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Politik dechiffriert Teil 7: Unwort des Jahres „Klimahysterie“ erklärt

von | Jan 14, 2020 | Aktuelles, Kolumnen, Politik dechiffriert, Umwelt/Klima

Eine kurze Analyse zum Unwort des Jahres

Das Unwort des Jahres ist „Klimahysterie“. Verdient, wie wir finden. Eine Suche auf Google Trends belegt auch, warum:

Dieses Ergebnis zeigt, dass das Wort „Klimahysterie“ im Internet vor allem in den letzten 12 Monaten Konjunktur hatte. Der enorme Peak datiert auf die Woche vom 22.-28. September 2019. In dieser Woche bestimmte der UN-Klimagipfel die Nachrichten, außerdem wurde u. a. Greta Thunberg mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet. Klimaleugnende Hetzer hatten also gerade in dieser Zeit besonders viel Stoff zur „Empörung“.

Doch stellen wir uns eine andere Frage: Was steckt denn eigentlich hinter dem Begriff „Klimahysterie“?



Begriffsuntersuchung „Klimahysterie“

Der Fokus im Wort „Klimahysterie“ liegt zumeist auf dem zweiten Wortteil, „Hysterie“. Der Duden sagt uns dazu Folgendes:

Interessant ist, dass beide Bedeutungen von den Agitatoren gegen die Klimabewegung ausgenutzt werden. Offensichtlich ist meist eher die zweite Bedeutung impliziert: Klimaschützer*innen seien in einem Zustand „übertriebener Nervosität und leichter Erregbarkeit“, weswegen sie „nicht mehr klar denken und vernünftig handeln“ können. Offensichtlich soll damit die Zurechnungsfähigkeit aller Beteiligten in Frage gestellt werden. Gleichermaßen wird die eigene „Kritik“ an eben jenen „Hysterikern“ als umso „rationaler“ dargestellt. Natürlich ist dies ein Zirkelschluss, doch all diese Prozesse finden sowieso eher im Unterbewusstsein der Leser*innen statt, sodass eine tiefere Auseinandersetzung damit gar nicht erst gewollt ist. Damit wird natürlich bewusst die Lösungsfindung sabotiert und die konstruktive Debatte über den Klimaschutz gestört.

Noch perfider ist aber, wenn auch die andere, psychologische Bedeutung mitschwingt: Nämlich die, dass eine leichte psychische Störung vorliege. Vor allem gegenüber Greta Thunberg, die ja bekanntermaßen mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, wird dabei gerne der Eindruck einer psychisch Kranken erzeugt. Die falsche Schlussfolgerung der selbsternannten „Klimagegner“ ist dann, dass alles, was sie sagt, falsch sei. So ist also der Begriff „Klimahysterie“ in den hasserfüllten Posts gegen die Klimabewegung und gegen Greta Thunberg zum Dauerbrenner rechter Agitation geworden. Mehr dazu hat auch tagesschau.de recherchiert.

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Weitergehendes inhaltliches Problem: Kritikimmunität

Doch das Problem geht noch weiter: Wie bereits angedeutet, scheint die Bezeichnung der Gegenseite als „Hysteriker“ im Umkehrschluss zu implizieren, dass die eigenen „Fakten“ rational und unumstößlich seien. Dass dem nicht so ist, haben wir bereits in zahlreichen Artikeln aufgezeigt. Doch hier zeigt sich wieder eine Tendenz, die sich auch in der AfD immer wieder niederschlägt: Man macht sich selbst immun gegen Kritik.

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Die eigenen Anhänger werden immer mehr in ein Weltbild gezogen, in welchem es nur Schwarz und Weiß gibt. Nur „Lügenpresse“ vs. „Wahrheitskämpfer“. Alle Meldungen von außen, die nicht in die sorgfältig konstruierte Filterblase passen, können so interpretiert werden, dass sie die Filterblase sogar noch stärken. Was paradox klingt, wird am Beispiel „Klimahysterie“ deutlich.

Würde die AfD nur „andere Fakten“ zum Klimawandel verteilen, dann würde sie den Kampf um die Meinungshoheit verlieren. Da nunmal unwiderlegbar klar ist: Der menschgemachte Klimawandel ist das größte Problem, was uns langfristig auf globaler Ebene beschäftigen wird. Deswegen müssen, zusätzlich zur Verbreitung von Fake News, auch noch die (in der Sache) deutlich stärkeren Fakten der Gegenseite diskreditiert werden. Und das geschieht recht mühelos, indem sie einfach generell als Ergebnis der „Klimahysterie“ dargestellt werden.

„Die Wissenschaft sagt etwas anderes als wir? Dann hat die Klimahysterie sie wohl zu Fehlern verleitet.“ „Unsere Regierung möchte etwas gegen den Klimawandel tun? Dagegen müssen wir uns wehren, denn da sitzen doch nur ‚Klimahysteriker‘, die nicht klar denken können.“ etc. etc.

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Fazit

„Klimahysterie“ ist eine der mächtigsten Wortneuschöpfungen, wenn es um die Diffamierung der Klimabewegung geht. Rechte Agitatoren können damit der Gegenseite das Urteilsvermögen und damit letztlich auch die politische Legitimation widerspruchsfrei aberkennen.

Der Vorteil ist, dass man nicht ohne weiteres in diese Bubble hinein gerät. Der Nachteil ist, dass man, wenn man einmal darin ist, auch nicht mehr herauskommt. AfD und Co. stellen sich selbst als die Hüter der absoluten Wahrheit dar – und lassen auch keinerlei Kritik zu. So gesehen ist der Begriff  „Klimahysterie“ also auch ein Ausdruck von Streben nach totalitärer Herrschaft – und ein Vorgeschmack auf das, was Gesellschaft und auch Wissenschaft bevorstehen würde, käme diese Partei eines Tages an die Macht.

Artikelbild: pixabay.com, CC0

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