicht oder von den weiterhin präsenten, oft von Neonazis geführten Montagsdemonstrationen. Die Heidelberger*innen guckten nicht schlecht. Zur Wahl des Heidelberger Gemeinderats erhielt die AfD 2019 lediglich zwei Sitze. In Zwickau waren es im selben Jahr elf. Einer von vielen Unterschieden.
Klar, auch meine Auftritte in sächsischen Kleinstädten wie Annaberg-Buchholz, Grimma oder Aue blieben ohne Zwischenfälle und Bedrohungen. Aber die Angst ist da immer im Kopf – ein gewaltiger Unterschied zu Heidelberg. Meine Angst ist gepaart mit einem Gefühl von Stärke. Das klingt paradox, oder? Ist es aber nicht. Ich bin schon mächtig abgestumpft, habe gelernt, die Angst zu ignorieren und mich deshalb stark zu fühlen. Es muss sein. Denn ich will dort sein, wo es nötig ist, dort mit Leuten ins Gespräch kommen, wo es brennt. Sogar Bautzen hat mir Mut gemacht. Denn gerade Bautzen, Annaberg-Buchholz, Grimma oder Aue zeigen mir: Ich bin mit meinem Engagement nicht allein, es gibt Leute, die ticken politisch wie ich. Sie kommen ungeachtet der Gefahr, die von rechts lauert – das motiviert mich ungemein.
Die Demokratie lebt – doch ihr Fundament bröckelt
Sie hilft, die Angst davor zu vergessen, wenn man Nazi-Strukturen, Besonderheiten oder rechte Normalisierungen in Ostdeutschland benennt. Mich regen die ewigen Relativierungen auf. Dass der NSU in Zwickau untertauchen konnte und dass hier Linke wie ich viel öfter bedroht werden als in anderen Gebieten dieses Landes – natürlich hat das Gründe. Und natürlich bedeutet das nicht, dass Westdeutsche nicht auch vor ihrer eigenen Haustür kehren sollten!
Wir sollten nur langsam mal checken, wie brüchig das Fundament unsere Demokratie ist. Denn wenn man für seine Haltung Anfeindungen ausgesetzt ist, verstehe ich, dass manche Leute keinen Bock mehr haben, sich zu positionieren. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich’s nicht verstehen könnte? Das Schweigen beunruhigt mich. Es schweigen die, die heimlich den Rechten zustimmen – und es schweigen die, die sich nicht trauen, was zu sagen. Ich frage mich, was das Resultat wäre, und finde eine Antwort: Die Gesellschaft könnte wieder zum Mittäter werden.
Auch du lebst unter Nazis? Du bist nicht allein!
Mein Buch, das ich mit Issio Ehrich geschrieben habe, ist deswegen auch ein Appell dafür, dass es sich lohnt, das Risiko einzugehen. Die „Wehrhafte Demokratie“ darf nicht zur Phrase werden. Wenn uns Menschenrechte und Pluralismus etwas wert sind, müssen wir wehrhaft sein, auch wenn das mittlerweile in Sachsen und Thüringen Risiken mit sich bringen kann.
Du, der das hier liest, bist ostdeutsch, hast was gegen Nazis und weißt nicht, was du gegen sie tun kannst? Organisiere dich! Informiere dich zum Beispiel beim „Netzwerk tolerantes Sachsen“ über die demokratischen Initiativen vor Ort. Wenn du Anfeindungen oder Bedrohungen ausgesetzt bist, bist du damit nicht allein. Der „RAA Sachsen e. V.“ ist nur eine von zahlreichen Beratungsstellen für Betroffene von rechter Gewalt.
Meine Lesungstour von „Unter Nazis“ geht weiter und hat mir zwei Dinge vor Augen geführt. Im ländlichen Raum linke Politik zu machen, ist nicht nur in Zwickau gefährlich: rechtes Gedankengut normalisiert sich, sickert in die Mitte der Gesellschaft. Doch auch in Bautzen, Aue oder Grimma gibt es noch alternative Jugendzentren oder Demokratie-Treffs, die zwar gefährdet sind, aber in denen wir durchatmen und uns sammeln können. Solang es diese Orte gibt, sind wir nicht verloren. Ich mache weiter. Tut ihr es bitte auch!
Artikelbild: Calvin Thomas